In unserem Textarchiv finden Sie alle Artikel aus der deutschen Ausgabe seit 1995. Ausgenommen sind die Artikel der letzten drei Ausgaben.
Aktuelle Ausgaben
Befristetes Kurzabo
Ausgabe vom 09.08.2002
Unter den Franzosen jüdischer Religion, Kultur oder Abstammung wächst eine spürbare Beunruhigung, die sie häufig defensiv, gelegentlich aber auch reizbar macht. Diese Unruhe hat zum einen mit der blutigen Zuspitzung des Nahostkonflikts und den Selbstmordattentaten in Israel zu tun, zum anderen mit französischen Entwicklungen: mit der Gewalt gegen jüdische Gemeinden und jüdische Gotteshäuser und natürlich mit dem Aufstieg des Front National. Doch diese Unruhe ist auch ein Symptom für die Unsicherheit jüdischer Existenz angesichts der Spannweite individueller Optionen zwischen prekärer Selbstbehauptung und Assimilation.Von
SYLVIE BRAIBANT
* und
DOMINIQUE VIDAL
VOR einem Jahr haben die Großdemonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Genua die Italiener jäh wachgerüttelt. Einige Monate zuvor war die Linke hinweggefegt worden, und der mit überwältigender Mehrheit gewählte Silvio Berlusconi bildete sich ein, er könnte nun nach Belieben regieren. Doch Genua machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Bewegung der Globalisierungsgegner hat die Bürger wieder mobilisiert, neue Kampfformen wurden entwickelt, die Offensive der arbeitenden Bevölkerung geht an zahlreichen Fronten unvermindert weiter. Paradoxerweise eröffnet der Sieg der Rechten, indem er eine erneute gesellschaftliche Mobilisierung provoziert, die Hoffnung auf eine Neukonstituierung der Linken und eine Umgestaltung der Republik.Von
ANTONIO NEGRI
*
DIE Popularität von US-Präsident George W. Bush ist nach wie vor ungebrochen. Trotz immer neuer Skandale in der New Economy halten sich die Vertreter der Demokratischen Partei mit Kritik zurück. Die rhetorische Polarisierung, die im Gefolge des 11. September die Welt schlagartig in gut und böse, amerikanisch und antiamerikanisch, abendländisch und islamisch aufteilte, schweißt die politische Klasse enger zusammen als je zuvor. In dieser Atmosphäre werden Kritiker als Ketzer verdächtigt, die nicht nur die Regierungspolitik in Frage stellen, sondern das ganze Wertesystem der Vereinigten Staaten. Dass auch linke Intellektuelle so argumentieren, belegt den Konformitätsdruck, der seit dem 11. September übermächtig geworden ist. Dieser Druck entspringt auch dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich stets als die beste aller Welten imaginierte.Von
DANIEL LAZARE
*
Die Serie der Bilanzskandale nimmt kein Ende. Die Visionäre von gestern erweisen sich als schlichte Betrüger. Doch ihre Machenschaften, die das Mysterium der Neuen Ökonomie entzaubert haben, können nicht mehr als Fehltritt vereinzelter „schwarzer Schafe“ verharmlost werden. Sie sind der faule Kern eines Systems, das manipulierte Börsenkurse nicht nur erlaubt, sondern zum Hauptanreiz für das Management macht.Von
IBRAHIM WARDE
*
SEIT bald vierzig Jahren sind die Papua im Westen Neuguineas, in der indonesischen Provinz Westpapua (Irian Jaya), Opfer einer Kolonisierung, die von Djakarta mit äußerster Brutalität durchgeführt wird. Der Konflikt in Osttimor weckte Empörung in der internationalen Gemeinschaft, doch die Situation in Westpapua scheint weder die Vereinten Nationen noch die internationalen Medien zu interessieren. Von allen vergessen, führt das Volk der Papua, eines der ältesten der Welt, einen hartnäckigen Kampf um kulturelle Identität und politische Anerkennung.Von
DAMIEN FAURE
*
ES ist schon erstaunlich, was ein Pfeifkonzert korsischer Schlachtenbummler gegen die französische Nationalhymne in Gang setzen kann. Es geschah im Pariser Fußballstadion am 11. Mai dieses Jahres, beim französischen Pokalfinale zwischen Lorient und Bastia. Staatspräsident Jacques Chirac kam, hörte und verließ empört die Tribüne. Erst als der Präsident des französischen Fußballverbands sich inständigst bei dem Staatsoberhaupt entschuldigte, kehrte Chirac auf seinen Platz zurück. Von den Medien und der politischen Klasse Frankreichs und Korsikas wurde der Zwischenfall fast einhellig verurteilt, und in Paris ertönte sogar der Ruf nach einer Untersuchungskommission.Von
DIDIER REY
*
DER „Lügenkapitalismus“ mitsamt seinen gigantischen Pleiten – Enron, WorldCom, Lucent, Xerox etc. – wirft eine beunruhigende Frage auf: Gibt es eine Beziehung zwischen „wahnsinnigen Amokläufern“ wie dem Erfurter Schüler Robert Steinhäuser und den „Allmächtigen der Welt“, wie dem Vivendi Universal-Präsidenten Jean-Marie Messier oder dem Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff? Der „wahnsinnige Chef“ bläht sein Unternehmen durch Übernahmen und Fusionen immer weiter auf, will ihm alles einverleiben, bis in einer finalen Explosion alles mit ihm untergeht. Der Amokläufer will im Rausch einer wahnsinnigen, tödlichen Umarmung mit den anderen verschmelzen. Wie lange wollen wir noch – fassungslos und fasziniert – diesen mörderischen Wahnsinn mitansehen? Wie lange lassen wir es uns noch gefallen, von den allmächtigen Chefs globalisierter Unternehmen manipuliert zu werden – von einer Art globaler Sekte, die sich die Individuen und Ressourcen untertan macht?Von
DENIS DUCLOS
*
Von Gibraltar bis Accra, über Marokko, Mauretanien, Mali, Senegal, Burkina Faso, Togo und Ghana, durch Wüsten und Sumpfgebiete, Vogelparadiese und Savannen. Die mehr als 10.000 Kilometer lange Strecke in einem betagten „Pijo“ (Peugeot) quer durch Westafrika zu fahren, ist keinesfalls eine Heldentat und nicht einmal ein gefährliches Abenteuer. Aber es ist eine sehr ungewöhnliche, wunderbare Erfahrung – mit sonderbaren Ritualen bei jedem Grenzübertritt, mit beglückenden Begegnungen und mit einer Entdeckung: Das Lebensgefühl afrikanischer Menschen, die man im chaotischen Verlauf einer unberechenbaren Reise trifft, kann den Luxus gewohnten, aber ängstlichen und verdrossenen Europäer auf ganz neue Gedanken bringen.Von
CHRISTIAN DE BRIE
*
Zehn Jahre nach der Befreiung droht in Südafrika eine erneute Apartheid, die mehr Menschenleben fordern könnte als der burische Rassismus. Von den 45 Millionen Einwohnern tragen bereits 5 Millionen das Aidsvirus in sich. Jahr für Jahr sind 250 000 Neuinfektionen und ebenso viele Aidstote zu beklagen. Dabei hat das Massensterben erst begonnen. Doch die Gesundheitsbehörden verweigern die wirksamen Medikamente. Daraufhin haben die HIV-Positiven beschlossen, um ihr Leben zu kämpfen. Ihre Aktionen geben dem Kampf des südafrikanischen Volks für Würde und Gleichheit neue Impulse.Von
PHILIPPE RIVIÈRE
DINOSAURIER und Menschen aus der Zeit der Vorgeschichte sind wieder in Mode gekommen. Das hat es schon einmal gegeben: Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts inszenierten zunächst die Literatur und dann der Comic jene „verlorenen“ Welten, in denen archaische Kreaturen und Wesen aus höher entwickelten Kulturen zusammenlebten. Inzwischen hat das Wissen über die Vor- und Frühgeschichte sprunghaft zugenommen. Das bedeutet, dass der Dinosaurier und der erste Mensch heute aus ganz anderen Motiven zu neuen Ehren kommen: weil die Menschen – mit ihrer „Antiquiertheit“ konfrontiert – sich mit diesen Geschöpfen identifizieren und sich fragen, ob sie demnächst nicht auch zu den ausgestorbenen Arten gehören werden.Von
SERGE TISSERON
*
DER Schutz der natürlichen Ressourcen hat Besseres verdient als spektakulär inszeniertes, aber fruchtloses Kongresstheater. Nachdem die Den Haager Konferenz über Biodiversität im April dieses Jahres gescheitert ist, sind auch vom Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der vom 26. August bis zum 4. September in Südafrika stattfindet, kaum effektiveFortschritte zu erwarten. Weitgehend folgenlos blieb auch die Artenschutzkonferenz, die im November letzten Jahres in Chile über die Bühne ging. Denn inzwischen geht der Internationalen Walfangkommission schon wieder die Luft aus, die Elefantenjagd läuft erneut auf vollen Touren, und überall schwinden die tropischen Wälder, auch in Afrika.Von
GÉRARD SOURNIA
*
INDIEN hat Konjunktur – zumindest wo es die Form des englischsprachigen Romans annimmt. Das hat, wie immer bei derartigen literarischen Moden, seine Vor- und Nachteile. Zwar gab es seit den mittlerweile ins Klassikerregal aufgestiegenen Namen Tagore, Narayan oder Raja Rao immer ein paar indische Autoren im Programm britischer und nordamerikanischer Verlage. Seit ein paar Jahren jedoch scheinen die englisch schreibenden Autoren aus Indien eine wahre Faszination auszulösen. Eine Flut indischer Romane kommt auf den Buchmarkt, die sich durchaus mit dem Boom der lateinamerikanischen Literatur in den Sechzigerjahren vergleichen lässt. Woher rührt dieser sagenhafte Erfolg des indischen Romans?Von
PIERRE LEPAPE
*
IN rascher Folge reisen Vertreter der US-Regierung nach Indien und Pakistan, um eine Entschärfung des Kaschmirkonflikts zu erreichen. Die Rivalität zwischen den beiden südasiatischen Atommächten ist in einer Weise eskaliert, die den „Antiterrorkrieg“ in Afghanistan und im Westen Pakistans behindert. Doch bei seiner letzten Reise ist Außenminister Powell mit seinem Plan, zu den nächsten Wahlen in Kaschmir internationale Beobachter zu entsenden, in Neu-Delhi auf taube Ohren gestoßen. Damit tritt das Dilemma der Südasienpolitik Washingtons erneut klar zutage: Wie kann die US-Regierung den Indern Zugeständnisse abhandeln, die es dem pakistanischen Verbündeten erlauben, das strategische Bündnis mit den USA innenpolitisch durchzuhalten?Von
KURT JACOBSEN
und
SAYEED HASAN KHA
N *