Die patriarchische Ordnung braucht ein starkes Institutionengerüst
Von LAMIS ANDONI *
DAS Bild eines schwachen, aber entschlossenen Herrschers, der die palästinensischen und israelischen Delegierten beschwört, ein Abkommen zu schließen – das am 23. Oktober 1998 in Wye Plantation schließlich unterzeichnet werden sollte –, dies ist eines der letzten Bilder, die von König Hussein in Erinnerung bleiben werden. Der Westen bewunderte in ihm vor allem den Vermittler. Für die Jordanier hingegen bedeutete diese Vermittlungstätigkeit ein Abweichen von der Politik des Gleichgewichts, die ihrem kleinen Land das Überleben in der Instabilität des Nahen Ostens erlaubt hatte.
Während seiner über 45 Jahre dauernden Herrschaft gelang König Hussein ein politischer Balanceakt: Er verstand es, die arabische Identität des jungen Landes zu festigen und diese Notwendigkeit mit westlichen Interessen in Einklang zu bringen. Ein junger, unerfahrener Mann muß nun das zwiespältige Erbe antreten. Zum einen steht er im Schatten der vollendeten Regierungskunst seines Vaters, zum anderen muß er den Unsicherheiten begegnen, die durch eine zu enge Bindung an die Vereinigten Staaten und Israel entstanden sind. König Abdallah verfügt weder über die Erfahrung noch über die Autorität seines Vaters, und die Aufgabe, vor der er steht, würde für jeden Thronfolger eine enorme Herausforderung bedeuten, selbst für den Bruder von König Hussein, den im Januar 1999 abgesetzten Prinz Hassan.
Der fragile Versuch der „Jordanisierung“
JORDANIEN ist heute kein junger Staat mehr. Das Land hat das Erwachsenenalter erreicht, und der Regierungsstil des Königs, der als „guter Patriarch“ seine außergewöhnlichen Fähigkeiten einsetzt, um das Land in einer Position des Gleichgewichts zwischen Israel und dem Rest der arabischen Welt zu halten, ist heute angesichts des hohen Bildungsniveaus der Bevölkerung nicht mehr zeitgemäß. Führende Politiker, die zum Teil über Jahrzehnte mit König Hussein zusammengearbeitet haben, fordern mehr Mitbestimmungsrecht und äußern sich zunehmend besorgt über die Entscheidungen der letzten Jahre.
Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Israel im Jahr 1994 haben sich wichtige Persönlichkeiten des Establishments zum Sprachrohr der Bevölkerung gemacht, die befürchtet, daß Jordanien das richtige Maß an Kompromissen überschritten haben und auf dem Weg sein könnte, seine arabische Identität zu verlieren. In seiner letzten Rede als Abgeordneter im Oktober 1997 hatte Taher Masri, der 1991 Premierminister und 1993 Vorsitzender der Nationalversammlung wurde, mahnend die Stimme erhoben und die Frage aufgeworfen, ob Jordanien „die Orientierung verloren“ habe. Die Opposition hatte seit langem davor gewarnt, aus den arabischen Reihen auszubrechen. Doch daß ein enger Vertrauter von König Hussein Masris Frage positiv beantwortet, verleiht der Sache ein anderes Gewicht: „Unsere Identität ist durcheinandergeraten“, sorgt sich Adnan Abu Odeh, zwischen 1984 und 1992 der engste Berater des Souveräns. „Die jordanische Selbstverständigung ist in einer Krise, seit wir vom arabischen Kurs abgekommen sind.“
Die Haschemiten verstehen sich als Erben des großen Araberaufstandes von 1916, den der Urgroßvater König Husseins, Scharif Hussein von Mekka, gegen das Osmanische Reich begann. Dieser Aufstand, den man im Westen vor allem durch die Rolle von Lawrence von Arabien kennt, diente seit jeher als panarabische Legitimierung der Monarchie. Doch die Abhängigkeit vom Westen – insbesondere zwischen den zwanziger und den fünfziger Jahren vom ehemaligen Vormund Großbritannien – und die Geheimkontakte mit der zionistischen Führung1 und in der Folge mit den offiziellen Vertretern des Staates Israel haben den Ambitionen Jordaniens in der arabischen Welt geschadet. Diese Widersprüche stürzten das Land in zahlreiche Krisen, und König Hussein steckte in der Zwickmühle zwischen westlichem Erwartungsdruck einerseits und der für panarabische Aufrufe emfänglichen jordanischen Öffentlichkeit andererseits.
Der Staat hat sich längst vom Panarabismus entfernt und seine wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilität vollkommen von einem labilen Frieden mit Israel abhängig gemacht. Sowohl die Opposition als auch die Royalisten sind zunehmend empört darüber, wie der Friedensvertrag ihr Land in eine Komplizenschaft mit dem israelisch-türkischen Militärbündnis hineingezogen hat; eine Entwicklung, die die meisten arabischen Regierungen als Bedrohung ansehen.2 Auch die Bevölkerung lehnt es nach wie vor ab, die Vereinigten Staaten in ihren Bemühungen zum Sturz des irakischen Regimes zu unterstützen.
Die Jordanier, ob palästinensischer Herkunft oder nicht, befürchten darüber hinaus, daß Washington auf eine Übereinkunft mit Israel über das Westjordanland drängen könnte, womit die palästinensische Souveränität untergraben würde. Ehemalige politische Verantwortliche, die sich in ihrer Amtszeit mit diesen heiklen Fragen befassen mußten, bezeichnen die palästinensischen und irakischen Rechte warnend als eine Art „verbotenes Terrain“. Und ein ehemaliger Minister kommentiert: „Keine Regierung wird eine antiirakische Politik oder eine engere Annäherung an Israel durchsetzen können“.
Dies gilt um so mehr, als der hohe Palästinenseranteil in Jordanien – laut Schätzungen über 50 Prozent der Bevölkerung – nach wie vor ein wesentlicher Faktor ist. In den letzten Jahren gab es eine Strategie der „Jordanisierung“, die bei den Palästinensern Ängste ausgelöst hat. Obwohl sie die jordanische Staatsbürgerschaft besitzen, sind sie zunehmender Diskrimierung ausgesetzt. Aber auch die Palästinenser sind gespalten, insbesondere seit der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens 1993. Während die Mehrheit die nationalistischen Bedenken der übrigen Bevölkerung teilt, hat sich ein Teil der Bourgeoisie an die Spitze der Normalisierungsbestrebungen mit Israel gestellt. Die eineinhalb Millionen palästinensische Flüchtlinge aber leben größtenteils unter denselben schwierigen Bedingungen wie die arme jordanische Bevölkerung; sie sind mißtrauisch gegenüber den Plänen einer dauerhaften Ansiedlung in Jordanien, die ihr Rückkehrrecht nach Palästina in Frage stellen würden. Solche Pläne verdrießen auch eine kleine, sehr aktive Strömung jordanischer Nationalisten, die über den palästinensischen Einfluß im Land beunruhigt sind.
Eine „Friedensdividende“ hat Jordanien allerdings nie für sich verbuchen können. Im Gegenteil: Durch die vom IWF verordneten drastischen Maßnahmen verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation und verschärften sich die sozialen Spannungen. Die Arbeitslosenrate hat einen beunruhigenden Stand erreicht und liegt laut offiziellen Statistiken bei 14 Prozent, laut Angaben unabhängiger Ökonomen aber bei 27 Prozent. Die Weltbank hat für für das Jahr 1996 ein Wachstum von unter 1 Prozent registriert, und auch 1997 betrug es nicht mehr als 3 Prozent. 30 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Neben der Türkei ist Jordanien eines der Länder, die am meisten unter dem Embargo gegen den Irak leiden.
Der Asolutismus hat ausgedient
DIE Privatisierung war eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der Forderungen des IWF wie auch für die Öffnung der Wirtschaft im Hinblick auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel. Doch die Privatisierung nährte die Befürchtung über einen wachsenden Einfluß des ausländischen und insbesondere des israelischen Kapitals. Die Opposition, die sich aus einem breiten Bündnis von Fundamentalisten, Linken und auch arabischen Nationalisten zusammensetzt, steht dieser Entwicklung ablehnend gegenüber. Und selbst ehemals regierungsnahe Kreise kritisieren die Unterordnung der politischen Ziele des Landes unter hypothetische Wirtschaftsgewinne.
Das 1997 gewählte Parlament mit seiner königstreuen Mehrheit hat Maßnahmen gefordert, um die Wirtschaft vor der Konkurrenz und vor ausländischen Investitionen zu schützen. Ferner hat es die Regierung dazu aufgerufen, die Interessen der armen Bevölkerungsschichten zu wahren, die von Arbeitslosigkeit und Preiserhöhungen bedroht sind, vor allem seit auf Betreiben des IWF die Subventionen für Lebensmittel und Benzin gestrichen wurden.
Diese Maßnahmen haben in erster Linie die soziale Basis des Regimes getroffen, insofern sie die Möglichkeiten zur personellen Stärkung der Armee und zur Verbesserung des öffentlichen Dienstes stark einschränken. Es ist kein Zufall, daß die Unruhen, die auf die Preiserhöhungen im Jahr 1989 folgten, ausgerechnet im Süden ausgebrochen sind, wo alteingesessene Jordanier leben, die bis dato als treueste Stütze des Thrones galten.
Wie Adnan Abu Odeh erklärt, war keine Regierung bisher in der Lage, die Wirtschaftspolitik und die politischen Ziele aufeinander abzustimmen, was zu einer „Verschiebung der strategischen Prioritäten“ geführt hat. Prinz Hassan, bis vor kurzem designierter Thronfolger, wurde trotz seiner wiederholten Appelle, ein soziales Netz zu schaffen, vielfach kritisiert, weil er die Verwaltung mit Technokraten und Ökonomen besetzte, die das Ziel verfolgten, das Land in den Weltmarkt zu integrieren. Damit untergruben sie die soziale Gerechtigkeit und verschärften die Abhängigkeit gegenüber den westlichen Gläubigern.
Doch diese Vorwürfe haben bei der Entscheidung König Husseins, Prinz Hassan als Thronfolger abzusetzen, keine Rolle gespielt. Der Kampf um die Nachfolge hatte sich auf den engsten Kreis der königlichen Familie und eine kleine Machtclique beschränkt, die sich untereinander um die beste Ausgangsposition nach dem Tode Husseins befehdet haben. Verehrer wie Kritiker von Prinz Hassan zeigten sich schockiert über die dramatische Krise in den sieben Januartagen, während derer der Souverän in Jordanien weilte, bevor er wieder in die Mayo-Klinik in den Vereinigten Staaten zurückkehrte. In einem am 25. Januar 1999 im Fernsehen veröffentlichten und auch von der Presse abgedruckten Brief warf der König seinem Bruder vor, er habe den Verleumdungen gegen seine jetzige Frau, Prinzessin Nur, freien Lauf gelassen, er habe jede Diskussion über die Thronfolge – die Frage, wer nach Prinz Hassan regieren würde – „entschieden zurückgewiesen“, er sei außerdem für die Kaltstellung des Chefs des Generalstabs wie auch für Veränderungen in der Armeehierarchie verantwortlich.3
Eine Woche lang verfolgten die Jordanier gebannt das königliche Machtspiel. Nur wenige Politiker glaubten den Anschuldigungen gegen den Prinzen, da niemand je die Loyalität Prinz Hassans zu seinem Bruder angezweifelt hatte. Obwohl die Entscheidung König Husseins bisher nicht angefochten wurde und vermutlich auch nicht werden darf, hat die Episode doch die Gefahren und Unsicherheiten einer persönlichen Herrschaft offenbart, die in den letzen Jahren die demokratischen Freiräume einengte. Sie hat auch das Gewicht des Geheimdienstes deutlich gemacht, dessen Chef, General Sami al-Batichi – beunruhigt über die Avancen Prinz Hassans gegenüber der Opposition – in der Januarkrise eine bedeutende Rolle gespielt hat.
Dennoch wurde die Entscheidung des Souveräns von niemandem in Frage gestellt. Selbst die einflußreichsten Oppositionsgruppen haben es seit langem aufgegeben, auf einen Sturz der Monarchie hinzuwirken. 1991 unterzeichneten sie die Nationalcharta und bestätigten damit die Anerkennung der historischen Legitimität der Haschemitenherrschaft. Diese Übereinkunft mündete im Juli 1992 in die Verkündung eines Gesetzes, das die politischen Parteien wieder legalisierte, die seit Jahrzehnten verboten waren – mit Ausnahme der lange Zeit dem Thron nahestehenden Vereinigung der Muslimbrüder (Islamische Aktionsfront, IAF), die in der Vergangenheit als einzige Partei legale Aktivitäten hatte entfalten dürfen.
Doch der Weg zum Frieden ging paradoxerweise einher mit zunehmenden Einschränkungen der Demokratie und immer häufigeren Menschenrechtsverletzungen.4 Der Monarchie ging es darum, jede Kritik des Friedensabkommens zu unterdrücken und die Opposition zur Anerkennung des Bündnisses mit den Vereinigten Staaten zu zwingen. Bei den Wahlen im November 1993 wurde der Einfluß der IAF, die noch 1989 ein Viertel der 80 Sitze im Abgeordnetenhaus erobert hatten und 1990 an der Regierung beteiligt waren, dank einer Änderung des Wahlgesetzes auf 16 Abgeordnete verringert. Die letzten Wahlen 1997 wurden von den meisten Oppositionsparteien boykottiert, aus Protest gegen die Verletzung der Nationalcharta, die den Pluralismus garantiert.
Aber die Verfolgung der Dissidenten hat die oppositionellen Bestrebungen nur noch weiter verbreitert. Die Aufeinanderfolge von vier Regierungen seit 1994 ist ein Beweis für das Scheitern des Königs, die Öffentlichkeit zur Unterstützung seiner Entscheidungen zu gewinnen, und eine Mehrheit der Bevölkerung begann die absoluten Befugnisse des Monarchen ernsthaft in Frage zu stellen.
Kritik an der königlichen Familie ist nicht länger ein Tabu, obwohl häufig sehr restriktive Gesetze angewendet werden, die es erlauben, eine „Verleumdung“ der Haschemiten mit Verurteilungen und Gefängnisstrafen zu ahnden. Leith Shbeilath etwa, der freimütigste unter den Dissidenten und ein Anhänger der Fundamentalisten, rief nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, wo er aufgrund einer Verurteilung wegen „Verleumdung“ des Königs einsaß, offen dazu auf, eine konstitutionelle Monarchie einzuführen. Das würde eine Begrenzung des königlichen Vorrechtes zur Auflösung des Parlaments beinhalten sowie dessen Monopol zur Ernennung und Absetzung der Regierungsmitglieder in Frage stellen.
Solche Forderungen wie auch die zunehmende öffentliche Kritik bedeuten nicht, daß die Monarchie als solche umstritten ist. Aber sie zeigen, daß die patriarchale Ordnung zunehmend zur Debatte steht. Diese Tendenz wird durch die Thronbesteigung von König Husseins Sohn Abdallah zweifellos beschleunigt werden. Die historischen Bedingungen, die es König Hussein erlaubten, sich durchzusetzen, sind nun Vergangenheit; Jordanien hat einen tiefgreifenden Wandel vollzogen, und König Abdallah ist nicht König Hussein. Der war, wie Taher Masri feststellt, „einzigartig“.
Diese „Einzigartigkeit“ gründete auf der außerordentlichen Herrschaftserfahrung, vereint mit dem Charisma und dem Charme des Souveräns. König Hussein kam als Siebzehnjähriger an die Macht und hat gleichzeitig mit seinem Land die Volljährigkeit erreicht. Im Laufe der Jahre hat er in einer patriarchalen arabischen Welt das Patriarchat auf das Niveau einer subtilen Kunst erhoben. Der König wußte Gnade mit einer mehr oder weniger starken Repression zu kombinieren. Er verurteilte seine Feinde zu jahrelangen Haftstrafen, zögerte aber nicht, an ihr Krankenbett zu eilen, wenn ihre Gesundheit sie im Stich ließ oder sie der Altersschwäche erlagen. Selbst seine Gegner bewunderten seine Überlebensfähigkeit, und der lange, gemeinsame Weg des Aufbaus eines Landes, dem wenig Chancen eingeräumt worden waren, hatte auch die heftigsten Widersacher der Monarchie besänftigt.
Doch die Entwicklungen des modernen Jordanien haben, wie die Umstände der Absetzung von Prinz Hassan bestätigen, die Schwierigkeiten des modernen Patriarchats offengelegt, das selbst in seiner perfektesten Form die gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen kaum bewältigen kann. Die Thronbesteigung von König Abdallah, der ein Neuling auf dem Feld der Politik ist, könnte eine Ära der politischen Reformen einleiten, wie sie von der Opposition gewünscht wird. „Es muß dringend eine Nationalversammlung einberufen werden, um eine Plattform politischer Reformen auszuarbeiten“, meint Salem Nahas, Vorsitzender der linken Volkspartei.
Ahmed Obeidat ist eine zentrale Figur des politischen Lebens und in der Opposition von Jordaniern wie Palästinensern gleichermaßen respektiert. Er war Premierminister, bevor er 1994 aus dem Senat entlassen wurde, weil er den Friedensvertrag mit Israel kritisiert hatte. Inzwischen wurde er wieder eingesetzt. Die unmittelbare Aufgabe ist seiner Ansicht nach die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den drei Pfeilern der Macht. „Das ist nur durch konstitutionelle Institutionen möglich“, erklärt er. „Nur so kann die durch den Tod des Königs hinterlassene Leere ausgefüllt und die Legitimität der Macht gestärkt werden.“
Taher Masri ist überzeugt, daß die Situation günstig für Veränderungen ist, denn der junge König werde „auf die Institutionen“ zurückgreifen müssen, um eine solide Machtbasis zu erlangen. Abu Odeh gibt sich vorsichtiger. Er befürchtet, daß die höheren Ränge des Establishments noch nicht bereit sind, die patriarchale Denkweise und Regierungsform aufzugeben. „Weniger das Wissen um die Kosten, die eine Aufrechterhaltung der patriarchalen Herrschaftsformen mit sich bringen würde, als vielmehr das Bewußtsein über die Zwänge, die das System mit sich bringt, wird politische Veränderungen hervorbringen“, glaubt er.
Die „Kosten“ wird der neue Souverän namentlich dann abwägen müssen, wenn es um die Folgen des Bündnisses mit Israel geht, Folgen zum einen für die Beziehungen Jordaniens zu den arabischen Ländern und zum anderen für die Unzufriedenheit der eigenen Bevölkerung. Dennoch ist jeder davon überzeugt, daß der kommende Übergang friedlich verlaufen wird. Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg besteht ein breiter Konsens: zu vermeiden, daß der Tod von König Hussein die Stabilität des Landes gefährdet. Im übrigen hat die entschlossene, rasche Unterstützung der Vereinigten Staaten und der Golfstaaten zugunsten König Abdallahs gezeigt, daß „starke innere und internationale Interessen bestehen, die Stabilität in Jordanien aufrechtzuerhalten“, so Taher Masri.
Fraglich ist jedoch, ob das Lavieren zwischen den Interessen der USA und der Golfstaaten nicht eine zweischneidige Angelegenheit ist. Natürlich ermöglicht es Jordanien in einer schwierigen Phase einen gewissen Handlungsspielraum, außerdem könnte es zur Wiederaufnahme der direkten Finanzhilfe durch die Erdölmonarchien kommen, die ausgesetzt worden waren, als Amman sich weigerte, der zwischen 1990 und 1991 von Washington geführten antiirakischen Koalition beizutreten.6
Auf der anderen Seite wird Jordanien dazu gedrängt werden, seine Befriedungspolitik gegenüber Israel weiterzuverfolgen, was im Inneren zwangsläufig die Unzufriedenheit nährt. Die Öffentlichkeit war im übrigen schockiert, daß der Westen in seinen Nachrufen auf den König diesen Aspekt seiner Politik so sehr herausstellte. „Das überrascht uns nicht“, erklärt Ahmed Obeidat. „Der Westen ignoriert den geschichtlichen Prozeß, der zur Ausprägung der Identität Jordaniens und seiner Zugehörigkeit zur arabischen Welt geführt hat. Dennoch können wir uns beglückwünschen, daß die zentrale Rolle anerkannt wird, die unserer Land für die Stabilität der Region gespielt hat. Dies ist eine Quelle der Stärke und könnte es dem Land ermöglichen, seine eigenen Interessen voranzutreiben, statt sich immer dem äußeren Druck zu beugen.“
In einem Punkt sind sich alle politischen Strömungen einig: Veränderungen im Inneren sind nötig, um den nationalen Dialog wiederherzustellen und eine stärkere politische Mitbestimmung zu erreichen. König Abdallah erbt die Dilemmata, mit denen sich schon sein Vater auseinandersetzen mußte, doch der Kontext ist ein anderer. Er wird sicher die gleiche Außenpolitik fortsetzen, muß aber ein gewisses Gleichgewicht sowohl im Inneren als auch in den regionalen und internationalen Beziehungen wiederherstellen. Dafür muß er sich, wie Beobachter schätzen, auf gut verwurzelte und mächtige politische Institutionen stützen können. Die Zeiten der absoluten Herrschaft eines einzelnen Mannes, ob sie nun im Konsens oder unter Zwang ausgeübt wird, sind vorbei.
dt. Birgit Althaler
* Journalist, Amman und Boston.