Im Land des real existierenden Surrealismus
Griechenland und die Mazedonienfrage
von Niels Kadritzke | 16. Februar 2018, letzte Änderung: 22. Februar 2018, 15:05 Uhr
Die politischen Entwicklungen in Griechenland werden durch einen außenpolitischen Konflikt vorangetrieben, der Anfang des Jahres überraschend heftig ausgebrochen ist. Ein Jahrzehnt lang hatte die „Mazedonienfrage“ (griechisch: to makedoniko) geruht wie ein schlafender Vulkan. Aber der Vulkan war keineswegs erloschen.
Nationalistische „Volksstimmung“ am 21. Januar in Thessaloniki. © Giannis Papanikos/AP
Bei zwei Großdemonstrationen in Thessaloniki (am 21. Januar) und in Athen (am 4. Februar) dominierten die gleichen chauvinistischen Parolen wie beim großen Ausbruch des Volkszorns im Frühjahr 1992. Und die neusten Umfragen zeigen, dass der Widerstand gegen einen Namenskompromiss mit dem nördlichen Nachbarstaat, der Republik Mazedonien, fast genauso stark ist wie vor 26 Jahren. Nach wie vor wird ein „zusammengesetzter“ Namen, der das Wort Mazedonien enthält, von 70 bis 80 Prozent der griechischen Bevölkerung abgelehnt. Dabei ist die Ablehnungsfront in Nordgriechenland noch stärker und die Stimmung nicht weniger militant als 1992. Ebenso beunruhigend ist, dass auch nach acht Jahren einer tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Krise immer noch 65 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung „to makedoniko“ als „sehr wichtige Frage“ ansehen. Entsprechend fordern zwei Drittel eine Volksabstimmung, bevor die Regierung Tsipras mit dem Nachbarstaat einen Namenskompromiss unterschreibt.1 Die Aussicht auf ein solches Plebiszit wird den griechischen „Mazedonienkämpfern“ noch mehr Auftrieb geben und die politische Klasse noch mehr in die Enge treiben.
Angesichts dieser Volksstimmung sind die meisten ausländischen Beobachter fassungslos. Aber auch in Griechenland herrscht bei denen, die eine Beilegung des Konflikts für überfällig halten, ein ratloser Fatalismus, der sich in dem Stoßseufzer „Edo Valkania“ ausdrückt. „Wir sind halt auf dem Balkan.“ Wir gehören nun mal zu einer Region, wo der irrationale Nationalismus immer noch leicht entflammbar ist. Der erneute Ausbruch des Mazedonien-Furors kommt auch für die Europäischen Partner Griechenlands überraschend. Abermals erweist sich das Land, nach 37 Jahren EU-Mitgliedschaft, als Teil des offenbar ewigen „Balkanproblems“ - und nicht als Teil der Lösung, wie es besonnene Politiker und Intellektuelle in Athen und Thessaloniki seit den 1990er-Jahren vergebens fordern.
Für die internationale Diplomatie ist der Mazedonienstreit ein Problemknoten, der so unerwünscht ist wie Hämorriden: ein pain in the ass speziell für Griechenlands Partner in der EU und auf Nato-Ebene. Die Rückkehr des verfluchten Übels hat mit dem Brüsseler Nato-Gipfel vom 11./12. Juli 2018 zu tun, bei dem erneut die Aufnahme der Republik Mazedonien auf der Tagesordnung steht. Damit steht das Bündnis vor demselben Problem, das sich schon im April 2008 auf dem Gipfel von Bukarest als unlösbar erwiesen hat. Damals machte Athen seine Zustimmung zum Nato-Beitritt der benachbarten Republik von der Lösung der „Namensfrage“ abhängig.
Empörung über geraubte Symbole
Diese Namensfrage existiert seit dem Zerfall des Bundesstaates Jugoslawien. Vor 1990 hatte keine Athener Regierung den Namen der jugoslawischen „Sozialistischen Republik Mazedonien“ in Frage gestellt. Und das obwohl es im Norden Griechenlands drei Regionen gibt, die ebenfalls den Namen Mazedonien führen: West-Mazedonien und Zentral-Mazedonien (mit der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki) sowie drei Bezirke der Region Ost-Mazedonien-Thrazien. In den 1950er-Jahren hatte der konservative Regierungschef Konstantinos Karamanlis Dokumente unterschrieben, in denen das jugoslawische Bundesland schlicht als „Mazedonien“ bezeichnet wurde.2 Erst als der jugoslawische Teilstaat im November 1991 (nach einem Referendum) seine Unabhängigkeit erklärte, entdeckten die Griechen ein Problem, das sich damals nicht auf den Namen des neuen Nachbarn beschränkte.
Die Spannungen wurden allerdings auch durch die Nationalisten in der nunmehr souveränen „Republika Makedonija“ angeheizt. Zum Beispiel durch die Wahl der Nationalflagge, wo der „Stern von Vergina“ prangte – das vermutlich königliche Emblem der mazedonischen Dynastie aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert.3
Solche Symbolpolitik war aus griechischer Sicht der freche Versuch, den „wahren Mazedoniern“ ihr antikes Erbe und ihren historischen Superhelden Alexander der Große zu entwenden. Der „Diebstahl“ einer antiken Hochkultur durch ein slawisches, also „barbarisches“ Völkchen, das erst tausend Jahre nach dem großen Alexander auf die Balkanhalbinsel vorgedrungen ist, löste in Griechenland eine Empörung aus, die von „patriotischen“ Politikern aller Parteien (außer der kommunistischen KKE) zu einer regelrechten Hysterie hochgepeitscht wurde. „Es gibt nur ein Mazedonien und das ist griechisch“, lautete der donnernde Slogan bei der „panmazedonischen“ Großkundgebung vom 14. Februar 1992 in Thessaloniki. An diesem Tag steigerten sich eine Million Demonstranten aus ganz Nordgriechenland in eine Stimmung, die es der Regierung Mitsotakis unmöglich machte, einen Kompromiss mit dem frisch gebackenen Nachbarstaat einzugehen.
Der erste verpasste Kompromiss
Ein solcher Kompromiss wäre damals möglich gewesen, und zwar auf Basis eines Namensvorschlags, den der EU-Vermittler Pineiro formulierte. Aber im April 1992 lehnte der damalige ND-Regierungschef Mitsotakis den Namen „Nova Makedonska“ auch deshalb ab, weil er sich von Staatspräsident Konstantinos Karamanlis im Stich gelassen fühlte. Wie Mitsotakis viel später erzählte, wäre der alte Karamanlis der einzige Politiker gewesen, der – da selbst Mazedonier – seiner Nation realpolitische Vernunft hätte beibringen können. Aber auch Karamanlis traute sich nicht, der Volksstimmung entgegenzutreten, die von einer überparteilichen Koalition der Superpatrioten angeheizt wurde. Immerhin entließ Mitsotakis damals seinen Außenminister Samaras, der in der Mazedonien-Frage eine eigene, noch viel härtere Außenpolitik betreiben wollte.
Nach dem Scheitern der EU-Vermittlung ging die Initiative auf die UNO über. Der Sicherheitsrat erkannte den neuen Staat im April 1993 unter dem ungeschlachten Namen „Former Yugoslav Republic of Madedonia“ (FYROM) an, den Griechenland anfangs ebenfalls ablehnte. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt im Februar 1994, als die neue Pasok-Regierung unter dem „Internationalisten“ Andreas Papandreou ein Wirtschaftsembargo gegen den Nachbarstaat verhängte.
Diese chauvinistische Kampagne fand erst ein Ende, als im September 1995 nach einer Vermittlungsmission des US-Diplomaten Richard Holbrooke ein Interimsabkommen zwischen Griechenland und der Republik Mazedonien zustande kam. Dieses brachte eine wechselseitige Garantie der Grenzen, die Entfernung des Sterns von Vergina von der mazedonischen Flagge und die Aufnahme weitere Verhandlungen in der Namensfrage.4 Bis zur Lösung dieser Frage war Athen so gnädig, den Nachbarstaat unter der Bezeichnung FYROM anzuerkennen. Im Januar 1995 wurden in Athen und Skopje diplomatische „Verbindungsbüros“ beider Länder eröffnet.
Zwischenlösung für 23 Jahre
Der Namensstreit war also auf Eis gelegt. Für den innerstaatlichen Gebrauch hielt das UN-Mitglied FYROM allerdings an seinen verfassungsmäßigen Namen „Republika Makedonija“ fest. Unter diesem Namen wurde die Republik bis heute von fast 140 Staaten anerkannt, darunter vier ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (USA, Russland, China, Großbritannien) und die Mehrheit der EU-Staaten.
Die schleichende Akzeptanz des Staatsnamens Mazedonien ist einer der Gründe, warum die griechische Seite daran interessiert ist, das Problem endgültig beizulegen – durch einen neuen, zusammengesetzten Namen, der an die Stelle von FYROM und „Republik Mazedonien“ treten soll. Das war auch 2008 in Bukarest die Position der konservativen griechischen Regierung Karamanlis, vertreten durch Außenministerin Dora Bakoyanni. Für Athen war das Wort Mazedonien nun nicht mehr tabu, aber nur unter zwei Bedingungen: Das M-Wort sollte durch ein Bindestrich-Attribut präzisiert und geographisch eingeschränkt werden, sodass er in griechischen Ohren nicht wie eine „irredentistische Bedrohung“ klingt. Zweitens sollte der neue Name „erga omnes“ gelten („gegenüber allen“), auch gegenüber den eigenen Bürgern. Das aber erfordert eine Änderung der Verfassung Mazedoniens, die einer 2/3-Mehrheit im Parlament bedarf. Die damalige Regierung in Skopje wollte diese Bedingungen nicht erfüllen.
Die heutige Athener Regierung steht nach wie vor auf der Position von 2008, zumindest theoretisch. Doch tatsächlich ist alles viel komplizierter. Was die politische Klasse Griechenlands seit 2008 vorschlägt - ein Staatsname, der aus dem Wort Mazedonien und einem einschränkenden Attribut besteht – wird von einer großen Mehrheit der Bevölkerung bis heute abgelehnt, wie die oben angeführten Umfragen zeigen. Und nicht nur das: Der seit 2008 von vier Athener Regierungen akzeptierte Namenskompromiss wird von einer starken und lautstarken Minderheit als „nationaler Ausverkauf gegenüber den Skopianiten“ angeprangert (wobei der Begriff „Skopianiten“ längst in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist).
Die griechische Volksstimmung in der „mazedonischen Frage“ ist so kompliziert, so irreal und selbst für „balkanische“ Verhältnisse so irrwitzig, dass sie ohne von außen kaum begreifbar ist. Das gilt vor allem für die „historische Vorbelastung“, die in diesem Fall bis in die Antike zurückreicht - jedenfalls nach Ansicht einer Mehrheit der Griechen. Ich habe diesen Irrwitz 2008 aus Anlass des Fiaskos von Bukarest beschrieben. Ausnahmsweise möchte ich diesen Text, von dem damals eine gekürzte Fassung im SZ-Feuilleton stand, hier noch einmal dokumentieren. Denn an den geschilderten Bewusstseinszuständen hat sich leider wenig geändert.
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Alexander der Große in den Genen
Wer hat hierzulande schon von dem Staat Skopje gehört? Schaut man in einen Weltatlas oder auf eine Europakarte, wird man kein Territorium dieses Namens finden. Und doch gibt es ein solches Land: in den Köpfen der griechischen Bürger, denen der Name des unauffindbaren Landes rund um die Uhr eingehämmert wird.
Skopje heißt bekanntlich die Hauptstadt der Republik Mazedonien, die bis 1991 eine Teilrepublik des alten Jugoslawien war. Doch ein Staat dieses Namens ist für Griechenland Anathema. Deshalb wird das Nachbarland im Norden nach seiner Hauptstadt benannt. Mit dem Geisterbegriff „Skopje“ wollen die Griechen ein furchtbares Verbrechen abwenden: Die Slawen nördlich ihrer Grenze wollen ihnen einen Teil ihrer Geschichte stehlen, sich historisches Kapital aneignen, das die Griechen seit Jahrtausenden gehortet und gepflegt haben. „Es gibt nur ein Mazedonien und das ist griechisch“, lautet der Slogan der griechischen Nationalisten, die beim Thema Mazedonien eine klare Mehrheit der Bevölkerung ausmachen.
Eigentlich könnte es dem Rest der Welt und den EU-Partner Griechenlands egal sein, wenn sich ein Volk das Leben und die Seele schwer macht, indem es sich der Realität verweigert. Die ehemals jugoslawische Republik wird heute von weit über hundert Staaten (darunter der USA und Russland) unter ihrem verfassungsmäßigen Namen „Republik Mazedonien“ anerkannt. Das stört die Griechen. Sie wollen durchsetzen, dass der Rest der Welt die Welt wie die Griechen sieht und der Republik Mazedonien einen anderen Namen verpasst.
Bei der Nato-Konferenz in Bukarest droht Athen mit einem Veto gegen die Aufnahme des Nachbarstaats in die Allianz, falls Skopje nicht einen „einvernehmlichen“ Namen akzeptiert. Dabei riskiert die heutige Regierung sogar einen begrenzten Konflikt mit der Volksmeinung, weil sie Skopje einen Namen wie „Republik Nord-Mazedonien“ zugestehen würde.
Die politische Klasse Griechenlands steht also unter dem Druck einer noch radikaleren öffentlichen Meinung, die sie in den letzten 15 Jahren allerdings selbst gepflegt und reproduziert hat. Heute läuft über alle Fernsehkanäle eine Stimmungsmache, die für nicht-griechische Betrachter zum Teil wie unfreiwilliges Kabarett anmutet. Da erklärt ein linker Parlamentarier, der jugoslawische Teilstaat Mazedonien sei nur eine Erfindung „des Kroaten Tito“ gewesen, um Serbien durch Abspaltung seines südlichen Teils zu schwächen. Und ein Volkvertreter der rechtsradikalen Partei Laos antwortet auf die Frage, ob das kleine Skopje dem großen Griechenland gefährlich werden könne, mit dem Hinweis, auch Israel sei ein kleiner Staat, und dominiere gleichwohl den gesamten Nahen Osten.
Was sagt es über die Befindlichkeit der griechischen Seele, wenn Politiker sich so äußern können? Die Antwort ist komplex und in den Tiefen der neugriechischen Geschichte zu suchen. Aber die Hauptkomponenten dieser Mentalität lassen sich klar benennen.
Da ist erstens der naive, weil von historischen Kenntnissen völlig unabhängige Stolz auf eine Vergangenheit, die nicht nur lange zurückliegt, sondern auch so unerreichbare Maßstäbe setzt, dass sich die heutigen Griechen als jämmerliche Versager fühlen müssen. Weshalb sie umso grimmiger entschlossen sind, das glorreiche Erbe mit niemandem zu teilen. Deshalb erscheint die Bürde der Antike in einem immer wiederkehrenden Paradox: Auch hoch gebildete Neugriechen lassen Nichtgriechen gerne wissen, dass ihre Vorfahren der Welt „die Kultur“, „die Demokratie“, „die Philosophie“ und viele schöne Dinge mehr geschenkt haben, um im nächsten Satz auf ihren Besitzanspruch an diesem einmaligen Erbe zu pochen. Mit dem „Geschenk“ ist es also nicht so weit her: Es bleibt für immer griechisches „Eigentum“. Zum Beispiel in Gestalt eines Copyright über den Namen Mazedonien.
Eine zweite tragende Säule des naiven neugriechischen Bewusstseins ist eine blutsmäßige Vorstellung von historischer Kontinuität. Aus dem Idealbild „Nachfahren der alten Griechen“ werden alle historischen Entwicklungen ausgeblendet, die das ethnische Erbgut der modernen Griechen beeinflusst haben. Die slawische wie die albanische Einwanderung in die südliche Balkanhalbinsel wird von einem guten griechischen Patrioten bis heute als Erfindung „antigriechischer“ Ausländer abgestritten. Erst recht wird die jüngere Geschichte verdrängt, die in den meisten Köpfen nur in der destillierten Gestalt eines heroischen Geschichtsbilds präsent ist. Und wenn zaghafte Versuche gemacht werden, dieses Narrativ etwa in Schulbüchern mit realistischen Korrekturen zu versehen, schaffen es die Patrioten aller Parteien immer wieder, solche Bemühungen als Nestbeschmutzung zu denunzieren und zunichte zu machen.
Zentraler Bestandteil einer derart gesäuberten Geschichte ist die Fiktion einer ungebrochenen historischen Kontinuität zwischen dem „antiken“ und dem heutigen Mazedonien. Nur diese Fiktion gestattet es, den Nachfahren slawischer Einwanderer aus dem 10. Jahrhundert u.Z. die Selbstbezeichnung „Mazedonier“ abzusprechen. Und nur sie ermöglicht es, die historische Wahrheit über die ethnische Herkunft der griechischen Mazedonier von heute zu verdrängen. Denn das ehemals osmanische Gebiet wurde erst vor knapp hundert Jahren, nach dem Ersten Balkankrieg von 1912, in den neugriechischen Staat inkorporiert; deshalb stellt das nordgriechische Mazedonien die ethnisch heterogenste Region des neugriechischen Staates dar.
Die heutigen Hellenen dieser Region sind – wie könnte es anders sein – natürlich nicht die linearen Blutsverwandten Alexanders des Großen. Sie sind eine faszinierende Mischung von Nachkommen unterschiedlichster ethnischer Gruppen. Zu ihnen gehören die ehemaligen Slawen, die Ende des 19. Jahrhunderts von orthodoxen Popen und griechischen Lehrern hellenisiert wurden. Oder die kretischer Gendarmen, die nach 1912 mit starker Hand die griechische Staatsraison in slawischen, wallachischen oder türkischen Dörfern durchsetzten. Oder die Zuwanderer aus dem Süden des griechischen Königreichs, die in den neu gewonnenen Gebieten ihr Glück versuchen wollten. Und natürlich die Hunderttausende von griechischen Flüchtlingen und Umsiedlern aus Bulgarien, dem westlichen Kleinasien und der Schwarzmeerküste, die im Zuge des doppelten Bevölkerungsaustauschs (von 1918 und 1923) in Nordgriechenland heimisch wurden.
Diese liebenswerte Heterogenität ist der Lebensgeschichte fast jeder Familie im griechischen Teil Mazedoniens aufzuspüren. Aber die Menschen haben gelernt, sie als einen Makel zu empfinden, der nur durch den Anspruch zu tilgen ist, dass man Alexander den Großen in den Genen hat. Und diesen Anspruch gilt es sogar gegen die südgriechischen Landsleute zu verteidigen, die noch heute in den Fußballstadien von Athen die Teams aus Thessaloniki mit dem Schmähwort „Bulgaren“ willkommen heißen. Diese Schmach macht einen patriotischen Mazedonier vollends entschlossen, seinen guten Namen gegen die „Skopianiten“ zu verteidigen, die er seinerseits für „Bulgaren“ hält.
Ein dritter Faktor, der die griechische Mazedonien-Hysterie erklärt, ist der Konformismus der intellektuellen Klasse. Griechenland dürfte das einzige Land innerhalb der alten EU der Fünfzehn sein, in dem sich die meisten Journalisten nicht wie Intellektuelle, und die Mehrzahl der akademischen Historiker nicht wie Wissenschaftler artikulieren, sondern wie Volksschullehrer in den balkanischen Volkstumskämpfen des 19. Jahrhunderts.
Dazu ein Beispiel aus der ersten Mazedonienkrise im Jahr 1992, als in Thessaloniki eine Million Menschen auf die Straßen gingen, um „Es gibt nur ein Mazedonien “ zu brüllen. Der Beitrag der historischen Zunft bestand damals in einer „akademischen“ Debatte über die Frage, welchen Namen man den Skopianiten zu diktieren hätte. Die Mehrheit einigte sich auf die griechische Bezeichnung eines Volkes, das in der Antike um das heutige Skopje siedelte, den alten Mazedoniern tributpflichtig war und den damaligen Griechen natürlich als „barbarisch“ galt.
Zugegeben: So etwas wäre heute selbst in Thessaloniki nicht mehr möglich. Aber auch heute noch sind die Journalisten und Historiker, die dem patriotischen Konformismus entgegen zu treten wagen, eine winzige Minderheit. Das liegt an einem öffentlichen Konsens, der noch dem verrücktesten Chauvinisten zubilligt, als Patriot zu fühlen und zu handeln. Eine unpatriotische Meinungsäußerung ist in einer solchen Atmosphäre durchaus riskant und deshalb ziemlich selten. Auch deshalb gibt es keinen prominenten Intellektuellen – und erst recht keinen Politiker – der dem eigenen Volk einige Wahrheiten einschenken würde, die außerhalb Griechenlands als Selbstverständlichkeiten gelten:
Erstens: Mazedonien ist ein geographisches Gebiet, das heute auf Griechenland, Bulgarien und die Republik Mazedonien aufgeteilt ist.
Zweitens: Wer immer in dieser Region sich Mazedonier nennen will, hat dazu jedes Recht. Und kein anderer Bewohner derselben geographischen Region kann ihm dieses Recht bestreiten oder abpressen.
Drittens: Während sich die Bewohner des bulgarischen und griechischen Mazedonien in erster Linie als Bulgaren und Griechen fühlen (und allenfalls komplementär als „Mazedonier“) haben die „mazedonischen Mazedonier“ eine solche überwölbende Identität verloren. Seit es den Bundesstaat Jugoslawien nicht mehr gibt, sind sie nur noch Mazedonier. Wer ihnen diese Identität rauben will, nimmt ihnen mehr als nur den „Stolz auf die Geschichte“, um den sich die griechischen Mazedonier beraubt fühlen mögen. Er nimmt ihnen ihre persönliche Identität.
Viertens: Die griechische Haltung gefährdet damit den Prozess gesellschaftlicher Integration in der jungen Republik Mazedonien. Und dies in einer Zeit, da es im Gefolge der Kosovo-Krise schwieriger geworden ist, die slawophonen und die albanischen Mazedonier dauerhaft zu versöhnen.
Nachdenkliche Griechen geben heute zu, dass man – zumal angesichts der volatilen Zustände in der Balkanregion - im Interesse Griechenlands den „Pufferstaat“ Mazedonien erfinden müsste, wenn es ihn nicht schön gäbe. Das wissen natürlich auch die besten Köpfe im Athener Außenministerium. Aber sie sind Gefangene der eigenen Geschichte – und eines Geschichtsbilds, das sich die politische Klasse, mit der nicht immer erbetenen Hilfe der orthodoxen Kirche, selbst herangezüchtet hat.
Ein ehemaliger griechischer Außenminister hat Mitte der 1990er-Jahren gegenüber ausländischen Journalisten ein Geständnis gemacht: Er wünsche sich das Mehrheitsprinzip für die EU-Außenpolitik schon deshalb, weil Griechenland dann in der Mazedonienfrage überstimmt werden könne. Anders sei seinem Land keine Vernunft beizubringen.
Das war ein bemerkenswerter Gedanke für den Politiker eines Landes, in dem das Lamento über ausländische Verschwörungen häufig dazu dient, sich vor der Analyse der eigenen Fehler zu drücken. Aber natürlich war der Minister zum Zeitpunkt seines diskreten Bekenntnisses nicht mehr im Amt.
Zum Schluss ein Wort zu den mazedonischen Nachbarn. Natürlich gibt es auch in der „Republik Mazedonien“ irrationale Chauvinisten und groteske historische Anmaßungen. Wenn der Flugplatz von Skopje nach Alexander dem Großen genannt wird, ist das lächerlich und zeugt nur von historischen Komplexen der Slawomazedonier. Aber es ist jedem Volk und jeder Regierung unbenommen, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Etwas anderes aber ist der Versuch, unter Berufung auf den eigenen Nationalstolz einem anderen Volk das Recht auf seine Identität abzusprechen. Ein solcher Versuch sollte unterbunden werden, zumal wenn er mit einer Erpressung verbunden ist.
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Zwei Nachbemerkungen
An diesem Text von 2008 würde ich heute nur zwei Korrekturen anbringen. Die eine betrifft Griechenland, wo die intellektuelle Debatte mittlerweile offener, kritischer und pluralistischer ist. Auch in den Medien wird dem Publikum nicht mehr der dumpfe Einheitsbrei mit chauvinistischer Sauce serviert, wiewohl die meisten Journalisten – selbst in privaten Gesprächen - immer noch von „Skopianiten“ sprechen und den Nachbarstaat als FYROM bezeichnen.
Die zweite Korrektur betrifft die Entwicklung in der Republik Mazedonien. Die Manie der slawomazedonischen Nationalisten - die bis vor kurzem in Skopje die Regierung gestellt haben -, sich durch rhetorische und optische Aneignung der Antike zu Nachfahren des großen Welteneroberers Alexander aufzuplustern, hat groteske Dimensionen angenommen. Das fällt besonders in der Hauptstadt ins Auge, wo ein Disneyland aus Kitschbauten entstanden ist. Aber diese Gips-Antike macht nur deutlich, dass es auf dem Boden der Republik nicht besonders viele Baudenkmäler aus der antiken Antike gibt. Der Propagandaschuss geht also nach hinten los. So empfinden es auch die ausländischen Besucher von Skopje, die den Eindruck bekommen, dass die mazedonischen Nationalisten ihre slawische Identität als Makel empfinden.
Die neue Mazedoniendebatte belastet die Regierung Tsipras
Nachdem der US-Diplomat Paul Nimetz im Auftrag der UNO seit 22 Jahren mit mehr als einem Dutzend Namensvorschlägen gescheitert ist, scheinen im ersten Halbjahr 2018 die Chancen für einen Kompromiss erstmals günstig zu stehen. Seit Mai 2017 regiert in Skopje eine Regierung unter dem Sozialdemokraten Zoran Zaev, der den Ultra-Nationalisten Gruevski abgelöst hat. Erklärtes Ziel der neuen Regierung ist die Aufnahme Mazedoniens in die EU (langfristig) und in die Nato (möglichst sofort). Beides setzt eine Lösung der Namensfrage voraus. Damit hat sich der Druck auf die Athener Regierung verstärkt, endlich einen Kompromiss einzugehen.
Für den Sozialdemokraten Zaev wären Alexis Tsipras und die Syriza eigentlich die idealen Bundesgenossen. Aber der griechische Regierungschef hat einen rechtspopulistischen Koalitionspartner: die „Unabhängigen Hellenen“ (Anel), deren Anführer der Verteidigungsminister ist. Dieser Panos Kammenos will partout keinen Namen akzeptieren, der „das griechische Wort Mazedonien“ enthält. Noch Anfang Januar lautete die große Frage in Athen, ob die Neuauflage des „Makedoniko“ die Koalition belasten würde. Bei der rechten Opposition keimte die Hoffnung, dass die Koalition von Syriza und Anel sogar an der Mazedonienfrage zerbrechen könnte.
Diese Frage ist seit dem 21. Januar völlig in den Hintergrund getreten. An jenem Sonntag demonstrierten in Thessaloniki etwa 100 000 Menschen unter aggressiven Parolen gegen jeglichen Kompromiss in der Namensfrage. Die nationalistische „Volksstimmung“ artikulierte sich nicht zufällig zu Füßen des Reiterdenkmals, das Alexander den Großen auf seinem Lieblingsschlachtross Bukephalos zeigt (dessen Namen jedes griechische Schulkind lernt). Die Größe und die Atmosphäre dieser Kundgebung hat das politische Establishment in Athen zutiefst erschreckt. Seitdem dreht sich die politische Debatte um die Frage, was die unerwartete Stärke dieses extrem „irrationalen“ emotionalen Faktors für das Parteiensystem und die politische Kultur bedeutet. Nicht wenige Beobachter halten es für möglich, dass rechts von der konservativ-patriotischen Nea Dimokratia eine „neue Rechte“ entsteht, die das Wählerfundament der ND viel erfolgreicher unterwühlen könnte als es die Neonazis von der Chrysi Avgi bislang vermochten.
Sorgen um die politische Stabilität
Diese Besorgnis wird in einem Leitartikel der Syriza-kritischen Athener Zeitung Kathimerini vom 24. Januar artikuliert: Die Mazedonienfrage könnte zum politischen „Rammbock“ werden, der entweder die Spaltung der konservative Oppositionspartei herbeiführt oder aber die Entstehung einer neuen Partei rechts von der ND. Beide Entwicklungen wären laut Kathimerini „fatal für die politische Stabilitität des Landes“.
In derselben Zeitung konstatierte Chefkommentator Papachelas (der aus seiner Sympathie für die ND und deren Vorsitzenden Mitsotakis keinen Hehl macht) zutiefst erschrocken: „Nichts ist mehr gewiss, und nichts kann noch als voraussehbar gelten.“ Die Kundgebung von Thessaloniki habe eine untergründige „Volkswut“ zu Tage gefördert, die sich in den Jahren des ökonomischen Abstiegs angestaut hat: „Die Griechen sind wütend, weil sie die Erfahrung gemacht haben, wie ihr Stolz immer wieder verletzt wurde. Vielleicht ist die Namensfrage der Tropfen, der das Glas zum Überlaufen gebracht hat. Ein Großteil unserer Bürger hält es für verrückt, dass Griechenland nachgeben soll, und auch noch gegenüber einem kleinen schwachen Land.“
Die These, dass die Volkswut sich gegen den schwachen Nachbarn richtet, weil sie gegen die „starken Feinde“ (IWF, Brüssel, Berlin, das Ausland schlechthin) nichts ausrichten konnte, ist nicht zu beweisen, klingt aber plausibel. Sie wird auch von Maria Damanaki geteilt, die 1992 an der Spitze der Linkspartei Synaspismos stand (aus der 2004 die Syriza hervorgegangen ist). Damanaki sieht in den jüngsten Massenkundgebungen von Thessaloniki und Athen ein Ventil für „die offensichtliche Wut von Menschen, die es schwer haben“, und die sich durch die griechische Krise, die Globalisierung und die Moderne überhaupt betrogen und überfordert fühlen. Umso schändlicher findet die ehemalige Synaspismos-Vorsitzende eine Politik, die dieses Gefühl ausbeutet.
Das Versagen der Intellektuellen
Das meint Damanaki durchaus selbstkritisch. Im Rückblick bedauert sie, dass sie sich 1992 dem „nationalen Konsens“ unterworfen und den möglichen Namenskompromiss abgelehnt hat: „Die Mehrheit meiner Partei beugte sich dem Druck der Kundgebungen, die Griechenland mit der Parole ‚Mein Name ist meine Seele‘, garniert mit religiösen und anderen Symbolen, in Wallung brachten.“ Diese Kritik muss man an die gesamte politische Klasse weitergeben. Sie hat in den letzten 26 Jahren fast nichts getan, um die aus irrationalen Ängsten, systematisch gehegten Vorurteilen und einem anerzogenen nationalistischen Geschichtsbild gespeiste „Volksmeinung“ durch rationale und realpolitische Argumente „aufzuklären“. Das Gegenteil geschah: Der mazedonische Patriotismus wurde von fast allen politischen Parteien ausgebeutet, sodass sich die Mazedonienfanatiker nicht in Frage gestellt, sondern ermutigt sahen.
Als moralisches und intellektuelles Korrektiv versagten auch die griechischen Wissenschaftler, speziell die Universitäten. Das lässt sich an einem Fall illustrieren, der in die Geschichte der „akademischen Zensur“ eingegangen ist. Anfang der 1990er-Jahre erforschte die Ethnologin Anastasia Karakasidou den Prozess der “Hellenisierung” der slawophonen Bevölkerung dreier Dörfer bei Thessaloniki in der Periode nach 1912. Die Erkenntnisse der Ethnologin passten nicht zu dem staatstragenden Slogan „Mazedonien war und ist griechisch und allein griechisch.“
Das war der Grund, warum der Verlag Cambridge University Press ihre Dissertation 1996 aus seiner Publikationsliste strich, mit der Begründung, man habe „Angst um die Sicherheit seines Personals in Griechenland“. Gegen die Entscheidung gab es einen Sturm der Entrüstung in der akademischen „global community“ – aber keine einzige Stimme von griechischen Universitäten oder Wissenschaftlern, die Karakasidou verteidigt hätte. Und zwar auch nicht gegen die Kampagne in den griechischen Medien.5
Beunruhigende Zahlen
Die nationalistischen Kundgebungen des Jahres 2018 sind also das Resultat langjähriger kollektiver Versäumnisse von Politikern, Journalisten und Historikern. Welche Wirkung werden die neuen Manifestationen innenpolitisch haben: auf die Willensbildung in der Regierung, in den Parteien, im griechischen Parlament? Können sie erneut bewirken, dass die nächste „einmalige Chance“ verpasst wird, wie es Damanaki für das Jahr 1992 beschrieben hat?
Betrachten wir zunächst die Organisatoren der Kundgebungen, die offenen und heimlichen Sponsoren, die Hauptredner und ihre, die gemalten oder gebrüllten Parolen. Aber auch die Teilnehmerzahlen, die in beiden Fällen umstritten sind.
In Thessaloniki wie in Athen meldeten die Veranstalter zwischen 800 000 und 1,5 Millionen Teilnehmer, die Polizei dagegen ging nur von 90 000 (Thessaloniki) und von 140 000 (Athen) aus. Die Wahrheit dürfte dazwischen liegen, aber keinesfalls in der Mitte. Zuverlässige ortskundige Zeugen schätzen die Zahl im ersten Fall auf etwas mehr als 100 000, im zweiten Fall auf 200 000 Teilnehmer. Das bedeutet für Thessaloniki, dass die Beteiligung sehr viel geringer war als 1992, denn damals waren tatsächlich eine Million Menschen aus ganz Nordgriechenland auf den Beinen.
Dennoch sind die Zahlen von 2018 beunruhigend. Denn dieses Mal hat der Staatsapparat nicht zur Mobilisierung der Massen beigetragen wie vor 26 Jahren. Dagegen hatten am 14. Februar 1992, einem Freitag, die Athener Regierung und die lokalen Behörden dafür gesorgt, dass alle ihrer patriotischen Pflicht nachkamen: Die öffentlichen Bediensteten hatten frei bekommen; die Lehrer und Schüler von Thessaloniki waren geschlossen zum Aristoteles-Platz marschiert; die Rektoren der drei Universitäten und die Bürgermeister von ganz Griechisch-Mazedonien hatten mobilisiert; aus dem ganzen Land wurden Zehntausende per Bahn, Bus und Flugzeug (gratis) in die Hauptstadt von Griechisch-Mazedonien transportiert. Sämtliche politische Parteien (außer der KKE) hatten zur Teilnahme aufgerufen, dazu unzählige Vereine nicht nur des traditionell starken rechten Lagers. Und natürlich hatte die orthodoxe Kirche – voran der örtliche Bischof Panteleimon – die Gläubigen in den Gottesdiensten an ihre „heilige Pflicht“ gemahnt. 1992 handelte es sich in der Tat um eine fast totale „Volksfront“, die eine Million Menschen im Zorn vereinte.
Auch 26 Jahre später hat die orthodoxe Geistlichkeit eine führende Rolle gespielt. Aber die Regierung Tsipras nannte die Kundgebungen „nicht zweckdienlich“ und der Bürgermeister von Thessaloniki, Yiannis Boutaris, distanzierte sich ausdrücklich von „dieser Art Initiative“. Zudem war die Unterstützung durch die Parteien nicht so geschlossen wie 1992. Voll dabei waren die Neonazis der Chrysi Avgi. Von den übrigen Parteiführern war nur der Vorsitzende der kleinen Union der Zentristen erschienen, dazu viele „patriotische“ Parlamentsabgeordnete: die halbe Fraktion der Anel von Verteidigungsminister Kammenos, und etliche nordgriechische Abgeordnete der Nea Dimokratia, denen ihr Parteichef Mitsotakis die Teilnahme freigestellt hatte. Offiziell unterstützt wurde die Kundgebung von den ND-Unterorganisationen in Thessaloniki und Zentral-Mazedonien, und durch den populistischen ND- Präfekten Tzitzikostas, der ein innerparteilicher Rivale von Mitsotakis ist.
In Anbetracht der absoluten Distanz der Regierung und der relativen der Parteien (im Vergleich mit 1992) war die Teilnehmerzahl in Thessaloniki wie in Athen überraschend hoch, wenn auch nicht so sensationell wie die Angaben der Veranstalter. Allerdings ist deren Behauptung, dass es sich auch heute um eine „Volksbewegung“ handelt, nicht von der Hand zu weisen. Umso wichtiger ist es, nach den politischen und ideologischen Inhalten zu fragen, die sich in der Mazedonien-Frage durch die „vox populi“ artikulieren.
Patriotische Besorgnis und offener Rassismus
Besonders aufschlussreich sind die „spontanen“ Plakate und Slogans. Die dominierenden Parolen waren „Mazedonien ist Griechenland, Mazedonien bedeutet Griechenland“ und „Hände weg von Mazedonien“, und „Kein zweiter Verrat“. Diese patriotische Besorgnis war begleitet von üblen Beleidigungen des Nachbarvolkes: ein Plakat auf Englisch mit der Gleichung: „Skopje = Monkey-donia“; ein selbstgemaltes Schild mit einem Namensvorschlag, nämlich „Kato-Slavia“, was „Unter-Slawien“ heißt. Andere antislawische Slogans hatten historische Bezüge: „Die Komitadschis vor den Toren!“ greift auf das Vokabular der Volkstumskämpfe am Ende des 19. Jahrhunderts zurück; „Rettet uns vor den EAM-Slawen“ bezieht sich auf die Zeit des Widerstands gegen die Nazi-Okkupation und des griechischen Bürgerkriegs (1946-1949), in der viele slawophonen Nordgriechen auf Seiten der Kommunisten kämpften. Solche Sprüche suggerieren eine „Gefahr aus dem Norden“, die im Jahr 2018 nur noch surreal klingt.
Solche anachronistischen Beschwörungen entstammen einer Grauzone, in der alltäglicher Chauvinismus und Rassismus ineinander übergehen, wie bei dem Spruch „Die Geschichte wird mit Blut geschrieben, nicht mit Lügen weggegeben“: Die erste Zeile ist eine Behauptung, die Generationen von griechischen Schulkindern verinnerlicht haben, die zweite richtet sich gegen die heutigen „Verzichtpolitiker“, die den Namen Mazedonien verschachern wollen.
In Thessaloniki zielt dieser Vorwurf speziell auf Bürgermeister Yiannis Boutaris, der zu Weihnachten den „skopianitischen“ Regierungschef Zoran Zaev zu einem privaten Besuch in seine Stadt eingeladen hatte. Zudem bemüht sich Boutaris seit seinem Amtsantritt, die Erinnerung an das Schicksal der Juden von Thessaloniki wach zu halten. Bei der Kundgebung vom 20. Januar wurde er dafür auf Plakaten als „xeftila“ (etwa: käuflicher Lump) beschimpft und aufgefordert: „Nimm dein Judenpack und hau ab!“ In solchen Sprüchen kommt ein eingefleischer Antisemitismus zum Vorschein, der in der nordgriechischen Metropole weiter verbreitet ist als anderswo.6 Antisemitische Anspielungen enthielten auch Parolen gegen UN-Vermittler Nimitz, der als verlängerter Arm des (Juden) George Soros dargestellt wurde.
Die Neonazis mitten drin
Plakative „Meinungsäußerungen“ dieser Art sind nicht repräsentativ für die Gefühle und Überzeugungen der Hunderttausende, die in Thessaloniki und Athen gegen einen Namenskompromiss auf die Straße gingen. Aber in beiden Fällen haben die Demonstranten geduldet, dass sich solche Stimmen artikulieren können. Wenn es ums Vaterland geht, tolerieren viele Griechen auch radikale bis extremistische Äußerungen. Damit machen sie Rassisten und Faschisten respektabel, die auch dann, wenn sie über die Stränge schlage, noch zum „guten Volk“ gezählt werden. Der Vorsitzende des Verbands der griechischen Kommunen gab auf die Frage, ob ihn die Präsenz der Neonazis bei den Kundgebungen nicht störe, eine bezeichnende Antwort: „Mich interessiert nur, dass viele Leute kommen. Und wenn es eine Million sind, kann man ja kaum sagen, dass es eine Million griechischer Extremisten gibt. In diesem Sinne denken wir national, denken wir patriotisch.“(Avgi vom 3. Februar 2018).
Solche patriotische Nachsicht kommt auch den Neonazis zugute. Bei beiden Kundgebungen waren die Chrysi-Avgi-Leute massiv vertreten; nirgends wurden sie ausgegrenzt oder als unerwünschte Trittbrettfahrer abgewiesen. In Thessaloniki konnten die mit Knüppeln ausgestatteten Schwarzhemden als geschlossener Block aufmarschieren, angeführt von fünf Parlamentsabgeordneten. In der Nacht davor war das Denkmal für die ermordeten Juden der Stadt mit Chrysi-Avgi-Parolen beschmiert worden.(EfSyn vom 22. Januar 2018)
Die rechtsextremistischen „Mazedonienkämpfer“ erfinden nicht nur radikalere Parolen gegen die „Verräter“, sie setzen auch ihre eigenen außenpolitischen Akzente. In Thessaloniki waren Sprechchöre zu hören, die eine gemeinsame Grenze zwischen Griechenland und Serbien fordern – sprich die Aufteilung des „skopianitischen Staatsgebildes“ zwischen Serbien und Griechenland. Es handelt sich um eine alte Forderung der Chrysi-Avgiten, die in den 1990er-Jahre fest auf der Seite des „orthodoxen Brudervolks“ gegen die katholischen Kroaten und die muslimischen Bosniaken standen.
Teilungsangebot aus Belgrad
Ihr Held war damals der serbische Führer Milosevic, und die Idee einer Aufteilung Mazedoniens war kein reines Hirngespinst. Milosevic wollte sie Ende 1991 dem Athener Regierungsche Mitsotakis nahebringen, wie dieser vor einigen Jahren enthüllt hat. (Kathimerini vom 30. November 2014.) Mitsotakis will dem serbischen Regierungschef damals geantwortet haben: „Vergiss nicht, dass wir hier Europa sind, so was mache ich nicht.“ Außerdem habe er Milosevic mit Hinweis auf den griechischen Bürgerkrieg erklärt: „Damals sind wir die Slawomazedonier losgeworden, als die von selbst abgehauen sind, und jetzt sollen wir sie wieder nach Griechenland zurückbringen, bist du verrückt?“7
Expansionistischen Phantasien können heute nur noch in den allerwirrsten Köpfen herumgeistern. Wenn sie bei Kundgebungen auftauchen, die sich gegen angebliche Ansprüche des Nachbarlandes auf griechisches Territorium richten, werden sie so absurd, dass es den übrigen Patrioten eigentlich auffallen müsste.
Kundgebung in Athen: Volkstribun Theodorakis
Die Unterstellung, die Skopianiten würden mit dem Namen Mazedonien ihre „irredentistischen Neigungen“ verraten, ist der gemeinsame Nenner aller Empörung über den Diebstahl der slawischen Nachbarn. Diese Empörung hat auch der prominenteste Redner bei der Athener Kundgebung angefacht. Mikis Theodorakis, der angeblich kosmopolitische Komponist, rief am 4. Februar auf dem Syntagma-Platz in die Menge: „Es gibt nur ein Mazedonien, und das war und ist griechisch und wird es immer sein. Ein Abweichen von unserer nationalen Linie wird Folgen für unser Land haben: Das ist, als wenn wir unsere Grenzen sperrangelweit für diejenigen öffnen, die uns mit ihrer Verfassung bedrohen.“
Wo in der Verfassung der Republik Mazedonien eine Bedrohung Griechenlands stecken soll, erklärte der Volkstribun Theodorakis nicht (der Frage werde ich später nachgehen). Dabei steckt bereits in der Behauptung, Mazedonien sei „einzig und allein“ griechisch, ein Widerspruch. Denn dieselben Leute, die dem slawischen Nachbarn territoriale Expansionsgelüste unterstellen, wehren sich mit Sprüchen, die den anderen Mazedonier ausgesprochen expansionistisch vorkommen. Die Zeitung EfSyn hat in einem Leitartikel an die Organisatoren der Kundgebung folgende Fragen gerichtet: „Sollen wir die historische Wahrheit verfälschen und bestreiten, dass die geografische Gegend Mazedonien sich auch auf das Nachbarland erstreckt? Wollen wir, dass der unhistorische Spruch ‚Mazedonien ist griechisch‘ unseren Nationalismus in einen extremen Chauvinismus verwandelt, weil wir damit das gesamte mazedonische Territorium außerhalb Griechenlands beanspruchen?“
Klarer ausgedrückt: All die Patrioten, die auf einem griechischen Monopol für die Begriffe „Mazedonien“ und „mazedonisch“ bestehen, begeben sich auf eine begriffliche Rutschbahn, die im Wählerbecken der Rechtsradikalen endet. 8 Deshalb muss man die Frage nach der Verantwortung von Volkstribunen wie Mikis Theodorakis radikaler formulieren. Der „lebende nationale Mythos“ der Griechen (Kathimerini vom 4. Februar) wird auch und gerade im Ausland als besonders standhafter „Linker“ wahrgenommen. Wie kann ein Mensch, der Zeit seines Lebens - trotz vieler Widersprüche und Schwankungen - den Internationalisten gegeben hat, mit 92 Jahren sein „symbolisches Kapital“ für die Sache der nationalistischen Rechten verschleudern? Was bringt Theodorakis dazu, seine womöglich letzte öffentliche Rede ausgerechnet vor einer Menschenmenge zu halten die von konservativen Kirchenleuten, von Neonazis und Rechtsradikalen aller Couleur dominiert wird? Von Popen und Mönchen, die Tsipras verfluchen und die Demonstranten segnen. Von pensionierten Militärs in Uniform, die alle Politiker für Verräter erklären; von einem „patriotischen Verein griechischer Bürger“ aus Oraiokastro, der landesweit bekannt wurde, als er 2016 in einem Vorort von Thessaloniki die Wutbürger gegen Flüchtlingskinder mobilisierten, für die an der örtlichen Grundschule „Willkommensklassen“ eingerichtet werden sollten.9
Applaus vom Führer der Neonazis
Solche Demonstranten stören den „lebenden Mythos“ nicht, solange sie gegen die Regierung wüten, weil diese zu einem Kompromiss mit Skopje bereit ist. Für Theodorakis verkörpert Tsipras den „linken Faschismus“, der die schlimmste Form des Faschismus sei. Dafür erhielt er demonstrativen Applaus vom Neonazi-Führer Michaloliakos, der mit seiner Leibgarde aufmarschiert war. Und die jubelnde Zustimmung der patriotischen Menge: „Mikis, du machst Geschichte.“10
Nach der Kundgebung twitterte Ilias Kasidiaris, offizieller Sprecher der Chrysi Avgi, Hitler-Verehrer und Holocaust-Leugner, endlich sei der Ex-Kommunist Theodorakis unter den Patrioten und Nationalisten angekommen.(EfSyn vom 5. Februar) Die Mazedonienfrage macht das Unmögliche möglich: den politischen Schulterschluss zwischen Theodorakis und den Original-Faschisten gegen angebliche Linksfaschisten. Unter dem Eindruck solcher Athener Szenen vom 4. Februar schrieb ein Kommentator der Kathimerini, das heutige Griechenland sei offenbar das Land des „real existierenden Surrealismus“.
Wenn man einen griechischen Linken rubbelt…
Von einem zypriotischen Freund stammt der Spruch: „Scratch a Greek Lefty and you will find a Greek nationalist.“ Das ist eine polemische und unfaire Verallgemeinerung. Ich würde es nach meinen Erfahrungen anders ausdrücken: In Griechenland sind verbalradikale linke Positionen häufiger nationalistisch eingefärbt sind als anderswo. Das ist nicht immer gleich zu erkennen, aber wenn nicht-griechische Linke es merken, sind sie meist verstimmt. Theodorakis ist nur das prominenteste Beispiel. Eine jüngere Ikone, die auch in Deutschland viele Bewunderer hat, ist die ehemalige Syriza-Genossin Zoi Konstantopoulou.11
Konstantopoulou hat nach ihem Austritt aus der Syriza ihre eigene Partei namens Plefsi Eleftherias (Kurs der Freiheit) gegründet. In der Mazedonien-Debatte bedient sie sich eines rhetorischen Tricks, der den Anschluss an die Ablehnungsfront ermöglicht, ohne dass sie sich in der Frage des Namens festlegen muss. Ihre Argumentation lautet: Da die Tsipras-Regierung die Souveränität des Landes an die Troika verkauft hat, ist sie nicht legitimiert, über eine Frage zu verhandeln, die erneut „Zugeständnisse auf Kosten unseres Vaterlandes“ kosten würden. „Wer das ganze Land verkauft, kann natürlich Mazedonien auch nicht schützen“, erklärt die „linke“ Konstantopoulou. Und da sie nicht nur Mazedonien bedroht sieht, sondern auch andere Grenzregionen wie Thrazien (durch die Türkei) und den Epirus (durch Albanien), kann sie bedenkenlos die rechte Parole adoptieren: „Keinerlei Verhandlungen und keinerlei Nachgeben beim Gebrauch des Namens Mazedonien.“ (alle Zitate nach EfSyn vom 15. Januar 2018).
Kundgebung Thessaloniki: General Frangos macht Stimmung
In welche Gesellschaft sich linke Patrioten begeben, zeigte sich noch deutlicher an den Protagonisten der Kundgebung in Thessaloniki. Hier wurde auf undurchsichtige Weise ein pensionerter General namens Frangoulis Frangos zum Hauptredner bestimmt.12 Mit Sicherheit war der Ex-General der Wunschkandidat des Bischofs Anthimos von Thessaliniki, mit dem er persönlich befreundet ist. In dem Organisationskomitee waren neben der orthodoxen Kirche und vaterländischen Vereinen aus ganz Griechisch-Mazedonien auch Repräsentanten der (griechischen) Auslands-Mazedonier vertreten, zum Beispiel der „Präsident der Mazedonierr Afrikas“.
Wer ist dieser Frangoulis Frangos, der seit seinem Auftritt vom 21. Januar als potentielle politische Größe gilt? Der Mann stammt aus dem nordgriechischen Thrazien und brachte es in seiner militärischen Karriere bis zum Chef des militärischen Geheimdienstes (2004 bis 2006), ehe er 2009 zum Generalstabschef des Heeres berufen wurde. Diesen einflussreichen Posten verlor er am 1. November 2011, als die Regierung Papandreou überraschend die Generalstabschefs aller Waffengattungen ablöste. Damals kursierten Gerüchte, Papandreou habe einen Militärputsch befürchtet, was wahrscheinlich Unsinn ist.13
Trotz dieses abrupten Karriere-Endes wurde der Ex-General Mitte Mai 2012 zum Verteidigungsminister der Platzhalter-Regierung berufen, die zur Vorbereitung der vorgezogenen Neuwahlen vom Juni 2012 eingesetzt wurde. Dabei sorgte Frangos für einen kleinen Skandal. Im Plenarsaal des Parlaments begrüßte er als einziger Minister den Führer der griechischen Neonazis mit einem kameradschaftlichen Handschlag. Die Chrysi Avgi war dank ihres Wahlerfolgs erstmals in die „Vouli“ eingezogen, wurde aber von allen übrigen Mitgliedern des Parlaments geschnitten.
Entlastungszeuge für Rassisten
Die Beziehung des Ex-Militärs zu den Neonazis ging auf Frangos‘ Rolle bei einem Strafprozess im Dezember 2011 zurück. Damals demonstrierten Chrysi Avgi-Trupps in Piräus vor dem Gericht, in dem sich mehrere Mitglieder der Hafenpolizei wegen rassistischer Umtriebe verantworten mussten. Die Angeklagten hatten als Teilnehmer der Parade zum Nationalfeiertag am 25. März 2010 unsägliche Slogans gebrüllt, wie zum Beispiel: „Man nennt sie Skopianiten, man nennt sie Albanesen - meine Kleider werde ich nähen, aus der Haut von denen.“ (Dimitris Psarras in EfSyn vom 23. Januar 2018).
Während die Neonazis draußen für die uniformierten Rassisten demonstrierten, trat drinnen der Generalstabschef des Heeres als Hauptentlastungszeuge auf. Frangos bestreitet dennoch, dass er ein „Rechtsexremist“ sei. Vorträge zu Themen wie „Die Gefahr der Islamisierung Griechenlands und Europas“, sind für ihn - als „Grieche und orthodoxer Christ“ - nur patriotische Pflicht. Was sein Geschichtsbild anbelangt, so propagiert er die Wiederbelebung der „Großen Idee“, die Griechenland nach dem Ersten Weltkrieg in ein militärisches Abenteuer gestürzt hat, das mit einer katastrophalen Niederlage in Kleinasien endete. In einem 2012 publizierten Buch definiert Frangos Kleinasien nach wie vor als „griechischen Lebensraum“, und behauptet unter anderem, dass in der Westtürkei noch heute Millionen von Kryptochristen und „heimlichen“ Griechen leben. (EfSyn vom 23. Januar 2018).
Das Volk als die Stimme Gottes
Für die Organisatoren von Thessaloniki war der Ex-General mit besten Beziehungen zur Kirche wie zu den Neonazis offenbar die beste Besetzung bei ihrer Kundgebung gegen die Skopianiten. Zur Einstimmung des Publikums versicherte Frangos: „Der Zorn des Volkes ist die Stimme Gottes“, um dann im Namen Gottes einen neuen Staatsnamen vorzuschlagen, nämlich „maimou-Makedonia“, was Monkey Macedonia heißt. Was die Menschen des Nachbarstaats betrifft, so sind sie für ihn „Zigeunerskopianiten“ (jyftoskopianous), denen man auf keinen Fall einen Namen mit dem Wort „Mazedonien“ überlassen darf. Des weiteren forderte er die Ablösung des UN-Vermittlers Nimitz, eine Volksabstimmung über die Namensfrage, bei der die Auslandsgriechen mitstimmen dürfen, und die Anerkennung der „griechischen Minderheit“ im Staat Skopje, die nur in der Phantasie von Frangos existiert.14
Für all das feierten die Massen den Redner mit dem Sprechchor: „Der ist verrückt, der General“ (das Wort „trelós“ ist in der Sprache griechischer Sport-Hooligans die höchste Stufe der Heldenverehrung ). Worauf Frangos erwiederte: „Der General steht hinter euch, und es ist Alexander der Große!“15 Solche bizarren Dialoge sind für nordgriechische Begriffe nichts als „gesunder Patriotismus“. Auch Frangos selbst hält sich keineswegs für einen Rechtsradikalen, ja nicht einmal für einen Nationalisten. Vor dem Denkmal des großen Mazedoniers Alexanders erklärte er: „Wenn du dein Vaterland liebst, wenn du deinen Glauben liebst, wenn du deine Familie liebst, bist du noch kein Nationalist.“
Historisch ist es allerdings so, dass genau diese drei Elemente - Vaterland, Glaube, Familie – seit jeher die Dreifaltigkeit aller griechischen Rechtsradikalen darstellen. „Patris - thriskia -oikojenia“ war zunächst das Credo der Extremisten im orthodoxen Klerus, wurde dann aber auch zum ideologische Motto für die beiden griechischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts: das faschistoide Regime des Generals Metaxas in den 1930er-Jahren und die Junta der Obristen, die von 1967 bis 1974 an der Macht war.
Beide Diktaturen haben sich als „Retter der Nation“ vor der Bedrohung von links legitimiert. Als potentieller Retter der Nation sieht sich heute auch Frangoulis Frangos. Seit seinem Auftritt vom 21. Januar wird in den Medien darüber spekuliert, ob der Ex-General „in die Politik“ gehen oder sogar eine eigene Partei gründen will. Er selbst wurde zwei Tage nach der Kundgebung in einem Fernseh-Interview gefragt, ob er eine Partei gründen wolle, wenn das Volk danach verlangt. Die Antwort lautete: „Ich werde die Verhältnisse sondieren, und wenn ich feststelle, dass es die Notwendigkeit gibt, werde ich es tun, denn ich bin kein Drückeberger.“16
Was würde eine „mazedonische“ Partei für die ND bedeuten?
Eine neue „mazedonische“ Partei hätte in erster Linie die Nea Dimokratia zu fürchten, die insbesondere in Nordgriechenland viele Stimmen ihrer patriotischen Gefolgschaft verlieren könnte.17 Jedenfalls wäre ein von einem nordgriechischen Ex-General geführte Partei, die sich auf das Mandat der „Volksversammlungen“ beruft, für die Konservativen eine sehr viel ernsthaftere Konkurrenz als die Chrysi Avgi. Die Neonazis haben mit ihrer Hitler-Verehrung in einem Land, das eine brutale Besatzung unter der Hakenkreuzfahne durchgemacht hat, ohnehin nur ein begrenztes Potential und würden sicher Wähler an die neue rechtsradikale Konkurrenz verlieren.
Für die Entwicklung der politischen Kräfteverhältnisse ist die Frage einer Parteigründung allerdings sekundär. Selbst wenn Frangos und seine Hintermänner sich nicht als Konkurrenz der bestehenden Parteien organisieren, haben sie als „Bewegung“ schon jetzt einen Einfluss auf das Parteiensystem als Ganzes, der erfolgreicher und folgenreicher ist als eine neue rechtsradikale Konkurrenzpartei.
Dieser Einfluss ist an den Reaktionen der Alt-Parteien abzusehen, die durch die neu entflammte Mazedonien-Hysterie kalt erwischt wurden. Das gilt besonders für die Nea Dimokratia, wie die widersprüchlichen Reaktionen der Parteiführung auf die Massenkundgebungen zeigen. Da ein Bindestrich-Namen bereits 2008 von der damaligen ND-Regierung unter Kostas Karamanlis akzeptiert worden war, hätte die Partei die Kundgebungen der Ablehnungsfront eigentlich ablehnen müssen. Das tat öffentlich nur die damalige Außenministerin Dora Bakoyanni, die ältere Schwester des heutigen ND-Vorsitzenden Kyriakos Mitsotakis. Dieser aber verfolgt einen Kurs feigen Lavierens, der selbst von der konservativen Presse als opportunistisch kritisiert wird.
Mitsotakis stellte den Parteimitgliedern frei, zu den Kundgebungen zu gehen und damit gegen die Namenslösung zu demonstrieren, die seine Partei 2008 selbst vorgeschlagen hatte. Damit wich er vor dem rechten ND-Flügel zurück, der aus alten Mazedonienkämpfern besteht, vorweg der Vize-Parteichef Adonis Georgiadis und der frühere ND- und Regierungschef Antonios Samaras. Noch weiter nach rechts rückte der Parteivorsitzende nach den Mazedonien-Kundgebungen, als er feststellen musste, dass viele ND-Parlamentarier aus Nordgriechenland und sehr viele lokale Parteigrößen auf den patriotischen Zug aufsprangen. Und dann zeigte die erste Umfrage, die nach dem Volksauflauf von Thessaloniki gemacht wurde, dass 81, 5 Prozent der ND-Wähler gegen eine Namenslösung mit dem Begriff Mazedonien und nur 15 Prozent für einen zusammengesetzten Namen sind.18 Jetzt entschloss sich Mitsotakis, die Kundgebungen nachträglich als „Ausdruck des nationalen Stolzes“ zu würdigen und zu bekennen, dass er die Gefühle der Demonstranten teile. Und dann versprach er, die Nea Dimokratie werde – im Gegensatz zu Tsipras - „die Griechen nicht auseinanderbringen, um die Skopianiten zu einigen.“
Einigen muss der ND-Vorsitzende allerdings zunächst seine eigene Partei. Der „liberale“ Mitsotakis muss zusehen, wie die innerparteiliche Rechte Auftrieb bekommt und harte Nationalisten wie Georgiadis und Samaras auf der populistischen Welle reiten. Samaras hatte 1992 als heißsporniger Außenminister der Regierung Mitsotakis den Streit mit Skopje angeheizt. Deshalb war er von seinem Regierungschef, dem Vater des heutigen ND-Vorsitzenden, entlassen worden. Jetzt erklärte er, dass er noch immer stolz auf die Rolle sei, die er damals gespielt hatte, und würdigte die Athener Kundgebung vom 4. Februar als „großen Tag für das ganze Land“. Mitsotakis konnte nur ergeben nicken. Um die ND und die eigene Wählerbasis zusammenzuhalten, musste der Parteiführer deutlich nach rechts rücken. Das hat seine Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung - und bei seinen konservativen europäischen Partnern – allerdings nicht gefördert.19
Auch Tsipras und Syriza unter Druck
Der Druck der Mazedonienkämpfer bringt allerdings auch Tsipras und die Syriza in Bedrängnis. Selbst unter den Syriza-Anhängern sind (nach der zitierten Umfrage) nur 31 Prozent für einen Namenskompromiss, aber 64 Prozent dagegen. Auch deshalb sind Tsipras und seine Berater schockiert und ziemlich ratlos. Dem Regierungschef war kurz vor dem 21. Januar noch gelungen, den griechischen Erzbischof Ieronimos davon abzuhalten, von Amts wegen zu der Kundgebung von Thessaloniki aufzurufen. Aber dann zeigte die massive Präsenz lokaler Kirchenfürsten und einfacher Popen, dass die „orthodoxe Basis“ auch gegen ihr Oberhaupt auf die Straße geht. Dadurch sah sich Ieronimos genötigt, der zweiten Kundgebung in Athen doch noch den kirchlichen Segen zu erteilen.
Der Regierungschef steht in seinen öffentlichen Äußerungen noch zu dem Namenskompromiss, aber sein ursprünglicher Plan zur Durchsetzung einer Vereinbarung mit Skopje, ist durch die Entwicklungen auf der Straße überholt. Vor dem 21. Januar war das Hauptproblem für Tsipras sein Koalitionspartner Kammenos, dessen Anel-Partei die Umfragen einen langsamen Tod voraussagen. Angesichts dessen hat Verteidigungsminister Kammenos mehrfach erklärt, er könne einem Namen, der das Wort „Mazedonien“ enthält, auf keinen Fall zustimmen; zugleich ließ er verlauten, dass die Regierung an dieser Frage nicht zerbrechen werde. Deshalb hatte Tsipras gehofft, eine Regierungskrise zu vermeiden, indem er die erforderliche Mehrheit für eine Vereinbarung mit der Regierung Zaev mit Hilfe anderer Parteien findet. Er setzte dabei auf Abgeordnete der Pasok und der Potami 20, ja sogar auf einige ND-Dissidenten.
Dieser Plan ist jetzt hinfällig. In der Pasok hat angesichts der Volksstimmung niemand Lust, die Regierung Tsipras zu „retten“ und dafür auch noch linksnationalistische Wähler zu verlieren. In den Medien wurde ein Pasok-Funktionär mit dem Satz zitiert: „Wir werden nicht mitstimmen und damit zulassen, dass Kammenos den Patrioten spielen und so die nächsten Wahlen überleben kann.“(Proto Thema vom 22. Januar 2018). Auch die neun Abgeordneten der „Union der Zentristen“ stehen nicht zur Verfügung, die Kleinpartei hat selbst zu den patriotischen Kundgebungen aufgerufen. Die Kommunisten (KKE) wiederum halten sich aus der Mazedonien-Frage heraus, weil sie als alte Nato-Gegner den Beitritt Mazedoniens zum Bündnis nicht fördern wollen. Einzig die elf Abgeordneten von Potami wären für einen zusammengesetzten Namen zu gewinnen, aber das reicht noch nicht zu der erforderlichen Mehrheit.
Ein tragisches Dilemma
Nach den Kundgebungen geht es für Tsipras und die Syriza nicht mehr um eine parlamentarische Mehrheit ohne die Anel, sondern um ihre Zukunftsperspektiven insgesamt. Nachdem die Partei in den Umfragen leicht zugelegt und den Rückstand auf die ND verkleinert hat (siehe meinen letzten Text auf diesem Blog vom 18. Januar 2018), sieht sie ihre Hoffnungen auf eine politische „Wiederauferstehung“ im Mazedonien-Aufruhr versinken. Damit befindet sie sich in einer tragischen Lage. Als anti-nationalistische Partei ist sie die glaubwürdigste politische Kraft, die eine Namenslösung mit den mazedonischen Nachbarn unterschreiben könnte. Nach heutiger Lage würde dies allerdings einem politischen Selbstmord gleichkommen, zumal sie im Parlamen nicht die nötige Mehrheit finden könnte. Doch auch das Einschwenken auf die patriotische Front würde nichts bringen: Die Syriza könnte damit keine rechten Wähler gewinnen, sehr wohl aber weitere linke Wähler verlieren.
Angesichts der hohen politischen Kosten ist damit zu rechnen, dass auch die Regierung Tsipras die Lösung der ewigen Mazedonienfrage nicht anzupacken wagt. Der Druck der Mazedonien-Frontkämpfer hat das gesamte politische System so weit nach rechts verrückt, dass auch der Syriza der Mut zu einem Kompromiss vergehen könnte. Und das in einer Situation, in der die Regierung in Skopje zu einer Lösung bereit ist, die auch für sie ein innenpolitisches Risiko bedeutet. Noch allerdings versichern Syriza-Vertreter und auch Tsipras öffentlich, die Regierung dürfe sich bei schwierigen außenpolitischen Fragen nicht von „Fanatismus und Intoleranz“ leiten lassen.(EfSyn vom 4. Februar)
Griechische Verhinderungsstrategie: noch maßlosere Forderungen
Genau dies tut – aus Angst vor den Extremisten – das gesamte rechte Lager, zu dem fast die ganze Nea Dimokratia zu zählen ist. Diese rechten Patrioten steuern gezielt auf ein erneutes Scheitern einer Mazedonien-Lösung zu, indem sie neue Forderungen in die Verhandlungen einführen. Am klarsten wurden diese Strategie von ranghöchster Stelle formuliert: von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos.
Pavlopoulos, der aus der ND hervorgegangen ist, erklärte am Tag der Athener Kundgebung vor Offizieren in Larissa, es gehe nicht nur um einen neuen Namen. Vielmehr müsse das Nachbarland noch weitere Veränderungen akzeptieren und insbesondere „jede Spur von Irredentismus“ aus der Verfassung tilgen.21 Solche Spuren sieht der Staatspräsident nicht nur im Namen des Nachbarlandes, sondern in jeder Formulierung, „die indirekt als Infragestellung der Grenzen wahrgenommen werden könnte“, ja sogar bei „falschen Eindrücken“, die hinsichtlich der Nationalität und der Sprache entstehen können.(Kathimerini vom 4. Februar 2018)
Untersuchen wir diese Forderungen, die inzwischen das ABC der moderaten Ablehnungsfront darstellen, der Reihe nach. Die Forderung, die Verfassung der Republik Mazedonien zu ändern, ist nur in einem Punkt begründet. Wenn der Staat einen neuen Namen bekommt, sollte der natürlich in der Verfassung festgelegt sein. Die müsste zum Beispiel „Verfassung der Republik Ober-Mazedonien“ heißen (nach dem plausibelsten der fünf Vorschläge, die Nimitz beiden Seiten vorgelegt hat; die übrigen vier lauten: Nord-Mazedonien, Vardar-Mazedonien, Neu-Mazedonien und Mazedonien-Skopje.)
Die Republik Mazedonien hat keine territorialen Ansprüche
Alle weiteren griechischen Forderungen sind jedoch unbegründet. Die Republik hat schon nach dem Interimsabkommen von 1995 mehrere Verfassungsartikel geändert, die von der griechischen Seite beanstandet wurden. Damals wurde etwa in Artikel 3 der Satz eingefügt: „Die Republik Mazedonien hat keine territorialen Ansprüche an einen ihrer Nachbarstaaten.“
Griechische Kritiker wollen allerdings „irredentistische Spuren“ auch in Art. 49 sehen. Da heißt es, dass die Republik sich auch um Mazedonier in anderen Ländern und um Auswanderer kümmert, insbesondere um ihre „kulturelle Entwicklung“. Dabei vergessen die Griechen, dass exakt dasselbe in Art. 108 der eigenen Verfassung steht: Auch der griechische Staat „kümmert sich um das Griechentum im Ausland und die Aufrechterhaltung der Verbindung zum Mutterland“.
Kernforderung der griechischen „Spurensucher“ ist die Änderung der Präambel, sowie der Artikel 4 und 7, welche die nationale Identität und die Sprache betreffen. In der Präambel wird zwischen dem „mazedonischen Volk“ und den anderen Nationalitäten des Staats unterschieden; in Artikel 7 wird die „mazedonische Sprache“ erwähnt. Beide Begriffe sind für patriotische Griechen völlig unakzeptabel, wie nicht nur der heutige Staatspräsident, sondern auch der ehemalige ND-Ministerpräsident Karamanlis versichert.(EfSyn vom 20. Januar 2018) Aber will man der anderen Seite zumuten, sich von heute auf morgen als „Ober-Mazedonier“ zu bezeichnen und die eigen Sprache als „obermazedonisch“? Die Vorstellung ist grotesk.
Anmaßend und geschichtsvergessen
Aber die griechische Forderung ist nicht nur anmaßend, sondern auch geschichtsvergessen. Denn auch in der griechisch-mazedonischen Provinz war es früher üblich, slawophone Dorfbewohner als „einheimische Mazedonier“ zu bezeichnen.22 Und auch die Griechen haben die Sprache der nicht-griechischen Mazedonier als„mazedonisch“ bezeichnet. Das tat sogar Pavlos Melas, den die heutigen „Mazedonienkämpfer“ als ihren Stammvater verehren (der historische Held ist auf dem Foto zu sehen, das diesen Beitrag illustriert: auf der Fahne der „nationalen Organisation von Kastoria“ in der Mitte des Bildes). In einem Brief von 1904 schrieb der Stratege der damaligen Volkstumskämpfe über einen slawophonen Mitstreiter: Kapetan Kostas habe seine Reden „auf mazedonisch“ gehalten, die Übersetzung besorgte ein gräkophoner Genossen.23 Die Bezeichnung war völlig logisch, und das ist sie bis heute. Denn die slawischen Mazedonier haben eine eigene Sprache, die griechischen Mazedonier nicht. Sie sprechen Griechisch.
Eine Verfassungsänderung, die den slawophonen Bewohnern der Republik eine künstliche Identität verpasst und den Namen ihrer Sprache verballhornt, ist für jede Regierung in Skopje völlig unannehmbar. Welcher mazedonische Politiker könnte sich vor das Volk stellen und den Leuten einreden, dass sie auf einmal nicht mehr „Mazedonier“ sind und einen „bulgarischen Dialekt“ sprechen? Eine solche Figur gibt es nicht und wird es nie geben.
Das weiß auch Alexis Tsipras nach dem ersten direkten Gespräch mit seinem Kollegen Zoran Zaev in der Höhenluft von Davos. Der mazedonische Regierungschef will einen Kompromiss mit Griechenland durch eine Volksabstimmung absegenen lassen. Das heißt: Sollte die griechische Seite auf ihren anmaßenden Verfassungsänderungen bestehen, wäre sie für das erneute Scheitern einer Lösung der „Mazedonienfrage“ verantwortlich. So werden es nicht nur die meisten internationalen Beobachter sehen, sondern auch diejenigen Griechen, die den Mazedonien-Furor ihrer Landsleute und den Opportunismus ihrer politischen Klasse als beschämend empfinden.
Der kritische Intellektuelle Giorgos Iannoulopoulos hat (in der EfSyn vom 13. Januar 2018) die Bitternis geschildert, die er als Grieche in der politischen Atmosphäre des Jahres 1992 empfunden hat: „Die Hysterie in Sachen Mazedonien ließ die schlechtesten Wesenszüge hervortreten, die wir Neugriechen entwickelt haben; sie offenbarte sich als prägendes ideologisches Merkmal unserer Psyche. Im Nachhinein wurde mir klar, dass sich damals die erste jener Schrauben gelockert hat, von denen unsere neugriechische Affektstruktur zusammengehalten wird.“
PS: Eine tröstliche Information als Nachschlag. Im Land des real existierenden Surrealismus gibt es immerhin noch Raum für digitale Satire. Im Internet hat eine unbekannte Initiative zu einer Kundgebung gegen Libyen aufgerufen. Mit Hinweis auf die Existenz der Stadt Tripolis auf der Peleponnes wird gefordert, dass die libysche Hauptstadt gleichen Namens umbenannt werden müsse. Die Parole des patriotischen Protests lautet: „Es gibt nur ein Tripolis, und das ist griechisch.“(EfSyn vom 16. Februar 2018)
Anmerkungen
1) Nach der Umfrage von Metron Analysis für die Zeitung Ta Nea (20. Januar 2018) liegt die Ablehnungsquote bei 80 Prozent, nach der Umfrage von Pamak/Eliamet für die Zeitung Kathimerini (4. Februar 2018) sind es 71, 5 Prozent , speziell in Nordgriechenland aber 77 Prozent.
2) Siehe Telepolis vom 3. Februar 2018 https://www.heise.de/tp/features/Namensstreit-um-Mazedonien-Ausnahmezustand-wegen-Grossdemonstration-in-Athen-3960105.html.
3) Die Bewertung als königliches Symbol geht auf den „Entdecker“ der Herrschergräber von Vergina, den Archäologen Manolis Andronikos zurück; seine Interpretation ist aber nach wie vor umstritten.
4) 1997 hat mir ein mazedonischer Politiker unter vier Augen erklärt, dass die Austattung der Flagge mit dem Stern von Vergina von Anfang an ein taktischer Zug war: Wenn Skopje auf das antike Symbol verzichtete, konnte Athen in der Frage des Staatsnamens nachgeben.
5) Die Studie mit dem Titel „Fields of Wheat, Hills of Blood", erschien 1997 bei der Chicago University Press und erhielt vorzügliche Rezensionen, zum Beispiel von Misha Glenny in der London Review of Books vom 17. Juli 1997.
6) Das Plakat zeigt ein Foto von Boutaris mit einer Kippa, die er bei der Grundsteinlegung für das Jüdische Museum getragen hat. Bis zur Eingliederung von Thessaloniki in den griechischen Staat (1912) waren die Sepharden die weitaus größte Bevölkerungsgruppe der Stadt. Die 50.000 Juden, die es zum Zeitpunkt der deutschen Okkupation waren, haben die Besatzer nach Auschwitz deportiert, von ihnen haben nicht einmal 2.000 überlebt.
7) Griechische Eroberungsphantasien wurden in der Atmosphäre von 1992 offen artikuliert. Selbst auf einer Kundgebung der Berliner Hellenen vor dem Rathaus Schöneberg rief ein erregter Sprecher auf griechisch ins Mikrofon: „Bald werden die Glocken der Freiheit auch in Monastir läuten.“ Monastir ist der griechische Name für Bitola, die zweitgrößte Stadt der Republik Mazedonien. Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt ein Zentrum der slawisch-griechischen Volkstumskämpfe.
8) Dimitris Psarras, der beste griechische Kenner des extremistischen Spektrums, hat darauf hingewiesen, dass die Neonazis ihren politischen Aufstieg auf der Woge der Mazedonien-Hysterie von 1992 begonnen haben. Damals konnte sich die Chrysi-Avgi-Leute „als patriotische Kraft verkleidet“ unter die friedlichen Demonstranten mischen und lauthals fordern: „Auf zu den Waffen, um Skopje zu erobern.“(EfSyn vom 28. Januar 2018).
9) Dazu auf diesem Blog mein Text vom 23. September 2016 „Wutbürger auf Lesbos und anderswo“ (https://monde-diplomatique.de/shop_content.php?coID=100081)
10) EfSyn vom 4. Februar 2018. Der zitierte Sprechchor entspricht zweifellos der Selbsteinschätzung des Bejubelten. Die Bewunderung für Theodorakis ist bei Theodorakis noch ausgeprägter als bei seinen bedingungslosen Verehrern im In- und Ausland. In Sachen Mazedonien ist der Komponist allerdings konsistenter als in anderen politischen Fragen: Schon zu Beginn des Namensstreits hatte er 1992 in einem offenen Brief an die Euroäische Filmakademie gefordert, den Filmschaffenden des Landes Mazedonien den Beitritt zu verwehren.
11) International prominent wurde sie dadurch, dass sie als Parlamentspräsidentin einen Expertenausschuss eingesetzt hat, der die griechischen Staatsschulden für „illegal“ erklärte. Für Konstantopoulou war damit der Staatsbankrott Griechenlands nicht existent.
12) Nach einem Bericht in der EfSyn vom 23. Januar hatte der Organisationsausschuss den Ex-Generals als Redner zunächst mit 6 zu 2 Stimmen abgelehnt, dann aber hätten die beiden Überstimmten doch noch Frangos durchgedrückt. Daraufhin waren mehrere Mitglieder aus dem Komitee ausgeschieden.
13) Es ging eher um den Widerstand der Militärspitze gegen Sparpläne, die auch die Organisation und die Interessen der Armee betrafen. Richtig ist allerdings, dass Frangos ein Netzwerk persönlicher Freunde innerhalb der Armee und des Militärgeheimdienstes geknüpft hatte (so ein Bericht in „To Vima“ vom 30. September 2012).
14) Im Gegensatz zu der slawomazedonische Minderheit in Griechenland, die zwar winzig, aber real ist. Ihre Existenz wird von Leuten wie Frangos natürlich geleugnet, weshalb sie auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht anerkennen, wonach die griechischen Slawomazedonier diskriminiert werden.
15) Zitate nach Kathimerini und EfSyn, jeweils vom 24. Januar 2018.
16) Video des Interviews vom 22. Januar 2018 (mit Szenen der Kundgebung vom 20. Januar) abzurufen bei Skai TV: www.skai.gr/news/greece/article/365087/anoikto-to-endehomeno-na-igithei-kommatos-o-stratigos-en-apostrateia-fragos/.
17) In der EfSyn vom 23. Januar wird berichtet, dass sich einer Frangos-Partei auch der Präfekt von Zentralmazedonien, der ND-Populist Tzitzikostas anschließen könnte.
18) Umfrage des demoskopischen Instituts der Universität Thessaloniki, siehe Kathimerini vom 5. Februar 2018.
19) Nach der zitierten Umfrage bewerten nur 20 Prozent der Befragten die Haltung von Mitsotakis in der Namensfrage positiv; selbst bei denen, die einen Namenskompromiss ablehnen, sind es lediglich 22 Prozent.
20) Beide Parteien haben eine Fusion unter dem Namen „Bewegung des Wandels“ beschlossen, die im März besiegelt wird.
21) Der Begriff Irredentismus wird in Griechenland häufig falsch verwendet, Pavlopoulos meint in diesem Fall expansionistische Gebietsansprüche.
22) Das dokumentiert Anastasia Karakasidou in ihrer ethnologischen Studie (siehe Anm. 5).
23) Paschos Mandravelis in Kathimerini vom 4. Februar 2018. In der EfSyn vom 31. Januar ist dokumentiert, dass die mazedonische Sprache 1977 von der Athener Regierung offiziell anerkannt wurde, als diese ein UN-Dokument über die Standardisierung geographischer Namen unterschrieb.