Corona, die dritte Welle und der Tourismus
von Niels Kadritzke | 18. Mai 2021
Der letzte Text an dieser Stelle erschien vor mehr als sechs Monaten. Die lange Pause hatte vor allem persönliche Gründe und bedarf insofern keiner Entschuldigung. Allerdings konnte ich mich seit März wieder intensiver mit Griechenland und den Wirkungen der Coronakrise auf die griechische Politik und Gesellschaft befassen. Dass ich diesen Text erst jetzt abschließe, hat mit dem ziemlich dramatischen Verlauf der dritten Corona-Welle zu tun, die erst seit Anfang Mai allmählich abflaut. Deshalb wollte ich meinen rückblickenden Report über das pandemische Geschehen und das Krisenmanagement der Mitsotakis-Regierung nicht früher abschließen. In diesem Bericht untersuche ich vor allem, wie der pandemische Verlauf durch das erklärte Hauptziel beeinflusst wurde, Griechenland möglichst früh und weit für den Tourismus zu öffnen. Am Ende gehe ich der Frage nach, ob es die Regierung geschafft hat, das Gesundheitssystem für künftige Krisen besser zu wappnen.
Ministerpräsident Mitsotakis eröffnet den „Griechischen Sommer“, Santorini, 13. Juni 2020
© Lefteris Partsalis/Xinhua
Harte Landung …
Seit mehr als einem Jahr hält die Covid-19-Pandemie nicht nur Griechenland, sondern die ganze Welt außer Atem. Die im Frühjahr 2021 angelaufene dritte Corona-Welle hat in Griechenland ganz ähnliche Abwehrmechanismen ausgelöst, wie wir sie aus sehr vielen größeren und reicheren Staaten und den meisten EU-Ländern kennen. Und doch gibt es eine griechische Besonderheit: die Fallhöhe zwischen dem Frühjahr 2020 und dem Frühjahr 2021, die für eine harte Landung in der Corona-Realität gesorgt hat.
Vor einem Jahr konnte sich das Land im Kampf gegen die Pandemie als Klassenbester der EU darstellen – und zwar zurecht. Das ist ein Jahr danach entschieden anders. Griechenland erlebte wie die meisten EU-Länder eine dritte Corona-Welle, die das öffentliche Gesundheitssystem einer extremen Belastungsprobe aussetzte. Mitte April waren in den für Covid-19-Patienten reservierten Intensivstationen die mit Beatmungsgeräten ausgestatteten Betten zu 86 Prozent belegt; in Attika war die Kapazität zu 91 Prozent ausgelastet, in großen Krankenhäusern in Athen und Thessaloniki war kein einziges dieser Intensivbetten mehr frei.
Wie dramatisch sich die Lage entwickelt hatte, geht aus einer Reportage von Mitte März hervor: „Wenn ein Bett in einer Corona-Intensivstation frei wird, wird es binnen Sekunden an den nächsten Patienten vergeben, der auf einer Online-Plattform registriert ist. Dann wird das Bett innerhalb von Minuten gereinigt und desinfiziert. Die Nachfrage ist in den letzten Tagen so stark gestiegen, dass Patienten mit einfachen Atemmasken in Räumen warten müssen, die eigentlich für weniger schwere Covid-Fälle vorgesehen sind.“ (Kathimerini vom 19. März). Das öffentliche Gesundheitssystem befand sich vor allem in den Ballungszentren wochenlang im Ausnahmezustand. An einigen Tagen stauten sich vor den Athener Krankenhäusern die Rettungswagen mit Schwerkranken, die auf ein freies Bett in einer Corona-Station warteten. Am 7. April wurden allein in Attika 82 beatmete Patienten außerhalb von Intensivstationen versorgt. In einem der größten Athener Krankenhäuser musste die Abteilung für postoperative Behandlung in eine Intensivstation umgewandelt werden. Das Personal der Corona-Abteilungen ist seit Wochen in einen zermürbenden Schichtdienst eingespannt: in der Regel 32 Stunden ohne Pause, dann ein freier Nachmittag, tags darauf eine neue 24-Stundenschicht.
...statt sanfter Rückkehr zur Normalität
Gemessen an den nackten Zahlen war der Pandemie-Verlauf in Griechenland zwar bei weitem nicht so bedrohlich wie etwa in Tschechien, der Slowakei oder Polen. Aber schon der Absturz auf ein „durchschnittliches“ Krisenniveau bedeutete für die Bevölkerung ein böses Erwachen – hatte ihr die Mitsotakis-Regierung doch eine sanfte Rückkehr zur Normalität in Aussicht gestellt.
Im Folgenden werde ich den epidemiologischen Verlauf im Jahr Zwei der Corona-Zeitrechnung darstellen und schildern wie es zu der dramatischen Zuspitzung der Lage kommen konnte. Diese Entwicklung ist nicht viel anders verlaufen als in den übrigen EU-Ländern. Deshalb werde ich mich auf die wichtigsten Weichenstellungen konzentrieren. Und auf jene Versäumnisse und „Fehler“ der Athener Regierung, die für ein konservatives marktliberales Krisenregime typisch sind und zugleich die strukturellen und „systemischen“ Schwächen der griechischen Gesellschaft widerspiegeln.
Was aus der „success story“ geworden ist
Um an den Ausgangspunkt der griechischen Pandemie-Entwicklung zu erinnern, verweise ich auf meine Darstellung vom 12. April 2020 unter dem Titel: „Warum Griechenland nicht Italien ist“. Die weltweit gewürdigte „success story“ ließ sich damals mit eindrucksvollen Zahlen untermauern. Als die Athener Regierung am 13. März vorigen Jahres die Restaurants zumachte, waren in einer Bevölkerung von 10,38 Millionen erst 190 Corona-Fälle und ein einziger Toter registriert. Als zehn Tage später ein allgemeiner Lockdown verfügt wurde, gab es erst 624 Fälle und 17 Tote.
Ein gutes Jahr danach, am 10. Mai 2021, meldete Griechenland 383 904 Corona-Fälle und 11 089 Tote. Das bedeutet 35 060 Fälle und 1068 Tote pro 1 Million Einwohner. Dass die Steigerungsrate zwischen Frühjahr 2020 und 2021 für Griechenland um ein Vielfaches höher ausfiel als etwa für Italien, war bei dem niedrigen Ausgangsniveau der Infektions- wie der Sterblichkeitsrate keine Überraschung. Der steile Anstieg dokumentiert lediglich die „Anpassung“ der griechischen an die durchschnittlichen Verhältnisse – den Abstieg von der „success story“ zum pandemischen Normalfall. Zwar liegt Griechenland bei den absoluten Fallzahlen und der Zahl der Toten auch heute noch unter dem EU-Durchschnitt, doch die Kluft zu den „Katastrophenländern“ existiert nicht mehr.
Das lässt sich an der Entwicklung der wichtigsten Indexzahlen zeigen. Im April 2020 lag die Infektionsrate (pro 1 Million Einwohner) in Italien und Spanien um ein vielfaches (12 bzw. 17 mal) höher als in Griechenland, Ende April 2021 aber nur noch um das 1,8-fache (Italien) und das 1,9-fache (Spanien). Ähnlich sieht es bei der Todesrate (pro 1 Million Einwohner) aus: Sie lag Anfang April 2020 in Italien um das 35-fache und in Spanien um das 39-fache über dem griechischen Wert, ein Jahr später aber nur noch um das 1,7- bzw. 1,9-fache. Und was die 7-Tage-Inzidenz (Zahl der in einer Woche registrierten Fälle pro 100 000 Einwohner) betrifft, so stand Griechenland (168) Anfang Mai deutlich schlechter da als Italien (100) und Spanien (89). Und sehr viel schlechter als Portugal (23) und Irland (59), wo die Inzidenzzahl zu Beginn dieses Jahres auf Rekordhöhen (884 bzw. 926) geklettert war.(1)
Die Gründe für diese seit Jahresanfang entfachte Dynamik sind weitgehend dieselben wie in vergleichbaren EU-Ländern, etwa die rasende Ausbreitung der britischen Corona Mutante B.1.1.7, die von den griechischen Behörden erst seit dem 1. Januar 2021 erfasst wird. Und wie anderswo melden auch in Griechenland die großen Ballungszentren die bei weitem höchste Virus-Belastung. Seit Jahresbeginn werden mindestens zwei Drittel aller griechischen Fälle in Attika (mit Athen und Piräus), Thessaloniki, Patras, Larissa und den Städten Kretas verzeichnet. Insofern ist das pandemische Geschehen ein Abbild der hohen demographischen Konzentration des Landes. Während die 7-Tage-Inzidenz für ganz Griechenland in der ersten Aprilhälfte etwas über 200 lag, stieg sie in der Region Attika (mit Athen) auf knapp 280 und im Großraum Thessaloniki wie auch in Patras und den kretischen Städten Irakleion und Chania zeitweilig sogar auf über 300.
Corona-Politik nach der Akkordeon-Methode
An andere EU-Länder erinnert auch die Neigung der Athener Regierung, bei den staatlichen Pandemie-Maßnahmen „auf Sicht“ zu fahren, also eine „Stop-and-go“-Politik zu betreiben, die wir auch aus Deutschland kennen. In Griechenland wird dieses Handlungsmuster als „Akkordeon-Methode“ bezeichnet: quetschen, locker lassen, und wieder quetschen, wenn das Virus die Lockerung bestraft. Ein derart taktisches Reagieren auf die epidemiologische Dynamik entspringt auch in Griechenland dem Opportunismus der politischen Verantwortlichen, die leichtfertig hoffen, dass es „schon nicht so schlimm kommen wird“, wie es die Experten und Expertinnen voraussagen.
Dass die politische Klasse in den meistern Ländern zum Lavieren neigt, rührt von einem Grundwiderspruch. Generell muss jede Regierung die Polarität zwischen gesundheitspolitischer Gefahrenabwehr und wirtschaftspolitischem Krisenmanagement aushalten und austarieren. Unter den Expertinnen und Experten herrscht im Hinblick auf diesen Grundwiderspruch ein breiter Konsens, der von der Realität diktiert wird. Sie befürworten einen harten und schnellen Lockdown nicht nur als die wirksamste Pandemie-Bremse, sondern auch als ökonomisch sinnvoll, weil eine frühe Notbremsung verhindern kann, dass „die Wirtschaft“ zu einem späteren Zeitpunkt noch länger heruntergefahren werden muss.
In Griechenland tritt dieses Grundproblem in einer besonderen Form auf. Dabei sind es insbesondere zwei Variablen, die beim Austarieren der geschilderten Polarität zu berücksichtigen sind: zum einen die Belastung des öffentlichen Gesundheitssystems, das im europäischen Vergleich ohnehin unterentwickelt und zusätzlich noch durch die jahrelange Krise der Staatsfinanzen geschwächt ist. Zum anderen die Besonderheit der griechischen Wirtschaftsstruktur, also der hohe Anteil der Tourismusbranche (einschließlich Gastronomie) und des distributiven Sektors (Einzelhandel) am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Beide Bereiche haben zugleich eine überproportionale Bedeutung für die Beschäftigung.(2)
Hauptziel: Rettung der Touristensaison
Die drohende Überlastung der Intensivstationen war der entscheidende Grund dafür, dass die Regierung Mitsotakis zu Beginn der Pandemie so schnell und effektiv gehandelt hat. (Siehe meine Blog-Texte vom 12. April und vom 14. Mai 2020). Da die meisten Griechinnen und Griechen die Schwächen des Gesundheitssystems aus eigener Erfahrung kennen, war die Akzeptanz des harten Lockdowns zunächst sehr hoch. Zugespitzt kann man sagen, dass die Angst vor einem „griechischen Bergamo“ im Frühjahr 2020 dafür gesorgt hat, dass das Land mit einem relativ milden epidemiologischen Verlauf davongekommen ist.
Doch in dieser Erfolgsgeschichte war der Keim ihres Endes bereits angelegt. Beschwingt durch eine subtile PR-Kampagne der Regierung, die der Bevölkerung zu ihrem Erfolg gratulierte, wähnten sich die Griechinnen und Griechen im späten Frühjahr bereits „über den Berg“. Das zentrale Motiv des Regierungshandelns war in dieser Phase die Angst vor einem Einbruch des Tourismus, also des wichtigsten ökonomischen Sektors. Deshalb mussten die anfangs geweckten Corona-Ängste der Bevölkerung wieder beschwichtigt werden. In diesem Sinne hat die Regierung Mitsotakis aktiv zur vorzeitigen Lockerung der Lockdown-Disziplin beigetragen oder diese Wirkung zumindest in Kauf genommen.
Ich werde die Inkonsistenz der griechischen Corona-Politik des Jahres 2020 noch nachzeichnen. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass sich dieses Handlungsmuster im Frühjahr 2021 wiederholt hat. Schon Mitte März verkündete die Athener Regierung die „Öffnung“ des Landes für den Tourismus aus EU-Ländern für Mitte Mai. Noch früher, bereits am 29. März 2021, trat ein „Open-Skies“-Abkommen mit Israel in Kraft, das eine problemlose Einreise für geimpfte israelische Feriengäste vorsieht. Und am 5. Mai erklärte Regierungschef Mitsotakis, die Öffnung des Landes ab dem 15. Mai 2021 sei für Touristen sicher, dank der geforderten Tests für Einreisende und der Tatsache, dass Tourismus vor allem im Freien stattfinde. Und Tourismusminister Charis Theocharis verkündete bei einem PR-Auftritt in Berlin, Griechenland sei „eines der am besten vorbereiteten“ Touristenländer und garantiere eine „professionelle“ Balance zwischen „Offenheit und Sicherheit“ (zitiert nach der staatlichen Nachrichtenagentur ANA-MPA).
Auch dieses Jahr: Einschränkung des Osterverkehrs
Welche zentrale Bedeutung der Tourismus für die Corona-Strategie der Regierung Mitsotakis hat, zeigten die Regelungen für den diesjährigen Osterverkehr. Der wurde im Vorjahr im Rahmen des ersten Lockdowns drastisch eingeschränkt, um die Verschleppung des Virus von den städtischen Zentren in die Provinz zu verhindern. Deshalb wurde 2020 selbst der österliche Aufenthalt von Athener Familien in Ferienhäusern oder bei „der Oma im Dorf“ unterbunden, und zwar durch Androhung hohe Geldstrafen und lückenlose Straßenkontrollen (siehe dazu meinen Bericht vom 12. April). Ein Jahr später galt für die orthodoxe Osterwoche (26. April bis 2. Mai 2021) ein ähnliches Regime, das die „Osterausflüge“ der Athener Familien in angrenzende Provinzen stark eindämmen sollte. Nachdem in Umfragen herausgekommen war, dass 60 Prozent der griechischen Bevölkerung einen Urlaub planten, schlugen die Experten Alarm. Sie befürchteten für die Wochen nach Ostern eine erneute Steigerung der Fallzahlen und eine weitere Überlastung der Intensivstationen.
Deshalb wurden in der Osterwoche – wie im Vorjahr – die „Ausreisen“ aus Athen in die umliegenden Provinzen streng kontrolliert. Und zudem einige Ausnahmeregeln abgeschafft, die zum Missbrauch einladen (etwa die Buchung eines Arzttermins in der Provinz, in der das Ferienhaus liegt). Auch für die kirchlichen Osterzeremonien wurden strenge Auflagen verfügt: Die Karfreitagsprozessionen, die gewöhnlich durch die Straßen ziehen, wurden auf die Vorhöfe der Kirchen beschränkt; die Stunde der Auferstehung zu Mitternacht am Ostersamstag wurde um drei Stunden vorverlegt; Priester und Messdiener mussten einen negativen Test vorweisen und zwei Atemschutzmasken übereinander tragen; die Zahl der Gläubigen – in den Kirchen wie davor – war streng begrenzt.
Das zentrale Motiv für dieses strenge Osterregiment war das gleiche wie 2020. Auch dieses Jahr befürchtete die Regierung, „dass eine pauschale Bewegungsfreiheit zu Ostern die Pläne stoppen könnte, die einen dynamischen Start der Touristensaison und die Öffnung der Gastronomie sofort nach Ostern vorsehen“. (Kathimerini vom 17. April) In der PR–Sprache des Regierungschefs lautet das strategische Ziel: „Sichere Ostern“, damit ein „freier Sommer“ möglich wird.
Doch zwischen Ostern 2020 und Ostern 2021 gibt es auch wesentliche Unterschiede. Die beiden wichtigsten sind:
- das unbefangene bis leichtsinnige Verhalten größerer Bevölkerungsgruppen und vor allem der jüngeren Jahrgänge
- die Perspektive der Impfungen, die Hoffnungen weckt, aber zugleich den Leichtsinn fördert
Corona-Massenpartys ohne Masken
Mit steigenden Temperaturen kam es seit Anfang April in Athen,Thessaloniki und anderswo bei Anbruch der Nacht zu Ansammlungen von Jugendlichen, die man keineswegs „spontan“ nennen kann. Insbesondere in angesagten Athener Vierteln fanden auf öffentlichen Plätzen professionell organisierte „Coronapartys“ mit DJs und aufwendigen Beschallungsanlagen statt. Zu solchen Partys, die bis in die Morgenstunden andauerten, kamen im Stadtteil Kypseli wiederholt bis zu 2000 Leute zusammen, die weder die Abstandsregeln noch die Maskenpflicht einhielten. Die Regierung konnte gegen diese Art massenhafter Regelverletzung nichts ausrichten. Harte Polizeieinsätze hätten nur eine Eskalation ausgelöst, die womöglich Menschenleben gefährdet und in jedem Fall eine „Verdichtung“ körperlicher Kontakte bedeutet hätte. Vor einem polizeilichen „Showdown“ scheute man auch deshalb zurück, weil am 7. März mehrere Jugendliche bei einem brutalen Polizeieinsatz im Athener Stadtteil Nea Smyrni schwer verletzt worden waren. Das löste weitere Demonstrationen aus, in deren Verlauf auch Polizisten verletzt wurden. Vorfälle dieser Art wollte die Regierung unbedingt vermeiden. Und für die alternative Lösung, eine prophylaktische Absperrung der einschlägigen Plätze, reichten die Polizeikräfte nicht aus.
Angesichts solcher unbeherrschbaren Situationen gewinnt bei der Regierung, aber auch in der öffentlichen Debatte, die „Ventil“-Theorie an Boden. Sie lautet: Da viele Menschen die einschränkenden Regeln nicht mehr hinnehmen wollen, muss man ihnen begrenzte Freiheiten und kontrollierte Betätigungsmöglichkeit eröffnen. Deshalb bedeute politische Führung, den „goldenen Mittelweg“ zwischen den Ratschlägen der epidemiologischen Experten und den Bedürfnissen der regelmüden Bevölkerungsgruppen zu finden.
Bedenken der Experten
Dem halten die Experten entgegen, dass der „goldenen Mittelweg“ und die geplanten Schritten zur „Öffnung“ – der Geschäfte, der Restaurants, der Schulen – angesichts von 3000 Corona-Fällen pro Tag und überfüllten Krankenstationen aus wissenschaftlicher Sicht ein Fehler ist. Ein Fehler, „den wir mit Tausenden Toten bezahlen müssen“, mahnte etwa George Pavlakis, ein in Griechenland sehr promimenten Immunologen, der das Krebsforschungsinstitut der US-Regierung leitet. Zwar habe letztlich die Regierung zu entscheiden, wie viel der Bevölkerung zuzumuten sei, erklärte Pavlakis am 25. April im TV-Sender Mega, „aber wir alle müssen uns über die Kosten im Klaren sein“. Zugleich warnte er vor der Illusion, dass allein das Impfen die Pandemie beenden würde.
Damit übte Pavlakis indirekte Kritik an der Regierung Mitsotakis, deren PR-Kampagne davon lebt, übertriebene Erwartungen an das Impfen zu knüpfen. Der Regierungschef selbst hatte schon Ende 2020, als die zweite Corona-Welle im Abklingen war, von der baldigen „Befreiung durch Impfen“ geschwärmt. Kurz darauf begann die dritte Welle. Als diese Anfang April das Gesundheitssystem zu überwältigen drohte, ging Mitsotakis als einziger EU-Regierungschef so weit, laut über eine Impfpflicht für das ärztliche und Pflegepersonal nachzudenken. (Interview in Star TV am 8. April 2021)
Auch der Bedrohung durch Coronapartys will die Regierung mit der Impfspritze entgegentreten. Am 21. April kündigte der Gesundheitsminister an, dass nach Ostern auch die Altersgruppe der über 30-Jährigen einen Impftermin buchen könne. Dass die Regierung damit quasi einer Erpressung nachgegeben hat, macht die Erklärung eines Mitglieds der Expertenkommission deutlich: Da diese Altersgruppe die höchste R-Zahl aufweist, erwarte man innerhalb von ein, zwei Monaten „eine erhebliche Verringerung der Ansteckungszahlen, die wesentlich von dieser Gruppe ausgeht“.(3)
Impfen als Wunderheilung – für den Tourismus
Alle praktischen Schritte, mit denen die griechische Regierung die Wunderheilung durch Impfen erreichen will, sind auf ein übergeordnetes Ziel orientiert. Und das lautet wie schon 2020: die „Öffnung für den Tourismus“. Um die Fremdenverkehrsindustrie als „sicher“ inserieren zu können, sollen die etwa 800 000 Beschäftigten der Branche bis Mitte Mai voll durchgeimpft sein. Sie kommen gleich nach den besonders gefährdeten Altersgruppen dran und noch vor dem Lehrpersonal der Schulen und Universitäten. Das heißt: Eine bestimmte Bevölkerungskohorte wird nicht wegen ihrer speziellen gesundheitlichen Gefährdung privilegiert, sondern wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung. Wie zentral dieser Aspekt für die griechische Regierung ist, ließ Mitsotakis in einem TV-Interview am 22. April erkennen: Gegenüber dem Sender Alpha warf er die Frage auf, ob für die Beschäftigten im Tourismussektor die Weigerung, sich impfen zu lassen, nicht ein Entlassungsgrund sein könne.
Eine Lieferung Impfdosen von Pfizer-BioNTech erreicht die Insel Naxos, 13. Mai 2021
© Thanassis Stavrakis/ap
Zum Programm „Rettet unseren Tourismus“ gehört eine weitere Maßnahme: Die gesamte Bevölkerung der kleineren Inseln (bis zu 1000 Einwohnern) wurde bereits bis Ende März durchgeimpft, bis Ende Mai soll das auch für alle Inseln mit bis zu 10 000 Einwohnern gelten. Und Ende Juni soll das Konzept der kollektiven Immunisierung auch für die großen Inseln einschließlich der Mega-Touristenzentren wie Rhodos, Kos und Korfu umgesetzt sein. Dieses Programm unter dem Titel „Operation Blaue Freiheit“ verkündete Mitsotakis am 11. Mai, wobei er betonte, die Kampagne werde dem „Tourismusprofil des Landes insgesamt“ zugute kommen. Wie skrupellos die Regierung dieses Programm umsetzen will, zeigt die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, Impfdosen (des Fabrikats von Johnson & Johnson), die ursprünglich für Festland-Hotspots wie Agrinion und Mesolonghi vorgesehen waren, auf die Inseln zu schicken. (EfSyn vom 17. Mai 2021)
Dass die Aktion vor allem auf die Vermarktung von „COVID-free Islands“ zielt, machte Tourismusminister Theocharis in einem BBC-Interview deutlich, in dem er die britische Regierung aufforderte, einzelne Inseln auf ihre „grüne Liste“ unproblematischer Ferienziele zu setzen.(4)
Einige Lehren aus dem Vorjahr
Das Konzept für die Sommersaison 2021 sieht aber auch einige Verbesserungen vor, die einer Analyse der im Vorjahr gemachten Fehler entspringen. Wie die Kathimerini am 15. März berichtete, hat man im Tourismusministerium vor allem eine Lehre gezogen: „Die dynamische Öffnung für den Tourismus erfordert eine umfassende Planung, wozu auch die Verstärkung der Kontrollmechanismen und der Verfolgung des epidemiologischen Status (der Eingereisten) innerhalb Griechenlands gehört.“ Deshalb will man unter anderem folgende Maßnahmen umsetzen:
- Strenge Regeln für alle Einreisenden, die – anders als im Sommer 2020 – einen Impfnachweis oder einen negativen PCR-Text mitbringen und zusätzlich mit einem Stichprobentest rechnen müssen
- personelle Verstärkung der Kontrollstationen an den Grenzen und auf den Flughäfen
- den Einsatz mobiler Testteams in den Grenzregionen, um „die Ausbreitung eingeschleppter Viren in der lokalen Bevölkerung“ zu verhindern
- den Aufbau von Test- und Analyse-Kapazitäten direkt auf den Inseln und in anderen touristisch geprägten Regionen
- die Entsendung zusätzlicher Polizeikräfte auf Inseln wie Mykonos und Santorini, die letzten Sommer als Hotspots der berüchtigten Coronapartys in die Schlagzeilen gerieten;
- einen Corona-Test pro Woche für Beschäftigte im Tourismus-Sektor, die noch nicht geimpft sind.
Ob diese Vorsätze umgesetzt werden bleibt abzuwarten. In jedem Fall stellt dieser Katalog von Verbesserungen zugleich eine Mängelliste dar. Sie spiegelt die Schwächen und Fehler des Vorjahres, die ich an dieser Stelle rückblickend darstelle. Dabei werde ich auch die Besonderheiten des „griechischen Weges“ gegenüber anderen Tourismus-Ländern herausarbeiten.
Rückblick auf 2020: Griechenland als die Insel der Seligen
Im Frühjahr 2020 feierten die Medien in aller Welt die Regierung in Athen als Vorbild für andere politische Akteure, die fahrlässig spät oder zu lax reagiert hatten. Die Gratulanten reichten damals von CNN bis BBC und Deutsche Welle, von Bloomberg und Financial Times bis zu Le Monde und The Guardian. In der Harvard Business Review vom 18. Mai wurde der griechische Regierungschef mit der neuseeländischer Premierministerin Jacinda Ardem vergleichen, deren Corona-Strategie sich als besonders wirksam erwiesen hatte. Für den Autor der Eloge schnitt Mitsotakis sogar noch besser ab: „Anders als Neuseeland leidet Griechenland unter Strukturproblemen; das Land hat eine alternde Bevölkerung, seine Institutionen sind schwach, sein öffentlicher Dienst ineffektiv; und sein nationales Gesundheitssystem ist stark unterfinanziert.“ Dennoch habe das schwer gebeutelte Land gegenüber der Pandemie eine der „effektivsten Reaktionen weltweit“ hingelegt.(5) Und Mitsotakis persönlich habe dafür gesorgt, dass die „notorisch eigensinnigen Griechen“ die lästigen Regeln zur Eindämmung des Virus weitgehend befolgt haben.
Solche Lobeshymnen auf das staatsmännische Genie des Regierungschefs belegen die Effizienz der PR-Maschine im ersten Stadium der Pandemie. Gleichwohl beruhte dieser Erfolg auf einem Fundament belastbarer Fakten. Dass die griechische Pandemie-Bekämpfung im Frühjahr 2020 tatsächlich eine „success story“ war, zeigen einige wichtige Parameter. Am 18. Mai 2020, als die Mitsotakis-Hymne in der Harvard Business Review erschien, waren insgesamt erst 165 Patienten an Corona gestorben. Auf den Intensivstationen lagen nur 21 Corona-Patienten, die beatmet werden musste, und die wichtige Reproduktionszahl (R) war unter 0,5 gefallen, was einen erheblichen Rückgang der Ansteckungszahlen anzeigte. Eine Woche später erreichte die R-Zahl mit 0,33 ihren niedrigsten Stand.
Das konnte nicht so bleiben. In aller Welt warnten die Experten, eine zweite oder gar dritte Welle werde unweigerlich kommen, so lange nicht durch Massenimpfung eine ausreichende kollektive Immunität erzielt sei. Dennoch haben die Regierenden in sehr vielen Ländern die Maßnahmen und Strategien nicht umgesetzt, die eine zweite oder dritte Welle in beherrschbaren Grenzen gehalten hätte. Das gilt auch für jene EU-Staaten, die über bessere Voraussetzungen – und bessere Gesundheitssysteme – verfügen als Griechenland. Deshalb sind manche der im folgenden beschriebenen Fehler und Versäumnisse keine griechischen Besonderheiten. Aber einige eben doch. Auf die wird sich meine Darstellung konzentrieren.
Übermut tut selten gut
Am 20. Mai 2020 – als die Infektionszahlen ihren tiefsten Punkt und die Frühlingsgefühle ihre größten Aufschwung verzeichneten – erschien in der Athener Tageszeitung Kathimerini ein skeptischer Kommentar: Zwar könne das Land eine „unglaubliche Menge positiver Publicity“ verzeichnen, die es auszunutzen gelte, aber gerade deshalb gelte es, „jede Hast und Übertreibung“ zu vermeiden. Denn sonst, so die Warnung, könnte die Erfolgsgeschichte am Ende nicht „nach hinten losgehen“. Ersetzt man das Wort „Übertreibung“ durch „Übermut“, ist das griechische Vabanquespiel mit dem Virus angemessen bezeichnet. Wobei der Begriff nicht nur für die Botschaft gilt, die Mitsotakis aussendete, sondern auch für die Rezeption seitens der Bevölkerung, die auf die Lockerung der Regeln, die ihnen das gewohnte Leben schwer gemacht hatten, allzu übermütig reagierte.
Der Übermut der Regierung, vorschnell die Rückkehr zu einer – nur noch marginal eingeschränkten – Normalität auszurufen, entsprang vor allem einem Motiv: Es ging darum, einen möglichst großen Teil der Tourismus-Saison retten. In diesem Sinne wurde die Regierung Mitsotakis auch auf EU-Ebene aktiv. „Griechenland ist darauf aus, Kapital aus seinem unerwartet erfolgreichen Umgang mit der Pandemie zu schlagen“, war am 12. Mai im Guardian zu lesen. Falls es auf EU-Ebene keine Einigung geben sollte, strebte Athen bilaterale Vereinbarungen mit Ländern an, die als relativ Corona-„sicher“ galten. Deshalb drängte die griechische Regierung zusammen mit zehn weiteren EU-Ländern(6) auf eine Strategie zur „schrittweisen Normalisierung des grenzüberschreitenden Verkehrs“ mit dem Ziel, dass „Bürger, die frei innerhalb Europas reisen, auch wieder sicher nach Hause zurückkehren können“. Allerdings müsse man zugleich, „einen nicht vertretbaren Anstieg der Infektionen“ vermeiden, erklärte Mitsotakis am 7. Mai gegenüber CNN. Deshalb werde Griechenland von allen Einreisenden einen negativen Corona-Test verlangen.
Der ganze Plan bestand zunächst nur aus frommen Wünschen und Versprechen. In die Umsetzung dieser Versprechen investierte die Regierung Mitsotakis weit weniger als in eine ausgefeilte PR-Kampagne. Am 31. Mai veröffentlichte das Athener Außenministerium unter dem Motto „Griechenland heißt die Welt willkommen“ einen Drei-Phasen-Plan, den das Tourismus-Ministerium ausgearbeitet hatte.
Wenn die Sonne über Santorini versinkt
Um diese „aggressive“ Öffnungsstrategie urbi et orbi zu verkünden, ließen sich die PR-Leute von Mitsotakis etwas besonderes einfallen. Für den 13. Juni 2020 wurden die ausländischen Griechenland-Korrespondenten und ausgewählte Reise-Journalistinnen auf die spektakuläre Vulkan-Insel Santorini eingeladen. An derselben Stelle, an der sich noch im Sommer 2019 allabendlich eine tausendköpfige Meute gedrängt hatte, um in die untergehende Sonne zu glotzen(6), gab der griechische Ministerpräsident ein Jahr später den Marktschreier der Tourismus-Branche. Pünktlich zum Sonnenuntergang pries er den unvergleichlichen griechischen Sommer und das „einzigartige Gefühl von Glück, von Freiheit, von Gelassenheit“, das sein Land jedem Touristen und jeder Touristin zu bieten habe.
Es waren direkte Zitate aus einem Werbe-Video, das seit Anfang Juni über alle internationalen Medien lief. Nach dem romantischen Tremolo kam der Chefpropagandist zur Sache: „Der griechische Tourismus ist zurück. Wir sind dabei, die meisten der verbleibenden Beschränkungen des Luftverkehrs aufzuheben.“ Es folgte ein direkter Appell an die eingeflogenen Medienleute: „Berichten Sie Ihren Freunden, Ihren Lesern, Ihren Zuhörern und Zuschauern, das wir offen sind und dass sie alle willkommen sind...“ Klarer konnte man nicht ansagen, dass Griechenland mit seiner frühen „Öffnung“ den Konkurrenzkampf um die Anteile an einem schrumpfenden Tourismus-Markt eröffnet hatte.(7)
„Sicherer“ Tourismus in unsicheren Zeiten
Und Corona? Natürlich „ist Ihre Sicherheit unsere höchste Priorität“, versicherte Mitsotakis auf die Frage eines Journalisten. Vieles werde davon abhängen, „ob wir Griechenland als ein sicheres Reiseziel präsentieren können“, damit sich die Menschen „nicht nur willkommen, sondern auch sicher fühlen“. Sein oberstes Ziel sei es nicht, „Griechenland zum ersten, wohl aber zum sichersten Reiseland in Europa zu machen.“ Aber kaum hatte der Regierungschef auf die „robuste Richtlinien und sehr systematische Rahmenregeln“ verwiesen, die mögliche Risiken bei der Anreise wie in den Hotels und Restaurants eindämmen sollten, verkündete er die ersten Lockerungen: Reisende aus der erweiterten Schengen-Zone müssten bei der Ankunft auf griechischen Flughäfen keinen Corona-Test mehr vorweisen und würden auch auf griechischem Boden nur stichprobenartig getestet.(8) Das Gelöbnis, Griechenland-Reisende dürften nur „mit negativem Test ins Flugzeug steigen“, war damit ebenso hinfällig wie die obligatorische Quarantäne (in Form einer zweiwöchigen Selbstisolierung), die bis Mitte Juni für alle ankommenden Passagiere gegolten hatte.(9)
Die gewagteste Botschaft des Abends – die Sonne war schon im Meer versunken – lancierte Mitsotakis als Antwort auf eine rhetorische Frage: „Liegt das Schlimmste schon hinter uns? Ich glaube, ja.“ Zwar sei ein begrenzter „lokaler“ Corona-Ausbruch nicht ganz auszuschließen, aber das sommerliche Wetter werde die Ansteckungszahlen „erheblich“ drücken. Auch deshalb sei er „zuversichtlich“, dass seine Öffnungsstrategie das Erreichte nicht aufs Spiel setzen werde. Diese Zuversicht wurde von den Experten damals nicht geteilt. Selbst regierungsnahe Medien kritisierten den Verzicht auf obligatorische Tests für ausländische Feriengäste und warnten: „Die Risiken eines unkontrollierten Tourismus sind einfach zu groß. Die Gesundheit muss an erster Stelle stehen.“ (Kathimerini vom 22. Juni, siehe auch englische Ausgabe vom 24.Juni).
Dass die Gesundheit für Mitsotakis nicht an erster Stelle stand, hat der Regierungschef selbst zugegeben – wenn auch sehr viel später: Am 12. November 2020 verteidigte er seine Entscheidung für die laxen Kontrollen im Parlament mit dem Argument: Wenn die Gesundheitsbehörden im Sommer alle Einreisenden zwangsgetestet hätten, wären Griechenland am Ende nur 10 Prozent der touristischen Einnahmen verblieben. „Eine solche Entscheidung hätte die Schließung und nicht die Öffnung des Tourismus bedeutet.“
Die inneren Folgen der Öffnung nach außen
Bis heute argumentieren Mitsotakis und seine Regierung, die „Öffnung“ zum 1. Juli habe die Covid-19-Belastung nicht erhöht und nicht zu der zweiten Pandemie-Welle im Herbst 2020 beigetragen. Diese Behauptung ist im doppelten Sinne irreführend. Zum einen ignoriert sie die indirekten Folgen. Die PR-Show von Santorini war zwar für die Märkte und Medien des Auslands inszeniert, aber auch das einheimische Publikum bekam die flotten Sprüche mit und verstand sie als Startschuss für einen unbeschwerten Sommer. Besonders die jüngeren Griechinnen und Griechen fühlten sich zu einer „Lockerung“ ermuntert. Die Folge war ein weitgehend maskenfreies Gedränge im öffentlichen Raum, auf Plätzen, in Straßencafés und Beachbars, die ab 25. Mai wieder öffnen durften.(10)
Mit dieser Wirkung hätte die Athener Regierung rechnen müssen. Denn der Umschwung zu einer laxeren Stimmung hatte sich längst angedeutet: Bei einer Meinungsumfrage hatten noch Mitte April 78 Prozent der Befragten erklärt, sie seien über die Corona-Gefahr sehr oder ziemlich besorgt. Anfang Juni waren es nur noch 44 Prozent, während sich 27 Prozent nur „mäßig“ und 20 Prozent „wenig oder gar keine“ Sorgen mehr machten.(11)
Noch beunruhigender waren die Antworten auf eine Frage, die sich auf die angekündigte Lockerung der Verhaltensmaßregeln bezog. Nur 8 Prozent der Befragten glaubten, die Bevölkerung werde sich vollständig an die ohnehin gelockerten Regeln halten; 36 Prozent rechneten mit einer „weitgehenden“ Befolgung. 34 Prozent schätzten die Corona-Disziplin als „mittelmäßig“ und 17 Prozent als „gering“ bis „null“ ein. In der jüngsten Altersgruppe (17 bis 29 Jahre) ging sogar ein Drittel davon aus, dass die Regeln kaum oder gar nicht eingehalten würden.
Diese Einschätzungen bildeten eines Mentalitätswandel ab, der sich mit Beginn des Sommers noch verstärken sollte. Dazu trug vor allem eine Entscheidung bei, die lange vor der leichtfertigen Botschaft von Santorini getroffen wurde. Bis zum 10. Mai hatten die täglichen Pressekonferenzen aus dem die Bevölkerung auf dem Laufenden gehalten – und alarmiert. Ab 11. Mai gab es diesen Corona-Unterricht nur noch zwei Mal pro Woche. Doch der entscheidende Schritt folgte am 26. Mai, als der epidemiologische Experte Sotiris Tsiodras, der mit seiner besonnenen Art zur „moralischen Instanz“ der Nation geworden war, seinen vorerst letzten Auftritt hatte.(12) Danach fand die Aufklärung über den Stand der Pandemie ohne Tsiodras statt. Es war eine PR-strategische Entscheidung von höchster Stelle. Und mit gravierenden Folgen, denn der Verzicht auf die moralische Instanz wirkte – wie die Lockerung der strengen Corona-Regeln – als ein Signal der Entwarnung.
Dissens zwischen der Regierung und den Experten
Dass Tsiodras nicht mehr öffentlich warnen durfte, hatte einen weiteren Grund, der in den griechischen Medien erst viel später erörtert wurde. In der Kathimerini vom 2. August berichtete Stavros Papantoniou über „diverse Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Tsiodras und der Regierung. Insbesondere befürchte der Experte, dass die Regierung mit ihrer Lockerungspolitik die Erfolge des Frühjahrs verspielt.(13) Wann und wie der Expertenausschuss oder einzelne seiner Mitglieder Positionen vertraten, die von der Regierung ganz oder teilweise missachtet wurden, wissen nur die Beteiligten. Die Protokolle der Sitzungen werden nicht veröffentlicht. Aber es gab klare Indizien: Zum Beispiel mahnte Tsiodras noch Mitte Mai zu „großer Vorsicht“ und empfahl, zunächst nur den „Inlandstourismus“ zuzulassen und das Land erst später für ausländische Touristen zu öffnen (EfSyn vom 14. Mai 2020).
Auch bei seinem letzten Auftritt als Mahner vom Dienst warnte Tsiodras eindringlich vor einer zweiten Corona-Welle. Als größte Gefahr sah er ein Nachlassen der Disziplin. Als er am 26. Mai zum letzten Mal die Corona-Tagesbilanz interpretierte, hatte Griechenland zehn neue Infektionen und einen Toten zu beklagen. Bei seinem „Abschied“ von den Medienleuten meinte Nikos Chardaliás, der Vizeminister für Zivilschutz und Krisenmanagement: „Wenn Sie uns wieder eine Live-Pressekonferenz abhalten sehen, heißt das, dass es nicht gut gelaufen ist.“
Der Mahner darf wieder mahnen
Zehn Wochen später war Tsiodras zurück. Sein TV-Auftritt vom 4. August signalisierte in der Tat, dass etwas schief gelaufen war. Tsiodras meldete 121 neue Corona-Fälle, ein Drittel mehr als am Tag zuvor. Und die signifikante R-Zahl war seit Mitte Juli binnen drei Wochen von 0,4 auf über 1,0 gestiegen. Zudem war das Durchschnittsalter der Infizierten drastisch gesunken, der Anteil der asymptomischen Virus-Träger also gestiegen. Deshalb warnte Tsiodras vor einer zweiten Pandemie-Welle. Um die zu verhindern, seien intensivere Kontrollen und Tests an den Grenzen nötig, dazu ein Verbot von Massenveranstaltungen einschließlich Gottesdiensten, eine Maskenpflicht für gastronomische Innenräume, höhere Geldstrafen und anderes mehr. Nur solche Maßnahmen könnten die Zahl der Infektionen auf 60 pro Tag reduzieren. Wenn das nicht gelinge, werde „die Lage schnell außer Kontrolle geraten“. (zitiert nach EfSyn vom 4. August und Kathimerini vom 5. August 2020).
Das am 4. August benannte Ziel wurde verfehlt. Am 23. August stand die neue Rekordzahl von 284 Fällen. Für die beschleunigte Ausbreitung des Virus nannte Tsiodras mehrere Gründe – darunter die Zunahme importierter Viren als logische Folge der Grenzöffnung für ausländische Reisende (und Auslandsgriechen). Die größten Gefahrenquellen seien jedoch Menschenansammlungen aller Art, auch jenseits der Beachbars und der Touristenzentren; etwa Hochzeiten und religiöse Feste, aber auch Altersheime und Fleisch- oder Konservenfabriken in Nordgriechenland, die „billige“ ausländische Saisonarbeitskräfte beschäftigten.
Die PR-Strategie der griechischen Regierung war in der Folgezeit darauf ausgerichtet, den Anteil der importierten Viren herunterzurechnen. Mitte August erklärte „Krisenminister“ Nikos Chardaliás, nur 17 Prozent der seit Anfang Juli ermittelten Corona-Fällen seien von Touristen eingeschleppt worden; 83 Prozent seien auf „einheimische Massenansammlungen“ zurückzuführen.
Die falschen Berechnungen der Regierung Mitsotakis
Doch diese Rechnung hatte zwei Schwachpunkte. Zum einen sind 17 Prozent nicht wenig, realistisch gerechnet machten sie zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 7000 Fälle aus.(14) Zum anderen ist eine strikte Scheidung von endogenen und importierten Fällen unzulässig. In allen Ländern hat die Pandemie mit eingereisten Viren begonnen. Deshalb wäre es so wichtig gewesen, die ersten Infektionsherde schnell zu entdecken und einzudämmen. Wo dies nicht gelang, kam es zu Katastrophen wie im Frühjahr 2020 in der Lombardei. Oder wie um die Jahreswende 2020/21 in Portugal, wo der Import der britischen Corona-Mutante eine gigantische Ansteckungswelle auslöste.
Auch in Griechenland gingen von den Infektionen, die Chardaliás auf „einheimische“ Quellen verrechnete, sehr viele letztendlich auf importierte Viren zurück. Das lässt sich am Fall der Kleinstadt Echinos zeigen, die im Norden Thrakiens nahe der Grenze zu Bulgarien liegt. Der vorwiegend von Pomaken (slawophonen Muslimen) bewohnte Ort war schon im Frühjahr 2020 zu einem „einheimischen“ Hotspot geworden, als zurückkehrende Arbeiter das Virus aus Frankreich, Italien und den Benelux-Ländern mitgebracht hatten. Mitte Juni erlebte Echinos eine zweite Welle, als die griechisch-bulgarische Grenze geöffnet wurde, über die zum Ramadan anreisende Auslandsgriechen, aber auch bulgarische Touristen nach Griechenland kamen. (15) Auch die Corona-Fälle, die am 7. Juli auf der nordgriechischen Insel Thassos ermittelt wurden, gingen auf Touristen zurück, die aus Bulgarien gekommen waren. (Kathimerini vom 10. Juli 2020).
Als die Corona-Fälle in Serbien Anfang Juli 2020 dramatisch zunehmen, erließ die Athener Regierung für alle Reisenden aus Serbien und Montenegro ein generelles Einreiseverbot.(16) Das führte zu chaotischen Zuständen am wichtigsten bulgarisch-griechischen Grenzübergang, die ein hohes Gesundheitsrisiko bedeuteten. Nordgriechenland wurde schlagartig zum epidemiologischen Hotspot. Die rund 200 Corona-Fälle, die für die zweite Juli-Woche im ganzen Land ermittelt wurden, betrafen zu 60 Prozent Einreisende an der griechischen Nordgrenze.(17)
Wie der Kathimerini-Korrespondent Pavlos Tzimas schilderte, verbreitete sich Anfang Juli in ganz Nordgriechenland die Angst, „dass sich die importierten Corona-Fälle dramatisch vermehren werden, wenn der Reisestrom zunimmt“. Zugleich befürchteten die Menschen, „dass die Strände von Chalkidiki, von Thassos und Thrakien menschenleer bleiben – was eine ökonomische Katastrophe bedeuten würde.“ (Kathimerini vom 6. Juli 2020)
Diese zwiespältige Stimmungslage herrschte auch in Athen, berichtete Tzimas. Für die Regierung Mitsotakis wäre es angesichts ihrer Optimismus-Kampagne ein „gewaltiger Rückschlag“ gewesen, hätte sie gegen eine Stadt oder eine Insel wegen importierter Corona-Fälle eine Quarantäne verhängen müssen. Dies war der entscheidende Grund, warum die Regierung während des gesamten Sommers alles tat, um keine Informationen über die epidemiologische Belastung der einzelnen Touristenzentren publik zu machen.
Verschleierung der Corona-Zahlen in den touristischen Zentren
Ein erster Bericht über die „Verschleierung“ der Corona-Zahlen in touristischen Hotspots erschien am 14. Juli in der regierungskritischen Efimerida ton Syntaktion (EfSyn). Die Regierung veröffentliche in ihrer täglichen Bilanz zwar die Zahl der an den Grenzen ermittelten Corona-Fälle, aber sie verweigere „beharrlich die wichtige Information, an welchen Eingangstoren des Landes die importierten Fälle verzeichnet werden“. Dass dies absichtlich geschah, bestätigte Vassilios Papageorgiou , als Staatssekretär die „rechte Hand“ des zuständigen Vizeministers Chardaliás: „Natürlich kennt unsere Behörde die genaue Zahl der Fälle für jede Region, aber auf Anweisung von Herrn Chardaliás enthalten unsere täglichen Mitteilungen keine weiteren Einzeldaten.“ Chardaliás selbst rechtfertigte die undurchsichtige Informationspolitik seines Ministeriums – in Antwort auf die Kritik des Verbands der Krankenhausärzte – mit der erhellenden Begründung: „Dass die konkreten Fallzahlen der einzelnen Inseln nicht veröffentlicht werden, hat nichts mit Intransparenz zu tun. Wir wollen damit nur unzulässige Schlussfolgerungen und die gezielte Hervorhebung einzelner Gegenden vermeiden.“ (zitiert nach EfSyn vom 21. August 2020).
Das Bestreben, die Corona-belasteten Touristenorte nicht an den Pranger zu stellen, brachte nicht nur die Feriengäste, sondern auch die Einheimischen in Gefahr. Die hatten noch zu Beginn der Saison über die lokalen Medien erfahren, wie sich das Corona-Geschehen vor Ort entwickelte. Doch dann erfuhren die Gesundheitsstationen der Inseln am 16. Juli per e-mail aus dem Athener Ministerium, dass „die Zuständigkeit für die Unterrichtung über bestätigte Covid-19-Fälle“ fortan „ausschließlich bei der zentralen Gesundheitsbehörde“ liege (zitiert nach EfSyn vom 18. August 2020). Da die Athener Zentrale jedoch keine lokalen Fallzahlen veröffentlichte, blieb die epidemiologische Lage für die örtliche Bevölkerung im Dunkeln.
Was das bedeutete, zeigte sich im August auf den Kykladeninseln Paros und Antiparos, wo sich im Umkreis zweier Beachbars ein Corona-Hotspot entwickelt hatte. Nach den ersten Krankheitsfällen überschlugen sich die Gerüchte. Die Einheimischen gerieten in Panik und viele Feriengäste reisten ab. Daraufhin reichten 25 Bürgerinnen und Bürger von Paros und Antiparos eine Klage gegen die Behörden ein. Der Vorwurf lautete, sie hätten „die festgestellten Corona-Fälle verheimlicht“ und der Bevölkerung verschwiegen, „dass der Anstieg der Fallzahlen sehr viel höher war im übrigen Griechenland“. Auch die oppositionelle Syriza warf der Regierung vor, „die Gesundheit von Menschen aufs Spiel zu setzen“, die man nicht über die konkrete Gefahr auf den beiden Inseln informiert hatte. (zitiert nach EfSyn vom 16. und vom 21. August 2020).
Allerdings: Selbst wenn die Athener Regierung die Fallzahlen für die einzelnen Touristenzentren bekannt gegeben hätte, wäre das Bild nicht vollständig gewesen. Denn es gab einen zweiten Mechanismus der Verschleierung. Selbst auf klassischen Ferieninseln wie Rhodos oder Korfu, wo im Hochsommer täglich mehrere Tausend ausländische Urlauber ankamen, wurde auf den Flughäfen nur Stichprobentests vorgenommen. Ansonsten wurde nur getestet, wenn sich ausländische oder inländische Urlauber von selbst mit Symptomen meldeten. Deshalb lag die Dunkelziffer der Corona-Fälle gerade in den touristischen Zentren besonders hoch. Das wurde auch im Ausland zur Kenntnis genommen. So hat die niederländische Regierung ihre Entscheidung, für die griechischen Inseln eine Reisewarnung auszusprechen, explizit damit begründet, dass auf den Inseln zu wenig getestet würde, weshalb es kein realistisches Bild der Covid-Belastung gebe.(18)
Es gab eine einzige Insel, für die genauere Zahlen vorliegen, die den Anteil des Tourismus an der Verbreitung des Virus abbilden. Für Kreta und seine drei Provinzen wurden die positiven Tests kontinuierlich dokumentiert. Diese Statistik weist bis Ende Juni lediglich 19 Fälle aus. Am 1. Juli begannen die internationalen Charterflüge nach Iraklion und Chania. Daraufhin stieg die Fallzahl bis Ende August auf 465. Wie viel der Tourismus zu dieser Steigerung beigetragen hat, lässt sich allerdings nicht genau sagen, weil nicht einmal zehn Prozent der ankommenden Passagiere getestet wurden (EfSyn vom 17. September 2020). Die kretischen Zahlen lassen jedoch erahnen, was sich in den statistischen Dunkelkammern der kleineren Ferieninseln im Verborgenen abspielte.
Corona-Nachweise erst nach dem Urlaub
Ans Licht kamen diese Zahlen allerdings dann, wenn Rückkehrer aus den Feriengebieten getestet wurden. Hier liegt ein weiterer Grund, warum die statistische Abbildung der Corona-Verbreitung im Sommer 2020 verzerrt war. Bei vielen Reisenden, die sich im Urlaub angesteckt hatten, wurde der positive Corona-Nachweis nicht dem tatsächlichen „Tatort“ zugeordnet. Dass sich ein griechisches Touristenzentrum zum Hotspot entwickelt hatte, kam nur verspätet und häufig durch puren Zufall heraus. Ein Beispiel sind die acht italienischen Jugendlichen aus Arezzo, die nach ihrer Rückkehr aus Korfu positiv auf Covid-19 getestet wurden. Darüber berichtete zwar die italienische Presse, aber in Griechenland wurde der Fall kaum zur Kenntnis genommen.(19)
Die Corona-Dunkelziffer enthielt nicht nur ausländische, sondern auch griechische Urlauber. Ein gutes Beispiel ist der geschilderte Fall von Paros und Antiparos. Nach Informationen der Kathimerini vom 19. August wurden in der ersten Augusthälfte allein in Attika mehr als 120 Personen positiv getestet, die eine der beiden Inseln besucht hatten. Warum sie erst nach der Rückkehr erfasst wurden, erklärte ein Mitglied des amtlichen Spurenverfolgungsteams: „Wenn die jungen Leute Fieber kriegen oder andere Corona-Symptome entwickeln, wollen sie nicht auf der Insel eingesperrt bleiben; sie steigen ins Flugzeug oder gehen aufs Schiff und fahren nach Athen zurück.“ Die Ausbreitungsdynamik des kykladischen Hotspots, zu dem auch Mykonos gehörte(20), war dabei nicht auf Attika beschränkt. Mitte August wurde das Virus auch in der nordgriechischen Stadt Florina bei vier Personen entdeckt, die kurz zuvor in Paros gewesen waren.
Ohne Zweifel hat sich Covid-19 im Sommer 2020 von den touristischen Verdichtungszonen – zu denen neben den Kykladen und Kreta auch westgriechische Inseln wie Korfu und Kefallonia oder die nordgriechische Halbinsel Chalkidiki gehören – im ganzen Land verbreitet. Deshalb forderte der Epidemiologe Nikos Sypsas für alle griechischen Urlaubs-Rückkehrer eine obligatorische 7-tägige Selbstquarantäne. Zudem verlangten die Berufsverbände des medizinischen und technischen Personal im öffentlichen Gesundheitswesen für alle aus den Ferien zurückkehrenden Krankenhaus-Angestellten einen negativen PCR-Test.(21) Zurecht, wie sich im September herausstellte: Ein Großteil der Infizierten, die unter dem Krankenpflegepersonals von Thessaloniki ermittelt wurden, hatte in Chalkidiki Urlaub gemacht.
Griechenland-Rückkehrer bringen Licht in die Dunkelziffer
Der schlagendste Beweis, dass der Tourismus im Sommer 2020 als Super-Spreaderevent gewirkt hat, kam erst im Frühjahr 2021 ans Licht. Am 3. April veröffentlichte der Datenanlytiker Aris Moustákas in der EfSyn seinen Befund, dass sich Griechenland im Touristensommer 2020 in ein „riesiges Corona-Nest“ verwandelt hatte. Moustakás stützte sich vor allem auf zwei Datensätze:
- auf die einschlägige R-Zahl, die nach Angaben des Corona-Forschungszentrum an der John Hopkins University (Baltimore, USA) im Zeitraum vom 2. bis 16 August auf 1,5 gestiegen war
- auf die Ergebnisse einer erst am 17. März 2021 in England veröffentlichten Studie
Die R-Zahl bildet das aktuelle Streupotenzial eines Virus ab, in diesem Fall die rasante Verbreitung in Griechenland zu einem Zeitpunkt, da Regierungschef Mitsotakis noch versichert hatte, sein Land sei – trotz des „erwarteten“ Anstiegs der Fallzahlen – nach wie vor ein „sicheres Reiseziel“. Die Epidemie sei dank eines „agressiven und intelligenten Testregimes“ unter Kontrolle und habe keine Überlastung des Gesundheitssystems zu befürchten. (CNN-Interview vom 20. August 2020)
Die britische Studie hat die positiven Corona-Fälle unter den Rückkehrern aus europäischen Urlaubsländern erfasst, die auf britischem Boden in Quarantäne geschickt wurden. Von diesen 4207 Personen, die von Juni bis September 2020 positiv getestet wurden, kamen 21 Prozent aus Griechenland, das damit an erster Stelle lag, gefolgt von Kroatien und Spanien.(22) Dass das von Mitsotakis angepriesene „sichere Urlaubsland“ für ein Fünftel der eingeschleppten Viren verantwortlich zeichnet, wirkt dramatisch genug. Aber noch alarmierender ist der Vergleich mit Spanien, dem beliebtesten Reiseziel der Briten. Die Spanien-Urlauber machten nur 14 Prozent der positiv Getesteten aus – ein Drittel weniger als die Griechenland-Rückkehrer, obwohl im Jahr 2020 nur 750 000 britische Urlauber nach Griechenland, aber 3,17 Millionen nach Spanien geflogen waren.
Diese Zahlen machen klar: Hätte man in Griechenland alle ausländischen Urlauber bei der Ausreise auf das Virus getestet, wären das Ergebnis eine PR-Katastrophe gewesen. In jedem Fall widerlegt die britische Studie die Behauptung des Krisenministers Chardaliás, bei der Ausbreitung des Virus in Griechenland habe „der Tourismus“ nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das gilt auf keinen Fall für die touristischen Ballungszentren, wo im Sommer 2020 ausländische und griechische Urlaubskonsumenten unter Bedingungen aufeinandertrafen, die der Verbreitung des Virus förderlich waren.
Ein laxes Kontrollregime
Begünstigt wurde die Ausbreitung auch durch die unzulänglichen Kontrollen. Da die griechischen Behörden – wie gezeigt – den tatsächlichen Grad der gesundheitlichen Gefährdung verschleierten, konnten sie den Urlaubsgästen mehr touristische Normalität zugestehen. Die wurde ermöglicht durch eine deutliche Zurückhaltung bei den epidemiologisch gebotenen Kontrollen, die etwa bei Restaurants und Bars nur sporadisch und eher symbolisch ausfielen. So wurde die Missachtung von Maskenpflicht und Abstandsgeboten nur selten geahndet. Und wenn gastronomischen Einrichtungen – selten genug – zu einer Geldstrafe oder einer mehrwöchigen Schließung verdonnert wurden, klagten die Betroffenen bei den örtlichen Gerichten erfolgreich gegen die angeblich „unverhältnismäßigen Sanktion“.(23)
Der Preis für dieses laxe Kontrollregime wurde alsbald sichtbar. Am 1. August stieg die tägliche Fallzahl erstmals über 100, am 9. August über 200 und Ende August auf fast 300 pro Tag. Es war der Beginn der zweiten Welle, die Mitte Oktober in einen exponentiellen Anstieg überging. Nach 450 Fällen am 21. September durchstieß die Kurve am 31. Oktober die Marke 1000, um am 12. November die Rekordhöhe von 3300 Ansteckungen binnen 24 Stunden zu erreichen.(24)
Die zweite Welle begann in Nordgriechenland
Der Norden des Landes wurde von der zweiten Welle am frühesten erfasst und am stärksten betroffen. Doch obwohl das Desaster bereits Ende August absehbar war, verfügte die Athener Regierung einen Lockdown (nächtliche Ausgangssperren, Schließung von Restaurants und Bars, Suspendierung des Flugverkehrs) für Thessaloniki und angrenzende Regionen erst ab dem 3. November (dazu unten mehr). Als Mitte November landesweit erstmals mehr als 3000 neue Corona-Fälle ermittelt wurden, stammten über 40 Prozent der positiven Tests aus Nordgriechenland. Im Norden lagen auch 14 der 18 am höchsten belasteten Regionen des Landes.
Besonders dramatisch war die Lage in Thessaloniki, wo die Quote der positiven Getesteten Mitte November auf 32 Prozent kletterte. Die epidemiologische Belastung der Stadt lag fünf Mal höher als die der Hauptstadt-Region Attika, meldeten die Experten am 16. November. Die zweitgrößte Stadt des Landes drohte zum „griechischen Bergamo“ zu werden. Der Epidemiologe Manolis Dermitzakis erklärte gegenüber der EfSyn am 13. November, man sei in Thessaloniki „nicht weit von den Bildern entfernt, die wir in Italien gesehen haben“. Zu diesem Zeitpunkt waren die Betten auf den Corona-Intensivstationen landesweit zu 86 Prozent, in Nordgriechenland aber zu 99 Prozent belegt. Beatmete Patienten mussten von Thessaloniki mit Militärflugzeugen in Athener Krankenhäuser transportiert werden. Am 23. November errichtete die Armee in Thessaloniki „für den Notfall“ ein erstes Feldlazarett.(26) Am 27. November hatte die Zahl der Corona-Fälle die Marke von 100 000 und die Zahl der Corona-Toten die Marke von 2000 überschritten. Was waren die Treiber dieser zweiten Welle, die erst Anfang Januar 2021 wieder auslief, bis Anfang Februar die dritte Welle einsetzte?(25)
Bewusst vernachlässigte Kontrollen
Ein wichtiger Faktor war die nachlässige Kontrolle, wie sich am Beispiel Zentralmazedonien zeigen lässt. Von den 1,9 Millionen Einwohnern dieser Region entfällt die Hälfte auf den Großraum Thessaloniki. Gouverneur Zentralmazedoniens ist der populistische Politiker Apostolos Tzitzikostas, der innerhalb der Regierungspartei Nea Dimokratia weit rechts angesiedelt ist. Der Provinzfürst hat sich in vielen „nationalen“ Fragen als Scharfmacher profiliert und bezog auch in der Corona-Frage eine eigenwillige Position. Die zeigte sich auch bei der Kontrolle der von der Regierung verfügten Regeln zur Eindämmung der Pandemie, für deren Umsetzung die Regionen zuständig waren, im dem Fall also Tzitzikostas.
Die Zahlen für den Zeitraum 1. Juli bis 19. November 2020 zeichnen ein eindeutiges Bild. In dieser Zeit wurden in ganz Griechenland knapp 5,7 Millionen Kontrollen (in Gaststätten, Geschäften, Betrieben und im öffentlichen Raum) durchgeführt – in Zentralmazedonien waren es nur 2670 und damit 35 Mal weniger Kontrollen als im Landesdurchschnitt (in der Region leben 1,88 Millionen Menschen, also 17,5 Prozent der griechischen Bevölkerung). Eine noch größere Kluft zeigt sich bei den verhängten Strafmandaten. Im ganzen Land wurden 89 403 Verstöße geahndet, damit hatten 1,5 Prozent der Kontrollen ein Strafmandat zur Folge. In Zentralmazedonien lag dieser Anteil bei 0,37 Prozent, hier wurden also vier Mal weniger Verstöße geahndet als im übrigen Land – und das bei ohnehin weitaus weniger Kontrollen. Mit anderen Worten: Die ND-Regierung von Zentralmazedonien gewährte der Bevölkerung eine weitgehende Straffreiheit für die Missachtung der Pandemie-Regeln.(27)
Kasernen und Hochschulen als Hotspots
Dass der Norden Griechenlands und insbesondere der Großraum Thessaloniki im Herbst 2020 zum Hotspot der zweiten Welle wurde, hatte noch weitere Gründe. Dazu gehört, dass die kühlere Jahreszeit im Norden früher anbricht. Aber im Herbst kam es auch zur „Vermischung“ von Menschen aus ganz Griechenland, für die insbesondere zwei Institutionen sorgten: die Streitkräfte und die Hochschulen. Ein überproportionaler Anteil der Wehrpflichtigen, die jeweils im Herbst eingezogen werden, massiert sich in nordgriechischen Kasernen. Und speziell Thessaloniki zieht mit seinen drei Universitäten und weiteren Fachhochschulen sehr viele Studierende aus dem ganzen Lande an.
Das war auch im Corona-Herbst 2020 der Fall, weil die Universitäten in den ersten Wochen nach dem Semesterbeginn am 6. Oktober noch immer Präsenzunterricht anboten.(28) Eine Diskussion über die damit verbundenen Gefahren fand nicht statt. Erst als die Zahlen die Alarmgrenzen überschritten, wurde vollständig auf Online-Vorlesungen umgestellt. Aber es war zu spät. Zehntausende Studentinnen und Studenten aus allen Ecken Griechenlands waren bereits nach Thessaloniki gekommen, wo sich viele in beengten Wohngemeinschaften und abends in den angesagten Kneipen drängten.(29) Im Rückblick wurde offensichtlich, was den Experten schon vorher klar war: Die „physische Präsenz der Studenten“ hat „zur Explosion der Corona-Zahlen“ beigetragen, zum einen, weil die jungen Leute ein „intensives Sozialleben“ führen, zum anderen, weil Covid-19 bei ihnen häufiger ohne Symptome verläuft.(30)
Der Stadtheilige als Corona-Treiber
Bei der Diskussion um die zweite Welle und ihre Ursachen stand eine weitere Frage im Mittelpunkt: Welche Rolle spielten – speziell in Thessaloniki – die orthodoxe Kirche, die Gottesdienste und die Kirchenfeste. Der sichtbarste Anlass für diese Debatte war die traditionelle Messe vom 26. Oktober in der Basilika Ayios Dimitrios, die dem Stadtheiligen von Thessaloniki gewidmet ist. Da der Tag des Heiligen mit dem Tag der „Befreiung“ von Thessaloniki im Jahr 1912 (am Ende des Ersten Balkankriegs) zusammenfällt, ist bei der Messe stets auch die Athener Staatsführung zugegen. Zwei Tage später findet ebenfalls in Thessaloniki die zentrale Militärparade zum Nationalfeiertag statt, der an das „Ochi“ vom 28. Oktober 1940 erinnert, also an das Nein zum Ultimatum von Mussolini, dessen Truppen an der griechisch-albanischen Grenze aufmarschiert waren.
Im Vorfeld der beiden Feiertage hatte es kontroverse Diskussionen gegeben. Die Epidemiologen rieten angesichts der für Thessaloniki geltenden Warnstufe „orange“ zur Absage der Messe am Dimitrios-Tag und zur Schließung aller Kirchen der Stadt. Das lehnte die Regierung Mitsotakis aus „Respekt für die Tradition, die Orthodoxie und den Glauben“ ab, erließ für die Gottesdienste aber strenge Auflagen (Maskenpflicht, begrenzte Teilnehmerzahl).(31)
Diese Regeln wurden bei der „Befreiungsmesse“ in Ayios Dimitrios am 26. Oktober 2020 von der Geistlichkeit auf provokante Weise missachtet. Alle im Kircheninneren anwesenden „Zivilisten“ – darunter Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou – hielten sich an die Maskenpflicht, nicht aber die in dichter Formation angetretenen Bischöfe und Popen. So als wollten sie demonstrieren, „dass das Virus nicht in die Kirche eindringen kann“, wie es einige von ihnen ex cathedra verkündet hatten. Die Demonstration ging schief. Das Virus hatte den Klerus längst durchdrungen. Binnen weniger Tage erkrankten mehrere der Corona-Leugner, darunter der Bischof von Langada, der einen Monat später verstarb. Einer seiner Kollegen gestand später, dass er seinen Covid-Befund verheimlicht hatte, „um der Kirche nicht zu schaden“.(32)
Mitsotakis und die Eher-früher-als-später-Lüge
Zum Hotspot wurde auch der Vorplatz der Basilika, wo sich Hunderte teils unmaskierter Gläubige drängten. In anderen Kirchen der Stadt kam es ebenfalls zu Szenen, die den Alpträumen der Experten nahe kamen.(33) In den darauffolgenden Tagen und Wochen schnellte die Corona-Kurve nach oben. Schon am 30. Oktober musste Thessaloniki zur „roten Zone” erklärt und am 3. November der totale Lockdown angeordnet werden. Die Katastrophe hatte sich schon bei der Kontrolle der Abwässer angekündigt: Hier ermittelten die Experten während der ersten November-Woche einen Anstieg der Virenbelastung um 150 Prozent.(34) Am 18. November erreichte die Zahl der täglichen Corona-Fälle in Thessaloniki die Rekordhöhe von 905; die Reproduktionszahl (R-Wert) stieg zeitweise auf 1,8.
Als Regierungschef Mitsotakis am 5. November im Fernsehen den Lockdown für Nordgriechenland verkünden musste, erklärte er, man habe „nach Konsultation mit den Experten erneut entschieden, die Maßnahmen eher früher als später anzuordnen.” Doch dieser Versuch, dem Volk den neuen Lockdown als ebenso „rechtzeitig” wie den ersten vom März 2020 zu verkaufen, ging daneben. Eine Woche später musste sich Mitsotakis vor dem Athener Parlament dementieren. In einem seltenen Anfall von Selbstkritik räumte er ein: „Wir hätten die allgemeine Maskenpflicht früher einführen, die abendlichen Vergnügungen früher einschränken und die Maßnahmen in Thessaloniki früher ergreifen können.”
Aber auch jetzt gestand Mitsotakis nicht ein, dass er den Rat der Experten übergangen hatte. Dann nämlich hätte er erzählen müssen, was in Thessaloniki ein offenes Geheimnis war: dass die politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Eliten der Stadt rebelliert hatten. Als sie vor den Feierlichkeiten des 26. und 28. Oktobers mit der Forderung eines sofortigen Lockdown konfrontierte wurden, widersetzten sie sich mit dem Argument, die Geschäfte müssten über die Feiertage am Laufen bleiben. Die Folgen schilderte Pavlos Tzimas in der Kathimerini: „Wie immer Ende Oktober waren die Bars und Cafés voll, die Kirchen voll von Geistlichen ohne Masken, und die Strandpromenade schwarz von Menschen.”(35)
Kirche und weltliche Obrigkeit – ein Dauerkonflikt
Was den Ayios Dimitrios-Tag betrifft, so hat die Regierung jede direkte Kritik am Verhalten der orthodoxen Elite vermieden. Als eine Journalistin den Regierungssprecher Stelios Petsas auf die maskenlosen Bischöfe ansprach und fragte, „ob der hohe Klerus von den für uns alle geltenden Verpflichtungen ausgenommen” sei, lautete die Antwort: „Im Prinzip ist niemand von den Maßnahmen ausgenommen… Allerdings stehen wir vor der Schwierigkeit, dass wir es mit menschlichen Gesellschaften zu tun haben.” (zitiert nach EfSyn vom 26. Oktober 2020). Warum sich der Klerus ungestraft mehr „menschliche” Schwächen leisten darf als seine Schäfchen, erklärte Petsas nicht.
Die klerikale Führung hat die Verantwortung für das Desaster vom 26. Oktober nachträglich auf die weltliche Obrigkeit abgeschoben. Anfang Februar 2021 ließ der Bischof von Thessaloniki verlautbaren, die Polizei habe sich nicht an die Absprachen gehalten; sie habe den Zugang zur Kirche „plötzlich und ohne Ansage” versperrt und damit das Gedränge auf dem Vorplatz erst ausgelöst.(36)
Für die konservative Nea Dimokratia, deren gesellschaftliche Hegemonie auf der Bindung der konservativen Bevölkerungsteile beruht, ist die Beziehung zur orthodoxen Nationalkirche ein ständiger Balanceakt. In der ersten Phase der Corona-Bedrohung konnte die Mitsotakis-Regierung den Klerus noch in die Schranken weisen, weil auch die konservative Wählerschichten von Furcht und Schrecken ergriffen waren. Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 verfügte die Regierung rigorose Einschränkungen und Regeln für die religiösen Abläufe und untersagte sogar die Präsenz der Gläubigen in den Gottesdiensten der Osterwoche. Allerdings wagte sie auch damals nicht, hygienisch gefährliche Praktiken wie den Gebrauch des „gemeinsamen“ Löffels beim Heiligen Abendmahl zu unterbinden (auf den z.B. die katholische Kirche Griechenlands verzichtet hatte), was als gesundheitspolizeiliche Maßnahme geboten und rechtlich möglich gewesen wäre. Der Hauptgrund war, dass die ND-Nomenklatura – vor allem in der Provinz – eine Rebellion der regionalen Bischöfe befürchtete, die für ihre treuesten Wählerinnen und Wähler die höchste Autorität verkörpern.
Der Widerspruch zwischen stringenter Corona-Politik und Rücksicht auf den orthodoxen Klerus wurde auch im Verhalten vieler ND-Repräsentanten sichtbar. Für konservative Griechinnen und Griechen ist es selbstverständlich, nicht nur Ikonen, sondern auch die rechte Hand des örtlichen Popen oder eines Bischofs zu küssen. Selbst Krisenminister Chardaliás konnte diesen Reflex nicht unterdrücken und glaubte, seinen Handkuss für einen lokalen Popen als „Respekt vor dem Priesterrock“ rechtfertigen zu können. Und zahlreiche Abgeordnete und lokale ND-Größen verletzten die von ihrer eigenen Regierung erlassenen Regeln, wenn sie etwa bei Taufen ohne Masken erschienen oder die Abstandsregeln verletzten. In der Regel schwiegen sie auch zum innerkirchlichen Streit zwischen gesetzestreuen und rebellischen Geistlichen, wenn der Bischof ihres Wahlkreises zu den Corona-Skeptikern gehörte.
Sieg der orthodoxen Hardliner zum Erscheinungsfest
Diese rebellische Fraktion blieb selbst nach dem Desaster von Thessaloniki am Drücker. In der Synode der orthodoxen Kirche widersetzte sie sich beharrlich der moderaten Linie des Erzbischofs Ieronymos, der zur strikten Einhaltung der geltenden Corona-Regeln ermahnte. In den Diskussionen vor Weihnachten 2020 versuchten die Hardliner, sich endgültig gegen den Erzbischof durchzusetzen. Nachdem die Regierung weihnachtliche Messen noch mit begrenzter Beteiligung zugelassen hatte, eskalierte der Konflikt vor dem für die orthodoxe Kirche wichtigen Erscheinungsfest (Epiphanias) am 6. Januar.(37) Drei Tage vor diesem Fest untersagte die Regierung – auf Anraten des Expertenrats – den Besuch der Gottesdienste, sodass die Bischöfe und Popen unter sich geblieben wären. Gegen diese kurzfristig Anordnung protestierte die orthodoxe Synode einstimmig und kündigte an, die Kirche werde die weltlichen Anordnungen nicht befolgen.
Wie reagierte die Mitsotakis-Regierung? Während sie zu Ostern 2020 noch ein Machtwort gesprochen hatte, gab sie neun Monate später nach. Einen Tag vor Epiphanias bewilligte sie die begrenzte Anwesenheit von Gläubigen. Die rebellische Fraktion der Bischöfe hatte die weltliche Obrigkeit zum Rückzug gezwungen. Am 6. Januar war die Polizei zwar vor den Kirchen präsent, schritt aber nicht ein, wenn die Zahl der erlaubten Personen erkennbar überschritten wurde. Auf Anweisung von oben beschränkte sie sich auf Ermahnungen per Megaphon.(38)
Die Kirche hat ihren Triumph offen gefeiert. „Wir demonstrierten Ungehorsam und die Regierung demonstrierte Toleranz“, erklärte der Sprecher der Synode nach dem Epiphanias-Fest. Dagegen blieb dem Regierungssprecher nichts anderes übrig, als auf das Dilemma des Staates zu verweisen: „Sollen die Kirchen unter Einsatz von Gewalt geschlossen bleiben? Mit Gewaltmitteln? Gott bewahre…“ (alle Zitate nach EfSyn vom 7. Januar 2021). Der Rechtsphilosoph und Syriza-Politiker Kostas Douzinas hat den Ausgang des Kräftemessens auf den Punkt gebracht: „In Griechenland steht die Kirche offenbar nicht nur über den Naturgesetzen, sondern auch über allen rechtlichen Regeln, außer denen, die sie sich selber gibt.“ (EfSyn vom 25. Januar 2021)
Ein Ketzer fordert die Kirchenfürsten heraus
Das bedenklichste Beispiel für eine kirchliche Regel, die sich über die Naturgesetze erhebt, ist das Heilige Abendmahl mit dem gemeinsamen Löffel, den die Experten als idealen Virus-Verbreiter ansehen (siehe meinen Blog-Text vom 12. April 2020). Diese wissenschaftlich Einschätzung teilt auch der Priester Charalambos Kopanakis, der damit in Kreta eine innerkirchliche Kontroverse auslöste. Seinen Vorwurf an die eigene Kirche, in der Löffelfrage das Wohl der Gläubigen zu missachten, wies die Synode der kretischen Bischöfe einstimmig zurück. Gerade in Krisenzeiten, erklärten die neun despotes (wie die Gläubigen ihre Bischöfe nennen), sei es besonders wichtig, „unseren Glauben zu stärken und unsere Schwächen zu überwinden“. Über die ketzerische Meinung des Kopanakis könne es „keinerlei Diskussion oder Dialog“ geben, denn es sei ausgeschlossen, dass „das Abendmahl zur Ursache einer Krankheit wird“.
Der Priester konterte mit dem Argument: „Das ist so, als würden man behaupten, wer kirchlich heiratet, wird sich niemals scheiden lassen, oder wer getauft ist, wird nie eine Sünde begehen.“ In seinen Augen belegt die Entschlossenheit, mit der die kretischen Bischöfe ihren dogmatischen Besitzstand verteidigten, die tief verwurzelte Wissenschaftsfeindlichkeit der konservativen Kleriker, die in der orthodoxen Kirche immer noch die Mehrheit darstellen. Diese herrschende Fraktion, sagt Kopanakis, „wird niemals akzeptieren, dass das letzte Wort der Wissenschaft gehört.“ Allerdings gilt das nicht immer, weiß der Ketzer zu berichten. Auch und gerade die Bischöfe, die das Virus verharmlosen, bemühen sich im Ernstfall um optimale ärztliche Versorgung: „Wenn sie erkranken, suchen sie mit unglaublicher Sorgfalt und Hartnäckigkeit die besten Ärzte, innerhalb wie außerhalb des Landes, um sich die bestmögliche Behandlung zu verschaffen.“(39)
Diese Behauptung hat bislang keine kirchliche Instanz zurückgewiesen. Und die kretische Synode hat es auch nicht gewagt, den in seiner Gemeinde sehr beliebten Priester zu maßregeln oder zu versetzen. Das zeigt womöglich, dass der Keim des Zweifels innerhalb der orthodoxen Kirche Griechenlands doch noch aufgehen könnte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich mehr und mehr Menschen – und vor allem jüngere – von der Kirche abwenden.
Der Leichtsinn der ganz normalen Leute
Dieser Prozess wurde in den 15 Monaten seit Beginn der Pandemie ohne Zweifel beschleunigt. Zum Beispiel durch die Geschehnisse in dem Dorf Nea Silata (nahe Thessaloniki). Hier bestand der örtliche Pope nicht nur darauf, die Auferstehung des Herrn um Mitternacht zu zelebrieren statt auf 21 Uhr vorzuziehen, wie es die Regierung im Einvernehmen mit der Kirchenführung verfügt hatte. Der Geistliche erklärte auch alle übrigen epidemiologischen Schutzmaßnahmen für Teufelswerk und rief seiner Gemeinde zu: „Damit ihr es alle wisst: Wer geimpft ist, wer eine Maske trägt, und wer einen Corona-Test gemacht hat, kommt in diese Kirche nicht rein.”(40)
Was die Pandemie betrifft, so sind derart bizarre Vorfälle allerdings weniger gefährlich als das ganz „normale” Verhalten von Leuten, die den Virus nicht etwa leugnen, sondern bei religiösen Zeremonien schlicht vergessen. Wenn Kirchweih-Feste oder Begräbnisse, Hochzeiten und Taufen zu Spreader-Ereignissen werden, hat zwar auch der örtliche Geistliche versagt, aber die Hauptverantwortlichen sind die trauernden oder feiernden Menschen selbst. Ein tragisches Beispiel ist das Dorf Malesina (am Golf von Euböa). Hier erkrankten im Frühjahr nach einer Hochzeitsfeier innerhalb von 14 Tagen über 50 Menschen an Covid-19, von denen 13 nicht überlebten. Der örtliche Priester sagte aus, er habe die Kirche angesichts der andrängenden Menge schließen müssen und sei dafür auch noch beschimpft worden.(41)
Der siedende Hotpot Kalymnos
Allerdings bedarf Nachlässigkeit und Leichtsinn keines religiösen Anlasses. Die Dodekanes-Insel Kalymnos musste bereits zum Jahresende 2020 zur „roten Zone“ erklärt werden. Damit traf für die Bevölkerung von 12 000 Menschen ein totaler Lockdown in Kraft (mit einer Ausgangssperre von 18 Uhr bis 5 Uhr morgens), der aber nicht streng kontrolliert wurde. Ende Februar meldete die Insel die höchste Inzidenz-Zahl im ganzen Land, für die vor allem der ungesicherte – und ungetestete – Schulbetrieb verantwortlich war. Daraufhin wurde der Lockdown durch Isolierung nach außen ergänzt, was vor allem die Kalymnioten traf, die normalerweise zur täglichen Arbeit auf die Nachbarinsel Kos pendeln.
Trotz dieser alarmierenden Vorgeschichte verhielt sich die Bevölkerung an Ostern wieder so, als lebten sie auf der Insel der Seligen. Obwohl Kalymnos am 26. April schon mit 118 Corona-Fällen in die Karwoche ging, hielt sich kein Mensch an die Regeln, hieß es in Zeitungsberichten: „Auf der Hafenmole drängten sich Hunderten, ohne die Vorschriften und die Abstände einzuhalten.“ Und als am Ostermontag (3. Mai) die Cafés wieder im Außenbetrieb öffnen durften, kamen rund um den Hafen des Hauptortes Pothia auf engstem Raum 2000 bis 3000 Menschen zusammen.
Das Resultat war eine Bilanz des Schreckens: In den zehn Tagen nach Ostern (vom 4. bis zum 13. Mai) wurden in Kalymnos 351 neue Infektionen ermittelt, pro Tag 35. Die die 7-Tage-Inzidenz schoß auf 2075 – ein Wert, der 14 mal höher lag als der für ganz Griechenland (150). Um diese irrwitzige Inzidenz-Zahl zu veranschaulichen: Wäre das Ballungsgebiet Attika genauso stark belastet wie Kalymnos, würde es hier jeden Tag 10 000 neue Corona-Fälle geben.(42)
Ein Provinzkrankenhaus wird durchleuchtet
Die Beschäftigen im staatlichen Krankenhaus der Insel stehen täglich „im Kampf um die Rettung von Menschenleben an vorderster Front“. So formulieren sie es in einem Offenen Brief, der hier ausführlich zitiert werden muss: „Fünfzehn Monate nach Beginn“ schreibt die Sprecherin des ärztlichen und Pflegepersonals, „haben sich unsere Befürchtungen voll bestätigt“. Die gravierenden Mängel und die personelle Unterbesetzung des lokalen Krankenhauses habe nicht nur „tragische Folgen für den Kampf gegen die Pandemie“. Sie habe auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „bis zu Erschöpfung ausgelaugt“. Und was tun die politisch Verantwortlichen? „Sie applaudieren uns bei unserem Kampf, setzten aber zugleich die kriminelle Auszehrung unseres Krankenhauses fort, indem sie den Haushaltsplan gegenüber dem letzten Jahr um 200 000 Euro zusammenstreichen.“ Dabei beschwören sie die Aufrechterhaltung eines nationales Gesundheitssystems, „das schon längst zusammengebrochen ist“. (Zitate nach Kalymnos News vom 12. Mai 2021)
Diese verbitterte Kritik verweist auf eine Situation, die für fast alle Provinzkrankenhäuser des staatlichen Gesundheitssystems (ESY wie Ethniko Systima Yyeias) typisch ist. In Kalymnos gibt es keine spezielle Covid-Station, weil das dafür ausgebildete Personal fehlt. Die Kranken müssen bei schwerem Verlauf auf die größeren Inseln Kos oder Rhodos transportiert werden. Zusätzliche Pflegekräfte werden nur per Zeitvertrag eingestellt, die personellen Lücken werden durch improvisierte Versetzungen und Überstunden gefüllt. Für das medizinische und Pflegepersonal ist nicht ausreichend Schutzkleidung da, selbst der lebensnotwendige Sauerstoff ist notorisch knapp und oft nur mit Hilfe von Spenden und Sponsoren zu beschaffen. Die Pflegekräfte werden zu Putzleistungen gedrängt, da die über Privatfirmen angeheuerte Reinigungskräfte ebenfalls unterbestetzt sind.
Am Schluss ihres Protestbriefes formulieren die Beschäftigten ihre wichtigsten Forderungen:
- Aufstockung des Personals über feste Einstellungen (statt Zeitverträge) und Umwandlung aller befristeten Stellen in Dauerstellen
- zusätzliche Ärztinnen und Pfleger für die vier geplanten Impfzentren
- zuverlässige Lieferung von Schutzkleidung und Sauerstoff durch die staatlichen Stellen
- Einstellung von Reinigungspersonal und Verzicht auf Leiharbeit
Mustergültige neoliberale Gesundheitspolitik
Was die Betroffenen beschreiben, ist nicht nur die Lage in einem entfernten Provinzkrankenhaus. Hier wird zugleich das Grundmuster der neoliberalen Gesundheitspolitik sichtbar, die Mitsotakis und seine Regierung betreiben: die Vernachlässigung des öffentlichen Gesundheitswesens bei systemischer Privilegierung des privaten Gesundheitssektors. Die politische und man könnte sagen die dogmatische Leistung des Kyriakos Mitsotakis besteht darin, dass er den Bias zugunsten des privatmedizinischen Sektors trotz der Pandemie durchgehalten hat. In einer Situation also, die nach dem Ausbau des staatlichen Gesundheitswesens geradezu schreit.
Angestellte des Evangelismos-Krankenhauses in Athen fordern die Einstellung von mehr Personal, 12. November 2020 © Thanassis Stavrakis/ap
Zu Beginn der Pandemie waren die öffentlichen Krankenhäuser Griechenlands mit weniger Betten auf Intensivstationen und generell mit weniger Pflegepersonal ausgestattet als die meisten EU-Länder.(43) 15 Monate später hat sich an diesen Defiziten nichts geändert. Und das, obwohl jede Gesellschaft gut daran täte, nicht nur auf eine vierte Welle im Herbst vorbereitet zu sein, sondern auch auf böse Überraschungen wie etwa die Ausbreitung einer neuen Mutante – vielleicht, aber nicht unbedingt aus Indien.
Weltweit und zumal im Fall Griechenland spricht alles für langfristige Investitionen in das öffentliche Gesundheitssystem und in das, was die WHO „primäre Gesundheitsversorgung“ (primary health care, PHC) nennt. Das in Reaktion auf die Pandemie aufgelegte Krisen- und Aufbauprogramm der Europäischen Union bietet die einmalige Chance, solche Investitionen günstig zu finanzieren. Auf welche Weise die Regierung Mitsotakis die Möglichkeiten im Bereich Gesundheit nutzen will, geht aus dem National Recovery and Resilience Plan hervor, den sie bei der EU eingereicht hat und der die Verwendung der RRF-Gelder für Griechenland skizziert.(44)
Das öffentliche Gesundheitssystem wird nicht gestärkt, sondern rationalisiert
In einer kritischen Analyse dieses Plans(45) kommen Nick Malkoutzis, Yiannis Mouzakis und Marcus Bensasson zu dem Schluss, dass er in den Grundzügen dem entspricht, was die neoliberale Regierung ohnehin und schon vor der Pandemie im Sinn hatte. Das gilt erst recht für die skizzierte „Reform“ des Gesundheitssystems, für die – in einem knappen Unterkapitel – drei Ziele genannt werden: erhöhte Resilienz, bessere Zugänglichkeit und „Sicherung der finanziellen Tragfähigkeit“. Wobei das dritte Ziel mittels „effektiver organisatorischer Reformen“ und „Optimierung des Einsatzes der finanziellen Ressourcen“ erreicht werden soll. Im Klartext: Was die Regierung anstrebt, ist nicht etwa die Stärkung oder gar der Ausbau, sondern die Rationalisierung des öffentlichen Gesundheitswesens.
Eine effizientere Verwendung öffentlicher Mittel ist die Aufgabe jeder Regierung, aber diese Prioritätenliste macht deutlich, dass die „Rationalisierung“ des Gesundheitssystems als Allheilmittel gilt, das den Ausbau und verstärkte Investitionen ersetzt. Ein durch die Pandemie ausgelöster „Paradigmawechsel“ ist nirgends sichtbar, konstatieren Malkoutzis und seine Mitautoren. Die ND-Regierung präsentiere vielmehr das alte neoliberale Rezept, wonach soziale Gerechtigkeit nur durch ökonomische Liberalisierung zu erreichen sei, die irgendwann „Wohlstand für alle“ schaffe.
Wie Mitsotakis und seine neoliberalen Berater ticken, haben sie zuvor schon demonstriert. Selbst unter größtem Druck der Pandemie – während der zweiten und dritten Welle – haben sie keinen Schritt zu einer systemischen Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens unternommen. Zugleich haben sie alles vermieden, was die Interessen des privaten Gesundheitssektor verletzt. Das lässt sich an mehreren Beispielen zeigen.
Systematische Begünstigung des privaten Gesundheitssektors
Das Personal des „Nationalen Gesundheitssystems“ (ESY) wurde in keiner Phase aufgestockt. Die Neueinstellungen, die sich die Regierung zugute hielt, haben lediglich die – durch Pensionierung und andere Abgänge entstandenen – personellen Lücken gefüllt. Weitere Lücken entstanden durch die hohe Infektionsrate unter Beschäftigten, die bis Herbst 2020 weder mit ausreichend Schutzkleidung ausgestattet noch auf Covid getestet wurden.(46)
Die Zahlen des Gesundheitsministerium über „Neueinstellungen“ wurden wiederholt von den Verbänden des medizinischen und pflegerischen Krankenhauspersonals dementiert. (siehe Kathimerini vom 20. August und vom 17. September 2020) Besonders kritisch war der Personalmangel auf den Intensivstationen, für die neue Stellen erst im November, auf dem Gipfel der zweiten Welle, ausgeschrieben wurden. Die Hauptklage der Beschäftigten war jedoch, dass neue Kräfte nur mit Zeitverträgen ausgestattet und keine festen Stellen geschaffen wurden. Damit wollte sich die Regierung durch die Welle retten, ohne das Budget für das Krankenhauspersonal erhöhen zu müssen.
Demselben Ziel diente die Verschiebung von ESY-Personal von weniger belasteten Regionen in die Hotspots des Nordens und vor allem nach Thessaloniki. Es begann damit, dass sich im November intensivmedizinisch ausgebildete Krankenpflegerinnen aus Kreta als „Freiwillige“ meldeten, deren Einsatz an der nordgriechischen „Pandemie-Front” als patriotische Tat gefeiert wurde. Als sich die Lage zuspitzte, wurden ärztliche und pflegerische Fachkräfte von Intensivstationen in ganz Griechenland nach Thessaloniki delegiert. Nicht thematisiert wurde der eklatante Mangel, der mit diesen Nottransfers bloßgelegt wurde: Für die ohnehin zu wenigen Intensivbetten, die an den öffentlichen Krankenhäuser für Corona-Fälle vorgehalten wurden, fehlte überall das Fachpersonal (die entsprechende Ausbildung hätte spätestens im Frühjahr 2021 anlaufen müssen).
Der Verband der Privatkliniken macht nicht mit
Eine alternative Notlösung wäre die Einbeziehung der Intensivstationen von Privatkliniken gewesen, wie sie einige Experten und die Oppositionspartei Syriza schon im Sommer 2020 gefordert hatten. Dazu hätte die Regierung auf ein Notstandsgesetz zurückgreifen können, das sie ermächtigt, Kapazitäten der privaten Kliniken zu requirieren. Dazu war die Regierung Mitsotakis nicht bereit. Statt dem öffentlichen Interesse zu dienen, bediente sie die Interessen des Verbands der Privatkliniken. Der hatte sich mit dem Argument verweigert, die acht (zum Teil sehr großen) Privatkliniken von Thessaloniki seien „nicht darauf vorbereitet, spezielle Covid-19-Stationen einzurichten“.(47)
Das Gesundheitsministerium beschränkte sich am Ende darauf, zwei Privatkliniken in Thessaloniki zur Aufnahme von bis zu 200 „einfachen“ Corona-Patienten zu verpflichten. Davor hatten die Privatkliniken lediglich Nicht-Covid-Fälle übernommen, die auf Intensivstationen der staatlichen Krankenhäusern wegen der Umwandlung in exklusive Corona-Stationen nicht mehr versorgt werden konnten. Für solche Fälle hatte die ND-Regierung schon im März 2020 die übliche staatliche Vergütung an die privaten Krankenhausbetreiber fast verdoppelt: Diese bezogen vom Staat statt der üblichen 800 Euro pro Tag 1300 Euro – und für die ersten drei Tage sogar je 1600 Euro. Die erhöhte Vergütung belastete den Gesundheitshaushalt mit 30 Millionen Euro. (EfSyn vom 24. September 2020)
Zwangsrekrutierung als letzter Ausweg
Auf dem Gipfelpunkt der zweiten Welle kam die Regierung auf die Idee, wenigstens das personelle Reservoir des privaten Gesundheitssektors anzuzapfen. Am 9. November machte Gesundheitsminister Kilikias den Ärzten und Ärztinnen des privaten Sektors das Angebot, zeitlich befristete Arbeitsverträge mit dem staatlichen Gesundheitssystem ESY abzuschließen. Als Anreiz bot er ein Monatsgehalt von 2000 Euro – netto und steuerfrei – sowie ein stattliches Zusatzhonorar für Sonderschichten, und dazu die Erlaubnis, weiterhin eine Privatpraxis zu betreiben oder an einer Privatklinik zu arbeiten.
Der Berufsverband der Krankenhausangestellten reagierte empört. Die Idee der Regierung sei nicht nur „kurzatmig“ gedacht, sondern auch ein „Hohn“ auf die Menschen, die von der Regierung und in den Medien ständig für ihre „Selbstaufopferung“ und ihr „soziales Verantwortungsgefühls“ gepriesen wurden. Das Lockangebot für den privaten Sektor hätte zum Beispiel dazu geführt, dass eine erfahrene ESY-Fachärztin, die netto 1250 Euro verdient und seit Wochen auf die Bezahlung vieler Überstunden wartet, zusätzlich einen jüngeren Kollegen, der weitaus mehr verdient, in den Krankenhausbetrieb integrieren muss. Während das „heroische“ Krankenhauspersonal vergeblich forderte, die Regierung möge wenigstens einen monatlichen Corona-Test finanzieren, hatte diese offenbar genug Geld, um ärztliches Personal aus dem privaten Sektor anzulocken. Allerdings ging die Rechnung der Regierung am Ende nicht auf, weil die Umworbenen für ihren Dienst an der Gesellschaft pro Monat 3000 Euro netto verlangten. (EfSyn vom 19. November 2020)
Im März 2021 versuchte die Regierung erneut, mindestens 206 Ärzte und Ärztinnen aus dem Privatsektor für einen Monat zum freiwilligen Dienst an den Corona-Krankenhäusern zu gewinnen. Diesmal war die Aufforderung allerdings mit der Drohung einer Zwangsrekrutierung verbunden. Als sich lediglich 61 Freiwillige meldeten, verschickte das Gesundheitsministerium am 22. März tatsächlich Stellungsbefehle an 206 Lungenfachärzte, Pathologen und Allgemeinmedizinerinnen (alle aus der Region Attika und unter 60 Jahre alt). Deren einmonatige Dienstzeit wurde am 23. April nochmals um 20 Tage verlängert.
Requirierung ganzer Privatkliniken – das große Tabu
Diese Aktion war wiederum nur eine Ersatzhandlung, kritisierte der Verband der Krankenhausärzte Attikas, dessen Vorsitzende Matina Pagoni die „Einberufung“ ganzer Privatkliniken forderte, um die staatlichen Krankenhäuser zu entlasten. (Skai TV vom 23. März 2021) Dieselbe Forderung stellte ein Chirurg des Athener Thriasio-Krankenhauses: „Wir müssen die Infrastruktur von Privatkliniken samt dem spezialisierten Personal rekrutieren.“ (in Mega TV vom 23. März)
Eine solche Forderung ist für die heutige Athener Regierung ein absolutes Tabu. Für die neoliberale Gesundheitspolitik sind die Interessen des privaten Sektors auch dann unantastbar, wenn das öffentliche Gesundheitssystem am Rand des Abgrunds steht. Dabei gehören die Privatkliniken in Griechenland – wie in anderen Ländern mit schwachem öffentlichen Gesundheitssystem – ohnehin zu den Gewinnern der Corona-Krise: Wegen der Überlastung der staatlichen Krankenhäuser sehen sich viele Kranke bei Operationen oder andere dringenden Behandlungen gezwungen, auf den teuren privaten Gesundheitssektor auszuweichen. Für die Nea Dimokratia ist dies eine willkommene „Nebenwirkung“ der Corona-Krise, die ihrer Klientel im privaten medizinischen Sektor zugute kommt.
Der unangreifbare Mitsotakis und die Opposition
Gibt es eine realistische Alternative zum neoliberalen Krisenmanagment à la Mitsotakis? Und wo versteckt sich in der politischen Landschaft zu Corona-Zeiten die größte Oppositionspartei Syriza, die schließlich vier Jahre lang das Land regiert hat? Auf beide Fragen werde ich in meinem nächsten Blog-Text eingehen, den ich wieder auf griechischem Boden zu schreiben hoffe. An dieser Stelle kann ich zwei Befunde vorwegnehmen.
1. Die Mitsotakis-Regierung sitzt trotz der aufgezeigten Defizite und der ideologischen Deformation ihrer Krisenpolitik stabil und demonstrativ selbstbewusst im Sattel. Und wenn morgen Wahlen wären, würde sie mit deutlichem Vorsprung vorne liegen und ihre parlamentarische Mehrheit behaupten. Das liegt nicht nur an ihren ausgefeilten PR-Techniken und ihrer übermächtigen Präsenz in den Medien, sondern auch an einigen Effektivitäts-Nachweisen – zum Beispiel bei der relativ gut organisierten Impfkampagne. Allerdings hat es die Regierung auch in diesem Punkt geschafft, ihre im EU-Vergleich anfangs nur mittelmäßige Bilanz als organisatorische Spitzenleistung zu propagieren. Für die öffentliche Wahrnehmung von Mitsotakis ist ebenso wichtig, dass Fehlleistungen, aber auch kleine Skandale von ND-Repräsentanten seinem Nimbus als „sauberer Politiker“ und sachorientierter Manager nichts anhaben können. Selbst bei klaren Verstößen gegen Corona-Regeln gelingt es der PR-Taskforce des Regierungschefs immer wieder, eine Skandalisierung im Keim zu ersticken.(48)
2. Die Stärke der ND-Regierung erklärt sich aber auch aus der Schwäche der Opposition, die großenteils selbst verschuldet ist. Die Syriza liegt in den aktuellen Umfragen um zehn bis zwölf Prozent hinter der ND zurück und würde ihr Wahlresultat vom Juli 2019 (31,5 Prozent) derzeit um acht bis zehn Prozent verfehlen. Die Gründe sind vielfältig und gehen zum Teil auf die Wirren und Schwächen der Regierung Tsipras zurück, die das Wahlvolk der Syriza noch lange ankreiden wird. Aber auch im Verlauf der Corona-Krise entwickelte die linke Opposition kein klares Profil. Letzten Endes konnten sich Tsipras und seine Partei nicht entscheiden, ob sie der Regierung ein zu laxes oder ein zu strenges Corona-Regime vorwerfen sollte, denn in beiden Fällen glaubte sie, ihre Wählerschaft gegen widrige Auswirkungen schützen zu müssen.
Anmerkungen
1) Die Inzidenz-Zahlen (für das Datum 13. Mai) stammen von der Datenplattform www.corona-in-zahlen.de. Alle weiteren statistischen Zahlen in diesem Text sind der internationalen Website www.worldometers.info entnommen oder auf Grundlage dieser Daten berechnet. Dabei ist zu beachten, dass in Griechenland die 7-Tage-Inzidenz in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle spielt, weil sie weder von der Regierung noch von den Medien ermittelt und kommuniziert wird. Die Corona-Dynamik wird vielmehr anhand der Todeszahlen und der Auslastung der Covid-Intensivstationen dargestellt. Mehr Beachtung als anderswo finden dagegen die Messwerte zur Virenbelastung der Abwässer in den Ballungszentren, die als präzise Frühindikatoren für die pandemische Entwicklung gelten.
2) Dagegen hat Griechenland von allen EU-Ländern mit 15,17 Prozent den niedrigsten Anteil der Industrie an der Beschäftigung, siehe www.statista.com.
3) So der Epidemiologe Gikas Magiorkinis in Kathimerini vom 22. April
4) Siehe Hardtalk vom 12. Mai 2015; Deutschen Welle vom 23. April 2021; sowie EfSyn vom 15. April und vom 11. Mai 2020.
5) Michael J. Jacovides, „Good Leaders Can Overcome Institutional Inertia in a Crisis“, HBR, 18. Mai 2020.
6) Den Andrang der touristischen Lemminge dokumentieren Fotos, die man in kritischen Santorini-Reports und Reportagen finden kann, unter www.europarl.europa.eu oder www.greece-is.com.
7) Der handwerklich perfekte PR-Auftritt in englischer Sprache ist in Wort und Bild auf der Regierungs-Website dokumentiert.
8) Die Stichprobe erfasste (nach eigener Anschauung bei der Ankunft in Athen im Juli) etwa jeden zehnten Passagier.
9) Noch Anfang Mai hatte die Regierung auf Tests bestanden und erklärt: „Wir lassen nur jemanden herein, der mit Sicherheit nicht erkrankt ist.“ (Kathimerini vom 9. Mai 2020).
10) Anfang Mai waren auch die Öffnungsregeln für den Einzelhandel gelockert und die obligatorische SMS-Anmeldung für alle Aktivitäten außer Hauses aufgehoben worden (siehe dazu meinen Blog-Text vom 14. Mai 2020). Ab 6. Juni durften die Gaststätten wieder öffnen, zwei Tage später die Vergnügungszentren und ab 15. Juni die Fitnessstudios.
11) Umfragen des Instituts Pulse für Skai-TV; siehe Kathimerini vom 8. Mai und vom 5. Juni 2020.
12) Eine ironisch-ernsthafte Erklärung für die Autorität von Tsiodras lieferte der Kolumnist Paschos Mandravelis in der Kathimerini vom 17. Juni: Die Epidemiologie gehöre eben nicht zu den Themen, die tagtäglich von den „Experten“ im Kafenion erörtert werden. „Anders als die griechisch-türkischen Beziehungen (über die wir alle promoviert haben) oder das Mazedonien-Problem (das wir in- und auswendig kennen) oder die seismischen Grabenbrüche (die wir im Schlaf runtersagen können) war die Gefahr der Pandemie noch nie zuvor ein Diskussionsthema.“ Und da auch die notorischen „Experten für alles“ im Fernsehen nichts zu sagen hatten, „fingen die Griechen endlich an, auf die wirklichen Experten zu hören.“
13) Zuvor gab es Medienberichte über einen weiteren Dissens: Anfang August hatte die Regierung entgegen des Rats des Expertenausschusses die erlaubte Zahl der Passagiere auf den Inselfähren von 60 auf 80 Prozent der maximalen Auslastung erhöht. In diesem Punkt wurde selbst Tourismusminister Theocharis übergangen, der dem Rat der Expertenausschuss folgen wollte. (EfSyn vom 2. August 2020)
14) Die etwa 700 an den Grenzen aufgespürten Covid 19-Fälle beruhten auf Stichprobentests, die an den Landgrenzen nicht einmal 10 Prozent ausmachten (genauere Zahlen von Chardaliás in der Kathimerini vom 22. Juli). Ein Mitglied des Expertenausschusses, Prof. Nikos Sipsas, schätzte die Zahl der „importierten Fälle“ Mitte Juni auf 4000 bis 5000 (so im TV-Kanal Mega am 15. Juni 2020).
15) Dieser Corona-Ausbruch (73 positive Tests und 6 Todesfälle) wurde durch Ramadan-Feiern im erweiterten Familienkreis verstärkt und hatte eine zweiwöchige Quarantäne für die ganze Stadt zur Folge. Siehe EfSyn vom 20. Juni und in Kathimerini vom 19., 25. und 26. Juni 2020.
16) Das Einreiseverbot für serbische Urlauber galt bis 15. Juli, danach trat ein EU-weites Einreiseverbot in Kraft. Für bulgarische Einreisende wurde ab 15. Juli die Vorlage eines negativen Tests schon an der Grenze verlangt. Als sich herausstellte, dass einige mit gefälschten Testaten einreisen wollten, wurde ein obligatorischer Test auf der griechischer Seite eingeführt.
17) Berechnung nach Meldungen der griechischen Nachrichtenagentur ANA-MPA; dagegen waren für die zehn letzten Junitage nur 25 Prozent aller Fälle an den Grenzen ermittelt worden. (Kathimerini vom 11. Jul 2020)
18) Berichte zu der geringen Zahl von Tests in Kathimerini vom 28. Juni und vom 12. Oktober 2020.
19) Gemeldet wurde der Fall nur von der regierungskritischen EfSyn vom 12. August 2020; hier wurde auch eine Aussage der Jugendlichen über ihre Erlebnisse in Korfu zitiert: „Von Italien waren wir Masken gewohnt und die trugen wir auch in den ersten Tagen, wenn wir abends ausgingen. Aber wir waren die einzigen und die anderen sahen uns an, als wenn wir vom Mars wären.“
20) Mykonos war die einzige Insel, die im Sommer 2020 in den internationalen Medien auftauchte, weil in einigen Privatvillen illegale Partys organisiert wurden – mit bis zu 500 „Gästen“, die bis zu 1000 Euro „Eintritt“ zahlten.
21) Kathimerini vom 20. August und EfSyn vom 21. August 2020. Zu diesem Zeitpunkt wurden nicht einmal die auf den speziellen Covid-19-Stationen Beschäftigten regelmäßig getestet.
22) Das Ergebnis der Studie, die das britischen Quarantäne-Regime auf seine Wirksamkeit überprüfen soll, findet sich unter www.medrxiv.org. Die Arbeit von Moustakas ist (auf griechisch) dokumentiert unter www.efsyn.gr.
23) Dass solche Sanktionen sofort außer Kraft gesetzt wurden, habe ich an zwei Beispielen auf der Kykladeninsel Syros erlebt.
24) Die 7-Tage-Inzidenz stieg von 3 Fällen (Anfang August) über 25 (Mitte Oktober) auf 179 (19. November 2020). Der Übergang zum exponentiellen Anstieg zeigte sich auch in der sogenannten Übersterblichkeit, also der Erhöhung der Sterberate im Vergleich mit demselben Monat früherer Jahre. Diese Rate lag im August 2020 um 6,5 Prozent höher, im September um 10,3 Prozent und im November bereits um 34,5 Prozent höher. (Quelle: www.euronews.com)
25) Die täglichen Fallzahlen sanken erst Anfang Dezember wieder unter 2000 und blieben ab 5. Januar 2021 stetig unter 1000, bis sie Anfang Februar wieder auf 1200 stiegen. Damit begann die dritte Welle, die am 30. März mit 4322 Fällen ihren Gipfelpunkt erreichte. (Daten und Kurven unter: www.worldometers.info)
26) Mitte November stieg die R-Zahl in den nordgriechischen Hotspots auf bis zu 1,4, und der Prozentsatz der positiven Tests auf bis zu 19 Prozent. Siehe Kathimerini und EfSyn vom 17., 24. und 26. November 2020, siehe auch den Bericht im SPIEGEL vom 26. November.
27) Die Zahlen sind einem Report in der Kathimerini vom 23. November 2020 entnommen, der weitere Details zum „Sonderfall“ Thessaloniki enthält.
28) Nur Lehrveranstaltungen mit mehr als 50 Studierenden sollten online stattfinden. Für die Präsenz-Veranstaltungen galten eine Maskenpflicht und Abstandsgebote, allerdings keine Tests, die zu dieser Zeit in Griechenland insgesamt eine Rarität waren.
29) Ein Gerücht besagt, dass die Universitäten auch deshalb nicht sofort auf Online-Unterricht umstellten, weil dann tausende auswärtige Studierende zu Hause geblieben wären, was viele Vermieter um ihre Einnahmen gebracht hätte.
30) Zitiert nach der schon zitierten Analyse unter dem Titel „Die Unterschiede zum Lockdown vom März“ in Kathimerini vom 23. November 2020. Der Autor Kostis Papadiochos bezieht diesen Befund nicht nur auf Thessaloniki, sondern auch auf kleinere „Studentenstädte“ wie Ioannina in Epirus.
31) So der Investitionsminister Georgiadis in Skai-TV vom 5. Januar 2021, dokumentiert auf der Website Keep Talking Greece vom selben Tag. Siehe auch die Kritik des Syriza-Abgeordneten Kostas Douzinas in EfSyn vom 25. Januar 2011.
32) Siehe Kathimerini vom 28. November. Das Virus ereilte auch den Bischof von Ierissos (Chalkidiki), der bis dahin ein Corona-Leugner gewesen war. (siehe EfSyn vom 1. November 2020) In EfSyn vom 24. November 2020 wird die (einsame) Selbstkritik des Bischofs von Alexandroupolis zitiert, wonach sich die Bischöfe wie „Übermenschen“ gefühlt hätten, um am Ende „vor dem Grab“ zu stehen.
33) Siehe die rückblickende Aussage des Humangenetikers Manolis Dermitzakis in der Kathimerini vom 7. Januar 2021 (engl. Ausgabe).
34) Ein sprunghaftes Anwachsen der Zahlen war am 29. Oktober gemessen worden (Daten nach Kathimerini vom 18. November 2020). Die Virenbelastung der Abwässer wird in den Ballungsgebieten Attika und Thessaloniki regelmäßig kontrolliert. Die Ergebnisse haben sich in beiden Regionen, aber auch in den Städten Kretas, als zuverlässige Früh-Indikatoren für die Entwicklung der Corona-Fallzahlen erwiesen.
35) Siehe Kathimerini vom 12. und vom 28. November 2020. Schon am 16. Oktober hatte dieselbe Zeitung berichtet, dass insbesondere Apostolos Tzitzikostas, der schon erwähnte Gouverneur von Zentralmazedonien, verschärfte Maßnahmen oder gar einen Lockdown unbedingt vermeiden wollte, weil dies „katastrophal für die Wirtschaft und die Gesellschaft“ sein werde.
36) EfSyn vom 3. Februar 2021, mit einem Video, das die klerikale Phalanx in der Basilika zeigt.
37) Das gilt vor allem für Küstenorte, wo der örtliche Geistliche ein goldenes Kreuz ins Wasser wirft, nach dem die winterfesten lokalen Helden tauchen (Frauen sind in dieser religiösen Wassersportdisziplin nicht erwünscht).
38) Nur in der Kleinstadt Egio am Golf von Korinth griff die Polizei ein und verpasste dem örtlichen Bischof ein Strafmandat über 1500 Euro, weil dieser an der Hafenmole trotz Verbots die Zeremonie mit dem goldenen Kreuz vollzogen hatte.
39) Zitate nach einem Interview von Kopanakis auf der Website „TV choris sinora“ vom 5. Januar 2021 und nach einem Bericht in EfSyn vom 25. Mai 2020.
40) Bericht im Morgenmagazin von Skai TV vom 7. Mai 2021. Ähnliche Vorfälle wurden aus anderen Orten gemeldet; so haben mehrere Popen in der nordgriechischen Diözese Drama den Gläubigen am Karfreitag verboten, sich dem symbolischen Sarg mit Maske zu nähern.
41) Im Innern wie auch vor der kleinen Kirche drängten sich weit mehr als die zulässige Zahl der Gäste, von denen die meisten keine Masken trugen. Siehe die Berichte in EfSyn vom 23. März 2021 und auch in der deutschsprachigen Presse, wie etwa in Die Presse (Wien) vom selben Tag.
42) Zahlen nach den täglichen Bulletins des Athener Gesundheitsministeriums und nach den Berichten in der Lokalzeitung Kalymnos News (www.kalymnos-news.gr)
43) Laut OECD-Statistiken verfügte Griechenland 2019 über 3,4 medizinische Pflegekräfte pro 1000 Einwohner; diese Zahl liegt für vergleichbaren EU-Staaten (Italien Portugal) doppelt und für Deutschland vier Mal so hoch. Eine mit Zahlen untermauerte Analyse der Folgen, die die Schulden- und Haushaltskrise der Jahre 2009 bis 2017 für den öffentlichen Gesundheitssektor gehabt hat, in der EfSyn vom 21. März 2021. In diesem Zeitraum verminderten sich die staatlichen Gesundheitsausgaben ingesamt um 43 Prozent und die Personalausgaben für die öffentlichen Krankenhäuser um 33 Prozent.
44) Die englische Fassung des Plans, der auf einem Report einer Expertenkommission unter dem Ökonomen Christopher Pissaridis beruht, ist zu finden unter www.opengov.gr.
45) Siehe „The Recovery Plan in Greece“, eine Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung.
46) Mitte November waren zehn Prozent des ärztlichen und pflegerischen Personals von Thessaloniki an Covid-19 erkrankt. (To Vima vom 14. November 2020). Zu dem Zeitpunkt forderte der Verband der Krankenhausangestellten – vergeblich – zwei Tests pro Monat für das gesamte Personal (Kathimerini vom 9. November 2020).
47) Kathimerini vom 20. November 2020. Das vom Verbandsvorsitzenden vorgebrachte Argument, die Privatkliniken verfügten nicht über das speziell ausgebildete Personal und könnten die Covid-Stationen nicht von anderen Stationen isolieren, galt zu Beginn der Pandemie auch für die öffentlichen Krankenhäuser. Der Einwand zeigt im übrigen nur, dass man die Privatkliniken schon früher in die Pflicht hätte nehmen müssen.
48) Das gilt etwa für den regelwidrigen Fahrrad-Ausflug in der Umgebung von Athen oder für die Teilnahme an einem Essen von ND-Honoratioren auf der Insel Ikaria, beim dem die Corona-Vorschriften verletzt wurden. Siehe dazu den Bericht von Kaki Bali für die Deutsche Welle vom 9. Februar 2021.