In unserem Textarchiv finden Sie alle Artikel aus der deutschen Ausgabe seit 1995. Ausgenommen sind die Artikel der letzten drei Ausgaben.
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Befristetes Kurzabo
Ausgabe vom 12.03.1999
Bei den algerischen Präsidentschaftswahlen am 15. April treten rund 40 Kandidaten an. Einige werden von bestimmten Armeefraktionen unterstützt, Abdelaziz Bouteflika etwa gilt als Kandidat von General Khaled Nezzar. Aber es gibt auch Offiziere, die um der Legitimität des künftigen Staatschefs willen eine saubere Wahl wünschen. Dafür ist auch der jetzige Präsident Liamine Zéroual eingetreten, hat damit aber den Zorn von General Nezzar herausgefordert. Diese Konfrontation hat ihre Gründe. Die Generälehabenn Bürgerkrieg militärisch gewonnen, aber eine politische Niederlage erlitten. Angesichts der Grausamkeit, mit der die Vernichtung der islamistischen Kräfte betrieben wurde, haben Teile der Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Armee. Nicht zufällig befürworten die meisten Präsidentschaftskandidaten Gespräche mit allen Konfliktparteien. Doch eine politische Lösung ist nur möglich, wenn das Militär eine freie Wahl gestattet – und wenn der Präsident seine Machtbefugnisse nach der Wahl auch ausübe kann.
LAOARI ADDI *
Die Entwicklung im Bereich der Biotechnologie eröffnet ständig neue Möglichkeiten, und mit diesen wächst im Gesundheitswesen die Gefahr einer Apartheidpolitik. Die Vereinigten Staaten wollen die Forschung an menschlichen Embryonenzellen fortan mit öffentlichen Mitteln fördern. Aber nicht allein die wissenschaftliche Instrumentalisierung dieser Zellen ist problematisch; hinter diesem Forschungsgebiet verbergen sich zahlreiche ökonomische und soziale Implikationen.Von
JEAN-PIERRE PAPART, PHILIPPE CASTONAY
und
DOMINIQUE FROIDEVAUX *
DERZEIT scheint sich eine Routine zu etablieren: Alles beginnt mit einer Umfrage und endet mit einer Debatte. Tag für Tag orchestrieren Talkmaster, Journalisten und Experten als Ensemble die ideologische Agenda der Nation. Sie präsentieren sich als Vermittler der öffentlichen Meinung und Garanten der Demokratie, doch in Wirklichkeit reflektieren sie eine höchst partikulare Lebenswelt, weit entfernt von den realen Diskussionen und Auseinandersetzungen der Zeit. Ihre Art von Zensur ist nicht mehr das Totschigen, sondern das Totplappern jedes Reflexionsvermögens.Von
SERGE HALIMI
VIERZIG Jahre lang hat sich der Westen Sorgen wegen der großen Macht der Sowjetunion gemacht. Heute ist es der Zerfall Rußlands, der beunruhigt – zumindest dem Anschein nach, denn die Mitverantwortung der G7, des Internationalen Währungsfonds und all derer, die nach der „Reform“ gerufen hatten, ist enorm. Wenn die Krise nach dem Zusammenbruch des „Kommunismus“ und der Perestrojka sich nun zu einer Katastrophe für das Land auswächst, dann geschieht das wegen des Raubzuges, den die neuen Oligarchien ud Mafias in Konkurrenz mit dem internationalen Finanzkapital und unter der schweigenden Komplizenschaft der Jelzin-Regierung auf das Land verübt haben.Von
FRÉDÉRIC F. CLAIRMONT *
DER spekulative Angriff auf die brasilianische Währung im Januar 1999 hat zu einer sonderbaren Rollenteilung zwischen den großen „Investoren“ und dem Internationalen Währungsfonds geführt, die es dem Privatkapital erlaubt hat, die brasilianischen Devisenreserven zu plündern. In einer maroden Volkswirtschaft, die dabei ist, ihre gesunden Privatsektoren und öffentlichen Aktivposten zu Schleuderpreisen abzustoßen, ist das internationale Kapital nunmehr aufgefordert, seine Schnäppchen zu machen. Doch dise Reolonisierung des Landes stößt auf einen wachsenden Widerstand in allen Kreisen der brasilianischen Gesellschaft.Von
MICHEL CHOSSUDOVSKY *
AM 14. Februar dieses Jahres demonstrierten etwa 200000 Ultraorthodoxe in Jerusalem gegen drei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Diese besagten, daß auch Schüler aus Religionsschulen künftig zum Militärdienst eingezogen werden können (was bislang nicht der Fall war); daß auch die liberalen Juden das Judentum vertreten (also Konvertierungen durchführen) können; und daß die Kibbuzim offiziell das Recht haben, am Sabbat ihre Läden zu öffnen. Aufgerufen zu dieser Großdemonstration, die drei Monae vor den allgemeinen Wahlen in Israel einmal mehr die Kluft zwischen orthodoxen und weltlichen Juden dokumentiert, hatte die ultraorthodoxe Schas-Partei, deren Mitglieder in der Mehrzahl Sephardim sind.Von
MARIUS SCHATTNER
DER achtzigjährige südafrikanische Präsident Nelson Mandela wird im Mai 1999 nicht mehr für die Präsidentschaftswahlen kandidieren. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Thabo Mbeki und die neue Nationalversammlung übernehmen von der aus den Wahlen von 1994 hervorgegangenen Regierung eine düstere Bilanz. Das Ende des Apartheidregimes schien die letzte Etappe der dreißig Jahre zuvor auf dem Schwarzen Kontinent eingeleiteten Entkolonialisierung zu sein und wurde vom ganzen Kontinent bejubelt: Eine „Wiedereburt Afrikas“, wie sie die neue Regierung verkündete, schien greifbar nahe. Doch die Wirtschaftskrise, der Widerstand der südafrikanischen Gesellschaft und das außenpolitische Lavieren (die gescheiterten Vermittlungsversuche im ehemaligen Zaire, die gefährliche Militärintervention in Lesotho usw.) sind erhebliche Hindernisse auf dem Weg des afrikanischen Giganten.Von unserem Korrespondenten
CLAUDE WAUTHIER *
VOR kurzem wurde in Frankreich ohne jede öffentliche Debatte ein Gesetz verabschiedet, das dem Fiskus Zugriff auf sämtliche Sozialversicherungsnummern gewährt. Geplant ist auch die Erstellung einer computergestützten polizeilichen Superdatei. Grund genug, um sich abermals Gedanken über die stets wiederkehrende Versuchung einer Totalerfassung der Gesellschaft zu machen. Die „freiheitvernichtende“ Faszination für den transparenten Bürger hängt dabei nicht allein mit der eindeutigen Tendenz der Staatsächte zusammen, alles und jeden zu kontrollieren. Sie hat ihren Ursprung auch in der allgemeinen Neigung, den Schwierigkeiten der direkten Auseinandersetzung die mediale Vermittlung vorzuziehen.Von
DENIS DUCLOS *
Nicht zuletzt die wachsende Bedeutung der Selbstverteidigungsgruppen hat in Algerien die Bedingungen eines Bürgerkrieges von unerhörter Gewalttätigkeit geschaffen. Die Strategie der Militärs, die einerseits auf Vereinbarungen mit der Islamischen Armee des Heils und andererseits auf die Zerschlagung der bewaffneten Gruppen abzielt, zeitigt erste Früchte. Wird die Gewalt sich allmählich auf ein „erträgliches Maß“ einpendeln?Von
DJAMEL BENRAMDANE
IN den Redaktionsräumen der US-amerikanischen Chicago Tribune steht Flexibilität hoch im Kurs, seit die dortige Zeitungsredaktion im Medienverbund mit konzerneigenen Fernsehstationen, Rundfunksendern und Nachrichtendiensten im Internet zusammenarbeitet. Die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung steigt, die Inhalte werden mit Konsumentenwünschen abgeglichen, die die Marketingabteilung erhebt. Eine Segmentierung des Nachrichtenmarktes ist die Folge. Wie wirkt sich die medienübergreifende Redakionsareit auf die Nachrichten aus? Und wie die maßgeschneiderten Konsumentenbilder auf Themenwahl und Textgestaltung? Wird die Verheißung des globalen Dorfes als weltweite Dorfpolitik enden?Von
ERIC KLINENBERG *
SEIT am 25. Dezember letzten Jahres zwei führende Repräsentanten des ehemaligen Pol-Pot-Regimes nach Kambodscha zurückkehrten, schwelt die Debatte im Lande, wie mit diesen Staatsmördern nun zu verfahren sei. Die widersprüchlichen Äußerungen der heutigen Politiker machen deutlich, daß in Kambodscha ein Grundkonsens über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch nicht hinreichend verankert ist. Zwar geistern zuweilen Vorschläge eines internationalen Tribunals oder eines Sondergerichtshofs durch den Raum dochwerden sie von den führenden Poltikern stets rasch wieder zurückgezogen.Von unserem Korrespondenten
RAOUL MARC JENNAR *
Einige Wochen bevor dem portugiesischen Schriftsteller José Saramago der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wurde, begab er sich zusammen mit dem brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado nach Chiapas, um „den Menschen zuzuhören“ und Zeugnis von deren Leiden abzulegen. Es war nicht der erste Besuch Saramagos in Chiapas; seit dem fürchterlichen Massaker in Acteal im Dezember 1997 wird er nicht müde, das Unrecht zu geißeln, das der indigenen Bevölkerung dieses mexikanischen Bundesstaates angetan wid. Dabei sparte er auch nicht mit Kritik an den mexikanischen Behörden, die sich nach wie vor weigern, einer politischen Lösung der Konflikte Priorität einzuräumen. Ein Drittel der mexikanischen Armee ist in Chiapas stationiert. Ein Ende der Gewalt ist nicht abzusehen.Von
JOSÉ SARAMAGO *
Das Pariser Institut d'Études politiques ist eine Rarität: Welches Lehrinstitut kann schon von sich sagen, daß es fast alle Führungskräfte aus Politik und Verwaltung eines Landes ausbildet. Doch was 1872 als Überwindung verknöcherter Lehrinhalte begann und als „französischer Sonderweg“ selbst von Institutsangehörigen bissig kommentiert wurde, macht mittlerweile in zahlreichen alten und neuen Demokratien Schule. Schließlich hat die herrschende Weltordnung von einer solchen Institution nichts zu befüchten, die mit vornehmem Eifer die Legitimierung des herrschenden Denkens und der bestehenden Hierarchien pflegt.Von
ALAIN GARRIGOU *
VERSCHIEDENE Interessen wirkten zusammen, als der Kurdenführer Abdullah Öcalan nach seiner Flucht quer durch Europa in Nairobi landete, wo er in die Hände der türkischen Verfolger fallen mußte. Wie diese Interessen aussehen und was sie beeinflußt hat, ist im Detail noch unklar. Klar ist jedoch die Verantwortung der EU-Länder, die Öcalan weder aufgenommen noch vor Gericht gestellt haben. In Westeuropa leben 850000 kurdische Flüchtlinge. Aber was tun diese Länder, um dem Krieg gegen die Kurden Einhaltzu gebieten und dieser unterdrückten Minderheit zu einem Minimum an Selbstbestimmung zu verhelfen? Diese Frage stellt Kendal Nezan, ein unabhängiger kurdischer Intellektueller, der sich noch im November 1998 mit Öcalan in Rom unterhalten hat.Von
KENDAL NEZAN *