09.08.2002

Der graue Planet

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Der graue Planet

VOM 26. August bis zum 4. September tagt im südafrikanischen Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung. Zu dem Treffen werden rund 60 000 Teilnehmer aus über 180 Ländern erwartet und mehr Staats- und Regierungschefs, als bei einer internationalen Konferenz der letzten zehn Jahre vertreten waren. Auf der Tagesordnung stehen die drängendsten Probleme der Menschheit: Umweltschutz, Armutsbekämpfung, die Rettung unseres Planeten.

Denn der Erde geht es schlecht, sehr schlecht. Dabei wurden die wichtigsten Übel bereits vor zehn Jahren auf dem ersten Umweltgipfel von Rio diagnostiziert: Das Klima erwärmt sich, Trinkwasser wird knapp, riesige Waldflächen werden vernichtet, dutzende Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, über eine Milliarde Menschen leben in extremer Armut.

In Rio räumten die Staatsoberhäupter ein, dass „die Hauptursache für die allmähliche Zerstörung der globalen Umwelt in den nicht nachhaltigen Verbrauchs- und Produktionsmustern – insbesondere in den Industrieländern – zu sehen [ist], die Anlass zu ernster Besorgnis geben und zunehmende Armut und Ungleichgewichte verursachen“ (Artikel 4, Abs. 3 der Agenda 21). Der Rio-Gipfel verabschiedete damals zwei wichtige Konventionen zur Klimaveränderung und Biodiversität und setzte das Thema nachhaltige Entwicklung auf die Agenda 21.

Entwicklung ist dann als nachhaltig zu bezeichnen, wenn die künftigen Generationen eine mindestens ebenso gute Umweltqualität vererbt bekommen wie ihre Vorgänger. Dabei sind drei Prinzipien zu beachten: das Vorsorgeprinzip, das dem Motto folgt: Lieber verhüten als reparieren; das Prinzip der Solidarität zwischen den jetzigen und den künftigen Generationen, aber auch innerhalb der gesamten Weltbevölkerung; und schließlich das Partizipationsprinzip, das die Beteiligung sämtlicher sozialer Akteure an der Entscheidungsfindung vorsieht.

Zehn Jahre nach Verabschiedung der Agenda 21 hat sich die Lage in vielen Bereichen nicht verbessert. Die „nicht nachhaltigen Verbrauchs- und Produktionsmuster“ haben sich im Laufe der forcierten Globalisierung eher noch verschärft, die Einkommensunterschiede haben ein seit der Zeit der Pharaonen nicht mehr bekanntes Maß erreicht. Das Vermögen der drei reichsten Personen der Welt übersteigt im Wert den kumulierten Besitz der Bevölkerung der 48 ärmsten Länder. Die Verschmutzung der Biosphäre durch die reichen Länder hat weiter zugenommen. Die etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung, die in den dreißig höchstentwickelten Industrieländern leben, produzieren und verbrauchen 85 Prozent der synthetischen Chemieerzeugnisse, 80 Prozent der nicht erneuerbaren Energien und 40 Prozent des weltweit verfügbaren Süßwassers, während sie pro Kopf zehnmal so viel Treibhausgase in die Atmosphäre pusten wie die Menschen in den Entwicklungsländern (alle Zahlen nach der Standardpublikation „State of the World 2002“).

Die Kohlendioxidemissionen – die Hauptursache der Klimaerwärmung – sind in den letzten zehn Jahren weltweit um 9 Prozent gestiegen, beim größten Verschmutzer USA liegt der Anstieg sogar bei 18 Prozent. Mehr als eine Milliarde Menschen haben nach wie vor keinen Zugang zu Trinkwasser, und fast drei Milliarden Menschen – die Hälfte der Menschheit – müssen mit qualitativ minderwertigem Wasser auskommen. Verschmutztes Trinkwasser kostet täglich 30 000 Menschen das Leben, Tag für Tag zehnmal mehr, als den verbrecherischen Attentaten vom 11. September 2001 zum Opfer fielen.

AUCH die Vernichtung riesiger Wälder geht ungebremst weiter. Jahr für Jahr verschwinden 17 Milliarden Hektar, die vierfache Fläche der Schweiz. Da diese Bäume nicht mehr zur Absorption überschüssigen Kohlendioxids beitragen können, verstärkt sich der Treibhauseffekt, der das Klima aufheizt. Überdies sterben jedes Jahr 6 000 Tierarten aus. 13 Prozent der Vögel, 25 Prozent der Säugetiere und 34 Prozent der Fische sind stark bedroht – ein Tiersterben, wie es die Erde seit der Zeit der Dinosaurier nicht mehr erlebt hat.

Dies alles erklärt, welch immense Hoffnungen sich an den Gipfel von Johannesburg knüpfen. Diese könnten jedoch enttäuscht werden, wenn wiederum nationale Eigeninteressen, produktivistische Logik sowie die Prinzipien von Kommerz und Profit die Oberhand gewinn sollten, wie es im Juni dieses Jahres auf der Vorbereitungskonferenz in Bali der Fall war. Die scheiterte an der Unfähigkeit der Verhandlungspartner, sich auf einen Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung zu einigen.

Um den Planeten zu retten, müssen die Mächtigen dieser Welt in Johannesburg zumindest folgende sieben Beschlüsse fassen: Erstens brauchen wir ein internationales Programm zur bevorzugten Nutzung erneuerbarer Energieträger, mit Schwerpunkt Dritte Welt. Zweitens muss die Versorgung und die Aufbereitung von Wasser bis 2015 so weit ausgebaut werden, dass sich die Zahl der Menschen halbiert, die bislang keinen Zugang zu dieser lebenswichtigen Ressource – einem Gemeingut der Menschheit – haben. Drittens brauchen wir Maßnahmen zum Schutz der Wälder, wie von den 1992 in Rio verabschiedeten Übereinkommen zur Biodiversität vorgesehen. Viertens brauchen wir Resolutionen für einen rechtlichen Rahmen, der die Umweltverantwortung der Unternehmen festschreibt und das Vorsorgeprinzip zur Vorbedingung jeder kommerziellen Aktivität erklärt. Fünftens brauchen wir Initiativen, um die WTO-Regeln den UN-Prinzipien zum Schutz der Ökosysteme und den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation unterzuordnen. Sechstens müssen sich die Industrieländer verpflichten, mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen. Und siebtens sollte der Gipfel verbindliche Empfehlungen zum Schuldenerlass für die armen Länder beschließen.

Durch die Zerstörung der natürlichen Umwelt haben die Menschen die Erde zunehmend unbewohnbar gemacht. Der Gipfel von Johannesburg muss versuchen, das Ruder herumzuwerfen, um die drohende globale Umweltkatastrophe abzuwenden. Dies ist eine der großen Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts, in dem die Menschheit als solche vom Untergang bedroht ist.

Le Monde diplomatique vom 09.08.2002, von IGNACIO RAMONET