12.03.1999

Ça commence aujourd'hui

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Ça commence aujourd'hui

DER neue Film von Bertrand Tavernier, „Es beginnt heute“, der im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war und demnächst in die Kinos kommt, überrascht durch sein unspektakuläres Szenario. Es gibt keine richtige Geschichte, nur Ausschnitte aus dem Leben eines Vorschullehrers, der in der Nähe von Valenciennes mit den gewöhnlichen Unterrichtsproblemen in unterprivilegierten Gebieten konfrontiert ist. Es sind Ausschnitte aus dem Schulalltag, die einzig und allein durch die Off-Stimme gelegentlich poetisch abgemildert werden. Doch was die Kamera eingefangen hat, sind jene Momente, in denen der Lehrer wie durch Zauberhand den Kindern eine andere Welt eröffnet: die Welt von Wort und Schrift, von Liedern und Erzählungen.

Der Film zeigt den Kampf, der erforderlich ist, um diesem Außergewöhnlichen im Alltäglichen Raum zu geben. Die Bemühungen des Lehrers werden durch unendlich viele Schwierigkeiten behindert: durch schwadronierende Schulinspektoren, durch Kollegen, die in der Routine vollkommen erstarrt sind. Deutlich wird auch das Versagen und die Ohnmacht der Institution angesichts der meist dramatischen sozialen Wirklichkeit jedes einzelnen Kindes. Bertrand Tavernier zeigt den Elan des Schulleiters, aber auch sein Auf-der-Strecke-Bleiben in diesem Kampf, wenn es an Sozialdiensten fehlt, wenn der Dialog scheitert, da die Familien sich ihrer Armut schämen.

Die Schilderungen von Engagement, Zweifeln und Überdruß beschränken sich nicht darauf, dem Zuschauer eindringlich zu erläutern, wie es kommt, daß das Schulsystem heute das ist, was es ist: eine fragile und dennoch immer weiter funktionierende Einrichtung. Sie werfen darüber hinaus die Frage nach der Identität eines Berufs auf, der sich nicht mehr ausschließlich auf den Klassenraum beschränken kann. Was sind also die Ziele der Institution Schule, wenn die Mittel fehlen? Was kann die Schule angesichts der alltäglichen Dramen tun? Man möchte antworten: wenig und viel zugleich; nicht genug, um alle Probleme zu lösen, aber doch so viel, daß sie unentbehrlich bleibt, das heißt „die Lücken stopft“. Und da liegt vielleicht der Kern des Problems. Die Schule, die eigentich nicht zur Abhilfe sozialer Probleme konzipiert wurde, ist angesichts der schwierigen Situationen notgedrungen auf sich selbst verwiesen.

FRANCK POUPEAU

Le Monde diplomatique vom 12.03.1999, von Franck Poupeau