Das „andere Davos“
SIE waren also auf dem Holzweg, die Mitglieder der vier Vereinigungen und internationalen Netzwerke von Bürgerinitiativen1 , die aus Anlaß des diesjährigen Davoser Weltwirtschaftsforums (vom 29. Januar bis 2. Februar)2 ein kleines Sandkorn in die gut geölte Maschinerie legten. Denn: „Anders als die Leute denken und im Gegensatz zu dem Eindruck, den die Veranstaltung manchmal vermittelt, ist sie keineswegs die jährliche Meßfeier zu Ehren des Gottes ,globaler Markt'. (...) Das Forum ist zuallererst ein Weiterbildungsseminar für Topmanager.“3
Heißt das, daß die Hunderte Journalisten in Davos einem akademischen Treffen beiwohnten, und daß Bill Gates, Jean-Marie Messier und Helmut Maucher in ihren eigenen Häusern nicht über die notwendigen Expertenkapazitäten verfügen, so daß sie alljährlich zur eigenen Weiterbildung die lange und kostspielige Reise nach Davos antreten müssen? Diese Bescheidenheit ehrt all jene, die sie real praktizieren. Doch es wäre des Guten gleich zweimal zuviel, wenn man auch noch ernst nehmen wollte, was Klaus Schwab und Claude Smadja, der Präsident und der Generaldirektor des Forums, als Zielsetzung ihrer Veranstaltung formuliert haben: „... der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben.“4
In Davos sind auch dieses Jahr die Politiker vor den Herren der großen Multis und Finanzgesellschaften erschienen wie vor einer Prüfungskommission, die die Noten verteilt. Und die Frage, die sich die Herren Schwab und Smadja stellen sollten, wäre eigentlich die folgende: Ganz unabhängig davon, wer diese Prüfungskommission je legitimiert haben soll – hat sie denn wenigstens Kompetenz bewiesen? In den vergangenen Jahren vermochte sie kein einziges Mal ein Anzeichen einer aufkommenden Krise zu erkennen; sie hat in bodenloser Selbsttäuschung das Wunder der „aufstrebenden“ Wirtschaftsräume schöngeredet; sie hat Medikamente verschrieben, die, anstatt die Krankheit zu besiegen, die Patienten ums Leben brachten. Am jüngsten Forum waren die Herren unfähig, eine seriöse Zustandsanalyse zu erstellen und vernunftgetragene Maßnahmen zu empfehlen; sie hatte weiter nichts zu bieten als das Herunterbeten jener nur zu bekannten Glaubenssätze des Ultraliberalismus, deren Verheerungen wir seit Beginn der achtziger Jahre verfolgen können.
In keiner wissenschaftlichen Institution würde eine solche Arbeit die Hürden der Promotion nehmen. Wäre es nicht an der Zeit, daß die Leiter dieses Forum auflösten und ein anderes installierten, eines, das sich vielleicht von den Kritiken des „anderen Davos“ inspirieren ließe?
BERNARD CASSEN