Blog Griechenland

Tourismus über Alles

von Niels Kadritzke | 17. Oktober 2024

Zunächst möchte ich um Verständnis dafür bitten, dass seit meinem letzten Blogtext fast elf Monate vergangen sind. Die lange Pause hat mit beruflichen und anderen Belastungen zu tun, aber auch mit einem merkwürdigen Schwebezustand der griechischen Gesellschaft und Politik. Und mit der ständigen Vermutung, dass der Ist-Zustand zu unbeständig ist, um ihn schlüssig beschreiben zu können. Das gilt insbesondere für den Verfallsprozess der griechischen Linken, die von einer Krise in die andere taumelt, sodass jede Darstellung des Desasters nach einer Woche schon wieder überholt erscheint. Es gilt aber auch für die innere Krise der Mitsotakis-Regierung, die stark an Vertrauen eingebüßt hat und bereits über eine abermalige Wahlrechtsänderung nachdenkt, die ihr die Regierungsmacht auch bei erheblichen Stimmenverlusten garantieren könnte.


Sonnenuntergang auf Santorini
© Matt Parry/picture alliance/robertharding

Ich werde dennoch in den nächsten Wochen versuchen, diese Entwicklungen auf der unübersichtlichen politischen Bühne zu verfolgen und darzustellen. Zunächst aber erscheint an dieser Stelle ein Text, der durch die europaweite Diskussion über das Phänomen des „Übertourismus“ angeregt wurde. Ich habe dazu für die September-Ausgabe von LMd eine Glosse verfasst, deren Würze in der Kürze liegt, deren Thesen ich aber unbedingt auf ein breiteres Fundament von empirischen Fakten und Argumenten stellen will. In der Hoffnung, dass auch die Leser:innen des LMd-Textes interessiert sind, ein genaueres Bild von den Problemen und Widersprüchen der griechischen „Schwerindustrie“ zu gewinnen.

Ein wahres Schmuckstück

Mein Nachbar, nennen wir in Sotiris, liebt sein Dorf. Hier ist er aufgewachsen, hier lebt er mit seiner Familie, inmitten einer rapide alternden Bevölkerung. Sotiris will seinen Heimatort lebendig erhalten. Und so hat er zwei alte Häuser aufgekauft, deren Bewohner verstorben waren, und fast im Eigenbau in “traditional luxury apartments” umgewandelt. Mit lokalen Materialien und Respekt für die architektonische Tradition, ein wahres Schmuckstück.

Mein Nachbar sieht Tourismus nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Und er hat Recht. Was für das Dorf auf dem Berg gilt, lässt sich für den gesamten ägäischen Archipel sagen. Ohne eine gewisse touristische Entwicklung wären viele kleinere Inseln längst entvölkert. Vor allem jüngere Menschen wären auf eine „boomende“ Nachbarinsel abgewandert, oder gleich nach Athen.

Eine Insel namens Tilos

Vor 30 Jahren habe ich solches Inselsterben einmal in Tilos (einer der kleineren Dodekanes-Inseln) mitbekommen. Damals verabschiedete ich mich Ende Oktober mit dem letzten Schiff in Richtung Rhodos. Der frisch examinierte Jungarzt, der gerade sein Pflichtjahr in der lokalen Krankenstation antrat, schluchzte vor sich hin. Vor seinem inneren Auge sah er schon, wie er den Winter mit kaum 200 Menschen, vorwiegend gebrechlichen Alters, verbringen würde.


Tilos hatte sich in den 1950er Jahren fortlaufend entvölkert, ein ganzes Bergdorf war ausgewandert, in die USA und nach Australien; die meisten jungen Leute hatten Arbeit im Tourismussektor von Rhodos gefunden. Heute hat Tilos wieder eine ständige Bevölkerung von 799 Menschen jeden Alters. Vor allem dank eines Programms für nachhaltigen Tourismus (maßgeblich mit EU-Geldern finanziert) und einer engagierten Bürgermeisterin, die sich für Naturschutz und Müllvermeidung einsetzt. Damit zieht die Insel ein besonderes Publikum an, das zahlenmäßig überschaubar ist, dafür aber – was wichtig ist – sehr regelmäßig wiederkommt. Mit dieser Entwicklung sind die Einheimischen, zu denen mittlerweile nichtgriechische Zugewanderte gehören, ebenso zufrieden wie ihre in- und ausländischen Feriengäste.

Tradition mit Whirlpool

Solche „nachhaltige“ Kundschaft wünscht sich auch Sotiris. In diesem Sinne konnte ich ihn zu seiner Investition nur beglückwünschen. Aber ich hatte auch eine Frage: Bei einem der „traditionellen Apartments mit authentischer griechischer Gastlichkeit“, die er auf seiner Website bewirbt, steht auf der Terrasse ein mittelgroßer Whirlpool. Und das auf einer Insel, deren Wasservorräte jeden Herbst, nach der touristischen Hochsaison, zur Neige gehen und rationiert werden müssen.

Statt einer Antwort erzählt Sotiris, wie in seiner Jugend mit Wasser umgegangen wurde. Kein Tropfen vergeudet: das tägliche Glas Wasser für den Basilikum-Topf am Munde abgespart, das Spülwasser aus der Küche ins Plumpsklosett, das Wasser von der Katzenwäsche in den Garten.

Und heute dieser Whirlpool? Das erwarten die Gäste nun mal, sagt Sotiris, in Mykonos gehöre das zum Minimalstandard. Will er, dass unsere Idylle hier oben zu einem Mini-Mykonos wird?

Das auch wieder nicht. Der Ruf der Nachbarinsel, die nachts als Lichtermeer am Horizont flimmert, ist seit einiger Zeit in Verruf geraten. Heute gilt sie als Topos für einen Luxus-Tourismus, der die Superreichen aus aller Welt anzieht, aber in deren Gefolge auch die griechische und die internationale Mafia.

Ein Staat namens Mykonos

Wo das Geld ist, ist die Kriminalität nicht weit, klagt Christos Veronis, der Bürgermeister von Mykonos. Seine Insel ist heute ein quasi autonomes Territorium, das dem griechischen Staat nur noch formell zugehört. Wo permanente Verstöße – gegen Bauvorschriften und Gesetze zum Schutz der Natur oder der archäologische Funde – ungeahndet bleiben.

Dazu eine Zahl: Von November 2023 bis Juni 2024 ist die Polizei von Mykonos 197 Hinweisen auf baurechtliche Unregelmäßigkeiten nachgegangen. In 160 Fällen hat sie Verstöße festgestellt und das lokale Bauamt zur Überprüfung des Projekts aufgefordert. Diese Behörde (die Poleodomía) erteilt die Baugenehmigungen, ist aber zugleich Kontrollinstanz. Für illegales Bauen oder gravierende Abweichungen von den genehmigten Plänen kann sie Geldstrafen verhängen und in krassen Fällen einen Baustopp oder gar den Abriss anordnen.

Die Poleodomía von Mykonos hat lediglich in vier der 160 von der Polizei beantragten Fällen eine Kontrolle angeordnet. Da platzte auch Bürgermeister Veronis der Kragen. Er feuerte den Leiter des Bauamts und beantragte beim Athener Innenministerium eine Durchleuchtung der ganzen Behörde.

Wie sich zeigte, lag das Problem nicht nur bei der Amtsspitze, sondern beim Personal insgesamt. Veronis berichtet, dass Angestellte der Baubehörde auf einmal scharenweise gekündigt hatten (was im öffentlichen Dienst Griechenlands eher selten ist). Damit ist eine Kontrolle der Bauprojekte schon mangels Personal unmöglich geworden, und die Bauunternehmen können ungestört sogar Projekte hochziehen, für die es gar keine Genehmigung gibt.(1) Welche Motive und Anreize die Angestellten der Poleodomia zum Ausscheiden bewegt haben, wird man nie erfahren. Aber es wäre interessant zu wissen, wo sie anschließend eine Anstellung gefunden haben.

Eine eigenwillige Baubehörde

Dass die touristische Unterwelt die Bauaufsicht quasi unterwandern konnte, war auch deshalb möglich, weil die Insel seit Mai 2023 wieder über eine eigene Baubehörde verfügt. Die alte Poleodomía war 2017 nach einem Korruptionsfall aufgelöst worden; danach war für die Genehmigung und Kontrolle der Bauvorhaben in Mykonos die Poleodomía in Ermoupolis, der Kykladenhauptstadt auf Syros, zuständig. Als deren Leiter wegen „Vorteilsnahme“ ins Gefängnis wanderte, forderte der damalige Bürgermeister wieder eine eigene Behörde für Mykonos. Mit Erfolg. Für die Baumafia war das ein Geschenk des Himmels. Jetzt hatte sie ihr Revier wieder direkt unter Kontrolle.(2)

Die touristische Unterwelt hat ihre Agenten aber nicht nur in der Bauaufsicht, sondern auch bei der örtlichen Polizei, wie die folgende Episode zeigt. Aufgrund einer Anzeige hat der Polizeichef einen Baustopp angeordnet und schickt eine Beamtin los, um die Anordnung dem Bauleiter vor Ort zuzustellen. Die Polizistin trifft niemanden an, weil der Bauleiter vorab per SMS gewarnt wurde und sich mitsamt seinen Arbeitern verdrückt hat. Die SMS kam von einem Polizeimeister, der seine Klienten regelmäßig warnte, wenn eine Kontrolle drohte. So konnten sie angstfrei in aller Ruhe weiter arbeiten.

Die Geschichte flog auf, weil die gefoppte Polizistin nicht locker ließ. Sie meldete den Fall an die Polizeiführung in Athen, die eine interne Ermittlung anordnete. Als die Ermittler in Mykonos das Haus des Verdächtigten durchsuchten, fanden sie 20 000 Euro an bar. Und auf dessen Handy eine SMS mit der Anfrage eines Klienten: „Kann ich heute arbeiten?“ Weitere SMS-Nachrichten nährten den Verdacht auf Mitwisserschaft einer höheren Charge im Rang eines Polizeileutnants.

Die Resultate der internen Ermittlung wurden Ende Juli an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Doch die hat bislang nichts unternommen. Von der Athener Polizeiführung wurde noch nicht einmal ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dafür bekam der eine Verdächtige einen neunmonatigen Vaterschaftsurlaub bewilligt, der andere versieht nach wie vor seinen Dienst auf Mykonos.

Die Macht „örtlicher Akteure“

Die weltberühmte Luxus-Destination bietet 2024 ein Bild, das Tom Ellis in der englischensprachigen Ausgabe der Kathimerini so beschrieben hat: „Die Verstöße gegen Bauauflagen gehen unvermindert weiter. Illegale Konstruktionen werden nur in sehr wenigen Fällen, wenn überhaupt, gestoppt oder mit wirksamen Geldstrafen geahndet.“ Besorgte Beobachter, so Ellis, sprechen von der „ständig wachsenden Macht einiger dominierender örtlicher Akteure, die laufend gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen, ohne je belangt zu werden“.(3)

Die Macht der „örtlichen Akteure“ ist eine dezente Umschreibung für die Praktiken einer Baumafia, die entschlossen und finanziell in der Lage ist, schlecht bezahlte öffentliche Bedienstete zu korrumpieren. Und die wenn nötig noch weiter geht: Kommt ihr ein gesetzestreuer Staatsdiener in die Quere, kennt sie kein Pardon. Im März 2023 wurde der für Mykonos zuständige Archäologe Manolis Psarras, der pflichtgemäß einige illegale Bauvorhaben gestoppt hatte, in Athen auf offener Straße zusammengeschlagen. Psarras ist nicht auf seinen Posten zurückgekehrt. Sein Nachfolger wird sich gut überlegen, wie er sein Amt ausübt.

Der Überfall auf den Archäologen erregte nationales Aufsehen. Aber er war nicht der einzige: „Jedes Jahr werden hier Leute verprügelt“, erzählte ein Kenner der Szene dem Kathimerini-Reporter, „mal ein Gemeinderat, mal ein Notar, mal ein Restaurantbesitzer oder ein Bürger, der Beschwerde erhoben hat.“ (Kathimerini vom 3. April 2023)

Noch härter werden Konkurrenzkämpfe ausgetragen. Im Juni dieses Jahres fiel ein ehemaliger Vermessungsingenieur, der dank seines topografischen Know-how ins Immobiliengeschäft eingestiegen war, einem Auftragsmord zum Opfer. Auftraggeber unbekannt, Tatmotiv offensichtlich.

Worum es in dieser Konkurrenz geht, und welche Summen im Segment des Luxus-Tourismus umgesetzt werden, hat ein (anonymer) Kenner der Szene dem Umwelt-Journalisten Lialios schon letztes Jahr geschildert: "Viele Unternehmen haben die Besitzer gewechselt: Hotels, Bars, Geschäfte. Und parallel dazu Häuser. Viele Privatleute, die in den guten alten Zeiten ihre Riesenvillen auf Mykonos gebaut hatten, haben die entweder verkauft oder vermietet … Und heute haben wir Bars, die bei der Reservierung eines Tisches einen Mindest-Umsatz von 5000 bis 15 000 Euro verlangen." (Kathimerini, 3. April 2023)

Niedergangssymptome

Mykonos steht für eine Extremform des Tourismus, und zugleich für dessen Niedergang. Die Insel gehört seit Jahrzehnten zum Luxussegment der Ferienindustrie, das seine Klientel der sogenannten Celebrities perfekt bedient. Neben dem balearischen Ibiza war es die Adresse für prominente Filmgrößen, Pop-Ikonen, Fußballhalbgötter und Entertainerinnen aller Branchen, die hier eine Urlaubswoche verbrachten, beäugt von professionellen Paparazzi, die einschlägige Fotos für die Klatschpresse lieferten.

Natürlich hatte die Attraktivität der Insel eine materielle Basis, die sie zum Markt der Eitelkeiten prädestinierte. Das war die von der Natur gestellte Traumkulisse mit einer Perlenkette weißer Stränden und azurblauer Buchten, dazu ein noch im Hochsommer von Winden gemildertes Klima. Doch genau diese Naturbasis hat der kommerzielle Überbau zunächst langsam und dann immer schneller zerstört.

Heute gibt es noch immer eine Kundschaft, die dem alten Mythos huldigt. Aber die Besucherzahlen gehen seit zwei Jahren zurück. Zwar ist die Zufriedenheit der superreichen Klientel mit den Luxusunterkünften (der Durchschnittspreis pro Nacht lag in Mykonos 2023 bei 750 Euro) und den überteuerten Verpflegungs- und Vergnügungsstätten nach wie vor sehr hoch. Aber Luxus und Überfüllung sind auf Dauer wenig kompatibel. Traumstrände mit sechs Reihen Sonnenliegen dicht an dicht und mit ganztägiger Disco-Beschallung sind auch für die internationale Prominenz keine Traumstrände mehr. Und die Traumvilla, die statt Meeresblick den Blick auf den nächsten Swimming Pool bietet, lässt sich nicht mehr für 20 000 Euro pro Woche vermieten. Auch den Superreichen gefällt es nicht, wenn das benachbarte Anwesen nicht von Celebrities gekauft wird, sondern von halbseidenen Eventunternehmern, die illegale Koksparties für ein ebenso halbseidenes Publikum ausrichten.


Elia Beach in Mykonos: eine illegale Anlage, da laut Gesetz maximal 60 Prozent der Strandlänge kommerziell genutzt werden darf.
©  Nicolas Economou/picture alliance/NurPhoto

So wie es auch diesen Sommer wieder geschehen ist. Anfang August hatte eine französische Firma in einer gemieteten Villa eine unangemeldete Party organisiert. Sie kassierte pro Gast 300 Euro, insgesamt mehr als 50 000 Euro, steuerfrei versteht sich. Die Sache flog auf, weil die zentrale staatliche Steuerfahndung (AADE) einen Tipp bekommen hatte. Die Fahndertruppe bereitete der Party ein Ende und nahm 15 Gäste fest, die größere Mengen Drogen am Leibe trugen; der prominente Athener DJ, den die Firma angeheuert hatte, ergriff beim Anblick der AADE-Rambos die Flucht. (Bericht in News 24/7 vom 4. August 2024)

Die einmalige Razzia war ein Schreckschuss ohne die gewünschte Wirkung. Kaum waren die Fahnder wieder abgereist, gingen die illegalen Parties weiter, wie der TV-Sender MEGA mit Video-Aufnahmen von drei „privaten“ Veranstaltungen dokumentieren konnte. (vgl. dazu ein Bericht in der Athens Times vom 9. August 2024). Der Ursprung solcher Art bedenkenloser und steuerfreier Vergnügungen liegt im Corona-Sommer 2021, als für die Bars und Restaurants strenge Auflagen galten, die sogar kontrolliert wurden. Damals entstand für Mykonos-Gäste, die solcher Belästigung entgehen wollten, ein Angebot von rechtsfreien Parties in Privathäusern; wobei die „Veranstalter“ als Eintrittspreis bis zu 1200 Euro verlangen konnten (nach Polizeiangaben).

Santorini – für Mitsotakis kein Fall von Übertourismus

Einen konjunkturellen Knick verzeichnet seit letztem Jahr auch (wiewohl aus anderen Gründen) der zweite Hotspot des kykladischen Tourismus: Santorini. Beide Inseln sind jedoch nach wie vor die meist frequentierten Destinationen in Europa, gemessen an den Übernachtungen von Fremden pro Kopf der einheimischen Bevölkerung. Das sind in Santorini 15 000 Menschen, die es auch 2024 mit mehr als 3 Millionen „Gäste“ aufnehmen müssen.

Gibt es einen eindeutigeren Fall von „Übertourismus“? Nicht für Kyriakos Mitsotakis. Der griechische Regierungschef erklärte am 13. Juli in einem CNN-Interview: „Ich denke nicht, dass Griechenland ein Übertourismus-Problem hat.“ Die Infrastruktur sei vielleicht hier und dort in der Hochsaison überlastet, aber das bekomme man in den Griff. Deshalb plane seine Regierung höhere staatlichen Investitionen in die Tourismus-Infrastruktur mit dem Ziel, „unser Produkt zu verbessern“. Also immer weiter so.(4)

Der Übertourismus-Leugner Mitsotakis hatte drei Jahre zuvor die internationale Presse nach Santorini eingeladen, um das Ende der Corona-Pandemie zu verkünden und alle Welt zu ermuntern, das „einzigartige Gefühl von Glück, von Freiheit, von Gelassenheit“ zu genießen, das nur der „griechische Sommer“ biete. Das waren direkte Zitate aus einem Werbe-Video des Tourismus-Ministeriums, das seit Mai 2022 in fast allen internationalen Medien geschaltet war.

Die PR-Experten des Regierungschefs hatten Zeit und Ort für diese Promo-Show in Santorini genau kalkuliert: vor der untergehenden Sonne und mit Blick auf die spektakuläre Caldera der Vulkaninsel. Der Kraterrand ist die Kulisse, die allsommerabendlich an die 3000 touristische Lemminge anzieht, die alle in den Sonnenungergang glotzen und alle das Unmögliche vollbringen wollen: ein Selfie zu schießen, auf dem keiner der 2999 anderen Selfie-Junkies zu sehen ist.

Der Wald von hochgereckten Smartphones an der Caldera-Kante von Santorini ist das ultimative Abbild des Phänomens, das Mitsotakis leugnet. Dabei protzt seine Regierung Jahr für Jahr mit neuen Rekordzahlen für die Branche, die sie als die „Schwerindustrie“ Griechenlands bezeichnet.

Tourismus über alles, aber das Wort Übertourismus ist tabu. 2023 meldete Griechenland mehr als 30 Millionen ausländische Urlaubsreisende, die der Volkswirtschaft 28,5 Milliarden Euro an direkten Einnahmen brachten. Das entspricht 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – der höchste Wert aller EU-Länder. Und wenn man die indirekten Effekte einrechnet, sind es sogar gut 30 Prozent des BIP. Noch eindrucksvoller ist der Beitrag zur Beschäftigung. Letztes Jahr waren auf dem Höhepunkt der Tourismussaison (im 3. Quartal 2023) 697 000 Menschen direkt im Tourismussektor beschäftigt; was 16,4 Prozent aller Arbeitsplätze entspricht. Dieser Anteil steigt auf gut 40 Prozent, wenn man die indirekt generierte Beschäftigung einrechnet.(5)

Unvergessliche Erlebnisse

Und der Boom geht weiter. 2024 rechnet Griechenland mit 35 Millionen ausländischen Gästen. Doch wer „das einzigartige Gefühl von Glück, Freiheit und Gelassenheit“ sucht, wird kaum fündig werden, jedenfalls nicht in Santorini. Dafür warten andere unvergessliche Erlebnisse:
- kommerzialisierte Strände, zugestellt mit bis zu sechs Reihen beschirmter Sonnenliegen, die pro Tag mindestens 50 Euro kosten
- überquellende Müll-Container und allgegenwärtiger Plastik-Abfall, sodass manche Einheimische ihre Heimat als „Müllinsel“ bezeichnen (die jährlich anfallenden 25 000 Tonnen Abfall wurden bislang auf einer illegale Müllkippe direkt am Kraterrand platziert, da die seit langem geplante integrierte Verarbeitungsanlage immer noch nicht fertig ist. (6)
- chronische Verkehrsstaus und überfüllte Parkplätze: Auf der Hauptinsel Thira sind in der Saison 35 000 Autos unterwegs (großenteils Leihwagen) und dazu Tausende von Quad-Bikes (lärmende Monster auf vier Rädern), gesteuert von unerfahrenen Touristen, die häufig Unfälle bauen.
- in den „malerischen“ Dorfgassen ein Gedränge wie beim Münchner Oktoberfest; Warteschlangen vor den Cafés mit Meeresblick, und das komplette Chaos, wenn die Busse mit den Passagieren der Kreuzfahrtschiffe eintreffen, die wie eine Invasionsflotte in der Caldera-Bucht ankern.

8000 Kreuzfahrer pro Tag sind genug

Am 6. August dieses Jahres brachte diese Flotte die Rekordzahl von 15 652 Tagestouristen nach Santorini. Bis Jahresende wird sich die Gesamtzahl auf etwa 1,3 Millionen summieren.


Kreuzfahrtschiff vor Santorini
© Michael Bihlmayer/picture alliance/CHROMORANGE

Es reicht, sagte sich auch Nikos Zoros. Der Bürgermeister von Santorini beantragte im Juli, die Zahl der in der Caldera ankernden Schiffsriesen zu begrenzen. Zoros ist ein weitblickender Kommunalpolitiker. Er erklärt in Interviews, die Insel könne „kein einziges neues Bett mehr verkraften“, und er beklagt, dass die Fläche von Thira inzwischen zu 20 Prozent überbaut ist.(7) Der neue Bürgermeister ist erst seit September 2023 im Amt, gestützt auf das Wahlbündnis „Thiraiki Politeia“ (Gemeinwesen von Thira), von deren Repräsentanten im Gemeinderat viele mit dem Tourismus-Sektor verbandelt sind.


Das Wahlprogamm der ThP beschwört die „Vision“ eines „nachhaltigen“ Tourismus, und formuliert zugleich – unfreiwillig aber treffend – den realen Widerspruch zwischen unvereinbaren Zielen. Es fordert eine „dynamische Fortentwicklung“ der Insel als „moderne touristische Destination“, will aber zugleich verhindern, „dass unser Ort seine Einmaligkeit und Besonderheit einbüßt, die ihm weltweit ungeheure Aufmerksamkeit verschafft, und von deren Erhaltung und Schutz unsere Zukunft abhängt“.

Dynamische Nachhaltigkeit und weltweite Vermarktung eines einmaligen, aber gefährdeten Produkts sind keine Zauberformeln, sondern Ausdruck der Ratlosigkeit angesichts einer Entwicklung, die nicht mehr zurückzudrehen ist. Die Sunset-Destinationen von Thira haben zwar immer noch eine „einmalige“ Lage, sind aber längst keine authentischen Dörfer mehr, wie man auf jedem Luftbild erkennen kann: mehrstockige Touristenburgen, blaue Pools neben blauen Kirchenkuppeln, Restaurant-Terrassen auf Betonpfeilern – direkt am Kraterrand, die Stelzen einer Kabinen-Seilbahn, die zwischen dem Steilufer und dem ehemaligen „Dorf“ Filia pendelt.

Ein kykladisches Disneyland

Die touristische Nachfrage hat Santorini in ein kykladisches Disneyland verwandelt. Die traditionelle Architektur ist hier zur Karikatur geworden – und zum Albtraum einer baulichen Verdichtung, die nicht nur erdrückend anmutet, sondern auch gemeingefährlich ist, wie mir ein Bauingenieur erklärt hat. Denn kein Mensch weiß, welche Zementlasten der Kraterrand von Thira aushält, der ohnehin durch neu geschaffene Hohlräume durchlöchert wurde. Der jüngste Report „Nachhaltige touristische Entwicklung“ (vom 13. Juni 2024), erarbeitet von der unabhängigen Institution „Synigoros tou Politi“ (Bürgeranwalt), fordert im Hinblick auf die neuen unterirdischen Räume vorsorgliche „Maßnahmen, um die Gefahr des Einbrechens“ zu verhindern.(8)

Dass die Insel insgesamt keine weitere touristische Überlastung aushält, wird den Einheimischen immer stärker bewusst. Deshalb hat die Diskussion um die Kreuzfahrtschiffe begonnen. Bürgermeister Zoros kündigte im Juli an, das ab 2025 maximal noch 8000 Passagiere pro Tag in Santorini anlanden dürfen. Inzwischen hat die Athener Regierung diesem Plan zugestimmt. Und nicht nur das: Ministerpräsident Mitsotakis erklärte Anfang September, der griechische Staat werde, ebenfalls ab 2025, speziell für Mykonos(9) und Santorini die „Landgang-Abgabe“ pro Kreuzfahrt-Passagier von bisher 0,35 Euro auf 20 Euro zu erhöhen.

Die 60-fache Erhöhung dieser Kopfsteuer entspricht, da der Markt sie hergibt, dem neoliberalen Fundamentalismus der gesamten ND-Politik. Und sie bringt einen kräftigen Batzen Geld in die Athener Staatskasse. Wobei abzuwarten bleibt, wieviel davon in das kommunale Budget einer Insel zurückfließt, deren Wasserverbrauch seit 2012 um 140 Prozent gestiegen ist, was nur mit dem Bau teurer Entsalzungsanlagen zu bewältigen war.

Schwimmende All-inclusive-Hotels

Ökonomisch gesehen ist es völlig berechtigt, die Kreuzfahrt-Branche zusätzlich zu besteuern, denn die belastet die Infrastrukturen, trägt aber nicht viel zum Umsatz der griechischen Schwerindustrie bei. Die Kohorten von Touristen, die für ein paar Stunden auf einer Insel einfallen, geben gerade mal Geld für einen Kaffee und ein paar Souvenirs aus. Alles andere haben sie an Bord ihres Schiffes, das im Grunde ein schwimmendes All-inclusive-Hotel ist. Das große Geld bleibt bei den Cruise Lines – fast durchweg ausländische, in der Mehrzahl US-amerikanische Unternehmen.(10) Ein Plus für die lokale Wirtschaft bringt der Kreuzfahrt-Tourismus nur für den sogenannten „Homeport“. Das ist die Abfahrts- bzw. Endstation einer Kreuzfahrt, zu der die Passagiere per Flugzeug anreisen. In Griechenland sind das nur zwei Hafenstädte: Piräus und Iraklion auf Kreta.(11)

Auf den 20-Euro-Eintrittspreis für die Kreuzfahrt-Passagiere in Mykonos und Santorini reagierte die Unternehmerseite erwartungsgemäß empört. Die Internationale Vereinigung der Kreuzfahrt-Reeder (CLIA) erklärte, die Erhöhung sei nicht nur exorbitant, sondern auch diskriminierend, weil sie nur ihre Kundschaft, nicht aber die Passagiere treffe, die auf Linien- oder Ausflugsschiffen anreisen. (EfSyn vom 14. September 2024).

„Zusätzliche Destinationen“ für die Kreuzfahrt-Industrie

Dagegen hat die CLIA nicht gegen die geplante Begrenzung der täglichen Passagierzahl protestiert. Das ist nur auf den ersten Blick überraschend. Die in Griechenland operierenden Cruise Lines machen sich längst Gedanken, wie sie das Gedränge in Santorini und Mykonos managen können, ohne ihren Expansionskurs für das sehr profitable Ägäis-Geschäft aufzugeben. Anfang August meldete eine CLIA-Delegation bei der Athener Regierung ihr „starkes Interesse“ an, das Kreuzfahrt-Angebot „um zusätzliche griechische Destinationen zu bereichern“. Dafür biete die Inselwelt „ein breites Spektrums von Möglichkeiten“.

Die Bereicherung der Inselwelt hat schon begonnen. Die östlichste Kykladeninsel Amorgos kannte bislang keinen Kreuzfahrttourismus. Diesen Sommer ging in der engen Hafenbucht von Katápola das erste Schiff mit 1500 Passagieren vor Anker. Auf der CLIA-Wunschliste stehen weitere Anlaufstationen, darunter soll sogar die Insel Sikinos sein, die keine 300 Einwohner hat. Solche kleinen Inseln haben häufig keine Anlegemöglichkeiten für Kreuzfahrtschiffe; die Passagiere müssen also ausgebootet werden (wie es seit Jahren in Patmos praktiziert wird). Das ist allerdings nur bei kleineren bis mittelgroßen Schiffen möglich; für die bis zu zehnstockigen Hotelschiffe, die Mykonos und Santorini anlaufen, sind solche kleinen Inseln nicht geeignet. Aber auch für die logistische Bewältigung eines Schubs von 1000 oder 1500 Passagieren muss die Infrastruktur eines Hafens „modernisiert“ und erweitert werden, wie es etwa im Fall von Katápola geplant ist.

Menetekel für die übrigen Kykladen

Der Drang zur Erschließung neuer „Destinationen“ ist keine Eigenheit der Kreuzfahrt-Branche; Expansion ist ein Grundzug des Übertourismus. Hat er ein Feld abgegrast – und womöglich verwüstet – wandert er weiter. Deshalb ist der Abwärtstrend von Santorini und Mykonos ein Menetekel für die übrigen Kykladen. Dabei gehen bereits heute sämtliche Indikatoren, die touristische Übernutzung anzeigen, für Inseln wie Tinos, Paros, Antiparos, Folegandros oder Milos steil nach oben: die Überlastung der Infrastrukturen – vom Verkehrsnetz bis zur Gesundheitsversorgung –, die Wasserknappheit, die Aufzehrung der kykladischen Landschaft.

Was das bedeutet, kann man sich von Elias Nakos zeigen lassen. Der beamtete Geologe ist seit Jahrzehnten bei der „Periferia“, der Regionalverwaltung „Südägäis“, für die Wasserökonomie zuständig. Als wir uns in seinem Büro treffen, hat er eine Ecke an der Ostküste von Paros auf seinem PC-Schirm: ein Kilometer Küste, hangaufwärts 45 Ferienvillen, fast alle umgeben von sattem Grün, dazu das obszöne Blau der Swimmingpools. Ab und zu ein paar abgeerntete Felder, aber nur drei Bauernhäuser.

Ein Mausklick weiter: derselbe Landstrich vor 20 Jahren. Etwa 25 Farmgebäude, mit Ställen und Viehgattern, umgeben von bebauten Feldern. Nur direkt an der Küste drei kleinere Ferienhäuser.

"In fünf, ach was in drei Jahren, wird es hier keine Landwirtschaft mehr geben", sagt Elias. Und auch kein Wasser mehr für die Felder. Dann holt der die Hafenbucht von Paroikia auf den Schirm. Am Strand gegenüber dem Inselhafen ist ein neues Luxusressort entstanden, umrandet von einer Kette blauer Rechtecke. Jeder der „Superior Suites“ hat einen eigenen Pool.

Kostbares Wasser für Pools und Gartenanlagen

Die Anlage wurde genehmigt, obwohl es in Paros und Antiparos schon mehr als 1200 private Pools gibt. Die sind für Elias nicht einmal das größte Problem. Noch mehr Wasser verbrauchen die großflächigen Gärten mit exotischen Pflanzen oder sogar Rasenflächen. Für das private Grün müssten die Eigentümer der Anwesen eigentlich einen höheren Wassertarif zahlen, sagt Elias, desgleichen alle touristischen Betriebe.

Der sommerliche Mehrbedarf ist nur aus zwei Quellen zu decken. Zum einen aus dem Grundwasser mittels Brunnen. Aber die Brunnenunternehmen, die man überall auf Paros mit ihrem Bohrgestänge am Werke sieht, müssen immer tiefer bohren, bis sie auf Wasser stoßen. Früher wurden sie in acht bis zehn Metern Tiefe fündig, heute sind es 30 oder 40 Meter.


Dronenbild von Luxusunterkünften in Oia auf Santorini
© Fokke Baarssen/picture alliance/Zoonar

Um den Grundwasserspiegel stabil zu halten muss es in der Regensaison mindestens 350 Millimeter Niederschlag geben, erklärt Elias. Für die Kykladen liegt der Durchschnitt seit einigen Jahren unter 300 Millimetern und wird aufgrund des Klimawandels weiter sinken. Zudem haben sich die Niederschlagsmuster verändert: Immer seltener gibt es den nachhaltigen Nieselregen, den der Boden speichern kann; dagegen immer häufiger einen Starkregen, der ungenutzt ins Meer abfließt und häufig noch die Bodenkrume wegschwemmt.

Die Brunnenbohrer zapfen also Ressourcen an, die ohnehin im Schwinden sind. Damit verschärfen sie die Dürre-Tendenzen und treiben die Wasserpreise in die Höhe. Aber genau deshalb können sie noch einige Zeit lang gute Geschäfte machen – bis sie auf kein Grundwasser mehr stoßen. Deshalb ist das Konzept problematisch, das eine Nachbarinsel von Paros durchsetzen will. In Sifnos dürfen die Eigentümer von Ferienvillen für ihre Gärten und ihre Pools kein Wasser mehr aus dem kommunalen Leitungsnetz abzweigen. Abgesehen davon, dass die Gemeinde das nicht kontrollieren kann, würde das nur die Geschäfte der Brunnen-Unternehmen beflügeln.

Neue Regeln für Paros

Bislang hat noch keine lokale Verwaltung einer Kykladeninsel radikalere Schritt, die der fortschreitende Klimawandel unausweichlich macht, erwogen oder gar beschlossen, Also etwa: keine Lizenz für neue Brunnen; keine Genehmigung weiterer Pools; eine Vorschrift, die vorhandenen Becken nur mit Seewasser zu befüllen. Am weitesten in diese Richtung ging der Gemeinderat von Paros, der im September drei Maßnahmen gefordert hat: weitere Pools nur noch für Hotelanlagen zu genehmigen, also nicht mehr für private Ferienhäuser; alle Pools nur noch mit entsalztem Wasser zu füllen, die Abstände zwischen neuen Brunnenbohrungen zu vergrößern (Viosimes Kyklades vom 16. September 2024). Allerdings wurde diese Forderung an das Athener Umweltministerium gerichtet; man fühlt sich also außerstande, selbst relativ maßvollen Regeln für Paros zu beschließen und umzusetzen.(12)

Und wie steht die Regierung in Athen zur Pool-Frage? Auf ein Notstandsprogramm für die wasserarmen Inseln angesprochen, erklärte der Umwelt- und Energieminister Thodoros Skylakakis, sein Ministerium plane keinerlei Verbote: Weder will man die Nutzung der bestehenden Pools, noch den Bau neuer Anlagen untersagen. Man denke allenfalls über praktische Maßnahmen nach, um „das Befüllen der Pools mit Meerwasser zu erleichtern“. (Kathimerini vom 12. September 2024) Im übrigen erklärte er, die Inseln brauchten mehr Entsalzungsanlagen, die getreu der neoliberalen Doktrin durch private Investitionen finanziert werden sollten.

Wer zahlt für die teuren Entsalzungsanlagen?

Tatsächlich ist der Ausbau der Meerwasserentsalzung (mittels der Technik der Umkehrosmose) die einzige realistische Lösung für das akute und langfristige Wasserproblem im ägäischen Raum. Zwar hat Elias Nokas in der Vergangenheit auf einigen Inseln den Bau von kleinen Staubecken genehmigt, aber die sind keine Lösung, wenn der Winterregen ausbleibt. Allerdings sind die Gestehungskosten für entsalztes Wasser wegen des enormen Energieaufwands sehr hoch und werden in Zukunft weiter steigen. Die kommunalen Wasserwerke haben schon jetzt keine finanziellen Reserven mehr. Die meisten sind gegenüber dem (privatisierten) Elektrizitätsanbieter DEH verschuldet, weil sie die hohen Stromrechnungen für die vorhandenen Entsalzungsanlagen nicht bezahlen können.

In Paros schätzt das kommunale Wasserwerk, dass man für die neuen Anlagen – und die dringend nötige Sanierung des Wasserleitungsnetzes – 2 Millionen Euro aufbringen muss. Soll man diese Kosten in Form erhöhter Tarife gleichmäßig auf alle Verbraucher überwälzen, also auch auf die wenigen verbliebenen Landwirte? In Naxos, wo die Landwirtschaft noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, gab es im Juli heftige Proteste der einheimischen Bauern, die nicht einsehen, warum sie den erhöhten Wasserbedarf der Touristen mitfinanzieren sollen.

Kann man die griechischen und ausländischen Gäste nicht zum Wassersparen anhalten? Die meisten von ihnen wollen ihre Gewohnheiten auch im Urlaub nicht aufgeben; und ihre Dusche und ihr tägliches Poolerlebnis haben sie schon mit der Hotelrechnung bezahlt. Aber einige könnte man doch überzeugen, wenn man ihnen die Wasserproblematik erklärt, zum Beispiel durch ein Informationsblatt unter dem Kopfkissen.

Selbst solche winzigen Initiativen hat der pan-kykladische Hotelierverbands bislang noch nicht ergriffen. Die Branche würde jedoch sofort protestieren, wenn ihr die Kommunen einen höheren „touristischen“ Wasserpreis aufbrummen würden. Und die Regierung Mitsotakis würde das im Interesse der griechischen Schwerindustrie mit Sicherheit verhindern. Deshalb schwebt Elias die minimale Lösung vor, den Tarif für die Touristenmonate anzuheben, für den Rest des Jahres aber niedrig zu halten. Doch auch diese Idee findet in Athen so wenig Gehör wie die Forderung, die Elias seit Jahren vorbringt: Kein Neubau sollte ohne Zisterne genehmigt werden. Um den Winterregen zu nutzen, der mit dem fortschreitenden Klimawandel gerade in der Ägäis immer dürftiger ausfallen wird.(13)

Warum es für die Kykladen keinen Bebauungsplan gibt

Damit betreten wir die Ebene des Baurechts, die in der kykladischen Inselwelt in besonders heißes Pflaster ist. Das zeigt sich auch bei den Diskussionen in dem relativ "fortschrittlichen" Kreis der Gemeinderäte und -rätinnen von Paros. Hier konnte sich die Forderung lokaler Umweltgruppen, alle vorliegenden Baugesuche (derzeit um die 1000) zu stornieren, solange es für die Insel keinen integrierten Raumordnungsplan gibt, gegen den Widerstand der Bauunternehmer-Fraktion nicht durchsetzen.

Warum gibt es für Paros – wie für alle Kykladeninseln – keinen rechtlich verbindlichen Bebauungsplan? Entwürfe für eine inselspezifische Raumordnung sind seit Jahrzehnten in Arbeit; sie alle basieren auf einer strikten Beschränkung jeglicher Bautätigkeit außerhalb bestehender Siedlungen. Doch die mächtige Immobilien- und Betonlobby hat bis heute verhindert, dass solche Blaupausen Gesetzeskraft erlangen. Und für die Regierungen in Athen gilt ohnehin das Credo: nichts zu Lasten unserer Schwerindustrie.

Es ist kein Zufall, konstatiert der auf Umweltfragen spezialisierte Journalist Giorgos Lialios, dass die letzte Fassung einer Raumordnung für die Südägäis seit Jahren in der Schublade des Ministeriums für Umwelt und Energie ruht. (Kathimerini vom 23. September 2024) Der Auftrag für ein solches Gesamtkonzept war im Mai 2018 – noch unter der Syriza-Regierung – an drei akademische Koryphäen ergangen, die ihr Ergebnis Ende 2019 abliefern sollten. Nach wiederholten Einwänden der Ministerialbürokratie konnten die Experten ihren ersten Entwurf jedoch erst im März 2021 abliefern. Auch danach wurde ihre Weiterarbeit an einer Endfassung durch das Ministerium immer wieder verzögert. Und so konnte der Entwurf einer Raumordnung für die griechische Region, die verbindliche Regeln am nötigsten hätte, vom Umweltministerium erst im Juli dieses Jahres zur „Beratschlagung“ freigegeben werden. Wie lange dieser Ratschlag dauern wird, hängt von der weiteren Verzögerungstaktik der Regierung ab.

Das Gesetz der freien Wildbahn

Giorgos Melissourgos, der Experte für Raumordnung bei der griechischen Sektion des World Wildlife Fund (WWF), kommt zu dem Schluss: „Für ein Land, in dem der Tourismus die dynamischste Wirtschaftstätigkeit darstellte, ist es paradox, dass es keine Regeln darüber gibt, wie sich dieser Sektor in der räumlichen Dimension entwickeln soll.“(14) Aber ist dieser Zustand tatsächlich „paradox“? Entspricht er nicht vielmehr exakt den Interessen der griechischen und internationalen Tourismusindustrie, der lokalen Bauindustrie und der griechischen Regierung?

Die anhaltende Sabotage einer verbindlichen Raumordnung ist eine Umweltsünde historischen Ausmaßes. Das Fehlen gesetzlicher Vorgaben bedeutet, dass auf allen Inseln das Gesetz der freien Wildbahn in Kraft bleibt: Wer immer eine Fläche von mindestens 4000 Quadratmeter erwirbt, darf bauen und kann unbehelligt einen – mehr oder weniger illegalen – Zufahrtsweg aus der Landschaft kratzen. Das Resultat ist die Zersiedlung ganzer Berghänge und Küstenstreifen. In Tinos waren vor 20 Jahren gerade 3 Prozent der Inselfläche bebaute Grundstücke, heute sind es 20 Prozent.

Allerdings hat diese Entwicklung bereits vor Jahrzehnten begonnen – mit der ungehemmten Bebauung der griechischen Küstenregionen, nicht nur auf den Inseln, in den 1990er Jahren. Das konstatiert rückblickend ein kompetenter Zeitzeuge: Nikos Sifounakis, der damalige Tourismusminister in der Pasok-Regierung. (Ta Nea vom 12. August 2024) Laut Skoufounakis war damit der Weg in die heutige „Katastrophe“ des Übertourismus geebnet.

Das ist eine wichtige Klarstellung: Die „Überlastung und landschaftliche Degradierung“ hat bereits mit dem Bauboom vor 30 Jahren angefangen. Und der wurde von der Nachfrage der griechischen Mittelklasse getragen: Fast jede Familie träumte von einem Ferienhaus oder einem Apartment auf einer Ägäisinsel oder – wenn das Geld nicht reichte – an einer Küste von Attika oder dem Peloponnes. Mit einem kurzen Rückblick auf diese Zeit will ich drei Aspekte aufzeigen, die für die weitere Entwicklung bestimmend waren.

Der Bauboom und wie er finanziert wurde

Der erste Aspekt betrifft die Frage: Wo kam das Geld für den Bauboom her? Die wirtschaftliche Entwicklung im Gefolge des EU-Beitritts (1981) und die Transfergelder aus Brüssel haben die Herausbildung einer gehobenen Mittelklasse gefördert. Die konnte auch deshalb in die Breite wachsen, weil ihre ohnehin niedrig besteuerten Einkommen mittels Steuerhinterziehung noch erheblich aufgestockt wurden. Aber auch Familien mit niedrigeren Einkommen hatten erleichterten Zugang zu Bankkrediten und konnten sich – zunächst straflos – erheblich verschulden.

Die Kombination von öffentlicher und privater Verschuldung war der entscheidende Auslöser für die systemischen Krise, die Griechenland zum ersten Opfer der globalen Finanzmarktkrise prädestinierte und in den 2010er Jahren an den Rand des ökonomischen Abgrunds brachte. Doch diese doppelte Verschuldung war zugleich die pekuniäre Basis für den von Sifounakis geschilderten Bauboom. Der wurde direkt durch die Banken finanziert – in Form von privaten Krediten und Hypotheken –, aber auch indirekt durch die öffentliche Verschuldung, die auf dem Gipfelpunkt der Krise den Rekordwert von 178 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichte. Hauptursache dieses gigantischen Staatsdefizit war – neben den außer Kontrolle geratenen Staatsausgaben – ein riesiges Defizit bei den Einnahmen, das von der „systemischen“ Steuerhinterziehung herrührte. Ein Großteil dieser dem Fiskus vorenthaltenen Gelder floss in die Finanzierung von Ferienhäusern entlang der griechischen Küstenlinie.

Dazu ein polemischer Zwischenruf. Es ist dieser „stoffliche“ Aspekt der griechischen Schuldenkrise, den viele Linke in ihrer berechtigten Empörung über die „Krisenstrategie“ des IWF und der EU – unter Anleitung von Wolfgang Schäuble, dem Schulmeister der Eurozone – nie sehen wollten. Schulden belasten zwar den Schuldner, fließen aber zunächst als Geld an konkrete Adressaten. Die meisten Kritiker der Troika-Politik haben sich damals um die Frage gedrückt, in welchen privaten Taschen die Gelder gelandet sind, die sich am Ende zu einem erdrückenden Berg öffentlicher Schulden aufgetürmt haben. Die geliehenen Staatsgelder dienten unter anderem der Kompensation entgangener Steuereinnahmen, finanzierten also jene illegalen Einkommen, die sich die Mittelklasse – und insbesondere das Segment der Freiberufler – auf Kosten der Gesellschaft verschaffen konnten. Ein Großteil dieser Gelder materialisierte sich im Beton der Zweitimmobilien.

Die Legalität und die Amnestien

Der zweite Aspekt ist die Frage nach der Legalität und wie sich diese für die Bauunternehmen bzw. die Bauherren oder -herrinnen stellte. Die Klage über das Fehlen einer verbindlichen Raumordnung geht ja davon aus, dass rechtsverbindliche Regeln und Verbote, würden sie denn existieren, von den Behörden und den Bürgerinnen und Bürgern auch eingehalten werden. Das aber wäre eine allzu kühne Annahme. In der griechischen Realität ist illegales Bauen seit Jahrzehnten fast zum Normalfall geworden. Selbst die wenigen allgemeinen Regeln, die in Kraft sind und zum Teil Verfassungsrang haben, werden grob missachtet. Das gilt etwa für das Bauen inmitten von Waldgebieten oder innerhalb einer 30 Meter tiefen Zone entlang der Küstenlinie, in der bauliche Strukturen prinzipiell verboten sind.(15)

Die Wirkungslosigkeit rechtlicher Vorschriften hat einen einfachen Grund: Keine Regierung hat es je unternommen, die Regeln auch durchzusetzen. Im Gegenteil: Illegal errichtete Bauten oder Verstöße gegen Auflagen wurden von der Obrigkeit nachträglich immer wieder amnestiert. Jeweils kurz vor den Parlamentswahlen sorgen die Athener Regierungen, ob links oder rechts, für ein Gesetz, das es Hausbesitzern ermöglicht, ihre Bausünden gegen eine geringe Gebühr abzugelten und nachträglich zu legalisieren. Mit diesen Amnestien können die Regierungen ihre Klientel auch deshalb verlässlich bedienen, weil die jeweilige Opposition nicht opponiert, um sich nicht unbeliebt zu machen.

Seit 1974 hat der griechische Staat mittels neun „Amnestiegesetzen“ insgesamt mehr als 2 Millionen avthaireta (wörtlich: willkürliche“ Bauten) legalisiert, darunter 530 000 „schwere Fälle“, bei denen gar keine Baugenehmigung vorlag oder massiv gegen die genehmigten Pläne verstoßen wurde.(16) Diese notorische Regierungspraxis hat in den Augen der griechischen Bevölkerung ein Gewohnheitsrecht auf die Amnestierung ihrer Gesetzesverstöße etabliert.

Wie der Abriss illegaler Bauten verhindert wurde

Die Regierung Mitsotakis hat den nächsten logischen Schritt vollzogen und die Ausübung dieses Gewohnheitsrechts auch digital ermöglicht. Sie hat auf der Regierungswebsite eine Plattform eingerichtet, auf der die Rechtsverletzer wie folgt belehrt werden: „Wenn Sie Besitzer eines illegalen Hauses oder Gebäudes sind, oder wenn sie für eine willkürliche Nutzung verantwortlich sind, können sie Ihren Besitz behalten, indem sie eine einmalige Strafgebühr zahlen.“ Damit sei man auf 30 Jahre hinaus vor Sanktionen geschützt; ja man könne den „Abriss des willkürlichen Gebäudes“ sogar für immer verhindern.(17)

Dieser gewohnheitsrechtliche Anspruch auf „willkürliches“ Bauen galt auch deshalb als gesichert, weil der Staat seine schärfste Sanktion selbst entschärft hat: Ein Abriss illegaler Strukturen, der laut Gesetz bei schweren Verstößen erlaubt oder sogar vorgeschrieben ist, hat fast nie stattgefunden. Seit Jahren fordern lokale Umweltschutzgruppen: „Schickt endlich die Bulldozer“. Doch ein Abrisskommando ist in Griechenland in den letzten Jahren höchstens ein Dutzend mal tätig geworden. Selbst wenn gerichtliche Verfügungen vorliegen, erklären sich die zuständigen kommunalen Behörden außerstande, den Abriss technisch durchzuführen.

Erleichtert wird diese Verweigerungstaktik durch das Wirrwarr der Zuständigkeiten, das es den verschiedenen Behörden (lokales Bauamt, Polizei, Gemeindeverwaltung und Provinzverwaltung) erlaubt, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben. Die alternative Lösung, ein privates Abrissunternehmen zu beauftragen, ist auch keine. Nur wenig Kommunen haben einen Etatposten für solche Aufträge an Privatfirmen. Und auch dann, wenn die Behörden einen Abrissauftrag ausschreiben, findet sich häufig kein Bewerber. Der Grund: Abrissunternehmer sind auf die Aufträge der lokaler Bauindustrie angewiesen, mit der sie sich auf keinen Fall anlegen wollen.(18)

Ein klassisches Beispiel für die Unterlassungssünden des Staates lieferte im Sommer 2018 ausgerechnet die linke Syriza-Regierung von Alexis Tsipras. Damals hatte ein apokalyptischer Waldbrand, der am 23. Juli an der attischen Ostküste wütete, fast hundert Menschenleben gefordert. Fast alle Opfer wohnten in der Siedlung Mati (bei Rafina), für die es nie einen Bebauungsplan gegeben hat, geschweige denn einen Evakuierungsplan für Katastrophenfälle. Ein Großteil der Häuser von Mati waren avthaireta, also illegal mitten im Wald errichtet.(19)

Angesichts dessen verkündete Alexis Tsipras Anfang August: "Das Chaos der willkürlichen Bebauung, das Menschenleben gefährdet, darf nicht mehr toleriert werden.“ Damals gelobte der Regierungschef, „die Bulldozer zu schicken“: Ab sofort werde man an den attischen Küsten 3200 illegale Gebäude beseitigen, für die bereits eine gerichtliche Abriss-Verfügung vorlag. (Reuters-Meldung vom 7. August 2018)
Und was geschah? Symbolisch wurde eine einzige illegale Beachbar platt gemacht. Für mehr Abrisse sei kein Geld da, erklärten unisono die Tsipras-Regierung, die Syriza-Präfektin von Attika und die attischen Kommunen.

Die Bevölkerung und der Übertourismus

Hier haben wir ein schlagendes Beispiel dafür, wie sich am Ende stets die Interessen der Bauindustrie durchsetzen. Aber das ist nur die halbe Erklärung, die über die andere Hälfte hinweg sieht: die Rolle und die Interessen der griechischen Bevölkerung. Die Tsipras-Regierung hat vor sechs Jahren die Bulldozer auch deshalb nicht geschickt, weil sie sich nicht noch unbeliebter machen wollte, zumal sie von der ND-Opposition für die Toten von Mati verantwortlich gemacht wurde.

Wenn die illegalen Bauten in die Hunderttausende gehen, und wenn sich eine ganze Gesellschaft auf die Amnestierung begangenen Unrechts verlässt, stellt sich die „Schuldfrage“ anders und radikaler. Damit sind wir bei dem dritten Aspekt, der unter dem Titel „Übertourismus und Bevölkerung“ stehen könnte.

Auch auf den Inseln, auf denen die Belastungsgrenzen bereits überschritten wurden, sind die Interessen nicht so verteilt, dass „die Tourismusindustrie“ gegen „die Bevölkerung“ steht. Auch hier profitieren viele „kleine Leute“ von einem lokalen Bauboom, den sie nicht durch eine „Raumordnung“ und andere Restriktionen gebremst sehen wollen. Auf fast allen Kykladen-Inseln regt sich sogar eine lokale Opposition, wenn immer ein Küsten- oder Bergregion zu einer „Natura“-Zone erklärt werden soll. Damit geht für etliche Einheimische die Hoffnung verloren, ein Grundstück teuer verkaufen oder touristisch nutzen zu können.

Für diese Leute hat sogar der radikale Tourismus-Kritiker Sifounakis Verständnis. Der will die weitere Zerstörung der Landschaft von bereits über-touristisierten Inseln zwar durch einen absoluten Baustopp aufhalten – aber unter der Bedingung, dass die Interessen der einheimischen Bevölkerung gewahrt bleiben. Was das im Einzelnen bedeutet, darauf werde ich am Ende dieses Textes zurückkommen, und zwar am Beispiel einer weiteren Erscheinungsform des „Übertourismus“: der kurzfristigen Vermietung von „Ferienwohnungen“ über Internet-Anbieter wie Airbnb.

Wenn die Einheimischen stören

Doch zunächst will ich zeigen, was die touristische Überentwicklung der ägäischen Inselwelt für diejenigen Griechen und Griechinnen bedeutet, die keinen kommerziellen Anteil an der touristischen Schwerindustrie haben. Das sind zum einen die Inselbewohner:innen, die vom Tourismus nur die negativen Folgen abbekommen; zum anderen die vielen griechischen Familien, deren Traum nach wie vor die Inselferien in einer Pension oder einer erschwinglichen Mietunterkunft sind. Die also nicht zu jener urbanen Mittelklasse gehören, deren Zweithäusern die touristische Zurichtung der Inseln angestoßen haben.

Dazu eine Erinnerung aus fernen Zeiten. Meine erster Eindruck von den Kykladen geht auf einen Dokumentarfilm über die Insel Ios zurück, die in den 1970er Jahren von europäischen Aussteigern als billiges Paradies entdeckt wurde. Eine Kafenion-Szene habe ich nie vergessen. Ein alter Mann wird gefragt, ob ihn die vielen Fremden nicht stören. Seine Antwort: „Ich frage mich, ob ich die nicht störe.“
Fünfzig Jahre später wurde die ahnungsvolle Ironie des Alten von der Realität übertroffen. Am 24. Juli forderte der Vorsitzende des Gemeinderats von Santorini seine Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, sie sollten, da 11 000 Kreuzfahrer im Anmarsch seien, „ihre Bewegungen so weit wie möglichst einschränken“. Also zu Hause bleiben.

Keine Inselferien für die ärmeren Familien

Ähnliche Ratschläge hat eine Vize-Ministerin der Mitsotakis-Regierung an die gesamte Bevölkerung gerichtet. Anlass waren die Klagen über die teuren Schiffstickets und die explodierenden Übernachtungspreise, die Inselferien für eine Athener Normalfamilie unerschwinglich machen. Doch die Ministerin hatte tröstlichen Rat: „Ärmere Leute gibt es in jedem Land, aber in Griechenland können sie ins Dorf der Oma gehen oder Ferien auf dem Festland machen.“

Einen Schritt weiter ging der konservative Journalist Aris Portosalte. Der erklärte am 19. Juli in seinem Radioprogramm beim ND-treuen Privatsender Skai, die Leute sollten endlich einsehen, dass das, was in Griechenland μπάνια του λαού („Badefreuden des Volkes“) genannt wird, nicht unbedingt zwischen dem 15. Juli und dem 30. August stattfinden müsse: „Wenn wir den Tourismus wollen und wenn der Tourismus dem Land pro Jahr 20-Milliarden Euro einbringt, ist es einfach so, dass wir, die Bewohner dieses Landes, zurückstecken müssen. Weil schlicht nicht genug Platz ist.“

Fluch und Segen von Airbnb

Viele Athener sahen sich schon dieses Jahr gezwungen, zurückzustecken. Und das nicht nur bei ihrer Ferienplanung, sondern auch im alltäglichen Leben. Das liegt an der epidemischen Ausbreitung der kurzfristigen Vermietungen – über Plattformen wie Airbnb – an eine internationale touristische Kundschaft. In ganz Griechenland gab es Ende Juni 2014 bereits 225 000 solcher Angebote mit über einer Million Betten – eine Zahl, die erstmals die Anzahl der Betten in Hotels und Pensionen übertrifft.
 
Besonders stark konzentrieren sich die Angebote vom Typ Airbnb in Athen, wo ganze Wohnblöcke im Stadtzentrum heute vorwiegend touristisch vermietet werden. Diese Entwicklung hat den Wohnungsmarkt der Metropolenregion trockengelegt. Mittlerweile sind Wohnungen für Langzeitmieter kaum mehr zu finden oder unbezahlbar geworden, was wiederum den Erwerb von Wohneigentum verteuert.

Die von Airbnb ausgelöste Wohnungskrise ist inzwischen zu einem der Hauptprobleme der Mitsotakis-Regierung geworden. Die sah sich im September 2024 gezwungen, für drei Bezirke im Athener Stadtzentrum ab Anfang 2025 ein Moratorium für neue Airbnb-Lizenzen zu verfügen. Zudem will sie Eigentümern, die langfristig, also an einheimische Wohnungssuchende vermieten, steuerliche Erleichterungen gewähren. Umgekehrt sollen Vermieter, die mehr als zwei Wohnungen über Airbnb anbieten, ab 2025 mehr Steuern zahlen müssen.(20)

Dabei sind die Maßnahmen, mit denen die Regierung griechische Kleinvermieter belastet, für die konservative Regierung nicht ohne Risiko. Denn sie trifft Zehntausende Eigentümer:innen von Zweitwohnungen, die schon immer als zusätzliche Einkommensquelle gedacht waren, etwa um ein schmales Gehalt oder eine bescheidene Rente aufzubessern. Wer durch kurzfristige Vermietung pro Jahr 15 000 Euro einnehmen kann, wird sich schwerlich überzeugen lassen, das Objekt für das halbe Geld auf dem weniger attraktiven Markt für Dauervermietungen anzubieten.

Der Grundwiderspruch der griechischen Schwerindustrie

Auch beim Thema Airbnb zeigt sich also ein Gegensatz, der die griechische Schwerindustrie insgesamt kennzeichnet. Eine Begrenzung kurzfristiger Vermietungen fordern vor allem die Athener Familien, die bis zur Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten aufbringen müssen. Doch der stärkste Widerstand kommt vom griechischen Hoteliers-Verband, der beklagt, dass über Airbnb-ähnliche Plattformen bereits mehr Betten angeboten werden als vom Hotelgewerbe.(21)

Auf der anderen Seite stehen Zehntausende von „kleinen Leuten“, die in der privaten Vermietung eine Chance sehen, am touristischen Boom zu partizipieren. Das gilt nicht nur für Athen, sondern auch für die Kykladeninsel, auf der mein Dorf liegt. Hier ist die Zahl der über Airbnb angebotenen Urlaubsquartiere im Zeitraum 2014 bis 2023 um fast das Zehnfache angestiegen (von 135 auf 1296). Aber auch hier hat dies fatale Folgen für den lokalen Wohnungsmarkt. Als Freunde von mir vor einem Jahr auf der Suche nach eine neuen Behausung die Anzeigen studierten, waren neun von zehn Mietobjekten nur von Oktober bis Juni zu haben. Eine einzige Wohnung wurde auch für die Sommermonate angeboten. Aber als Aufpreis wurden 3000 Euro verlangt.

Noch gravierender sind die Wohnungsprobleme auf Inseln, die bereits vom Übertourismus überwältigt wurden. Nicht nur in Santorini und Mykonos suchen die kommunalen Behörden in den Sommermonaten verzweifelt Behausungen für das Personal, das sie zusätzlich einstellen, um den Touristenanstrom zu bewältigen. Für Polizisten und Securitykräfte, aber auch für Ärztinnen und Krankenpfleger finden sich keine bezahlbaren Wohnungen, weil selbst noch die letzten Löcher über Internet-Plattformen vermietet werden. In einigen Fällen – etwa in Milos und Paros – haben neu eingestellte Lehrer oder Ärztinnen ihren Job nicht angetreten, weil ihre Gehälter nicht einmal die Monatsmieten abgedeckt hätten.

In meinem Inseldorf ist die andere Seite der Medaille zu besichtigen. An allen Ecken und Enden wird gewerkelt. Endlich lohnt es sich, das verlassene Haus der verstorbenen Oma zu renovieren, um in sechs Sommerwochen ein paar Tausend Euro dazu zu verdienen. Auch wenn man den Gästen kein Jacuzzi bietet.

Damit sind wir wieder beim Wasser. Ende September wird das Leitungswasser auch bei uns wieder rationiert, weil die Kapazitäten der Entsalzungsanlage nicht ausreichen, um den touristischen Überverbrauch zu kompensieren. Schon im Sommer fiel die Versorgung einiger Ortsteile für einen Tag aus, weil die Stromversorgung der Entsalzungsstation ausgefallen war.

Aber wird nicht der Klimawandel die Leute „zur Vernunft bringen“? Oder gar einen tourismuspolitischen Paradigmawandel erzwingen? Ich fürchte, eher nicht. Dass die Regenmenge seit Jahren zurückgeht, und damit der Grundwasserspiegel, registrieren die Einheimischen sehr genau. Aber die lokale Obrigkeit wird eher die Wasserpreise erhöhen als die Swimmingpools trockenlegen. Und die Athener Regierung wird kein Gesetz machen, das neue Pools untersagt oder gar bestimmt, dass die vorhandenen Becken als Zisternen genutzt werden.

Die Schwerindustrie des Landes hat zu viel in das Image investiert, das auf Websites und in Hochglanzmagazinen das einzigartige Erlebnis griechischer Inselferien vorspiegelt: der verlogene Infinitypool als mykonosblaue Wasserfläche, die in das Aquamarinblau der Ägäis übergeht.

In diese Richtung wird sich auch die Tourismuspolitik der Regierung orientieren, wenn der Übertourismus das jetzige Entwicklungsmodell zum Kentern bringt. Das Tourismus-Ministerium hat jüngst verkündet, dass Griechenland voll auf den weiteren Ausbau des Luxussegments setzen müsse. Und das lässt sich am besten auf den kleineren Inseln etablieren, die sich nicht für den Massentourismus eignen. In Ios ist die Südhälfte der Insel bereits von privaten Investoren besetzt. Und in Kea – nahe der attischen Küste – soll in einer landseitig unzugänglichen Bucht ein Luxusresort von 30 Villen entstehen, mit eigenem Yachthafen und Heliport für die einfliegende Prominenz. Tourismus für die Überreichen.
 

Anmerkungen

1) Yiannis Souliotis zitiert in seiner Reportage für die Kathimerini vom 11. August 2024 die Aussage eines Polizisten: „Weil es keine Kontrollen gibt, kann ein Besitzer es schaffen, das Ding in kurzer Zeit hochzuziehen.“ Die folgende Darstellung beruht auf dieser Reportage und weiteren detaillierten Analysen auf der Website „Viosimes Kyklades“.

2) Als Leiter war zunächst ein Beamter nominiert, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdacht ermittelte; der wurde daraufhin lediglich als Sachbearbeiter beschäftigt; so berichtet von Giorgos Lialious in Kathimerini vom 7. August 2023.

3) Siehe Kathimerini (englische Ausgabe) vom 17. August 2024.

4) Das CNN-Interview ist auf der Website von Ministerpräsident Mitsotakis konserviert.

5) Die Zahlen entstammen einer Studie des Verbands der Tourismusindustrie (INSETE): "The Contribution of Tourism to the Greek Economy 2023”. Demnach lag der Beitrag der gesamten Branche (einschließlich des inländischem Tourismus) zwischen 62,8 und 75,6 Milliarden Euro, das sind zwischen 28,5 und 34,3 Prozent des griechischen BIP.

6) Siehe den privaten Erfahrungsbericht „Santorini – A Paradise lost to Tourism“.

7) Zitiert nach einem Bericht von Gert Höhler in: Reisereporter vom 2. Juli 2024.

8) Viosimi Touristiki Anaptixi, "Eidiki Ekthesi 2024", Seite 62.

9) Mykonos hatte 2023 rund 1,1 Millionen Kreuzfahrt-Kurztouristen, nicht viel weniger als Santorini.

10) Eine Studie der Forschungsgruppe des griechischen Tourismus-Verbandes (INSETE) mit dem Titel "The Contribution of Tourism to the Greek Economy in 2023“ ermittelt folgende Zahlen: 17 Prozent aller einreisenden Touristen:innen waren Kreuzfahrtschiff-Passagiere, die aber lediglich 4 Prozent zu den gesamten touristischen Einnahmen beitrugen.

11) Zu einem Homeport will demnächst auch Chania im Westen Kretas werden. Dagegen ist Santorini als Homeport nicht geeignet, weil die Insel keine freien Kapazitäten für mehrere tausend Übernachtungsgäste bieten kann.

12) Das könnte allerdings zu Rechtsstreitigkeiten mit Bauherren und Bauunternehmern führen, die gegen das Versagen einer Baugenehmigung für ein schon erworbenes Grundstück klagen würden.

13) Dazu ausführlich mein Text auf diesem Blog: „Lob der Zisterne“ vom 12. September 2019.

14) Zitiert nach dem Bericht von Lialios in der Kathimerini vom 23. September 2024.

15) Unter anderem gibt es bereits ein generelles Bauverbot an Hängen, die mehr als 30 Grad Neigung haben. Damit soll verhindert werden, dass „in den Berg“ hinein gebaut wird und unterirdische Räume entstehen.

16) Die Zahlen nach einem Bericht in Kathimerini vom 19. Februar 2023.

17) Zitiert nach der Fassung vom 23. April 2023.

18) Eine Darstellung des Kompetenz-Wirrwarrs bieten: Georgia Giannakourou und Evangelia Balla, "COASTAL PROTECTION AND MANAGEMENT IN GREECE: FROM LAWS AND POLICIES TO ACTUAL IMPLEMENTATION", Mare Nostrum Academic Conference Haifa, Israel, 10.-13. November 2015; hier der Abschnitt: „Illegality and Enforcement“.

19) Ausführlich zur Katastrophe und den Bausünden von Mati finden sich in dem Blog-Text „Verbrannte Erde, verbrante Regierung“ vom 13. August 2018.

20) Weitere Details in To Vima vom 4. Oktober 2024, und in einem Reuters-Bericht vom 17. September 2024.

21) Die Hotelier-Lobby hat dabei vor allem jene Großunternehmen im Auge, die in Griechenland 2023 bereits ein Viertel aller kurzfristig vermieteten Immobilien besitzen. Tendenz steigend.


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