09.08.2002

Wider den ökologischen Fundamentalismus

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Wider den ökologischen Fundamentalismus

DER Schutz der natürlichen Ressourcen hat Besseres verdient als spektakulär inszeniertes, aber fruchtloses Kongresstheater. Nachdem die Den Haager Konferenz über Biodiversität im April dieses Jahres gescheitert ist, sind auch vom Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der vom 26. August bis zum 4. September in Südafrika stattfindet, kaum effektiveFortschritte zu erwarten. Weitgehend folgenlos blieb auch die Artenschutzkonferenz, die im November letzten Jahres in Chile über die Bühne ging. Denn inzwischen geht der Internationalen Walfangkommission schon wieder die Luft aus, die Elefantenjagd läuft erneut auf vollen Touren, und überall schwinden die tropischen Wälder, auch in Afrika.

Von GÉRARD SOURNIA *

Von den drei grünen Lungen der Erde – Amazonien, Südostasien und dem Regenwald des Kongobeckens – hat die afrikanische noch vergleichsweise wenig Zerstörung hinnehmen müssen. In manchen Ländern des Kontinents lässt sich sogar das umgekehrte Phänomen beobachten: Der Wald erobert – etwa in Gabun, in Zentralafrika und im Kongo – die vom Menschen aufgegebenen Savannen zurück.

Dennoch bestehen manche fundamentalistischen Naturschützer auf ihrer Grundsatzkritik. Für sie schafft jeder Eingriff in den Wald die Voraussetzung für sein Verschwinden. Nach dieser neuen, aus dem Westen importierten Religion begeht jeder, der einen Baum zu kommerziellen Zwecken fällt, ein ökologisches Verbrechen. Dabei lässt das grüne Gebetbuch ein zentrale Realität beiseite: Die afrikanischen Staaten, in denen der Regenwald gedeiht, hängen in erster Linie von den Ressourcen ihrer natürlichen Umwelt ab.

In diesen Gebieten lebt die Bevölkerung buchstäblich vom Regenwald: 95 Prozent ihres Eiweißbedarfs wird durch Wildtiere gedeckt, denn Rinderzucht ist praktisch unmöglich. Neun Zehntel der verloren gegangenen Waldflächen sind direkt dem raumzehrenden Wanderfeldbau zum Opfer gefallen. Gewöhnlich verschafft erst der Holzschlag den Bauern ein Einfallstor: Sie nutzen die Zufahrtspisten und Schneisen, die für den Abtransport der Baumriesen geschaffen wurden, um die Rodungsflächen zu übernehmen, wenn die Holzfäller weitergezogen sind.

Viele Länder beziehen aus dem Holzeinschlag ihre wichtigsten Exporterlöse. Ihr Verhalten kann man durchaus kritisieren, zumal sie die Wälder völlig ungeregelt ausbeuten. Aber das Konzept einer rationalen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, der wachsende Einfluss der Ökologiebewegung, die wiederholten Aufrufe zum Boykott tropischer Hölzer haben die großen Holzkonzerne mit der Zeit dazu gebracht, ihre starre Haltung zu überdenken. Am Ende kam es zu einem Dialog zwischen den Nichtregierungsorganisationen (NGOs), den Regierungen, den Vertretern der Forstwirtschaft und der Organisation Africaine du Bois (OAB). Die Geldgeber – Frankreich, die Weltbank und die Europäische Union – haben Programme für eine rationale Verwaltung und Nutzung der Waldbestände, aber auch Schutzzonen für die Tierwelt finanziert.

Manche Konzerne stellen einen Teil ihres Abholzungskontingents für die Bewahrung und Erforschung des Regenwalds zur Verfügung; Berufsverbände haben Abkommen mit den Naturschutzorganisationen geschlossen; es gibt sogar Programme für die Aufzucht von Wildtieren als Nahrungsquelle für Waldarbeiter.

Das alles sind zwar nur erste Schritte, aber die Partner der Erzeugerländer machen mit. Streit gibt es zunächst noch über die Frage, ob sich die örtlichen Behörden selbst an die vereinbarten Regeln zum Erhalt des Artenreichtums im Regenwald halten. Denn für viele Regierungen ist der Regenwald ein Bankkonto, auf das sie zugreifen können, um sich persönlich zu bedienen oder (wie vor ein paar Jahren in Kamerun) über das Monatsende hinwegzukommen, wenn im öffentlichen Dienst die Gehälter fällig werden.1

Ein schleichenderer Zersetzungsprozess hat in Südostasien begonnen. Hier hat man vor allem den mächtigen malaysischen, chinesischen und indonesischen Holzkonzernen Zugeständnisse gemacht, die im krassen Gegensatz zu den geltenden Bestimmungen stehen. Das gilt für die Qualität und Quantität der gefällten Tropenhölzer wie auch hinsichtlich der freigegebenen Flächen. Erst die asiatische Wirtschaftskrise hat diese Entwicklung, der vor allem die Schwäche der konfliktgeschüttelten lokalen Regierungen zugute kam, jäh beendet und dem Regenwald wenigstens eine vorübergehende Atempause verschafft. Es wird nicht lange dauern, bis die massive Tropenholznachfrage auf dem asiatischen Markt das Geschäft wieder ankurbelt. Hier könnten etwa die Berichte der Entwicklungsexperten vom Zentrum für internationale Zusammenarbeit im Bereich der Agrarforschung (Cirad) – die als einzige Alarm geschlagen haben – als Grundlage für pragmatische Verhandlungen mit den Holzkonzernen dienen, um ökologische mit sozialen und wirtschaftlichen Aspekten in Einklang zu bringen.

Wenn Wölfe, Bären und Geier zurückkommen

DER Regenwald als heiliger Schrein der Biodiversität – aus reiner Freude an der Bewahrung – ist eine verlockende Idee, die jedoch angesichts der existenziellen Not, in der sich fast alle Länder des Südens und zumal in Afrika befinden, nicht aufrechtzuerhalten ist. Der frühere Präsident der Elfenbeinküste, Félix Houphouët-Boigny, oder auch Didier Ratsiraka, Expräsident von Madagaskar, haben ihre französischen Gesprächspartner mit hämischem Vergnügen immer wieder daran erinnert, dass Frankreich selbst zu Kolonialzeiten den Waldbestand und einen großen Teil der Fauna zerstört hat, um die Bevölkerung zu ernähren.

Wie wollen die Europäer ihre Partner in den Entwicklungsländern von der Notwendigkeit überzeugen, Maßnahmen zur Rettung einer Tierart oder eines Ökosystems zu ergreifen, wenn die Vernichtung ihrer eigenen Großtierfauna so weit fortgeschritten ist, dass sie Bären, Geier oder Luchse wieder künstlich heimisch machen müssen? Oder wenn die natürliche Rückkehr der Wölfe bei den Menschen, die den Lebensraum für ihre Zwecke nutzen, die bekannten Proteste auslöst?

Unsere afrikanischen Kollegen wundern sich ziemlich über die – gelegentlich auch gewalttätige – Leidenschaft, mit der man in Europa etwa die Neuregelung von Jagdbestimmungen diskutiert. Und was soll man dazu sagen, dass Japan und Norwegen – die Heimat von Gro Harlem Brundtland, die sich zur Anwältin der „nachhaltigen Entwicklung“ aufgeschwungen hat – alles unternehmen, um den kommerziellen Walfang erneut auszudehnen. Wobei Tokio nicht einmal davor zurückschreckt, systematisch die Stimmen der ärmsten kleinen Länder in der Internationalen Walfangkommission zu kaufen, um seine kriminellen Geschäfte wieder aufnehmen zu können und seine ehrgeizigen Wirtschaftsziele zu erreichen?

All diese Fragen weisen darauf hin, dass die Diskussion grundsätzlich falsch gelaufen ist. Das ökologische Engagement vieler Aktivisten in Europa nährt sich aus einer Sentimentalität, die den Stempel der abendländischen Kulturen trägt und bei den Afrikanern – bei den Regierenden wie bei der Bevölkerung – auf Unverständnis stößt. Klammheimlich praktizieren wir eine ökologische Einmischung, die den Realitäten des Lebens vor Ort nicht angemessen ist, und gewähren in den meisten Fällen nicht einmal die finanziellen Mittel für die Erfüllung unserer Vorschläge.

Diese Probleme hätten der Ausgangspunkt für wirkliche Verhandlungen sein müssen, aber die puristischen und harten Positionen einiger Beteiligter haben jeden konstruktiven Dialog verhindert. In Zukunft müssen wir die Diskussion wieder auf das Verhältnis zwischen dem Nutzer und der Ressource konzentrieren, damit wir sie nicht losgelöst von ihrem menschlichen, sozialen und natürlichen Kontext betrachten. Wie können wir Eingriffe in die Bestände destruktiver Arten in Europa als Notwendigkeit rechtfertigen, dieses Recht aber den afrikanischen Bevölkerungen absprechen, die es mit vergleichbaren Zwängen zu tun haben? Vielmehr muss es darum gegen, eine intelligente, rationale nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen zu erreichen, damit diese erstens denen zugute kommen, die von ihnen leben, und zweitens den Ländern, in denen sie vorkommen.

Dass die Politiker in diesem Punkt oft kurzsichtig agieren, kann nicht überraschen. Beunruhigender ist die Haltung in manchen Ecken der Ökobewegung. Bei den letzten Wahlkämpfen in Frankreich wurde das Problem der Entwicklung in den Ländern des Südens, wenn es überhaupt zur Sprache kam, nie unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Ressourcen und ihrer Bewirtschaftung im Dienst der Entwicklung diskutiert. Das heißt nie in dem Bewusstsein, dass sie in den armen Ländern ja Lebensmittel, oft sogar Überlebensmittel sind.

Das politische Engagement der europäischen Umweltschützer, ihre Versuche, die Öffentlichkeit wachzurütteln, ihre kluge Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge, ihr kritisches Hinterfragen der Konsumproblematik werden in Afrika mit Interesse verfolgt. Es ist ein nützlicher ökologischer Fernunterricht, aber die Öko-Aktivisten sollten aufpassen, dass sie nicht in das sprichwörtliche „Schluchzen des weißen Mannes“ verfallen. Sie müssen lernen, die Realitäten der afrikanischen Länder angemessen zu berücksichtigen. Und sie müssen wissen, was für die Betroffenen auf dem Spiel steht.

dt. Grete Osterwald

* Umweltexperte; Autor von „Des éléphants, des hommes et de l‘ivoire“, Paris (Sang de la terre) 2000, Koautor von „L‘Atlas des forts d‘Afrique“, Paris (de Monza) 1996.

Fußnote: 1 Die Regierung hatte den Holzschlag vorangetrieben, um an Geld zu kommen. Als der internationale Druck wuchs, wurde der zuständige Minister geschasst.

Le Monde diplomatique vom 09.08.2002, von GÉRARD SOURNIA