Auf Wiedersehen, Tel Kabbir
EINSTMALS hieß es Abu Kabbir und war ein arabisches Dorf in der Nähe von Jaffa. Heute heißt es Tel Kabbir und ist eine jener Schlafstädten südlich von Tel Aviv, die überwiegend von orientalischen Juden bewohnt werden. Die fünfzehnjährige Elinor träumt davon, „diese Landschaft zu verlassen, die sich den Einwohnern so feindselig darbietet“. Aber glaubt sie, daß sie durch einen Fortzug ihrer Situation als Sephardin entkommen kann? Ist sie nicht in ihrem vornehmen aschkenasischen Gymnasium im Norden bei Lehrern wie Mitschülern immer wieder auf eine quasirassistische Verachtung gestoßen?
Das ist das Thema von Senyora Bar-Davids erstem Spielfilm: „Der Süden, Alice hat nie hier gewohnt“, der im März auf Arte ausgestrahlt wird. Angesichts der Tabuisierung der Sephardim-Frage in Israel, auch im israelischen Film, würde die Thematik allein schon ausreichen, um auf diesen Film aufmerksam zu werden. Aber die Regisseurin wollte keinen kämpferischen Film drehen, in dem die gute Absicht womöglich über die Defizite der filmischen Sprache hinwegtrösten muß.
Alice ist vielmehr ein äußerst intensives, vielschichtiges – ja fast überfrachtetes Werk, das viele andere Themen streift. Senyora Bar-David durchstöbert die Erinnerungen ihrer eigenen Familie und verbindet Dokumentation und Fiktion, um der Gestalt ihrer Hauptfigur Elinor historisch zu verankern. In langen Passagen erzählt ihre außergewöhnliche Großmutter Ida von ihrem Geburtsland Griechenland, von den Bevölkerungstransfers der zwanziger Jahre, davon, wie ihr die damalige Umsiedlung nach Bulgarien das Leben rettete (da sie so der Vernichtung der griechischen Juden entkam), von ihrer Ankunft in Jaffa – damals noch eine arabische Stadt... Wie auf einer Pilgerreise ist Senyora Bar-David selbst an all diese Orte gefahren – und hat erstaunliche Archivbilder ausgegraben.
Die Mutter, deren Leben nur aus Haushalt und Familie besteht, ist ebenso anrührend; das Schlußwort jedoch hat der Vater, ein selbstbewußter Arbeiter: „Egal, wo du bist, du wirst immer eine ,Schwarze‘ sein. Du selbst bist das Problem – nicht der Ort, an dem du lebst.“ Das ist keineswegs fatalistisch gemeint. Seiner Tochter, die sich weigert, „den Gedanken zu akzeptieren, daß ich es im Leben zu nichts bringen werde, nur weil ich Sephardin bin“, antwortet er: „Ich bin stolz darauf, daß meine Tochter, die in Tel Kabbir aufgewachsen ist, es mit den Kindern aus den besseren Vierteln aufnehmen kann.“ Eine bewegende Szene, die eines der Schlüsselprobleme der israelischen Gesellschaft und Politik auf den Punkt bringt.
DOMINIQUE VIDAL