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Predator über Griechenland

 

von Niels Kadritzke | 23. November 2022

Griechenland erlebt zwar einen atemberaubenden Abhörskandal, aber der hat das Land nicht unbedingt erschüttert. Obwohl das Ausmaß und die Umstände der Lauschangriffe auf Politiker, Journalistinnen und andere missliebige Personen an das Ungarn Orbáns erinnern, ist das Aufsehen im Ausland größer als die Aufregung im Innern. Ministerpräsident Mitsotakis hat durch den Skandal zwar seine Rolle als Darling der internationalen Medien eingebüßt, nicht aber seine politischen Überlebenschancen als griechischer Regierungschef. Er vertraut darauf, dass die Lebenshaltungskosten und die Energiepreise das Wahlvolk stärker beschäftigen als die Sorgen um die Wahrung der Privatsphäre und die Gefahren eines Überwachungsstaats. Ob Mitsotakis die Affäre bis zu den Wahlen im nächsten Jahr aussitzen und sich danach an der Macht halten kann, wird auch davon abhängen, wie die griechische Justiz ihre Unabhängigkeit gegenüber einer kontrollwütigen Regierung behaupten kann, die mehr und mehr die Züge eines Regimes annimmt.



Regierungschef Mitsotakis bei der Parlamentssitzung am 26. August, auf der er erklärte: „Kein Ministerpräsident hat das Recht zu wissen, welche Personen der Nationale Nachrichtendienst abhört.“
© Thanassis Stavrakis/picture alliance/AP


Kyriakos Mitsotakis ist erstmals ernsthaft in der Bredouille. So sehen es nicht nur die politischen Gegner des griechischen Ministerpräsidenten. Auch seine unermüdlichen Lobhudler in den griechischen Medien werden nervös. Schon Ende August bescheinigte die konservative Tageszeitung Kathimerini dem Regierungschef die „schwierigste Phase seiner Amtszeit“. Drei Monate später konstatiert die Wochenzeitung To Vima in ihrem Leitartikel vom 16. November: „Es ist offensichtlich, dass der Skandal die Regierung unter unsäglichen Druck setzt, weil er ihr Prestige und ihre Glaubwürdigkeit untergräbt, und zwar im Inland wie im Ausland.“ Die durchaus regierungsfreundliche Zeitung muss bedauernd akzeptieren, was „die vertrauenswürdigsten internationalen Medien“ über Mitsotakis schreiben: Dass er mit dem Abhörskandal „den Fundus an öffentlichem Vertrauen aufbraucht, den sich die Regierung in dreieinhalb Jahren hart erarbeitet hat.“

Was für Kyriakos Mitsotakis auf dem Spiel steht, hat die Kathimerini so beschrieben: „Ein liberaler Führer, der sich sehr systematisch ein internationales Profil aufgebaut hat, wird autoritärer Praktiken beschuldigt, die einem westlichen Land nicht gut zu Gesicht stehen.“ Mit den „autoritären Praktiken“ sind die Lauschangriffe gemeint, die der griechische Geheimdienst EYP(1) auf Oppositionspolitiker und regierungskritische Journalistinnen und Journalisten unternommen hat. In den internationalen Medien werden diese skandalösen Praktiken bereits mit den Herrschaftsmethoden eines Viktor Orbán verglichen – eines autokratischen Staatsführers also, mit dem sich Mitsotakis gewiss nicht gemein machen will.

Die Arroganz des Unantastbaren

Tatsächlich droht der Abhörskandal die tragende Säule zum Einsturz zu bringen, auf die Mitsotakis seine ganze politische Karriere gebaut hat: seine erfolgreiche Selbstdarstellung als knallharter Marktwirtschaftler mit liberalem Profil und progressiven Ideen. Einer, der sich vorgenommen hat, die traditionell konservative bis rechtspopulistische Partei Nea Dimokratia zu einer „modernen“ Volkspartei zu machen und seinem Land die eingefleischten klientelistischen Attitüden auszutreiben. Ein Macher mit ethischen Grundsätzen, ein Saubermann, der sein Land in eine strahlende Zukunft führt und ihm bei den westlichen Partnern das Ansehen zurückerobert, das es in den Jahren der „Grexit-Krise” eingebüßt hat.

Der 54-jährige Kyriakos Mitsotakis hat die bisherigen Etappen seiner politischen Karriere so reibungslos absolviert, dass seine Selbstsicherheit zur Arroganz des Unantastbaren erstarrt ist. Am erstaunlichsten ist dabei, dass er sich als perfekter „Self-made Man“ inszenieren konnte. Tatsächlich ist er ein geborener „Golden Boy“, von dem alle Griechinnen und Griechen wissen, dass er es ohne seinen Familiennamen nie geschafft hätte, binnen 15 Jahren vom Parlamentsabgeordneten zum Parteivorsitzenden (2016) und zum Regierungschef (2019) aufzusteigen.

Seit der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis (1990-1993) mit seinem Wahlsieg vom 7. Juli 2019 das vierjährige Syriza-Interregnum beendet hat(2), konnte er seine Rolle so umtriebig und medienwirksam ausfüllen, dass ihm auch unabhängige Beobachter eine oder gar zwei weitere Amtszeiten voraussagten.

Böse Erinnerungen an den tiefen Staat

Solche Erwartungen wirken seit dem „griechischen Watergate“ – wie der twitternde Volksmund den Abhörskandal nennt – nicht mehr so plausibel. Der Skandal hat dem Ruf des „Machers“, auf den Mitsotakis so großen Wert legt, einen neuen Beiklang gegeben: Der „generalstabsmäßig organisierte Staat“ (επιτελικό κράτος, epiteliko kratos), den seine PR-Leute zum Markenzeichen der Mitsotakis-Regierung gemacht haben(3), weckt böse Erinnerungen an den „tiefen Staat“ vergangener Zeiten. Wobei das griechische Wort parakratos für den polizeilich-militärisch-geheimdienstlichen Komplex steht, der das wichtigste Herrschaftsinstrument aller konservativen Regierungen bis zum Putsch der griechischen Militärjunta vom April 1967 war.


Das operative Zentrum des krakenhaften parakratos war der KYP („Zentraler Nachrichtendienst“), der bis 1964 von der CIA kontrolliert wurde, die auch die Gehälter der griechischen Geheimdienstler bezahlte. Nach 1967 wurde der KYP zum schändlichen Symbol für das sieben Jahre währende Folterregime der Obristen. Der diskreditierte Name wurde erst 1986 getilgt, als die Pasok-Regierung von Andreas Papandreou per Gesetz die Bezeichnung EYP (Nationaler Nachrichtendienst) einführte. Seitdem wurde der Geheimdienst dem direkten Einfluss des Militärs entzogen; seit 1999 stehen an der Spitze des EYP nicht mehr Ex-Generäle, sondern Zivilisten (meist Ex-Diplomaten).

Abhörskandale – eine lange Tradition

Staatliche Geheimdienste sind in allen politischen Systemen zählebige Gebilde mit ausgeprägtem Selbsterhaltungstrieb und der Neigung, ihre technischen Möglichkeiten und operativen Spielräume auszuweiten. Das gilt auch für den „neuen“ EYP. Die alte KYP-Kartei aller „national unzuverlässigen“ Elemente blieb bis in die 1990er-Jahre hinein erhalten.(4) Unverändert blieb auch die Bereitschaft zur Überwachung der eigenen Gesellschaft im Auftrag der jeweiligen Regierung. Sowohl unter den Pasok- wie unter den ND-Regierungen waren Lauschangriffen auf politische Gegner gang und gäbe. Im Zeitalter des Telefon-Festnetzes erforderte das die „Mitarbeit“ der staatlichen Fernsprechgesellschaften. Deshalb stand im Zentrum des Abhörskandals in der ersten Ära Papandreou (1981-1989) der Name des OTE-Direktors Tombras; und das Crescendo der Lauschangriffe unter der Regierung von Konstantinos Mitsotakis (1990-1993) wurde von einem OTE-Angestellten namens Mavrikis orchestriert.

Theofanis Tombras – im Volksmund archikoriós (Erz-Wanze) genannt – hatte mit Wissen Papandreous ein umfassendes Abhörsystem aufgebaut, um dessen politische Gegner (auch innerhalb der eigenen Partei), Journalistinnen und Unternehmer auszuforschen. Unter Konstantinos Mitsotakis nahm Christos Mavrikis – Spitzname ethniko koriós (nationale Wanze) – seine Lauschaufträge von einem Vertrauensmann des Regierungschefs, dem Ex-General Nikos Gryllakis entgegen. Über die OTE wurden mehr als 100 Pasok-Funktionäre, aber auch innerparteiliche Konkurrenten des Regierungschefs abgehört. Wie Mavrikis 20 Jahre später berichtete, ließ er sogar eine Schaltung zur Villa von Mitsotakis installieren, damit dieser die Telefongespräche des Oppositionsführers Papandreou live mithören konnte.(5)

Im Zeitalter der Mobiltelefone und der immer raffinierteren Hackerprogramme (spyware) ist das Abhören für die Geheimdienste leichter und die Kontrolle ihrer Aktivitäten schwerer geworden. Umso wichtiger sind gesetzliche Regelungen, um die staatliche Lauschangriffe – also die Aussetzung des Grundrechts auf eine kommunikative Privatsphäre – auf „legitime“ Zwecke zu beschränken und durch legislative Gremien oder regierungsunabhängige Organe zu kontrollieren. In Griechenland soll das 2003 etablierte „Amt für die Sicherung des Kommunikationsgeheimnisses“ (ADAE) verhindern, dass sich der staatliche Nachrichtendienst verselbständigt oder zu einem neuen Parakratos im Dienst der jeweiligen Regierung entwickelt. Doch diese Entwicklung ist, wie der aktuelle EYP-Skandal erkennen lässt, im Inneren des von Mitsotakis aufgebauten „Generalstaats“ bereits weit vorangeschritten. Was sich unter anderem daran zeigt, dass die in der griechischen Verfassung vorgesehenen institutionellen Kontrollen – durch den ADAE und die parlamentarischen Aufsichtsgremien – vom EYP und von der Regierung torpediert werden.

Ein griechisches Watergate

Die bislang bekannten Fakten, die den griechischen Watergate-Skandal ausmachen, sind die Spitze eines Eisbergs, dessen Ausmaße erst eine gründliche Untersuchung ermitteln könnte. Doch schon das, was wir bis heute wissen, ist für die Regierung Mitsotakis außerordentlich belastend.

Der spektakulärste Fall ist der Lauschangriff auf Nikos Androulakis, seit Dezember 2021 Vorsitzender der drittstärksten Partei Pasok-Kinal. Seit 2014 ist Androulakis Abgeordneter des EU-Parlaments. Der Fall Androulakis erinnert an den Abhörskandal in der Regierungszeit des Konstantinos Mitsotakis, hat aber eine eigene sinistre Logik, die weiter unten dargestellt wird. Mindestens ebenso gravierend ist das monatelange Abhören der Journalisten Stavros Malichoudis und Thanasis Koukakis. Malichoudis recherchiert und schreibt vor allem über illegale Pushback-Aktionen der griechischen Küstenwache in der Ostägäis, Koukakis berichtet (u.a. für CNN Greece und die Financial Times) über illegale oder unethische Praktiken in jener Grauzone, in der die vier systemischen Großbanken ihre Deals mit der Exekutive – und zuweilen mit der Justiz – aushandeln.

In allen drei Fällen erklärte der EYP das Abhören für „legal“. Als Grund für die Überwachung von Androulakis und den Journalisten nannte der Geheimdienst eine nicht spezifizierte „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Wer diese Abhöraktionen angeordnet bzw. von ihnen gewusst hat, ist die eine Seite des Skandals, die einen Untersuchungsausschuss des Parlaments beschäftigt hat. Aber es gibt eine zweite Seite, die noch schwerer aufzuklären ist: Androulakis und Koukakis waren auch das Ziel von Lauschangriffen mittels der raffinierten Spyware „Predator“ (Raubtier), die deutlich mehr kann als eine einfache Wanze. Wenn ein Smartphone-Besitzer einen per SMS verschickten Link anklickt, wird das Gerät mit einer Spyware infiziert, die nicht nur alle gespeicherten Daten kopieren, sondern auch das Mikrofon und die Kamera des Geräts aktivieren kann. Damit lassen sich Gespräche in allen Räumen aufzeichnen, in denen sich der Smartphone-Besitzer aufhält.

„Legales“ Abhören und illegale Spyware

Dass diese räuberische Spyware sowohl auf dem Mobiltelefon von Androulakis und auf dem von Koukakis installiert war, wirft die Frage auf, ob ein Zusammenhang besteht zwischen dem Zugriff des EYP und des Zugriffs mittels Predator. Für diese Hypothese sprach von Anfang an eine auffällige zeitliche Verzahnung der Abhöraktivitäten. Der Lauschangriff des EYP gegen Androulakis begann kurz nachdem im September 2021 eine Predator-Attacke gegen den Pasok-Politiker gescheitert war, weil dieser den verschickten Link nicht angeklickt hatte. Im Fall Koukakis war die Reihenfolge umgekehrt: Der Journalist wurde bereits im Sommer 2020 zehn Wochen lang vom EYP belauscht (was erst zwei Jahre später ans Licht kam). Die Abhöraktion endete damals einen Tag nachdem Koukakis – von einem Whistleblower informiert – bei der (unabhängigen) Aufsichtsbehörde für Kommunikationssicherheit (ADAE) einen Check seiner Geräte beantragt hatte. Aber das Abhören ging weiter. Als Koukakis im Sommer 2021 erneut Verdacht schöpfte, wandte er sich an das Citizen Lab der Universisty of Toronto, das sich auf die Analyse und Aufdeckung von Cyperspionage spezialisiert hat. Das kanadische Expertenteam fand heraus, dass das Smartphone des Journalisten ab dem 12. Juli 2021 mindestens zehn Wochen lang mit dem Predator-Programm infiziert war.(6)

Die Frage drängt sich geradezu auf: „Ist es ein Zufall, dass dieselben Leute, die unter Berufung auf das ‚nationale Interesse‘ abgehört wurden, auch auf der Liste der mit der Spyware Abgehörten auftauchen?“ So formulierte es die niederländische EU-Abgeordnete Sophie in 't Veld am 4. November in Athen. Die Abgeordnete ist Berichterstatterin des PEGA-Ausschusses, den das Europäische Parlament eingesetzt hat, um den illegalen Einsatz von Spyware in den einzelnen EU-Ländern aufzudecken. Am Ende einer PEGA-Inspektionsreise nach Griechenland fasste die Berichterstatterin ihre Eindrücke über den Predator-Einsatz gegen Androulakis und die beiden Journalisten in dem Satz zusammen: „Alles deutet in Richtung von Leuten aus Regierungskreisen.“ Seit dieser Feststellung steht auf Grund weiterer Recherchen fest, dass mindestens 13 Journalistinnen und Journalisten mit der Spyware attackiert wurden.
 
Im Folgenden werden Fakten und Indizien zusammengetragen, die Aufschluss darüber bieten, welche Rolle gewisse „Regierungskreise“ bei den Lauschangriffen des EYP wie auch bei den angeblich „privaten“ Predator-Attacken gespielt haben. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der politischen, juristischen und moralischen Verantwortung von Kyriakos Mitsotakis. Zunächst wird die Seite des Skandals beleuchtet, bei der die Beweislage bereits eindeutig ist: die Abhör-Aktivitäten des Geheimdienstes EYP.

Erst Schweigen, dann Ausflüchte

Ein erstes belastendes Faktum ist, dass die Lauschangriffe von der Regierung wie vom EYP lange Zeit geleugnet wurden. Schon am 22. April 2022 hatten sieben internationale Organisationen, die sich um die weltweite Medienfreiheit kümmern, Mitsotakis und EYP-Chef Kontoleon in einem offenen Brief auf den Fall Koukakis angesprochen: „Es ist zutiefst verstörend, dass eine Agentur unter der Kontrolle des Büros des Ministerpräsidenten einen Journalisten ausspioniert hat, der Recherchen über die Korruption in der Geschäfts- und Finanzwelt anstellte“, schrieben die NGOs und forderten Informationen über den Fall Koukakis.

Die Anfrage blieb drei Monate lang unbeantwortet. Mitsotakis und der EYP reagierten erst, nachdem der Pasok-Chef Androulakis am 26. Juli einen Strafantrag gegen Unbekannt gestellt hatte. Androulakis reagierte damit auf die Erkenntnis, dass er längere Zeit abgehört worden war, wie der technische Dienst des EU-Parlaments ermittelt hatte. Auf eine Anfrage aus der Brüsseler Justiz-Kommission antwortete Ioannis Vrailas, Ständiger Vertreter Griechenlands bei der EU am 2. August mit einem Brief, der eine glatte Lügen enthielt: Die Abhörtätigkeit des EYP diene vor allem juristischen Ermittlungen bei schweren Straftaten und diese würden „die überwiegende Mehrheit der Fälle“ ausmachen. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Nur etwa ein Fünftel der EYP durchgeführten Abhöraktionen erfolgen per staatsanwaltlicher Anordnung im Zusammenhang mit normalen Straftaten. Die weit „überwiegende“ Zahl verfügt der Geheimdienst selbst und begründet sie mit einer Gefährdung der „nationalen Sicherheit“. Im Jahr 2021 waren das 15.475 Fälle; dagegen nur 3.097, die im Rahmen staatsanwaltlicher Ermittlungen erfolgten (die Zahl der EYP-Anträge ist seit Beginn der Mitsotakis-Regierung um 25 Prozent gestiegen).

Ausflüchte und Lügen

Erst als in Athen die Opposition den EYP-Chef im Kontrollgremium des griechischen Parlaments (dem „Ausschuss für Institutionen und Transparenz“) in die Mangel nahm, musste Kontoleon einräumen, dass seine Lauschabteilung die Journalisten Malichoudis und Koukakis wie auch „weitere Bürger“ abgehört hatte – angeblich, um eine Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ abzuwenden. Selbst bei diesem Eingeständnis tischte Kontoleon dem Ausschuss noch zwei Lügen auf: Erstens behauptete er, Koukakis sei „auf Ersuchen ausländischer Geheimdienste“ abgehört worden. Als angebliche Bittsteller nannte er die Regierungen der Ukraine und Georgiens. Die ließen umgehend dementieren. Die Lüge war auch noch ausnehmend dumm, weil es ein Skandal für sich wäre, wenn sich der EYP als Auftragnehmer fremder Geheimdienste betätigt hätte.

Zweitens versicherte Kontoleon, dass der Geheimdienst keine Politiker abgehört habe. Als wenige Tage später der Pasok-Vorsitzende Nikos Androulakis mit Hilfe der ADAE herausfand, dass sein Telefon 2021 drei Monate lang vom EYP angezapft worden war, konnte Mitsotakis seinen Geheimdienstchef nicht mehr halten. Am 5. August forderte er Kontoleon zum Rücktritt auf, den dieser umgehend vollzog. An diesem Prozedere waren zwei Aspekte auffällig. Mitsotakis nannte als Grund für den Verzicht auf seinen Geheimdienstchef nicht etwa dessen dreiste Lügen vor dem Parlamentsausschuss, sondern „fehlerhaftes Verhalten im Zuge legaler Abhörprozeduren“. Zudem wollte er, indem er das Abhören des Pasok-Politikers als „legal“ qualifizierte, Kontoleon vor strafrechtlicher Verfolgung schützen.

Zwei Rücktritte und ein Persilschein

Letzteres gilt auch für die zweite Person, die Mitsotakis opfern musste: Grigoris Dimitriadis, der als Leiter des Ministerpräsidentenbüros mit der Kontrolle des Geheimdienstes betraut war. Auch Dimitriadis reichte seinen „freiwilligen Rücktritt“ ein. Dimitriadis ist ohne Zweifel die Schlüsselfigur in dem ganzen Skandal; allein schon deshalb, weil er im System Mitsotakis eine Schlüsselrolle innehatte. Die PR-Abteilung des ND-Chefs hat für dieses System den schwer übersetzbaren Begriff epiteliko kratos erfunden, der eine Assoziation zum Generalstab (geniko epiteleio) einer Armee oder eines Konzerns nahelegt.(7)

Grigoris Dimitriadis war in dieser „generalstabsmäßig“ organisierten Regierung der chief of staff (so der Kolumnist Michalis Tzidznis in der Kathimerini vom 8. November 2022). Zugleich gehört er als Neffe von Kyriakos Mitsotakis zum Familienclan, schuldet jenem somit dienstliche wie familiale Loyalität. Welchen Wert der Regierungschef auf diese doppelte Verpflichtung legte, zeigt die Tatsache, dass er ihn zu seinem engsten Mitarbeiter machte, obwohl er vor seiner Wahl gelobt hatte, er werde keine Verwandten in seine Regierung aufnehmen.(8) Mitsotakis konnte seinen engsten Vertrauten also opfern, ohne „Enthüllungen“ befürchten zu müssen. Im Gegenteil: Dimitriadis nannte als Grund für seinen Rücktritt, er wolle seinen Chef/Onkel nicht mit dem „toxischen Klima um seine Person“ belasten.



Der „toxische“ Neffe und Leiter des Ministerpräsidentenbüros Grigoris Dimitriadis
© George Kontarinis/picture alliance/AP


Die beiden Mitsotakis-Vertrauten, die direkt für Abhörskandal verantwortlich waren, wurden also formell nicht gefeuert, sondern durften ihren „freiwilligen“ Rücktritt einreichen. Das wirkt wie eine Belohnung für den letzten Dienst, der ihnen abverlangt wurde: die Entlastung des Hauptverdächtigen, der als Ministerpräsident die politische Verantwortung für den EYP und seine Methoden trägt. Kontoleon wie Dimitriadis versicherten, der Regierungschef habe von den Lauschangriffen absolut nichts gewusst. Mitsotakis selbst erklärte am 8. August, er habe von dem Fall Androulakis „erst vor ein paar Tagen“ erfahren; wäre er rechtzeitig informiert worden, hätte er dieses Vorgehen „selbstverständlich niemals erlaubt“.

Diese Aussage diente demselben Zweck wie die beiden Rücktritte: Eine Firewall sollte errichtet werden zwischen dem Abhörskandal und dem Regierungschef. Wenn dieser von dem Lauschangriff nichts gewusst hatte, konnte er erst recht nicht der Inspirator sein, wie es seine politischen Gegner unterstellten. Um alle Zweifel zu zerstreuen, versprach Mitsotakis, „volles Licht“ (apleto fos) in die Affäre zu bringen: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss solle für schnellstmögliche Aufklärung sorgen.

Der lange Schatten Mitsotakis'

Für ein Urteil über die Rolle von Mitsotakis sind zwei Fragen entscheidend:

- Wie glaubwürdig ist die Beteuerung des Regierungschefs, dass er „nichts gewusst“ habe?
- Was hat die Regierung tatsächlich getan, um „volles Licht“ in die Affäre zu bringen?

Was die erste Frage betrifft, so gibt es eine lange Kette von Indizien, die das Nichts-gewusst-Narrativ zum Einsturz bringen. Die Antwort auf die zweite Frage ist vollends vernichtend: Statt rückhaltloser Aufklärung betreibt die ND-Regierung eine systematische Verschleierung. Wenn man das „volle Licht“ auf die Affäre richtet, wirft der Scheinwerfer einen gewaltigen Schatten, der immer deutlicher die Umrisse des Kyriakos Mitsotakis annimmt. Das legt eine dritte Frage nahe, der ich am Ende nachgehen werde: Gibt es neben den aufgedeckten Fällen noch mehr Lauschangriffe des griechischen Geheimdienstes? Oder gar systematische Abhöraktivitäten gegen Zielgruppen – wie missliebige Medienschaffende und NGOs –, die aus Sicht des EYP und der Regierung Mitsotakis eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit“ darstellen?

Indizien gegen den Regierungschef

Indiz Nr. 1, das gegen die „Unwissenheit“ des Regierungschefs spricht, ist der epiteliko kratos als solcher. Mit dem institutionellen Umbau, auf den der „Modernisierer” Mitsotakis so stolz ist, hat er innerhalb der parlamentarischen Demokratie, die Griechenland laut Verfassung darstellt, eine Art Präsidialsystem implantiert. Der Regierungschef hat in seinem Amtssitz, der Villa Maximos, eine Stabsabteilung mit einem ihm persönlich verbundenen Generalstabschef aufgebaut, die mit ihrer Informations- und Entscheidungsstruktur ganz auf seine Person ausgerichtet ist.(8) Die Annahme, dass der Mann an der Spitze dieses vertikalen Systems von einem hochpolitischen Vorgang – wie dem Lauschangriff des Geheimdienstes auf einen Oppositionspolitiker – keine Kenntnis gehabt haben soll, ist eine Verhöhnung des gesunden Menschenverstands.

Indiz Nr. 2 ist, dass Mitsotakis auch den Geheimdienst seiner direkten Kontrolle unterstellt hat. Die allererste Rechtsverordnung, die Mitsotakis noch am Tag seiner Vereidigung erließ, betraf die Aufsicht über den EYP. Diese Kontrolle wurde mit der Verordnung 81/2019 vom 8. Juli 2019 vom Innenministerium ins Amt des Ministerpräsidenten verlagert und dort an Grigoris Dimitriadis, den „Generalstabschef“ und absoluten Vertrauensmann von Mitsotakis übertragen.

Ein EYP-Chef der besonderen Art

Indiz Nr. 3 ist die Person, die Mitsotakis zum EYP-Chef gemacht hat. Seine Wahl fiel weder auf einen Geheimdienst-Profi noch auf einen Ex-Diplomaten, sondern auf einen Außenseiter namens Panayiotis Kontoleon. Der Besitzer der privaten Security-Firma G4S Greece war ihm laut Medienberichten von Dimitriadis empfohlen worden, der mit dem Security-Boss privat befreundet war.(9) Schon damals wurde ein ND-Insider mit den Worten zitiert, die Berufung Kontoleons bedeute, dass der EYP „mehr nach innen als nach außen blickt“. Wie wichtig Mitsotakis diese Personalie war, zeigt die Tatsache, dass er die Qualifikationskriterien zugunsten seines Kandidaten manipulieren ließ. Laut Gesetz musste der Generaldirektor des EYP einen anerkannten akademischen Grad besitzen. Als sich herausstellte, dass Kontoleon diese Bedingung nicht erfüllte, ließ Mitsotakis nachträglich – sein Mann war schon eine Woche im Amt – von der ND-Fraktion eine rückwirkende Gesetzesänderung durchpeitschen. Die sah ein weiteres, auf Kontoleon zugeschnittenes Qualifikationskriterium vor: eine mindestens 10-jährige Tätigkeit in der Security-Branche.

Mit Kontoleon und Dimitriadis hatte Mitsotakis ein Tandem installiert, das ihm persönlich verpflichtet war und eine direkte Unterrichtung über die geheimdienstlichen Aktivitäten garantierte. Dass der EYP-Chef Informationen von politischer Brisanz nicht an Dimitriadis in der Villa Maximos übermittelt haben könnte, ist eine ebenso wirklichkeitsfremde Vorstellung wie die Annahme, der Neffe könnte seinem Chef/Onkel solche Informationen vorenthalten haben.

Eine rückwirkende Gesetzesänderung

Indiz Nr. 4 ergibt sich aus einer bezeichnenden Episode im Fall Koukakis. Im Sommer 2020 hatte ein Whistleblower dem Journalisten das Transkript eines seiner abgehörten Telefongespräche zugespielt. Daraufhin beantragte Koukakis am 12. August 2020 bei der unabhängigen Watchdog-Behörde ADAE eine Überprüfung seiner drei Telefone. Am selben Tag stellte der EYP das Abhören des Journalisten ein. Die ADAE brauchte dann Monate, um den Geheimdienst dazu zu bringen, den Lauschangriff zu bestätigen. Das geschah Anfang März 2021. Danach wollte die Behörde den Belauschten nachträglich von der EYP-Aktion unterrichten – gemäß der geltenden Rechtslage, die eine solche Information vorsah, wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt hatte.

Doch als die ADAE den Journalisten unterrichten wollte, peitschte die ND-Regierung eine Gesetzesänderung durch, die besagte: Wenn das Abhören aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ erfolgt ist, darf die ADAE die Betroffenen nicht informieren. Damit die neue Vorschrift auf den Abhörfall Koukakis anwendbar war, wurde sie mit rückwirkender Geltung ausgestattet. ADAE-Präsident Christos Rammos wies zwar öffentlich darauf hin, dass die neue Regelung gegen die griechische Verfassung wie auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verstößt. Doch das störte die Mitsotakis-Regierung nicht. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass Koukakis über den Lauschangriff unterrichtet wurde.

Die neue rechtliche Bestimmung wurde auch in diesem Fall überfallartig durchgesetzt: als Anhang an ein ganz anderes Gesetz (zum Themenkomplex Pandemie), der dem Parlament nur fünf Stunden vor der Abstimmung vorgelegt wurde.(10) Auf Grund der neuen Gesetzeslage bekam Koukakis von der ADAE Ende Juli 2021 den Bescheid: „Es wurde kein Vorgang gefunden, der einen Gesetzesverstoß darstellt.“(11)

Was verrät diese Episode? Die Initiative vom März 2021 ging natürlich von der Villa Maximos aus. Das legislative Manöver, das den Abhörfall Koukakis versiegeln sollte, erfordert die Koordination zwischen dem EYP, dem Ministerpräsidenten, dem Justizministerium und der ND-Parlamentsfraktion. Im vertikalen System Mitsotakis ist dies die Aufgabe des Stabschefs im Ministerpräsidentenbüro, also des Grigoris Dimitriadis. Auch in diesem Fall ist undenkbar, dass der Neffe ohne Wissen seines Onkels/Chefs tätig wurde. Das logische Fazit: Der Kontrollfreak Mitsotakis war über den Abhörfall Koukakis nicht nur informiert, sondern auch involviert in dem Sinne, dass er die Verschleierung per Gesetz genehmigt oder sogar veranlasst hat.

Der Lackmus-Test zum Fall Androulakis: Cui bono?

Was sagt uns das über den Abhörfall Androulakis? Wenn der Regierungschef per Gesetzesänderung dafür Sorge trug, dass der Fall Koukakis ein Staatsgeheimnis blieb – kann man ihm dann abnehmen, dass er von dem noch brisanteren Lauschangriff des Geheimdienstes auf einen wichtigen Politiker nichts gewusst haben will? Versuchen wir eine Antwort mit dem klassischen Lackmus-Test, mit der Frage „Cui bono?“: Wer hatte vom Abhören des Nikos Androulakis den größten Nutzen?

Androulakis war innerhalb der Pasok-Kinal der „rising star“ und einer der drei Kandidaten, die sich nach dem Tod der Vorsitzenden Fofi Gennimata am 25. Oktober 2021 um den Parteivorsitz bewarben. Der EYP-Lauschangriff fiel in die Zeit dieses innerparteilichen Konkurrenzkampfs (Ende Oktober bis Mitte Dezember 2021), bei dem Androulakis die besten Aussichten hatte. Eine der zentralen Fragen, die im Kontext der Führungsfrage diskutiert wurden, betraf die Regierungsbeteiligung der Pasok nach den kommenden Wahlen. Für den Fall, dass Mitsotakis und die Nea Dimokratia keine absolute Parlamentsmehrheit erringen sollten, wäre die Pasok – als voraussichtlich drittstärkste Kraft – der logische Partner in einer Mitte-Rechts-Koalition. Andererseits wird die Pasok auch von Tsipras heftig umworben, der einen Koalitionspartner noch dringender braucht, da eine absolute Syriza-Mehrheit nach den nächsten Wahlen ausgeschlossen scheint.


Der abgehörte Pasok-Chef und EU-Abgeordnete Nikos Androulakis
© George Kontarinis/picture alliance/AP


Androulakis hatte sich zu der Koalitionsfrage nur kryptisch geäußert, sein schärfster innerparteilicher Rivale Andreas Loverdos dagegen offen für ein Bündnis mit der ND plädiert. Für Mitsotakis war es ausnehmend wichtig, zu wissen, wie Androulakis in der Koalitionsfrage tickte und von welchen Kräften innerhalb der Pasok er unterstützt wurde. Das Interesse des Regierungschefs, seine innenpolitischen Optionen auszuloten – oder sogar für Loverdos zu spionieren – ist das weitaus plausibelste Motiv für den Lauschangriff des Geheimdienstes. Alle anderen Theorien und Vermutungen, die von der ND und regierungsnahen Medien gestreut wurden, sollten nur von dem Hauptverdächtigen Mitsotakis ablenken.(12) Für dessen aktive Beteiligung spricht ein weiterer zeitlicher „Zufall“: Kaum war der Belauschte am 12. Dezember 2021 zum Pasok-Vorsitzenden gewählt, stellte der EYP seine Abhöraktion ein. Und das, obwohl die „Laufzeit“ der Abhör-Bewilligung noch nicht aufgebraucht war.

Sorge um den innenpolitischen Machterhalt

Die Antwort auf die Cui-Bono-Frage lautet: Auslöser für den Lauschangriff auf Androulakis war nicht die Sorge um die „nationale Sicherheit“ – so die offizielle EYP-Begründung –, sondern die Sorge des Kyriakos Mitsotakis um die Erhaltung seiner Macht. So sieht es auch die Mehrheit der Griechen und Griechinnen. Nach einer Metron Analysis-Umfrage von Ende September glaubten 65 Prozent der Befragten, dass Mitsotakis von der Abhöraktion gegen Androulakis wusste. Nur 27 Prozent nehmen dem Regierungschef seine Nichts-gewusst-Legende ab. Zwei Drittel der Befragten – und mindestens ein Drittel der ND-Wählerschaft – gehen also davon aus, dass Mitsotakis das Parlament und die Öffentlichkeit belogen hat. Das Misstrauen gegenüber dem Chef des epiteliko kratos spiegelt sich auch in einem anderen Ergebnis: 56 Prozent der Befragten – und noch 38 Prozent der ND-Anhänger – sind der Meinung, dass „der Ministerpräsident zu viel Macht in der Villa Maximos konzentriert hat“.

Noch mehr Sorgen dürfte der Regierung die Tatsache machen, dass der Anteil derer, die Mitsotakis nicht glauben, seit dem Beginn des Skandals weiter gestiegen ist.(13) Dieser Verlust an Glaubwürdigkeit erklärt sich damit, dass die Regierung ihr Versprechen einer vollständigen Aufklärung der Abhöraffären nicht eingelöst hat. Im Gegenteil: Mitsotakis und die ND haben seit dem Rücktritt von Kontoleon und Dimitriadis eine derart systematische Verschleierung betrieben, dass sie einem Schuldeingeständnis gleichkommt.

Geheimdienst als Geheimsache

Das Prinzip dieser Strategie ist so schlicht wie grotesk. Es beruht auf der These, dass ein Geheimdienst nur dann ein Geheimdienst ist, wenn seine Aktivitäten absolut geheim bleiben – auch gegenüber einer verfassungs- und gesetzmäßigen Kontrollinstanz wie dem zuständigen Ausschuss des Parlaments.

Mit dieser Begründung hat Kontoleon schon am 29. Juli vor dem „Ausschuss für Institutionen und Transparenz“ jede Aussage darüber verweigert, welche konkreten Belange der „nationalen Sicherheit“ durch die belauschten Journalisten angeblich gefährdet waren. Vor demselben Gremium antwortete der EYP-Aufseher Dimitriadis auf die Frage, ob noch weitere Politiker oder Journalistinnen abgehört wurden: „Ich bin auf Geheimhaltung verpflichtet, ich sage weder ja noch nein.“(14)

Der Regierungschef will und darf nichts wissen

Mitsotakis selbst hat die Doktrin totaler Geheimhaltung auf die Spitze getrieben, als er am 26. August vor dem Parlament erklärte: „Kein Ministerpräsident hat die Möglichkeit und das Recht zu wissen, welche Personen der Nationale Nachrichtendienst abhört … Ich weiß es nicht. Und ich dürfte das auch nicht wissen.“ Damit geriet Mitsotakis allerdings in Widerspruch zu seiner Beteuerung, er hätte das Abhören von Androulakis niemals zugelassen, wäre er denn davon unterrichtet worden. Wenn er diese Unterrichtung für illegal hält, kann er Kontoleon kaum vorwerfen, ihn nicht informiert zu haben.

Die Theorie, dass der EYP seine Geheimnisse selbst gegenüber den demokratischen Kontrollorganen und seinem obersten Dienstherrn geheimzuhalten habe, würde den Geheimdienst zu einer Black Box machen. Dann hätte er, argumentiert der Staatsrechtler Michalis Stathopoulos, „absolute und unbegrenzte Macht, jede Person zu jeder Zeit und sogar ohne Begründung zu überwachen“. In dem Fall bliebe als einzige Instanz, die den EYP intern beaufsichtigt, ein Schreibtisch übrig, über den laut griechischem Geheimdienstgesetz alle Abhöranträge laufen müssen. Hinter diesem Schreibtisch sitzt die Staatsanwältin Vasiliki Vlachou, die von Mitsotakis gegen viele Widerstände auf diesen Posten gehievt wurde.(15)

Vlachou hat auch die Anträge in den Fällen Androulakis, Koukakis und Malichoudis abgezeichnet. Dabei hat sie nach eigenen Aussagen lediglich überprüft, ob die EYP-intern verlangten sechs Unterschriften vorliegen. Die Frage, ob die derart „legalisierte“ Anordnung mit Grundrechten kollidiert oder gegen die Verfassung verstößt, beschäftigte die Staatsanwältin offenbar nicht. Für diese These spricht auch, dass sie in ihrer Amtszeit von den Anträgen der EYP-Führung nur 140 abgelehnt hat – das sind 0,4 Prozent aller „geprüften“ Fälle – und alle nur wegen fehlender Unterschriften.(16)

Wie diese Überprüfung läuft, hat der investigative Journalist Nikolas Leontopoulos bei einer Diskussion am 7. November im Athener Goethe-Institut beschrieben. Demnach landen täglich etwa 60 EYP-Anträge auf Aufhebung des Fernsprechgeheimnisses im Büro von Vlachou, und zwar jeweils zehn Minuten vor 15 Uhr, also kurz bevor das Personal nach Hause geht. Offensichtlich betätigt sich die Staatsanwältin gegenüber dem Geheimdienst nicht als rechtsstaatliche Kontrollinstanz, sondern als notarielle Beglaubigungsstelle. Im übrigen ist Vlachou wie ihr Mentor Mitsotakis der Meinung, dass sie über ihre Tätigkeit niemandem Rechenschaft schuldig ist, weder dem Parlament noch der unabhängigen Aufsichtsbehörde ADAE.(17)

Kein Licht in der Dunkelkammer

Als der Fall Androulakis zum öffentlichen Skandal wurde, hatte Mitsotakis am 8. August angekündigt, er werde dafür sorgen, dass alles „voll ans Licht kommt“. Was dieses Versprechen wert war, musste sich in der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses erweisen, den Mitsotakis selbst vorgeschlagen hatte. Dieser Ausschuss hat seine Arbeit am 7. September aufgenommen und seinen Schlussbericht am 21. Oktober vorgelegt.

Erfolgreiche Aufklärung ist nur unter drei Voraussetzungen möglich:

- Erstens müssen alle relevanten Zeugen vorgeladen und befragt werden.

- Zweitens müssen auch die „Geheimnisträger“ des EYP gegenüber dem parlamentarischen Kontrollorgan volle Auskunft geben; falls sie sich auf ihre Verschwiegenheitspflicht berufen sollten, müssen sie von dieser Pflicht entbunden werden. Und zwar durch den Ministerpräsidenten, der dazu gemäß Art. 14 des Geheimdienstgesetzes von 2008 befugt ist.(18)

- Drittens müssen dem Ausschuss alle einschlägigen Akten und Aufzeichnungen des EYP zugänglich gemacht werden; auch für diese Beweisdokumente kann der „Geheim“-Vermerk vom Regierungschef als politischer Aufsichtsinstanz aufgehoben werden.
Alle drei Voraussetzungen wurden vom Regierungslager nicht erfüllt oder sogar torpediert. Der Ausschuss, der Licht auf den Skandal werfen sollte, wurde damit zur Dunkelkammer.

Verhinderte Befragungen

Es begann damit, dass die ND-Mehrheit in dem 29-köpfigen Gremium jede Zusammenarbeit mit den anderen Parteien verweigerte und die absolute Kontrolle über das Verfahren an sich riss. Sie übernahm die Posten des Vorsitzenden, der Vize-Vorsitzenden und des Berichterstatters und konnte damit auch die Auswahl der zu befragenden Personen kontrollieren. Mit Mehrheitsbeschluss wurde auch die von den Oppositionsparteien (Syriza, Pasok, Mera 25) eingereichten Zeugenlisten zusammengestrichen. Nicht vorgeladen wurden folgende Personen, die für die Wahrheitsfindung unentbehrlich waren:

- Kyriakos Mitsotakis, oberster Dienstherr des Geheimdienstes;

- der zurückgetretene EYP-Aufseher Grigoris Dimitriadis (Büroleiter und Neffe von Mitsotakis);

- vier für Geheimdienstfragen zuständige Minister (darunter Justizminister Tsiaras);

- die für den EYP zuständige Staatsanwältin Vlachou, die die Lauschangriffe auf Androulakis und Koukakis genehmigt und für „legal“ erklärt hatte;

- Mitarbeiterinnen und Techniker der EYP-Abteilungen, die am Abhörprogramm des Geheimdienstes mitwirken;

- der abgehörte Journalist Thanassis Koukakis;

- Tasos Telloglou und andere investigative Journalisten, die wichtige Facetten des Skandals ans Licht gebracht haben.

Die Abgeordneten konnten also weder die Hauptverdächtigen Mitsotakis und Dimitriadis befragen, noch den Hauptbelastungszeugen Koukakis, dessen Fall explizit zu ihrem Untersuchungsauftrag gehörte. Damit war die „Aufklärungsarbeit“ des Ausschusses zum Scheitern verurteilt.

Stumme Zeugen

Bei den acht Anhörungen führte der Vorsitzende bei der Befragung der insgesamt nur sieben Zeugen ein strenges Zeitregiment, das intensiveres Nachhaken der oppositionellen Ausschussmitglieder erschwerte. Die verbliebenen Zeugen verweigerten ohnehin jeden Beitrag zur Wahrheitsfindung, indem sie sich – wie der zurückgetretene EYP-Chef Kontoleon – auf ihre Geheimhaltungspflicht beriefen.(19)

Die schriftlichen EYP-Unterlagen zu den Fällen Androulakis und Koukakis, wurden dem Ausschuss ebenfalls vorenthalten. Themistoklis Demiris, der neue EYP-Chef, den Mitsotakis zum Nachfolger von Kontoleon bestimmt hatte, verweigerte sogar die Einsicht in die internen Regeln und Kriterien für die Abhör-Anordnungen des Geheimdienstes.

Die Vorsitzenden und die ND-Mehrheit des Ausschusses gaben der rechtswidrigen Mauertaktik der Geheimdienstler ihre Rückendeckung. Die verweigerte Einsicht in die EYP-Akten erwies sich am Ende allerdings nur als Fußnote zu einem umfassenderen Skandal. Eine Woche vor Konstituierung des Untersuchungsausschusses tauchte erstmals die Frage auf, ob die geheimnisvollen Unterlagen überhaupt noch existierten.

Gelöschte Dateien

Am 30. August brachte die linke Tageszeitung EfSyn eine Story, die fast zu sensationell klang, um glaubhaft zu sein. Demnach war die gesamte Androulakis-Datei des EYP gelöscht worden.

Dieser EfSyn-Bericht enthielt detaillierte Informationen aus den Eingeweiden des Geheimdienstes:

- die Aktion sei von zwei hohen Geheimdienstmitarbeitern(20) angeordnet und koordiniert worden, die das besondere Vertrauen des Ministerpräsidenten genießen;

- alle EYP-Leute, die mit dem heißen Material zu tun hatten, seien aufgefordert worden, ihre IronKey-USB-Sticks abzugeben, der ihnen Zugang zu der Androulakis-Datei verschaffte;

- die Aktion habe einige EYP-Chargen erheblich verstört; einzelne sollen sich sogar geweigert haben, an der Löschung der Dateien mitzuwirken.

Der Bericht der Zeitung beruhte ersichtlich auf dem „Geheimnisverrat“ von Whistleblowern. Das verweist auf eine Schwachstelle in der Verdunkelungs-Strategie der ND-Regierung. EYP-Leute mit rechtsstaatlichem Ethos und/oder Gewissensbissen konnten das offizielle Narrativ untergraben. Dass sich Mitsotakis dieser Gefahr bewusst war, lässt eine spektakuläre Aktion seiner Schwester Dora Bakoyanni erkennen. Die ehemalige Außenministerin (2006-2009) verkündete am 6. September, einen Tag vor der ersten Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, im Regierungsender ERT eine unverhüllte Drohung: Das Geheimhaltungsgebot zu verletzen sei ein Verbrechen; und „jeder, der das tut, wird für zehn Jahre ins Gefängnis gehen“.(21)

Nur eine innergeheimdienstliche Affäre

Nach der ersten Meldung über die Löschung der Androulakis-Datei beschränkte sich die Regierung auf den Hinweis, es handle sich um eine „innere Angelegenheit“ des EYP. Der wiederum brachte eine Erklärung in Umlauf, die für ertappte Geheimdienste typisch ist: Das Material sei „versehentlich“ abhanden gekommen, als man das ganze EYP-Archiv in ein neues Speichersystem übertragen wollte. Auch Ex-Geheimdienstchef Kontoleon reagierte wie erwartet: Als er im Untersuchungsausschuss am 7. September nach dem Verbleib der Daten gefragt wurde, berief er sich erneut auf seine „Schweigepflicht“.

Wie der frühere EYP-Chef Yiannis Roubatis vor dem Untersuchungsausschuss darlegte, löscht der griechische Geheimdienst seine digitalen Dateien in der Regel nach sechs bis neun Monaten; jedoch müssen schriftliche Protokolle über die Abhörvorgänge zwei Jahre lang archiviert bleiben.(22) Bei dieser Sachlage hätte der Ministerpräsident eine Untersuchung des Datenschwunds anordnen müssen. Der Staatsrechtler und ehemalige Justizminister Michalis Stathopoulos ist sogar der Meinung, Mitsotakis hätte als oberster Dienstherr des EYP strafrechtliche Ermittlungen gegen die verantwortlichen Geheimdienstler einleiten müssen. (EfSyn vom 15. September 2022)

Mitsotakis tat nichts dergleichen. Er reagierte auch nicht, als der ADAE-Vorsitzende Christos Rammos am 20. September vor dem Untersuchungsausschuss bestätigte, dass die Androulakis-Dateien gezielt gelöscht worden waren. Das geschah am 29. Juli, an dem Tag also, an dem der Abgehörte beim ADAE die Untersuchung der Predator-Attacke beantragt hatte. Rammos zufolge kam der Befehl dazu von ganz oben. Also von EYP-Chef Kontoleon, der am selben Tag vor dem Transparenz-Ausschuss des Parlaments behauptet hatte, der EYP habe keine Politiker abgehört.

Rammos berichtete weiter, bei seinen Nachfragen in Geheimdienstkreisen sei er „auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“. Auch der neue EYP-Chef Demiris habe jede Auskunft gegenüber der ADAE unter Berufung auf „Staatsgeheimnisse“ und auf seine Schweigepflicht verweigert. Da auch die Staatsanwältin Vlachou schweige, die das Abhören von Androulakis für legal befunden hatte, war nicht mehr zu ermitteln, warum der Pasok-Vorsitzenden laut EYP eine Gefahr für die „nationale Sicherheit“ darstellen sollte.(23)

Verfassungswidrige Omerta

Der ADAE-Vorsitzende bezeichnete das Mauern der Geheimdienstler als Affront gegen die unabhängige Transparenz-Behörde. Für Rammos ist es unannehmbar, dass sich die EYP-Leute auf „das Staatsgeheimnis“ selbst gegenüber einer Institution berufen, die laut Verfassung mit der Kontrolle des Geheimdienstes beauftragt ist.

Ebenso rechtswidrig ist die Omerta der EYP gegenüber den parlamentarischen Kontrollgremien, dem ständigen „Ausschuss für Institutionen und Transparenz“ und dem ad hoc eingesetzten Untersuchungsausschuss. Das verstößt nach Ansicht prominenter Verfassungsrechtler gegen Artikel 68 der griechischen Verfassung, aber auch gegen Artikel 14 der Geschäftsordnung des Parlaments. Demnach dürfe Mitsotakis von Amts wegen nicht zulassen, dass die Schweigepflicht zur Verweigerung jeglicher Aufklärung missbraucht wird.(24) Ein weiteres Argument führt der Staatsrechtler Stathopoulos ins Feld: Da der EYP offensichtlich keine „belastenden“ Erkenntnisse gegen Androulakis gewonnen hat, könne er das Verweigern von Auskünften über diesen Abhörfall nicht mehr mit Belangen der „nationalen Sicherheit“ begründen.


Journalist Thanasis Koukakis beim PEGA-Ausschuss in Brüssel, 8. September 2022
© Dursun Aydemir/picture alliance/AA


Ungeachtet dessen halten Mitsotakis und die EYP-Führung am Prinzip der totalen Geheimhaltung fest. Und das nicht nur gegenüber den Kontrollorganen des griechischen, sondern auch denen des Europäischen Parlaments. Der missglückte Spyware-Angriff auf das Telefon des Europa-Abgeordneten Androulakis war dank der Arbeit des sogenannten PEGA-Ausschusses ans Licht gekommen. Diese Untersuchungskommission des EU-Parlaments ist seit April 2022 bemüht, in allen EU-Ländern den Missbrauch von Spyware (wie dem isralischen Abhörsystem Pegasus) aufzudecken und juristisch zu sanktionieren.(25)

Nach Bekanntwerden der griechischen Abhörfälle reiste eine PEGA-Abordnung Anfang November nach Athen, um sich durch Anhörungen ein Bild zu machen. Auch diesem EU-Kontrollgremium verweigerten sich die wichtigsten Gesprächspartner, allen voran Mitsotakis, der Neffe Dimitriadis und die gesamte EYP-Spitze. Als einziges Regierungsmitglied ließ sich Staatsminister Giorgos Gerapetritis von den EU-Abgeordneten befragen.

Als die PEGA-Delegation abfuhr, nahm sie wenig Antworten und viele neue Fragen mit. Denn auch den Europa-Parlamentariern wurde der Zugang zu geheimen Dokumenten verwehrt, kritisierte Sophie in ‘t Veld, die niederländische Berichterstatterin des Ausschusses, diese Entwicklung: „Wir werden keine Beweise finde, solange die Regierung nicht bereit ist, ihre Informationen mit uns zu teilen.“ Deshalb müsse Mitsotakis von seinem Recht Gebrauch machen, die EYP-Zeugen von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. (News 24/7 vom 8. November 2022)

Fragen über Fragen

Warum tat die Athener Regierung alles, um die von ihr selbst geforderte Aufklärung der Androulakis-Affäre zu verhindern? Warum hat Mitsotakis, als die Löschung der Datei bekannt wurde, keine Ermittlungen gegen die Verantwortlichen eingeleitet? Und warum hat er den EYP nicht angewiesen, die Aufklärungsarbeit der unabhängigen Kontrollinstanz ADAE, der griechischen Parlamentsausschüsse und der PEGA-Kommission des Europäischen Parlaments zu unterstützen?

Auf solche Fragen gibt es eine plausible Antwort. Bei einer vollständigen Aufklärung der Lauschangriffe würden weitere Dinge ans „volle Licht“ kommen, die für das System Mitsotakis noch schädlicher wären als die bisherige Schadensbilanz. Schon heute spricht die Opposition in Athen von einem „Doppelskandal“, wobei die systematische Vertuschung fast noch skandalöser ist als die ursprüngliche Abhör-Affäre. Doch offensichtlich fürchtet sich die Regierung vor einem dritten Skandal, der die beiden ersten noch in den Schatten stellen würde.

Substanz und Umfang dieses Skandals sind beim jetzigen Stand der Ermittlungen erst zu erahnen. Um die „dritte Dimension“ des griechischen Watergate aufzudecken und zu vermessen, bedarf es weiterer Insider-Informationen von Whistleblowern und letztlich einer gerichtlichen Aufarbeitung des gesamten Abhör-Komplexes. Aber eine Fülle von Indizien lässt erkennen, das die Regierung vor allem zwei Aspekte des Skandals unter der Decke halten will. Das ist zum einen der schiere Umfang des Abhörprogramms; zum anderen eine neue qualitative Dimension des Ausspähens: der Einsatz der Predator-Spyware, den der EYP wie die Regierung beharrlich abgestritten haben.

Die Belauschung der 15.000

Was den quantitativen Aspekt betrifft, so sprechen die Zahlen für sich. Im Jahr 2021 wurden von der Staatsanwältin Vlachou 15.475 Abhör-Anträge genehmigt, die der EYP mit der Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ begründete. Diese paranoid anmutende Zahl liegt fünf Mal höher als die Zahl der Abhörgenehmigungen auf Antrag eines Strafverfolgungsorgans (etwa gegen mutmaßliche Drogenhändler). Und sie ist seit seit 2019 (11.680 Bewilligungen) um 25 Prozent gestiegen.

Dass das Grundrecht auf unbelauschte private Kommunikation Jahr für Jahr in Tausenden von Fällen ausgesetzt wird, verweist darauf, dass auf der Abhörliste größere Personengruppen stehen, die der griechische Geheimdienst pauschal als „nationales Sicherheitrisiko“ einschätzt. Das gilt zum Beispiel für die Mitglieder der muslimischen turkophonen Volksgruppe im nordgriechischen Thrazien, die sich selbst als „türkisch“ bezeichnen, was nach griechischer Rechtsauffassung verboten ist.(26) Auch das Lager der bekennenden Impfgegner gilt als so verdächtig, dass ihm der EYP seine Aufmerksamkeit schenkt.

NGOs bedrohen die nationale Sicherheit

Bei einer anderen Zielgruppe ist die staatliche Neugier kein Geheimnis. Da die Mitsotakis-Regierung die Verteidigung der griechischen Grenzen gegen die „Invasion“ der Flüchtlinge aus Richtung Türkei zu einer Frage der „nationalen Sicherheit“ erklärt hat, fallen NGOs, die den Flüchtenden helfen, automatisch unter den Überwachungsauftrag des Geheimdienstes. Das gilt zumal für die Organisationen, die völkerrechtswidrige Pushbacks der griechischen Küstenwache aufgedeckt und dokumentiert haben.(27) Überwacht wurden und werden aber auch Sozialarbeiterinnen, die Geflüchtete betreuen, Übersetzerinnen oder Rechtsanwälte, die ihnen bei der Formulierung von Asylanträgen helfen.

Ins Visier des EYP geriet sogar ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM), also der UN-Agentur, die sich um die Geflüchteten auf den griechischen Inseln kümmert. Auch der Journalist Stavros Malichoudis, der diesen Fall am 17. November 2021 publiziert hat, wurde von den Geheimdienstlern abgehört, als er auf der Insel Kos für die Geschichte eines aus Syrien geflüchteten Jugendlichen recherchierte. „Woher weiß der EYP, an welchen Geschichten ein Journalist arbeitet“, fragte sich Malichoudis. „Und wichtiger noch: In wessen Interesse werden solche Informationen gesammelt, und für wen sind sie gedacht?“(28)

„Nein – Sie waren nicht in Samos!“

Die Antwort hat – unfreiwillig – kurz zuvor Mitsotakis selbst gegeben, als er am 9. November 2021 in der Villa Maximos eine seiner seltenen Pressekonferenzen abhielt. Dabei wurde er von der Journalistin Ingeborg Beugel gefragt, warum er die völkerrechtswidrige Praxis der Pushbacks von Bootsflüchtlingen in der Ägäis fortwährend leugne (siehe meinen Blog-Text „Die kurzen Beine des Kyriakos Mitsotakis“ vom 21. Dezember 2021). Der Hausherr Mitsotakis reagierte wütend: Statt ihn und sein Land zu beleidigen, solle Frau Beugel lieber nach Samos fahren und dort das neu errichtete vorbildliche Flüchtlingslager besuchen. Als die Journalistin einwarf, sie habe das Lager in Samos sehr wohl gesehen, erwiderte Mitsotakis so empört wie selbstgewiss: „No, you have not been to Samos.“ Nach einem Zwischenruf Beugels beharrte er: „No, you have not been … you have not been …“, brach den Satz dann aber ab und wechselte das Thema.(29)

Hatte er zu viel ausgeplaudert? Und wie konnte er auftrumpfend behaupten, Beugel sei nicht in Samos gewesen? Die weitaus plausibelste Antwort lautet: Auch die niederländische Journalistin wurde vom griechischen Geheimdienst überwacht und belauscht. Da sie regelmäßig in internationalen Medien über die völkerrechtswidrigen Praktiken der griechischen Küstenwache schreibt, stand sie – wie Stavros Malichoudis – auf der Liste der Medienschaffenden, die der EYP als Gefahr für die „nationale Sicherheit“ betrachtet.

Die Geheimnisse des Predator

Welche verdächtigen Personengruppen diese Liste umfasst, ist eines von zwei Geheimnissen, das die ND-Regierung und den EYP zu einer Koalition des Schweigens zusammenschweißt. Unklar ist noch, wie viele und nach welchen Kriterien Parlamentsabgeordnete abgehört wurden. Nachdem auch der Syriza-Abgeordnete Christos Spirtzis zum Ziel eine versuchten Predator-Attacke geworden war, stellte seine Fraktion den Antrag, alle Mobiltelefone aller Parlamentsmitglieder zu überprüfen, wie es im Europäischen Parlament geschehen ist. Da die ND-Mehrheit diesen Antrag abgelehnt hat, kann man über die Gefährdung dieser Zielgruppe nur spekulieren.

Die zweite unbeantwortete Frage lautet: Wer hat die Lauschangriffe mittels der Spyware Predator durchgeführt und in wessen Auftrag? Diese Frage ist seit Anfang November noch aktueller geworden, weil ständig neue Enthüllungen publiziert wurden. Die sind zum Teil so atemberaubend, dass man geneigt ist, das ganze mit Vorsicht zu genießen.

Überraschende Abhöropfer

Am 6. November publizierte die Wochenzeitung Documento eine Liste von 33 Personen, die der griechische Geheimdienst mittels der Predator-Spyware abgehört haben soll. Auf der Liste stehen – wenig überraschend – regierungskritische journalistsche Stimmen, ehemalige Minister der Regierung Tsipras und die aktuelle Syriza-Fraktionsvorsitzende, doch überraschenderweise auch prominente Namen aus dem Regierungslager. Dazu gehörten:

- fünf Minister bzw. Vizeminister der Mitsotakis-Regierung, von denen Außenminister Dendias der prominenteste ist;

- drei ehemalige Minister bzw. Ministerinnen unter Mitsotakis;

- Ex-Ministerpräsident Antonis Samaras, Minister früherer ND-Regierungen und aktuell Parlamentsabgeordneter;

- Medienschaffende von ND-freundlichen TV-Sendern und Printmedien.

Zu der letzten Gruppe gehört der Kathimerini-Chefredakteur Alexis Papachelas, der im Athener Establishment vorzüglich vernetzt ist und deshalb eine Top-Quelle auch für Interna aus der Nea Dimokratia darstellt. Wie er fallen etliche Personen, deren Namen auf der Predator-Liste stehen, unter die Kategorie „Sekundärquelle“, über die indirekt Informationen über andere abgeschöpft werden sollen. Das gilt ganz sicher für Kontaktpersonen des Reeders Marinakis, der als Eigentümer einer Verlagsgruppe (mit den Traditionszeitungen Ta Nea und To Vima) und Teilhaber eines TV-Senders über erhebliche Medienmacht verfügt. Sekundärziel waren auch die Telefone der Ehefrauen von ND-Politikern, die der Predator in vier Fällen angezapft hat.

Zwei weitere Listen, die seitdem von Documento veröffentlicht wurden (am 12. und am 19. November) bestätigen die politische Stoßrichtung der Lauschangriffe. Im Bereich Medien sind insgesamt 13 Journalistinnen und Journalisten betroffen. Was die Kreise der Regierungspartei betrifft, so galten die Predator-Attacken vornehmlich ND-Protagonisten, die aus Sicht der Villa Maximos nicht zuverlässig oder nicht voll berechenbar sind; etwa weil sie innerparteiliche Gegenspieler – wie Kostas Karamanlis oder Antonis Samaras – unterstützt haben oder noch unterstützen.(30)

Der Ring der Indizien und Kronzeugen wird enger

Sollten sich die Listen als authentisch erweisen, würden sie eine Enthemmung autokratischer Reflexe belegen, die einem unersättlichen Machtinstinkt oder einer Paranoia entspringen. Documento-Herausgeber Kostas Vaxevanis nennt als seine Quelle zwei Personen, die bei der Überwachung selbst „eine wichtige Rolle gespielt haben“. Noch wichtiger könnte die Rolle dieser Whistleblower aus dem Inneren des Geheimdienstes werden, sollten sie als Kronzeugen bei weiteren Ermittlungen durch die Justiz oder vor politischen Kontrollgremien auftreten. Vaxevanis hat sein Material bereits am 22. November an die Generalstaatsanwaltschaft übergeben, und im Parlament haben die Oppositionsparteien das Thema erneut auf die Tagesordnung des Transparenz-Ausschusses gesetzt, der Ende November auch den Mitsotakis-Neffen vorladen will.

Bis dahin wird die Flut der Informationen weiter ansteigen und droht die Mauer der Omerta zu unterspülen. Das ist für die Regierung umso bedrohlicher, als vormals regierungsfreundliche Medien ins kritische Lager übergegangen sind. Das gilt etwa für die Mediengruppe des Großreeders Marinakis, der selbst ins Visier von Predator geraten ist. Seine beiden Zeitungen Ta Nea und To Vima beteiligen sich seit Ende Oktober an den Recherchen und Enthüllungen rund um die „schändliche Abhöroperation”, die „den Rechtsstaat verletzt“ und „die Fundamente der demokratischen Regierungsform untergräbt“, wie es in einem To Vima-Leitartikel vom 16. November heißt.

Was die Hintermänner betrifft, so kommt die Wochenzeitung bereits zu einem klaren Urteil: Für sie verweisen „alle verfügbaren Informationen“ über den Einsatz der Predator-Software auf Grigoris Dimitriadis und Panagiotis Kontoleon. Der Mitsotakis-Neffe und der EYP-Chef werden als „Anleiter und Souffleure“ der Spyware-Attacken dargestellt. Damit zieht eine vormals ND-freundliche Zeitung zum ersten Mal eine direkte Verbindungslinie zwischen dem Abhörprogramm des EYP und den Lauschangriffen mittels Predator. Noch allerdings lassen die Marinakis-Zeitungen den Namen Mitsotakis aus dem Spiel. Das könnte sich bald ändern. Je enger sich der Ring der Beweise und Kronzeugen um den Neffen schließt, desto enger wird es auch für dessen Onkel Kyriakos.

Predator und EYP – Indizien für eine intime Beziehung

Dabei muss man bedenken, wie oft die Regierung Mitsotakis ihr Predator-Narrativ bereits umschreiben musste. Anfangs hat sie die Lauschangriffe mit illegaler Spyware schlicht geleugnet, als der Fall Koukakis ans Licht kam, sah der Regierungssprecher darin nichts anderes als das „Abhören eines privaten Bürgers durch einen anderen privaten Bürger“. Mit den Predator-Attacken auf die Politiker Androulakis und Spirtzis war diese These nicht zu halten, zumal der Absender der SMS-Nachrichten, mit denen beide in die Predator-Falle gelockt werden sollten, derselbe war wie bei der Spyware-Attacke auf Koukakis. Die Documento-Listen machten die Erzählung der Regierung zur Farce. Die spricht seitdem nicht mehr von „privaten Bürgern“, stattdessen raunt sie von „dunklen Zentren“ und „fremden Mächten“, die es auf die Regierung Mitsotakis abgesehen haben.

Tatsächlich ist das „dunkle Zentrum“, von dem die Predator-Angriffe ausgingen, seit langem bekannt. Die Firma Intellexa, die das Abhörsystem in Griechenland vertreibt und betreut, ist ein Ableger eines israelischen Unternehmens, das diese Spyware entwickelt hat. Da auch die Regierung einräumt, dass deren Einsatz durch Privatpersonen in Griechenland illegal ist – auch wenn er nur als Vergehen und nicht als Verbrechen gilt –, hätte man zumindest Ermittlungen gegen die Intellexa-Filiale erwarten können. Nichts dergleichen geschah. Weder die Polizei noch ein Justizorgan haben die Firma jemals belästigt. Es gab keine staatsanwaltlichen Ermittlungen, keine Durchsuchung der Firmenräume, keine Beschlagnahmung von Festplatten oder Unterlagen.

Nichts hören, nichts sehen, nichts wissen wollen

Die Regierung will gar nicht wissen, wer in Griechenland die illegale Spyware kauft und einsetzt, schließt die Journalistin Eliza Triantafillou. Sie gehört zum Investigativteam des Onlinemagazins Inside Story, das seit Monaten über die Verbindungen zwischen Intellexa und dem EYP recherchiert. Das machte den Geheimdienst offenbar so nervös, dass er Triantafillou und ihren Kollegen Tasos Telloglou von seinen Schlapphüten beschatten lässt.(31)

Auch auf der Ebene der parlamentarischen Kontrolle war Intellexa kein Thema. Die ND-Mehrheit im Untersuchungsausschuss hat mit der geschilderten Obstruktionstaktik verhindert, dass die Firmenbosse vorgeladen wurden. Auf keinen Fall durften die Verbindungen zwischen dem Spyware-Betreiber und dem griechischen Geheimdienst zur Sprache kommen.

Das Aufdecken dieser Verbindungen ist ein mühsames Geschäft, weil man sich durch ein vielfach verschachteltes Firmengeflecht durcharbeiten muss, das von Griechenland über Zypern, Irland und Nordmazedonien nach Israel reicht. Aber im Grunde läuft alles auf folgende Kernfrage hinaus: Welche Verbindungen gibt es zwischen der Firma Intellexa, die in Griechenland illegale Spyware vertreibt, und dem Unternehmen Krikel, das aufs engste mit dem griechischen Staat und seinen Sicherheitsorganen verbunden ist?

Zwei Geschäftsleute und ein Kumpel

Krikel ist aufgrund von insgesamt sieben Lieferverträgen (davon sechs geheim) eine Art Hoflieferant für die griechische Polizei, der es Informations- und Kommunikationssysteme verkauft – aber auch für den EYP, den das Unternehmen mit Cybersecurity-Software versorgt. Der Eigentümer von Krikel, Yiannis Lavranos, ist ein Geschäftsmann von höchst dubiosem Ruf, den er sich mit Betrügereien mittels Scheinfirmen und gefälschten Identitäten erworben hat.(32)

Seine engen Kontakte zur ND-Regierung verdankt Lavranos auch seinem langjähriger Freund und Geschäftspartner Grigoris Dimitriadis, der seit Juli 2019 in der Villa Maximos für die Aufsicht über den EYP zuständig war. Ebenso enge private und geschäftliche Beziehungen verbinden Dimitriadis mit dem Unternehmer Felix Bitzios, der für Intellexa den griechischen Markt erschlossen hat. Mit dessen Hilfe etablierte die israelische Spyware-Firma, die von dem israelischen Ex-Kommandeur und -Geheimdienstler Tal Dilian aufgebaut wurde, die griechische Intellexa-Filiale. Das war im März 2020; zwei Monate später erwarb Bitzios – über seine in Zypern registrierte Firma – einen 35-prozentigen Anteil an dem Gesamtunternehmen.

Vor seinem Einstieg in das Predator-Geschäft hatte Bitzios 2018 (über eine andere zypriotische Offshore-Firma) neun Monate lang Beraterdienste für Krikel geleistet. Bitzios und Lavranos haben also nicht nur gemeinsam, dass sie mit dem Neffen von Mitsotakis befreundet sind. Die engen geschäftlichen Verbindungen zwischen Intellexa und Krikel erlauben die Hyothese, dass es das Tandem Bitzios-Lavranos war, das die israelische Predator-Spyware über den „Brückenkopf“ Zypern nach Griechenland eingeschleust hat. Was nur mit Hilfe von Dimitriadis und dem von ihm installierten EYP-Chef Kontoleon gelingen konnte.

Ein intimes Zusammenwirken

Diese Hypothese wird durch neue journalistische Recherchen untermauert, die wir dem Investigativteam von Inside Story verdanken. Telloglou und Triantafillou präsentieren in ihrem jüngsten Report gesicherte Informationen aus internen (verständlicherweise nicht benannten) Quellen, die das von der Regierung gesteuerte Narrativ widerlegen. Sie weisen nach, dass sich zwischen Krikel und Intellexa – der Abhörtechnik des EYP und der illegalen Spyware – seit dem Amtsantritt der Regierung Mitsotakis ein intimes Zusammenwirken entwickelt hat. Das gelingt ihnen, indem sie „der Spur des Geldes“ folgen. Dabei fanden sie heraus:

- Felix Bitzios war mit Krikel bereits vor 2019 durch eine gut bezahlte Beratertätigkeit verbunden.

- Im Mai 2020, als Bitzios als Teilhaber bei Intellexa einstieg, verlegte Krikel seine Geschäftszentrale in Räume, die Lavanos von Bitzios anmietete.

- Am 20. Juli 2020 gab es zwischen den beiden Unternehmen zwei seltsame Geldbewegungen. Von Intellexa wurden 155.000 Euros an Krikel überwiesen, dieselbe Summe floss am selben Tag von Krikel an Intellexa zurück. In diesem Monat kaufte Intellexa die ersten Lizenzen für Fake-Internetadressen, über die Mobiltelefone mit der Predator-Spyware infiziert werden.

Unerforschte Geldströme

„Volles Licht“ auf die Geldbewegungen könnte allerdings nur eine amtliche Durchleuchtung aller Bankkonten beider Firmen erbringen. Genau das hat der Journalist Koukakis bei der Nationalen Transparenzbehörde (EAD) beantragt, die er im Mai 2022 wegen seines Abhörfalls anrief. Aber die EAD (nicht zu verwechseln mit der unabhängigen Watchdog-Instanz ADAE) überprüfte lediglich die Verträge und finanziellen Beziehungen zwischen Krikel und dem griechischen Staat. Die Kassenbücher und Kontobewegungen des Unternehmens wurden nicht durchleuchtet – auf Anweisung des damaligen EAD-Chefs Angelos Binis. Damit blieben die finanziellen Transaktionen mit Intellexa im Dunkeln.(33)

Jenseits der „Spur des Geldes“ sind weitere Fakten ans Licht gekommen, die beweisen sollen, dass der EYP die Spyware von Intellexa selbst eingesetzt hat. Sie stammen von Inside Story, wie auch auch von der Wochenzeitung To Vima (vom 13. und 20. November) des Reeders Marinakis, der selbst auf die Abhör-Liste geraten ist. Wenn diese Fakten stimmen, ist die Erzählung, wonach der Predator-Einsatz in Griechenland eine „private“ Affäre sei, als Legende entlarvt.

Wie der Predator nach Griechenland kam

Die Hardware für illegale Predator-Spyware wurde bereits Ende 2019 in einem Gebäude des EYP (im Athener Stadtteil Ayia Paraskevi) installiert und erprobt. Vorausgegangen waren Verhandlungen der israelischen Intellexa-Eigentümern (Tal Dilian und Shahak Avni) mit Bitzios, Krikel-Chef Lavranos und dem neuen Geheimdienst-Chef Kontoleon.

In dem EYP-Gebäude bildeten israelische Experten unter Leitung von Shahak Avni – „in Absprache mit Lavranos und in Kenntnis von Grigoris Dimitriadis“ (To Vima) – eine Gruppe griechischer Spezialisten aus, die der Geheimdienst aus den Abhörabteilungen der Polizei (ELAS) rekrutierte. An der Spitze dieser Gruppe stand eine ELAS-Offizierin, die das volle Vertrauen sowohl von Lavranos wie von Kontoleon hatte. Diese Person, die innerhalb des EYP auch für die „legalen“ Lauschangriffe zuständig war, soll das Abhören von Androulakis auch mit der illegalen Spyware angeordnet haben. Sie soll inzwischen in den Polizeidienst zurückgekehrt sein und verweigert jeden Kontakt zu Medien.

Während der erste „Probeeinsatz“ des Predator-Systems einer ausländischen Zielperson galt, richtete Intellexa im September 2020 die ersten elf Internet-Adressen (Domains) ein, von denen die SMS-Nachrichten ausgingen, mit denen die Spyware auf den anvisierten Mobiltelefonen installiert wurde.(34) Da über jede Domain bis zu zehn Abhöraktionen möglich waren, konnten jetzt immer mehr „innere“ Zielpersonen mit der Spyware infiziert werden.

Im Frühjahr beendete Intellexa seine Untermieter-Existenz beim EYP und erwarb einen eigenen Firmensitz auf dem Elliniko-Gelände im Süden Athens, von wo auch das Predator-System betrieben wurde. Der EYP soll für die Nutzung der Spyware einen Einstandspreis von 7 Millionen Euro gezahlt haben, zusätzlich fielen monatlich 150.000 Euro an „laufenden Kosten“ an. Die Geldsummen für den Ankauf – oder auch die Miete – des Predator-Systems soll der EYP in anderen vertraglichen Geschäften „versteckt“ haben.

Es werde Licht

Wie kann die Wahrheit ans Licht kommen? Weitere parlamentarische Untersuchungen werden nicht viel bringen. Ende November hat der „Ausschuss für Institutionen und Transparenz“ eine weitere Anhörung anberaumt, zu der die schweigenden Kronzeugen Dimitriadis, Bitzios und Lavranos vorgeladen sind. Aber die Abgeordneten werden sie nicht zu einer Aussagen zwingen können. Das kann theoretisch nur die Justiz.

Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und die Eröffnung eines Strafprozesses sind der einzige Weg, auf dem die Medienberichte zweifelsfrei verifiziert und zu juristisch verwertbaren Informationen werden können. Diese Berichte beruhen auf vertraulichen Mitteilungen aus dem Inneren des griechischen Geheimdienstes, also von Whistleblowern, die schon viel riskieren, wenn sie mit Medien Kontakt aufnehmen. Was ihnen blühen kann, wenn sie identifizierbar werden, hat ihnen die ND-Regierung klar genug angekündigt: langjährige Gefängnisstrafen für den Verrat von „Staatsgeheimnissen“ und die Gefährdung der „nationalen Sicherheit“.

Deshalb wird viel davon abhängen, welche Signale von der Justiz ausgehen. Wird sie die herrschende Definition von Schweigepflicht übernehmen – oder wird sie ihren Beitrag zur Aufklärung leisten und die Omerta-Strategie der Villa Maximos durchkreuzen? Wenn sie letzteres will, wird viel auf die Behandlung der Zeugen ankommen.

Zeugenschutz für Whistleblower

Wie Yiannis Mantzouranis, der Anwalt des Documento-Herausgebers Vaxevanis erklärt hat, sind drei Personen zur Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft bereit, wenn sie sich voll auf das Zeugenschutzprogramm verlassen können. Die Regierung Mitsotakis hat eine EU-Richtlinie, die den Zeugenschutz verstärken soll, trotz Mahnungen aus Brüssel noch nicht in griechisches Recht umgesetzt. Und in einem früheren Prozess (Fall Novartis) haben ND-Minister anonym auftretende Zeugen als „vermummte Spitzel“ denunziert. Mantzouranis erwartet von der Generalstaatsanwaltschaft eine Zusage, dass die Whistleblower aus dem EYP umfassenden Zeugenschutz genießen. Damit könnten die Ermittler auch ihre Unabhängigkeit von der Regierung dokumentieren.

Beim jetzigen Stand der Informationen ist die Aufarbeitung des Abhörskandals durch die Justiz für die Regierung der einzige Ausweg, nachdem ihre Strategie gescheitert ist, das Thema mit dem „Freispruch“ durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss loszuwerden. Die jüngsten Enthüllungen hat Mitsotakis als „völlig unbelegte“ Theorien abgetan, die auf dem Justizwege zu überprüfen seien. Mit der Abschiebung auf das juristische Gleis kann Mitsotakis einerseits Zeit gewinnen, denn die Mühlen der Justiz mahlen in Griechenland langsamer als in allen anderen EU-Ländern. Bei den Ermittlungen im Fall Predator ist schon jetzt die Rede von „Verzögerungen“, weil für mehrere Dutzend Abhörfälle nur eine Staatsanwältin abgestellt wurde.(36) Aber andererseits werden im Lauf der Ermittlungen immer wieder brisante Aussagen an die Medien durchsickern. Und „Enthüllungen“ durch formelle Kronzeugen, die unter Eid aussagen, wird die Regierung nicht mehr ignorieren können.

Mitsotakis im Visier von Putin und Erdogan

Die bisherige Medienstrategie von Mitsotakis beruhte auf nicht besonders originellen PR-Einfällen. In erster Linie wurden die Übermittler unangenehmer Informationen als Denunzianten und Nestbeschmutzer beschimpft. Wenn sie für griechische Medien arbeiteten, waren sie „fanatisiert“ oder von der Opposition instrumentalisiert. Ausländische Journalistinnen wurden verdächtigt, sie stünden im Sold von Tsipras oder sympathisierten mit Terroristen. Als eine geachtete internationale Organisation wie Reporter ohne Grenzen/RSF ihre Kritik kundtat, wurde sie vom Regierungssprecher zu „irgendeiner französischen NGO“ degradiert.

Gegen innenpolitische Kritiker und Widersacherinnen muss dagegen die nationalistische Keule her. Putin würde sich über die Beschuldigungen der Opposition freuen, tönte der Wirtschaftsminister und Vize-ND-Chef Georgiadis. Und Mitsotakis bemühte den türkischen Erzfeind, um eine Syriza-Regierung als nationales Unglück darzustellen: „Herr Erdoğan verheimlicht gar nicht, dass er Herrn Tsipras gegenüber meiner Regierung vorziehen würde, aber ich bin ja noch da.“ In dieselbe Rede (vor dem ND-Parteivorstand) bezeichnete der Regierungschef die größte Oppositionspartei als „eine Bande, die sich von der Misere nährt und in der politischen Gosse gedeiht“. (EfSyn vom 15. November 2022)

Der gefallene Neffe

Das Bild von der „politischen Gosse“ passt allerdings eher für die Sickergube des Predator-Skandals, in der die Mitsotakis-Bande zu versinken droht. Und in der Grigoris Dimitriadis, der Neffe und Chief of staff des Regierungschefs, bereits untergetaucht ist. Oder vielmehr untergetaucht wurde, weil er nicht mehr vorzeigbar war. Die neueste taktische Wendung, mit der die PR-Strategen von Mitsotakis ihre Strategie der Schadensbegrenzung retten wollen, ist die Denunziation des Neffen.

Den Zweck der Übung hat ein Kommentator der regierungsnahen Kathimerini offen dargelegt: Die Regierung Mitsotakis habe sich mit drei Jahren erfolgreicher Regierung ein bewundernswertes „politisches Kapital“ aufgebaut. Die Rettung dieses Kapitals hänge jetzt aber nicht mehr von der „guten Arbeit“ der Regierung ab, „sondern davon, ob sie sich auf überzeugende Weise ihres Hinterhofs entledigen kann.“

Der Hinterhof ist das dunkle Revier des Neffen, dessen wahrer Charakter von den Mainstream-Medien erst jetzt entdeckt wird. Nach dem Porträt, das die Kathimerini von Dimitriadis zeichnet, hat sich dieser in der Villa Maximos schrittweise eine Machtposition verschafft, die ihn zum bösen Dämon seines Onkels machte: „Der Neffe übernahm fast die vollständige Kontrolle über die Beziehungen des Ministerpräsidenten zu den wichtigen Parteigrößen.“ In dem Text (vom 13. November) wird eine Stimme aus der Villa Maximos mit der Aussage zitiert, bis zum 5. August (als der Neffe das Schiff verließ) habe sich niemand vorstellen können, dass Mitsotakis „ohne einen Dimitriadis“ regieren könnte: „Alle Informationen liefen über ihn, ebenso die Beziehungen mit dem EYP, dem militärischen Generalstab und der Polizei.“ Keine Ernennung erfolgte ohne ihn. Wer es mit dem Neffen verdarb, „wurde enthauptet oder landete in der Kühltruhe“. Und die wenigen Minister und Mitarbeiter von Mitsotakis, „die sich flüsternd über das Wirken von Dimitriadis beschwerten, fanden sich anschließend vor verschlossenen Türen“.

Dennoch: günstige Überlebenschancen für Mitsotakis

Nach dieser Darstellung hauste Dimitriadis nicht im Hinterhof der Villa Maximos, vielmehr herrschte er im Vorzimmer des Regierungschefs und kontrollierte dessen Terminkalender. Wurde der generalstabsmäßig organisierte Staat des Kyriakos Mitsotakis also in Wahrheit von einem Emporkömmling mit bonapartistischen Anwandlungen gesteuert? Und was würde das über die Führungsqualitäten des Ministerpräsidenten verraten? Die Überlebensfrage für Mitsotakis lautet, ob das breite Publikum eine solche Darstellung glaubwürdig findet und sich mit der exorzistischen Vertreibung des Neffen zufrieden gibt. Und wie es reagiert, wenn sich bewahrheitet, dass der Stabschef aus der Villa Maximos heraus das ganze Abhörsystem kontrollierte, das dem EYP neben seinen „legalen“ Aktivitäten die „kriminellen“ Lauschangriffe mittels Predator-Spyware ermöglicht hat.

Ob Mitsotakis diesen Skandal überstehen wird, ist aus heutiger Sicht offen. Aber wenn sich die Ermittlungen lange hinziehen und die Enthüllungen zum täglichem Schwarzbrot werden, sind seine politischen Überlebenschancen ziemlich günstig. Das liegt auch an der griechischen Medienlandschaft, die trotz einiger kritischer Printmedien nach wie vor von den großen privaten TV-Sendern dominiert wird. Und die werden in Treue fest zu Mitsotakis stehen, schon weil sie gegenüber dem Fiskus hoch verschuldet sind.

Die Leute haben keine Illusionen, aber andere Sorgen

Aber die Medien sind nicht an allem Schuld. Selbst wenn sie den Abhörskandal drei Etagen höher hängen würden, wäre das Thema nicht der große Aufreger. Zwar zeigen die Umfragen, dass die griechische Bevölkerung wenig Illusionen über die demokratischen Defizite ihrer derzeitigen Regierung hat. Aber solange der persönliche Alltag von steigenden Preisen, sinkender Kaufkraft und drohenden Energieengpässen geprägt ist, werden sich die politischen Präferenzen bei den nächsten Wahlen nicht wesentlich ändern. Fragt man die Leute nach den größten Sorgen, die sie haben, kommt die Abhöraffäre nur unter ferner liefen. Trotz dieser Affäre und trotz anderer Skandale liegt die Nea Dimokratia in den Umfragen immer noch deutlich vor der Syrira von Tsipras und der Pasok von Androulakis. Der Vorsprung der Regierungspartei ist zwar geschrumpft, aber ihre Umfrageverluste verwandeln sich nur sehr zögerlich in Gewinne für die Opposition. Das liegt auch an Politik und Image der Syriza, was aber ein anderes Thema ist.

Dennoch hat Mitsotakis ein Problem, das er vor dem Predator-Skandal nicht hatte. Selbst wenn er die doppelten Parlamentswahlen, die er für das Frühjahr 2023 plant, für die ND gewinnen sollte, hätte er damit noch keine Regierung. Zum einen weil eine absolute Mehrheit aus heutiger Sicht ziemlich unwahrscheinlich ist: Selbst in einer zweiten Wahl nach dem verstärkten Mehrheitswahlrecht (die auf die erste folgen soll, bei der noch das jetzige Verhältniswahlrecht gilt) müsste die ND fast 40 Prozent der Stimmen gewinnen. Wenn sie dieses Ziel erwartungsgemäß verfehlt, ist sie auf einen Koalitionspartner angewiesen.

Der größte Schaden: Regierungsoption verbrannt

Aber genau den hat sich Mitsotakis mit der Abhör-Affäre vergrault. Wie oben dargestellt, wäre die einzige Alternative für die ND eine Koalition mit der Pasok. Diese Option hätte früher sogar dem Wählerwillen entsprochen, weil alle Umfragen bis zum Sommer dieses Jahres zeigten, dass zwei Drittel der Pasok-Wählerinnen und -Wähler eine Koalition mit der ND bevorzugten, aber nur ein Fünftel die Mittelinks-Kombination mit der Syriza.

Diese Option ist mit dem Lauschangriff auf den Pasok-Vorsitzenden verbrannt. Dass Androulakis ein politisches Bündnis mit Mitsotakis eingeht, ist unvorstellbar geworden. Und auch die Pasok-Wähler sind für eine Koalition mit der Abhörpartei nicht mehr zu begeistern. Wie Mitsotakis auf diese neue innenpolitische Konstellation reagieren wird, ist derzeit nicht abzusehen. Sein politischer Spielraum wird auch davon abhängen, wie seine eigene Partei die Abhöraffäre verarbeitet. Wenn sich bewahrheiten sollte, dass die Villa Maximos als Abhörzentrum fungierte, von dem aus der Stabschef von Mitsotakis sogar Minister und innerparteiliche Rivalen bespitzeln ließ, werden die alten Fronten innerhalb der Nea Dimokratia erneut aufbrechen. Dann könnte Mitsotakis wieder auf das Format zurechtgestutzt werden, das er mit der Eroberung der Villa Maximos hinter sich lassen wollte. Er wäre nur noch der privilegierte, verzogene und allzu ambitionierte Sproß eines kretischen Familienclans.

Anmerkungen

1) EYP steht für Ethnikí Ypiresía Pliroforión (Nationaler Nachrichtendienst). Laut Eigendarstellung hat er die Aufgabe, „die Sicherheit des Landes zu gewährleisten und unsere nationalen Interessen zu schützen“.

2) Die Nea Dimokratia und die konservativen Eliten Griechenlands, auf die sich die Rechtspartei seit Jahrzehnten stützen kann, sehen sich traditionell als „rechtmäßige“ Besitzer der politischen und gesellschaftlichen Macht, und entsprechend eine „linke“ Regierung als politische Abnormalität oder allenfalls als „Parenthese“, die so schnell wie möglich beendet werden müsse.

3) Zum Begriff und zur Realität des epiteliko kratos siehe den Blog-Text vom 29. Oktober 2019: „Moderne Zeiten in Griechenland“ (https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100146)

4) Als „national unzuverlässig“ galten nicht nur die Mitglieder und Anhänger linker Parteien, sondern auch alle Bürgerinnen und Bürger nicht-orthodoxer Glaubensrichtung. Entsprechend existierten beim KYP Listen und Akten (fakeli) über alle muslimischen, jüdischen, katholischen und protestantischen Staatsangehörigen.

5) So Mavrikis in einem Interview mit Skai-TV vom 23. Juni 2013. Weitere Details (und eine Aufzeichnung des Mavrikis-Interviews) bietet die bietet die Website Oneman vom 17. September 2022; siehe auch EfSyn vom 29. August 2022. Eine Übersicht über beide Fälle (und ihre juristische Aufarbeitung) bei News 247 vom 28. Juni 2020.

6) Das Citizen Lab entdeckte das neue Predator-System als „Beifang“ bei der Verfolgung von Spuren der älteren Spyware namens Pegasus in Afrika. Als sie das Mobiltelefon des ägyptischen Dissidenten und Journalisten Aiman Nur durchcheckten, fanden sie neben Pegagus ein zweites Programm, das der zyprischen Firma Cytrox zugeschrieben werden konnte. Mittels Internet Scanning fand das Citizen Lab heraus, dass die neue Spyware in vielen anderen Ländern, darunter Griechenland, verbreitet war. Siehe: "Pegasus vs. Predator", Citizen Lab, 16. Dezember 2021.

7) Zu den Eigenheiten des von Mitsotakis errichteten „Macherstaates“ siehe meinen Blog-Text „Moderne Zeiten in Griechenland“ vom 29. Oktober 2019.

8) Damit hatte Mitsotakis den Schritt von der Vettern- zur Neffenwirtschaft vollzogen. Siehe dazu meinen Blog-Text „Neuer Wein in alten Schläuchen?“ vom 16. Juli 2019.

9) Kontoleon hat seine private Beziehung zu Dimitriadis gegenüber dem Untersuchungsausschuss bestätigt. Der neue EYP-Chef hatte seine berufliche Laufbahn bei dem US-Sicherheitsunternehmen Wackenhut und war u.a. für die Bewachung der Athener US-Botschaft eingesetzt. Weitere Details in meinem Text „Moderne Zeiten in Griechenland“ vom 29. Oktober 2019.

10) Es handelte sich um die Änderung von Art. 5, § 9 des Gesetzes 2225/1994. Zwischen der Vorlage dieses Zusatzantrags und der Verabschiedung des Gesetzespaketes lagen nur fünf Stunden. Dabei ist von großer Ironie, dass nicht nur die ND-Fraktion, sondern auch die Pasok-Abgeordneten eine Gesetzesänderung abnickten, die alsbald auch ihren Vorsitzenden Androulakis betreffen sollte.

11) Siehe die ausführliche Darstellung (in Englisch) von Thodoris Chondrogiannos auf der Website govwatch.gr vom 3. Mai 2022.

12) Der rechtspopoulistische ND-Vizechef und Wirtschaftsminister Georgiadis mutmaßte, dass hinter der ganzen Affäre die Türkei steckten könnte. Auch Mitsotakis sprach von „zwielichtigen Kräften außerhalb Griechenlands“, die das Land „destabilisieren“ wollten.

13) Bei zwei Umfragen im August (GOP und Metron Analysis) waren erst 60 Prozent überzeugt, dass Mitsotakis informiert war.

14) Nach Informationen der EfSyn vom 2. September 2022. Die Formulierung verträgt sich nicht mit der von Regierungsseite in die Medien lancierten Behauptung, wonach die rechte Hand von Mitsotakis „keinerlei Beziehung zum Fall Androulakis hatte“ (To Vima vom 5. August 2022).

15) Nach einem Bericht in EfSyn vom 1. September 2022 war Frau Vlachou „die persönliche Wahl des Ministerpräsidenten“ und unterhält einen „stets offenen Kommunikationskanal“ mit der Villa Maximos.

16) So schilderte es Vlachou selbst gegenüber dem Transparenz-Ausschuss des Parlaments (EfSyn vom 2. September 2022). Zahlentabellen über die Abhöranträge in einem Text des Juristen Kostas Papadakis, der die griechischen Gesetzeslage differenziert darstellt (EfSyn vom 20. August 2022).

17) Diese „Rechtsmeinung“ haben sowohl der ADAE-Vorsitzende Rammos als auch mehrere Staatsrechtler zurückgewiesen (EfSyn vom 20. und 21. September 2022). Inzwischen verstieg sich Vlachou sogar zu der Aussage, selbst die Staatspräsidentin müsse abgehört werden, wenn sie nach Ansicht des EYP des nationalen Verrats verdächtig ist (EfSyn und Kathimerini vom 26. Oktober 2022).

18) Siehe die Erläuterungen von Xenofontas Kontiadis, Professor für Öffentliches Recht (EfSyn vom 2. September 2022).

19) Kontoleon antwortete auf die Frage, welche Belange der „nationalen Sicherheit“ angeblich durch Androulakis und die belauschten Journalisten gefährdet waren, das Amtsgeheimnis verbiete ihm, über konkrete Fälle zu sprechen (News 24/7 vom 15. September 2022).

20) Die Namen dieser beiden Mitsotakis-Vertrauten im Geheimdienst sind der Zeitung bekannt, werden aber nur mit ihren Kürzeln D.M. und A.L. angegeben.

21) Aus Angst vor Whistleblowern hatte die ND-Regierung bereits eine Säuberung des EYP von „unzuverlässigen“ Elementen vorgenommen. Im Dezember 2021 wurden per Rechtsverordnung mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht zum konservativen Lager gezählt wurden, in andere Behörden versetzt, die meisten davon in den Polizeidienst (EfSyn vom 31. August 2022).

22) Siehe den Abschlussbericht (auf griechisch) der Syriza-Abgeordneten im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, datiert vom 10. Oktober 2022, in dem die Abhör-Fälle detailliert dargestellt sind.

23) Ausführliche Berichte über die Aussagen des AEAD-Vorsitzenden Rammos auf der Nachrichten-Website News 24/7 vom 21. September und bei EfSyn vom 22. September 2022.

24) Siehe die Argumentation des Verfassungsrechtlers Evangelos Venizelos (ehemals Außenminister und Vize-Ministerpräsident) vor der Rechtsanwaltskammer Athen (EfSyn vom 15. September 20022), oder die des Staatsrechtlers Xenofondas Kontiadis (EfSyn vom 30. September 2022). Weitere Stellungnahmen juristischer Experten in EfSyn vom 2. September 2022.

25) Der Ausschuss ist nach der Pegasus-Spyware benannt; zu Konstituierung und Aufgabenstellung siehe: https://www.europarl.europa.eu/committees/en/pega/about

26) Dieses Verbot (das zum Beispiel zum Verbot von Vereinen führt, die das Wort „türkisch“ im Namen führen) widerspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der ethnischen Minderheiten das Recht auf „self-nomination“ zuspricht.

27) Siehe schon EfSyn vom 13. November 2011. Siehe auch den Länder-Report von Reporter ohne Grenzen /RSF vom 28. März 2022. Wie stark der EYP auf das Feindbild der NGOs fixiert ist, zeigt eine klandestine Operation, die der Geheimdienst im Sommer 2020 gegen Organisationen wie Watch the Med und Mare Liberum unternommen hat. Ziel der Operation war, den Flüchtlingshelfern „Beihilfe zum Transfer von Migranten und Flüchtlingen von der Türkei nach Lesbos“ mittels "illegaler Methoden und Prozeduren“ nachzuweisen und sie vor Gericht zu bringen. Das ist bis heute nicht geschehen. Siehe dazu meinen Blog-Text vom 21. Oktober 2020: „Nach Moria: Zur Lage der Flüchtlinge, nicht nur auf Lesbos“.

28) Der Erfahrungsbericht von Malichoudis wurde am 17. November 2021 von der griechischen Gruppe Reporters United publiziert, die Teil des „Investigate Europe“-Netzwerks ist.

29) Die Szene ist in einem Youtube-Clip festgehalten; der Wortwechsel über Samos beginnt bei 3:30 min. Dabei ging Mitsotakis von der Information aus, dass Beugel dass Lager Samos nach der offiziellen Eröffnung nicht besucht hatte, während sich die Journalistin auf ihren Besuch vor der Eröffnung bezog.

30) Auf der Documento-Liste vom 12. November taucht neben vier Mitgliedern der aktuellen Regierung auch der stellvertretende EYP-Chef Vassilis Grizis auf. Zu den belauschten Medienschaffenden siehe auch den Report von Reporter ohne Grenzen/RSF vom 16. November 2022.

31) Die Beschattung Teloglous durch leibhaftige EYP-Agenten setzte ein, als der Journalist bei Treffen mit seinen Quellen auf sein Mobiltelefon verzichtete, über das er geortet werden konnte. Siehe seinen Text für die Heinrich-Böll-Stiftung Athen (auf griechisch); siehe auch den Bericht von Reporter ohne Grenzen/RSF vom 18. November 2022.

32) Zur dubiosen Karriere des Unternehmers Lavranos siehe EfSyn vom 12. November 2011. Weitere Details in To Vima vom 11. November 2011.

33) So die Auskunft von Alexandra Rogakou, der Nachfolgerin von Binis an der Spitze der EAD, vor dem Untersuchungsausschuss des Parlaments. Siehe Inside Story vom 15. November 2022.

34) Insgesamt wurden von Intellexa 42 griechische Domains eingerichtet, siehe die Liste bei Inside Story vom 14. April 2022. Der Täuschungseffekt der Lock-SMS beruhte auf der Ähnlichkeit mit existierenden Internetadressen (zum Beispiel: efsyn.online statt efsyn.gr).

35) Ein weiterer Staatsanwalt ist ausschließlich mit dem Fall Androulakis befasst; zunächst war noch ein dritter vorgesehen, der inzwischen mit anderen Aufgaben betraut wurde (Kathimerini vom 14. November 2022).


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