Schäubles Grexit-Offensive ist heute bedrohlicher als im Sommer 2015. © FRANCIOS LENOIR/reuters |
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Eine erste, kürzere Fassung dieses Textes erschien in der Märzausgabe von LE MONDE diplomatique.
Grexit und linke Geisterfahrer
Die konservative Opposition in Griechenland hat eine Entdeckung gemacht, die sie entzückt. „Die Vorsitzende der deutschen Partei ‚Die Linke‘, Sarah Wagenknecht, schlägt den Austritt Griechenlands aus der Eurozone vor“, empörte sich die Nea Dimokratia (ND) in einer Presseerklärung vom 22. Februar. Und richtete an die Regierungspartei Syriza die inquisitorische Frage: „Hatte Herr Tsipras Kenntnis von der offiziellen Position „Der Linken“, wie sie deren Vorsitzende formulierte?“(1)
Im Übereifer hat die ND zwei Punkte übersehen: Zum einen ist die Grexit-Forderung keineswegs die „offizielle Position“ der deutschen Partei, die der Syriza am nächsten steht. Und zum anderen hat Wagenknecht den Grexit nicht "vorgeschlagen", wohl aber behauptet – und das nicht zum ersten Mal –, eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands wäre ohne das „Korsett“ der Gemeinschaftswährung „wahrscheinlich um einiges leichter“.(2)
Zudem vergaß die ND bei ihrer Anfrage über die „Genossin Wagenknecht“, ihren eigenen, nämlich den "CDU-Genossen Schäuble“ zu erwähnen, dem ihr Vorsitzender Kyriakos Mitsotakis kurz zuvor seine Aufwartung gemacht hatte. Der deutsche Finanzminister, der bekanntlich mächtiger als Frau Wagenknecht ist, betreibt seit Jahren mithilfe der Grexit-Drohung eine eigenwillige europäische Austeritäts-Politik, die in seiner Partei offenbar mehrheitsfähig ist.
Rechte und linke Grexit-Befürworter
Dagegen repräsentiert Wagenknecht in Sachen Grexit weder ihre eigene Partei noch die Syriza. Wohl aber einen Teil der linken „öffentlichen Meinung“ in beiden Ländern. In Griechenland wird der Euro-Austritt nur von drei politischen Parteien gefordert. Zwei von ihnen stehen links und haben sich – auch wegen dieser Frage – von der Syriza abgespalten,(3) die dritte Grexit-Partei ist die neonazistische Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Eine fürwahr seltsame Übereinstimmung zwischen linksradikalen und rechtsextremistischen Kräften und Motiven.
Erklärungsbedürftig ist aber auch die Nähe zwischen Wagenknecht und Schäuble. Die beschränkt sich im Fall der Co-Parteivorsitzenden nicht auf die Annahme, dass es den Griechen außerhalb der Eurozone letztlich besser gehen würde. Wagenknecht verwies wiederholt auch auf die unzumutbare Belastung der „deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“, die am Ende für die griechischen Rettungspakete bluten müssten.
Die meisten linken Grexit-Befürworter verzichten darauf, mit solchen „nationalen“ Ressentiments zu spielen. Wohl aber sind sie in der Regel erklärte EU-Skeptiker, die das „europäische Projekt“ abbrechen oder radikal umbauen wollen. Für die Eurozone sehen sie erst recht keine Zukunft. Und ihr Plädoyer für den EU-Austritt Griechenlands ist stets auch eine Kampfansage an die Verfechter des TINA-Arguments. Das berüchtigte Diktum „There is No Alternative“ ist für sie nur ein Trick der neoliberalen Weltenlenker, die mit ihrem Sachzwang-Fetischismus jeden radikalen Gegenentwurf diskreditieren wollen.
Beweislast für die eigene Alternative
Frageverbote sind natürlich verboten. Aber genauso unsinnig wie die TINA- ist die TINNA-Behauptung: There is never no alternative. Wie könnten sonst aufrechte Linke argumentieren, dass der Kampf gegen den Klimawandel – bei Strafe des Untergangs – alternativlos sei?
In den meisten Rechts-Links-Kontroversen geht es jedoch gar nicht um das Ob, sondern um den Inhalt der Alternative, und im Fall Griechenland vor allem um ihre konkreten Folgen. Die TINA-Kritik der Gegenseite ersetzt also nicht die Beweislast für das eigene Alternativkonzept.
Haben die linken Grexit-Befürworter ein besseres Konzept zur Überwindung der Krise, jedenfalls besser für die Mehrheit der Betroffenen? Eine linke Antwort sollte sich – gerade in ihrem Realitätsgehalt – von den „rechten“ Konzepten unterscheiden. Deshalb ist es für Linke tatsächlich ein Problem, wenn sie mit dem deutschen Finanzminister in einem Boot sitzen, der von sich behauptet, die bessere „Alternative für Griechenland“ zu kennen.
Schäubles Plan B im Falle eines Greccident
Die Motive für Schäubles Bemühen, Griechenland aus der Währungsunion zu drängen, waren nicht immer dieselben. Im Berliner Finanzministerium wurde an einem Plan B schon seit 2010 gearbeitet, als halb Europa auf den „Greccident“ spekulierte: das ungeplante Ausscheiden aus dem Euro nach einem Staatsbankrott. Mehrere Regierungen bestellten damals bei Finanzinstituten wie Rothschild ausführliche Gutachten über die Folgen für die gesamte Eurozone.
Die damalige Stimmung schildert der damalige US-Finanzminister Timothy Geithner in seinem Buch „Stress Test“ (Broadway Books 2015) auf eindrucksvolle Weise. Anfang Februar 2010 erlebte er beim G-7-Gipfel der Finanzminister und Notenbankpräsidenten in Iqualuit (im äußersten Norden Kanadas), wie hektisch die anwesenden EU-Vertreter - aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, plus EZB-Chef Jean-Claude Trichet - auf die Lage in Griechenland reagierten: „Die plötzliche Panik in Europa war schockierend.“ Und beim gemeinsamen Abendessen beklagten die europäischen Vertreter fast die ganze Zeit „die griechische Verschwendungssucht und Verlogenheit“. Er hörte „schrille Forderungen nach Härte und alttestamentarischen Strafen“ für die Griechen, verbunden mit der Zuversicht, „dass man die Krise auf Griechenland beschränken könne“.
Nach diesem G-7-Treffen wurde kein Communiqué veröffentlicht, aber es gibt keinen Zweifel, dass der deutsche Finanzminister zu den Predigern „alttestamentarischer“ Härte zählte. Offiziell äußerte er damals nur, dass sich „viele kluge Menschen über viele Dinge Gedanken machen“ (Tagesspiegel vom 7. Februar 2010). Wie konkret seitdem in Berlin über den Grexit nachgedacht wurde, erfuhr die griechische Seite erstmals am 16. September 2011.
Kein Schreckschuss, sondern ein strategisches Denkmodell
Am Rande der EU-Finanzministerkonferenz in Wroclaw/Breslau nahm Schäuble seinen griechischen Kollegen Venizelos beiseite, um ihn zu einem „sanften“ Austritt aus der Eurozone zu überreden. Dabei ging er auffällig ins Detail: Umwandlung aller Bankeinlagen über 3000 Euro in die neue Währung, Kapitalkontrollen, Cash-Rationen von wöchentlich 50 bis 100 Euro pro Kopf, Lebensmittelnothilfe, eine „Luftbrücke“ für Medikamente.(4)
Venizelos wies das Ansinnen entsetzt zurück. Vor allem, weil der Plan die Rückkehr zu einer Drachme bedeutet hätte, „die von Abwertungen geplagt gewesen wäre“, wie er später erklärte (in der Kathimerini vom 4. Februar 2016). Aber die detaillierten Pläne machten ihm klar, dass dies nicht nur ein Schreckschuss war, um den Griechen das Zittern beizubringen. Es war ein strategisches Denkmodell.
Wie das aussah, erfuhr US-Finanzminister Timothy Geithner Ende Juli 2012, als er den Kollegen Schäuble in Sylt besuchte. Viele in Europa hielten „den Rauswurf Griechenlands für eine wünschenswerte Strategie“, erläuterte Schäuble seinem Gast. Ein Grexit müsse so „traumatisch“ wirken, dass die anderen EU-Länder vor Schreck „mehr Souveränität aufgeben würden“. Das kalte Kalkül: „Wenn man Griechenland abbrennen lässt, wird es leichter, ein stärkeres Europa mit einer glaubwürdigeren Firewall aufzubauen.“(5)
Mit Souveränitsverzicht war die Bereitschaft gemeint, sich der strengen Haushaltsdisziplin zu unterwerfen, die Schäuble als einziges Rezept für das EU-Krisenmanagement gelten ließ. Der Grexit sollte die Spreu vom Weizen trennen. Danach solle jedes Land, das im Euro bleiben wolle, seine Entscheidung treffen. Und Griechenland? War nur ein Kollateralschaden auf der Autobahn ins deutsche Europa.
Schäubles Grexit-Offensive vom Sommer 2015
Schäuble wurde zunächst gestoppt, auch durch die Finanzmärkte, die bedrohliche Folgen für Portugal, Spanien und womöglich Italien antizipierten.(6) Seine nächste Grexit-Offensive kam erst 2015, als Griechenland wieder am Abgrund stand und die Tsipras-Regierung das Diktat der Troika unterschreiben sollte. Damals formulierte Schäuble seine Drohung so brutal, dass auch viele EU-Partner schockiert waren. Wenn Tsipras nicht spurt, hieß es im Ultimatum vom 10. Juli, „sollten Griechenland rasche Verhandlungen über ein Time-out von der Eurozone, mit möglichen Schuldenerleichterungen… für eine Zeit von mindestens fünf Jahren angeboten werden.“(7)
Nicht nur der Athener Finanzminister Varoufakis ging damals davon aus, dass sein Berliner Kollege es ernst meinte. Wie er in mehreren Interviews enthüllte, versuchte Schäuble bereits seit März 2015, ihn zu einem freiwilligen Grexit zu überreden. Auch Varoufakis sah hinter diesen Versuchen eine klare Strategie, die er in einem Beitrag für The Guardian (vom 11. Juli 2015) skizzierte: „Auf der Erfahrungsbasis monatelanger Verhandlungen ist meine feste Überzeugung, dass der deutsche Finanzminister Griechenland aus der gemeinsamen Währung verdrängen will, um den Franzosen einen heiligen Schrecken einzujagen und dazu zu bringen, sein Modell einer disziplinierenden Eurozone zu akzeptieren.“
So empfand es im Sommer 2015 nicht nur der griechische Finanzminister. Auch maßgebliche Leute in Brüssel sagten damals – hinter vorgehaltener Hand –, dass Schäuble auf den Grexit hinarbeite, berichtete ein deutscher Korrespondent: „ Zu hart seien die Sparauflagen, die der Bundesfinanzminister Griechenland in den Block diktiere. Zu rigoros schließe er den nötigen Schuldenschnitt aus. Zu harsch sei sein Ton in den Sitzungen.“(Die Welt, 16. Juli 2015).
Zudem standen damals viele Entscheidungsträger unter dem Eindruck eines Papiers, das die EU-Kommission Anfang Juli ausarbeiten ließ. In diesem sogenannten „Plan B“ wurde durchgespielt, welche Folgen ein Grexit nicht nur für Griechenland, sondern für die gesamte Eurozone haben könnte. Der Plan B ist bis heute geheime Verschlusssache und wird so schnell nicht publik werden. EU-Finanzkommissar Moscovici hat aktuell wieder bestätigt, dass eine Veröffentlichung dieses Dokuments nicht opportun sei. In einem Brief, in dem er die entsprechende Forderung der ehemaligen EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou ablehnt, nennt er den Plan B „ein hypothetisches und problematisches politisches Szenario, das sich auf „besonders sensible Fragen politischer, ökonomischer und rechtlicher Art“ beziehe. Deshalb glaube die Kommission, ,,dass dem öffentlichen Interesse besser gedient ist, wenn die Informationen, die Sie fordern, nicht aufgedeckt werden.“
Über den Brief Moscovicis berichtet höchst aktuell die Kathimerini vom 12. März. Darin erläutert der EU-Kommissar, der Inhalt dieses Dokuments könne auch heute noch „die Stabilität Griechenlands gefährden und Unruhen in der Eurozone auslösen“. Warum der Plan B von 2015 so brisant ist, kann die Athener Zeitung nur andeuten: „Nach Informationen der Kathimerini … sah der Plan unter anderem außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen an den Grenzen vor, ein Notstandspaket humanitärer Hilfe, wie auch einen Plan zur Evakuierung von EU-Bürgern… im Falle sozialer Unruhen und instabiler Verhältnisse, die ein Grexit auslösen könnte.“
Tsipras und das Pressing der Gläubiger
Wer damals Schäuble in letzter Stunde gestoppt hat (Juncker, Tusk, Hollande, Merkel?) müssen die Historiker herausfinden. Klar ist aber: Hätte Tsipras nicht kapituliert, wäre der Grexit gekommen. Dafür wird er noch heute in Griechenland wie in Europa von manchen Linken als Judas verdammt. Das sind sehr oft Leute, die ihn zuvor absurderweise zum Che Guevara des Mittelmeers hochgejubelt hatten.
Dabei hat sich der Athener Regierungschef niemals für den Grexit ausgesprochen, schon gar nicht vor dem berühmten Referendum vom 5. Juli 2015. Noch am Abend vor der Volksabstimmung hatte Tsipras betont, er wünsche den Verbleib Griechenlands in der Eurozone und hoffe, ein „Nein“ der griechischen Bevölkerung werde ein besseres Verhandlungsergebnis mit den EU-Partnern ermöglichen. Auf die Frage, ob er jemals einen Grexit erwogen habe, antwortete Tsipras kürzlich in einem Interview mit der linken Zeitung Efimerida ton Syntakton wie folgt: „Ob ich je daran dachte, etwas zu betreiben, was der härteste Vertreter der Gegenseite gefordert hat? Das wäre blödsinnig, wäre echter Verrat gewesen. Und katastrophal für die Arbeiter, denn es hätte ihre Kaufkraft und ihren Lebensstandard zerrüttet, aber auch die gesamte Volkswirtschaft.“(8)
Die Antwort klingt aufrichtig, verweist aber auf ein großes Problem: Der Lebensstandard in Griechenland ist nach sieben Jahren Krise ohnehin zerrüttet. Und die Arbeitslosigkeit ist nur deshalb leicht zurückgegangen, weil Zehntausende – vor allem junger – Arbeitsemigranten der Statistik nicht mehr zur Last fallen. Zudem ist die Grexit-Drohung noch längst nicht vom Tisch. Auch in der jüngsten Verhandlungskrise erklärte Schäuble, die Gläubiger müssten ihr „Pressing“ auf die Griechen fortsetzen, andernfalls müssten die aus der Eurozone ausscheiden.(9) Für die zweite Alternative sind heute 52 Prozent der deutschen Bevölkerung und 75 Prozent der AfD-Anhänger (Forsa-Umfrage in Der Stern vom 22. Februar 2017).
Kern-Europa, Südländer und Pannenopfer
In gewisser Weise ist Schäubles Grexit-Option heute sogar bedrohlicher als 2015. Sie fügt sich in das Szenario, das auf ein „Europa der Willigen“, sprich eine EU der verschiedenen Geschwindigkeiten zusteuert: Deutschland und andere Kernländer auf der Überholspur, die Südländer und andere Nachzügler auf der Kriechspur, während auf dem Seitenstreifen die Pannenopfer stehen und auf den Abschleppdienst des IWF warten.
Sollte sich dieses Szenario durchsetzen, dem inzwischen offenbar auch Frau Merkel zuneigt, würden die linken Euro-Skeptiker Recht behalten, für die eine Gemeinschaftswährung ohne gemeinsame Steuerpolitik und Eurobonds nie eine Zukunft hatte.
Recht behalten ist freilich noch kein Alternativkonzept. Das aber ist weit und breit nicht zu sehen.(10) Schon gar nicht für Griechenland. Die Rückkehr zur eigenen, stark abgewerteten Währung wäre für das extrem verschuldete und exportschwache Land ein Notausgang mit extremen Risiken.
Das hat auch der klügste Kopf der Euro-Skeptiker erkannt. In einer Athener Zeitung äußerte Heiner Flassbeck volles Verständnis dafür, dass die Tsipras-Regierung den „Sprung ins Unbekannte“ verweigert habe: „Der Sprung aus einer Währungsunion ist ein großer und gefährlicher Schritt, nach dem man nicht weiß, was auf dem weiteren Marsch geschehen wird.“
Er habe diesen Schritt von Griechenland auch nie erwartet, denn eine Athener Regierung könne den Ausstieg aus dem Euro nicht als erste, also vor Italien oder Frankreich wagen.(11)
Sprung ins Unbekannte
Ähnlich sah es Iannis Varoufakis. Der erste Finanzminister der Tsipras-Regierung hat den griechischen Euro-Beitritt zwar für einen Fehler gehalten, aber „wenn man mal drin ist, kommt man nicht raus, ohne dass es eine Katastrophe gibt.“ Allein das Risiko einer solchen Katastrophe sollte verantwortungsvollen Politikern die Phantasie vom „Sprung ins Unbekannte“ austreiben.
Varoufakis selbst hat – eher unfreiwillig – dazu beigetragen, diese Risiken zu veranschaulichen. Als Finanzminister der Tsipras-Regierung fühlte er sich verpflichtet, das Land „für alle Fälle“ auf einen unfreiwilligen oder erzwungenen Grexit vorzubereiten. Deshalb erteilte er einem Expertenteam unter Leitung seines Freundes und akademischen Mentors James K. Galbraith den Auftrag, ein Gutachten auszuarbeiten, das als „Plan X“ in die Geschichte der griechischen Krise einging. Galbraith sollte mit einem kleinen Team die Schwierigkeiten und Probleme eines „Greccident“ analysieren, um auf eine Entwicklung vorbereitet zu sein, „die alle zu vermeiden hofften“.(12)
Der Bericht der Galbraith-Gruppe sollte das Szenario eines unfreiwilligen Ausscheidens aus der EU entwerfen, um die Risiken und Probleme beim Umschalten auf eine neue, inflationäre Währung zu identifizieren und praktische Lösungen vorzuschlagen. Einige zentrale Befunde dieses „Greccident“-Szenarios erlauben Rückschlüsse auf vergleichbare Turbulenzen und Komplikationen, mit denen die Griechen auch bei einem „geordneten Grexit“ zu rechnen hätten.
Von Galbraith lernen
Im Sinne einer solchen Gefahrenanalyse sind folgende Punkte des „Plan X“ relevant.
1.Um außergewöhnliche Maßnahmen zum „Schutz“ der neuen Währung (in dem Gutachten ND wie „Neue Drachme“ genannt) schnell umzusetzen, müsste die Regierung den Staatspräsidenten veranlassen, den Notstand nach Artikel 44 der griechischen Verfassung auszurufen. Artikel 44 besagt wörtlich: „In Ausnahmefällen eines außerordentlich dringenden und unvorhergesehenen Notstandes kann der Präsident der Republik auf Vorschlag des Ministerrates gesetzgeberische Akte erlassen.“
Ein solches „Präsidialregime“ mittels „Notverordnungen“ wäre aus zwei Gründen problematisch. Erstens müsste der griechische Staatspräsident mitmachen. Bei dem gegenwärtigen Amtsinhaber Prokopis Pavlopoulos wäre dies keinesfalls sicher, weil er ein erklärter Grexit-Gegner ist. Zweitens ist juristisch umstritten, ob die Einführung einer neuen Währung als „unvorhergesehener“ Notstand deklariert werden kann. Es wäre also durchaus denkbar, dass der Staatspräsident unter Berufung auf rechtliche Zweifel die Anwendung des Art. 44 verweigert oder dass das höchste Gericht Griechenlands (der Symvoulio tis Epikratias oder Staatsrat) die Anwendung des Notstandsartikels für verfassungswidrig erklärt.
2. Die Regierung müsste nicht nur die Banken sofort verstaatlichen, sondern auch die direkte Kontrolle über die Zentralbank übernehmen. Damit würde diese ihre Unabhängigkeit verlieren. Ein solcher Akt würde gegen EU-Recht verstoßen und die Frage aufwerfen, ob der Ausstieg aus dem Euro direkt zum Ausscheiden aus der EU führen könnte. Im „Plan B“ wird eingeräumt, dass Griechenland damit „möglicherweise“ die Artikel 123 und130 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ verletzen würde.(13) Deshalb müsse Athen öffentlich erklären, dass diese Verstöße durch außergewöhnliche Umstände erzwungen und nur „vorübergehend“ seien, und dass Griechenland Mitglied der Europäischen Union bleiben wolle.
3. Um eine Kapitalflucht und damit eine unkontrollierte Abwertung der ND zu verhindern, müssten strenge Devisen- und Kapitalkontrollen eingeführt werden. Allerdings kommt die Galbraith- Gruppe zu dem Schluss, dass eine Kontrolle der griechischen Außengrenze zwecklos, da „ohnehin nicht durchführbar“ sei. Eine wichtige Route für illegale Devisenflüsse (Euros oder andere Hartwährungen) bliebe damit offen.
4. Die Notwendigkeit, die Bankeinlagen auf die ND umzustellen (mit einem entsprechenden Abwertungsverlust), würde zu einem Sturm auf die Banken führen, die durch Ordnungskräfte geschützt werden müssten. Da die Unsicherheit über den Wert der ND und deren Volatilität andauern kann, müsste man auf Dauer mit folgenden Begleiterscheinungen rechnen: Rationierung knapper Güter (wie KfZ-Benzin), Versorgungsengpässe, Wucherpreise aufgrund der Hortung wichtiger Waren, Entstehung einer Parallelwährung. Dabei würde die Tatsache, dass viele Leute ihre (immer wertvoller werdenden) Euros zu Hause aufbewahren, zu einem steilen Anstieg der Diebstahlkriminalität führen. Das alles erzwingt laut „Plan X“ dauerhafte Notstandsmaßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, „für die das Verteidigungs- und das Innenministerium verantwortlich wären“. Angesichts von Aufgaben wie der Sicherung von Regierungsgebäuden, dem Schutz vor Plünderungen, dem Kampf gegen die steigende Kriminalität wäre der „Einsatz aller verfügbaren Kräfte“ erforderlich, kurzum: die totale Mobilisierung von Polizei und Armee.
5. Für bestohlene oder ausgeraubte ausländische Touristen müsste man „Notfallkassen“ einrichten, die von den Botschaften und Konsulaten zu verwaltet wären. Generell sei der Tourismussektor vorrangig mit knappen Waren zu versorgen – einschließlich Benzin -, was die griechische Bevölkerung verärgern könnte. Deshalb müsse die Regierung den Einheimischen klarmachen, dass „der Erfolg des Übergangs von einer ruhigen und gastfreundlichen Umwelt für die Touristen“ abhänge.
6. Um die Inflation zu begrenzen, müssten „neue Arbeitsverträge“ untersagt werden. Damit soll verhindert werden, dass auf jede Preisinflation die entsprechende Lohnerhöhung folgt, was auf eine permanente Lohn-Preis-Spirale hinauslaufen würde. Aus demselben Grund müssten die Mieten kontrolliert werden. Trotz solcher Maßnahmen wäre die Entwicklung der Inflationsrate nach Einschätzung der Galbraith-Gruppe nicht vorhersehbar. Die Regierung solle sogar jede Prognose vermeiden, damit ihre Glaubwürdigkeit nicht leidet, wenn die Voraussage nicht eintrifft.
7. Das Personal von Schulen und Krankenhäusern und generell der gesamte öffentliche Dienst müsste per Gesetz oder Notverordnung zwangsverpflichtet werden. Da die Umstände der Umstellung auf die ND korruptionsfördernd wirken, müsste die Regierung an alle öffentlichen Bediensteten appellieren, dass „Korruption in jeder Form und insbesondere Bestechung mit Euros nicht akzeptabel ist“. Und die Justiz müsste alle Vergehen, die den Wert der ND gefährden, „schnell und hart“ bestrafen.
Plan X – ein Alptraum-Szenario für Tsipras
Das ganze Szenario fiel am Ende so düster aus, das auch Galbraith zutiefst erschrocken war, wie er nachträglich in Interviews bekannte. Wichtiger ist allerdings die Frage, wie Tsipras auf dieses Gutachten reagiert hat.(14) Die Lektüre muss für den Regierungschef ein Schock gewesen sein. Sollte Tsipras jemals mit dem Grexit geflirtet haben, wird er spätestens in diesem Moment realisiert haben, dass er diesen „Giftbecher“ auf keinen Fall in die Hand nehmen darf (um den Titel von Galbraiths Buch zu zitieren).
Man stelle sich vor: Eine linke Regierung muss den Notstand ausrufen lassen, muss eine Belagerung der Banken durch „das Volk“ verhindern, muss mit Hilfe der Armee für „Ruhe und Ordnung“ sorgen, muss einen Lohnstopp verfügen, um die Inflation zu begrenzen, und hat dennoch keine Chance, die Zirkulation einer Parallelwährung und damit die sukzessive Entwertung der Neuen Drachme zu verhindern. Kurzum: ein Alptraum, der noch viel bedrückender ist als die Zumutung, eine tiefgreifende soziale und ökonomische Krise unter dem Diktat der Gläubiger zu verwalten.
Dabei beschreibt der Plan X der Galbraith-Gruppe nur die „Übergangsprobleme“ zu einer inflationären Währung, die allerdings im Fall der ND sehr lange andauern könnten. Das lässt sich am Beispiel der Energieimporte aufzeigen. 2014 musste Griechenland 63 Prozent seiner Energie importieren, das bedeutet: Rohöl und Erdgas im Wert von 5 Prozent des BIP (7,5 Milliarden Euro). Diese Importe würden sich bei einer abgewerteten Währung noch weiter verteuern (ganz abgesehen von dem Problem, die nötigen Devisen aufzubringen).
Aufbau einer Exportwirtschaft?
Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Für ein Land mit notorisch negativer Handelsbilanz, das also viel mehr importiert als exportiert, verpufft der erwünschte Effekt einer abgewerteten Währung – die Ankurbelung der Warenexporte . Deshalb geht auch eine Argumentation von Flassbeck im Fall Griechenland ins Leere. Er setzt bei seinem Konzept einer Krisenüberwindung mittels Abwertung der nationalen Währung eine „halbwegs normale Export- und Importstruktur“ voraus.(15) Aber ein solches „normales“ Land ist Griechenland genau nicht. Es kann weder „den Großteil der Importe“ ersetzen, noch hat es eine nennenswerte Industrie, die „handelbare Güter“ für den Export herstellen könnte.
In allen Grexit-Szenarien wird der Aufbau einer tragfähigen Exportwirtschaft als ein zentrales langfristiges Ziel genannt. Aber just die Entwicklung einer solchen Industrie würde durch eine abgewertete und dauerhaft inflationäre Drachme stark gehemmt oder unmöglich gemacht. Um eine Produktion aufzubauen, die Güter mit hoher Wertschöpfung für den Export herstellt, müssten die wichtigsten Vorleistungen und Investitionsgüter (Technologie, Erdölprodukte) importiert werden. Solche Importe wären mit einer inflationären Drachme unbezahlbar.(16)
Ich habe auf dieses strukturelle Problem bereits früher verwiesen. In dem Text „Grexit und was dann?“ (LMd vom Juni 2015) habe ich eine weitere Gefahr aufgezeigt, die mit dem griechischen Klientelismus zu tun hat. In einem Land mit Kapitalkontrollen und einem „grauen“ Devisenmarkt würden Korruption und Vetternwirtschaft, die für die griechische Verschuldungskrise mit verantwortlich sind, ganz neue Blüten treiben. Und die großen Gewinner wären - dank einer inflationären Drachme - die griechischen Besitzer von Euro-Guthaben und ausländische Investoren, die zum Beispiel touristisch nutzbare Immobilien noch günstiger einkaufen könnten. Es wäre ein einziges „großes Fressen“ auf Kosten der Drachmen-Griechen. Auch das sollte linken Grexit-Befürwortern zu denken geben.
Where is the money?
Die entscheidende Frage ist jedoch eine andere: Wo soll das Geld herkommen, um die ganz normalen staatlichen Funktionen zu finanzieren? Ganz zu schweigen von einem minimalen Sozialstaat, den es in Griechenland bislang nicht gibt, weil die Ressourcen von einem korrupten Klientelsystem aufgesogen wurden, vor allem von einem weitgehend ineffizienten öffentlichen Sektor, den man nie zu evaluieren gewagt hat.
Where is the money?Das gilt auch für das Problem der öffentlichen Verschuldung, das eine weiche Währung noch verschärfen würde. Die klassische linke Antwort eines Schuldenschnitts ist in dem Fall keine. Denn der Drachmenstaat würde ohne tiefgreifende Reformen ständig neue Haushaltsdefizite produzieren, die man – wie die unentbehrlichen Importe – mit Anleihen in harten Devisen finanzieren müsste. Die aber gäbe es nur zu hohen Kosten.
Die große Lebenslüge der Grexit-Anhänger ist also die Illusion, dass Griechenland mit der Drachme wieder ein souveräner Staat wäre. Der neue Souverän wäre – an Stelle der Troika oder der Quadriga – der internationale Anleihenmarkt, der seine Bedingungen noch unerbittlicher diktieren würden als es die heutigen Gläubiger tun.(17)
Die Flucht aus dem Euro wäre eine Flucht vor den wirklichen Problemen des Landes, argumentiert Giorgos Oikonomou, ein kritischer Beobachter der griechischen Gesellschaft und Politik. Diese Probleme rühren nämlich nicht vom Euro, sondern von den Pathologien des Systems: „Das gescheiterte oligarchische und kleptokratische System zu verändern, ist die unabdingbare Voraussetzung für alle weiteren Schritte.“(18) Der Rückzug in die Drachme wäre nur ein gefälliges Alibi, die Probleme weiter vor sich herzuschieben.
Ein Nachtrag: Wie stehen die Griechen zum Grexit?
Die Einstellung der griechischen Bevölkerung zu der Alternative „Euro oder Drachme“ hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verändert. Während die Zugehörigkeit zur Eurozone bis Sommer 2015 in den Umfragen regelmäßig eine Zustimmungsquote zwischen 70 und 80 Prozent erzielte, ist sie seitdem stetig abgesunken. Bei mehreren Umfragen im Jahr 2016 wollten nur noch etwa 55 Prozent den Euro unbedingt behalten; der Anteil der Befragten, die eine Rückkehr zur Drachme befürworten, überstieg zeitweilig die 40 Prozent-Grenze.
Das Abbröckeln des Vertrauens in den Euro und die Bereitschaft, die Risiken einer Rückkehr zur Drachme in Kauf zu nehmen, hat vor allem zwei Gründe. Der eine ist die zermürbende Erfahrung, dass sich der Ausweg aus der Krise innerhalb der Eurozone endlos hinzieht. Kostas Kallitsis hat diesen Effekt anschaulich beschrieben: Wenn regelmäßig die eine „Evaluierung“ nach wenigen Monaten wieder nur zur nächsten Evaluierung führt, ohne dass auch nur eine rudimentäre Planskizze für die minimalen Ziele - Rückkehr zu Wachstum und Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit - erkennbar ist, „produziert das politische System immer größere Zweifel an der europäischen Perspektive im Lande selbst“. (Kathimerini vom 24. April 2016)
Der zweite Grund ist die Unsicherheit über die Zukunft der Eurozone und der Europäischen Union insgesamt. In fast allen Umfragen, die mehr als ein Drittel an „Grexit“-Befürwortern auswiesen, war eine Mehrheit der Befragten (bis zu 60 Prozent) der Meinung, dass die Eurozone ohnehin zerfallen wird. Wer diese Meinung teilt, kann natürlich den Euro nicht mehr als Rettungsanker für Griechenland sehen.
Seit einigen Wochen hat sich die Zustimmung zum Euro wieder stabilisiert. Bei den beiden letzten Umfragen (Anfang Februar und Anfang März) wurde die Grexit-Option von 22 bzw. 33 Prozent der Befragten unterstützt, 71 bzw. 60 Prozent optierten für den Verbleib in der Eurozone.(19) Aber je mehr Opfer innerhalb der Eurozone verlangt werden, desto mehr Menschen werden glauben: Schlechter kann es mit der Drachme auch nicht werden. Der „Sprung ins Dunkle“ schreckt nicht mehr ab, wenn man sich die Zukunft dunkler gar nicht mehr ausmalen kann.
Allerdings würde ich eine Einschätzung wagen, die empirisch nicht zu untermauern ist: Wenn es wirklich darauf ankommt, wenn also die Option Euro oder Drachme unmittelbar anstehen würde, dürfte die Angst vor dem Unbekannten bei einem Großteil der Bevölkerung doch stärker sein als die Verzweiflung.(20) Schon deshalb, weil die Grexit-Alternative selbst bei den meisten ihrer Befürworter keine reflektierte Option ist, die auf konkreten Vorstellungen über die wirtschaftliche Entwicklung jenseits der Eurozone beruht.
Der Grexit der „Volkseinheit“ – ein Narrativ mit Lücken
Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Parteien, die ein solches Entwicklungsmodell vorzuweisen behaupten, nur wenige Wähler überzeugen können. Warum das so ist, macht ein Blick auf das Programm der LAE (Volkseinheit) verständlich. Die linke Syriza-Abspaltung und ihr Vorsitzender Lafazanis (ehemals Energieminister in der ersten Tsipras-Regierung) haben den Grexit zu ihrem zentralen Programmpunkt gemacht. Lafazanis präsentiert die Vision seines alternativen Griechenland als „einzige realistische und lebensfähige Lösung, die das Land aus der Krise, aus den Memoranden und der Sparpolitik herausziehen und auf den Weg der wirtschaftlichen Entwicklung zurückbringen kann“. (Efimerida ton Syntaktion vom 8. Februar 2017)
Nach Lafazanis ist die Rückkehr zur nationalen Währung das Instrument, um Griechenland nicht nur aus der „Sklaverei“ der Eurozone, sondern auch aus der Europäischen Union herauszuführen. Sein „radikales Programm“ setzt auf die Förderung der nationalen Produktion, vor allem mittels Importsubstitution, und soll die Arbeitslosigkeit reduzieren und soziale Gerechtigkeit verwirklichen. Das Geld für dieses Programm zu beschaffen, ist offenbar kein Problem. Mit der Kontrolle der Zentralbank hat man die Währungssouveränität wieder erlangt und kann eine selbständige Geldpolitik betreiben, sprich: „ein neues Gleichgewicht“ zwischen Euro und der neuen Währung „festsetzen“. Da auch die Banken verstaatlicht werden, kann man auch gleich die privaten Schulden bei den Geldhäusern streichen oder durch großzügige Abzahlungsregelungen regeln. Die griechische Staatschuld hat man bereits durch einen einseitigen „haircut“ abgeworfen.
In diesem Konzept gibt es nicht nur keine Staatsschuld mehr, sondern auch keinen Devisenbedarf, keine Kapitalmärkte, keine äußeren Einflüsse auf den Kurs der neuen Währung, keinen einzigen Euro im Lande und keine Gefahr einer Binneninflation. Und natürlich keine Energieengpässe und ähnliche alltägliche Ärgernisse. Lafazanis entwirft in der Tat „ein neues, integrales Narrativ für das Land“, das ohne Zweifel vom „Volk“ früher oder später geglaubt und „angenommen“ wird.
In früheren Zeiten, als Lafazanis und seine Genossen noch der linke Flügel der Syriza waren, machten sie sich immerhin noch Gedanken über die Devisenreserven, die Griechenland brauchen würde, um nach einem Grexit die dringendsten Importe zu bezahlen. Damals phantasierte man sich Kredite aus Russland oder China zurecht, oder auch Öllieferungen aus Venezuela. Nachdem diese Alternativen sich als nicht besonders real erwiesen haben, wurde diese unbequeme Frage offenbar aus dem „integralen Narrativ“ gestrichen.
12.03.2017
Anmerkungen
1) Kathimerini, 22. Februar 2017
2) Reinische Post online, 21. Februar 2017; Zur Kritik an Wagenknecht aus den Reihen der Linken siehe SozialismusAktuell vom 24. Februar.
3) Die LAE (Laiki Enotita oder Volkseinheit) und die Plefsi Eleftherias (Kurs der Freiheit), deren addiertes Wählerpotential laut Umfragen 4 bis 5 Prozent beträgt; die Kommunisten der KKE sind heute keine Grexit-Befürworter mehr (wie noch bis 2012).
4) Venizelos vor einem griechischen Parlamentsausschuss, siehe Kathimerini, 21. Dezember 2016. Bei dem Gespräch in der Kellerbar des Breslauer Hotels Metropol nahm auf deutscher Seite auch Schäubles Staatssekretär Jörg Asmussen teil.
5) Geithner fand Schäubles Argumente “furchterregend”. Er befürchtete als Folge eines Grexit “eine dramatische Vertrauenskrise” weit über die EU hinaus. Auch konnte er nicht erkennen, “warum sich die deutschen Wähler mit der Rettung Spaniens oder Portugals oder anderer Kandidaten viel eher abfinden würden“. Geithners Bericht über sein Gespräch mit Schäuble in seinem Buch "Stress Test – Reflections on Financial Crises", New York (Broadway Books) 2015, hier zitiert nach New York Times, 29. Juni 2015.
6) In dieser Zeit wurde in Brüssel und Frankfurt (EZB) an einem "Plan Z" gearbeitet, der den Grexit einkalkulierte, siehe Financial Times, 14. Mai 2014.
7) Englische Originalfassung in: Süddeutsche Zeitung, 12. Juli 2015.
8) Efimerida ton Syntaktion, 25. Dezember 2016.
9) Zu dieser jüngsten Verhandlungsrunde siehe: "Die Zeit läuft weg", LMd-Blog Griechenland, 27. Februar 2017
10) Der plausibelste Entwurf ist die Rückkehr zu einer „Währungsschlange“, die Lafontaine vorgeschlagen hat (Der Spiegel, 11. Juli 2015). Doch dieses Konzept, das eine ausgehandelte Bandbreite von Wechselkursen vorsieht, wäre gerade für ein Griechenland der Drachme keine Lösung: Die nationale Währung würde laufend an Wert verlieren, sodass man die Bandbreite ständig verändern an müsste. Interessanterweise räumt Lafontaine gegenüber dem Spiegel ein, dass er mit seiner Position im Widerspruch zur Führung der Linkspartei steht.
11) Efimerida ton Syntakton (EfSyn), 27. September 2015 (die Zitate sind aus dem Griechischen zurück übersetzt). Flassbeck sah in diesem Interview nur eine einzige Perspektive für die Tsipras-Regierung: Sie müsse ihre vierjährige Regierungszeit überstehen und hoffen, dass Wahlen in Frankreich, Spanien und Italien die Machtverhältnisse in der EU verändern, sodass die deutsche Dominanz in der Eurozone endlich gebrochen wird.
12) Siehe das Interview von Galbraith in der Kathimerini vom 6. Juli 2016. Der Text des „Plan X“ ist dokumentiert im Anhang der Buches von James K. Galbraith, „Welcome tot he Poisoned Chalice: The Destruction of Greece and the Future of Europe“, New Haven and London (Yale University Press) 2016. Da mir diese Publikation nicht zugänglich ist, zitiere ich aus der griechischen Ausgabe (Ekdoseis Pataki, Athen 2016), wo der Text auf den Seiten 275 bis 291 abgedruckt ist.
13) Insbesondere würde ein Verstoß gegen Artikel 130 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ vorliegen. Nach dieser Bestimmung darf eine nationale Zentralbank keinerlei „Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen“.
14) Galbraith geht davon aus, dass Varoufakis den Plan X-Auftrag durch den Regierungschef autorisieren ließ. Dazu schweigt Tsipras. Wahrscheinlich zog er es vor, von dem geheimen Auftrag „offiziell“ nichts zu wissen. Ganz sicher aber bekam er das fertige Gutachten zu Gesicht.
15) Aus diesem Grund liegen auch die häufig angestellten Vergleiche mit Argentinien völlig schief. Die Argumentation von Flassbeck findet sich in seinem Text: „Ist das Eurosystem überwindbar?“ in: SozialismusAktuell vom 16. Dezember 2016.
16) So auch die Einschätzung des Chefökonomen des griechischen Unternehmerverbandes, die er in der FAZ vom 20. Juni 2015 dargelegt hat.
17) Einen bitteren Vorgeschmack bieten die Zinsraten für griechische Bonds, die von neuen Grexit-Gerüchten automatisch in die Höhe getrieben werden.
18) Efimerida ton Syntakton, 28. Juni 2016 und 23. Februar 2017.
19) Efimerida ton Syntaktion vom 8. Februar und Kathimerini vom 5. März 2017. Bei der zweiten Umfrage lautete die Frage allerdings gezielter: „Was wäre für Sie persönlich besser? Euro oder Drachme?“
20) Siehe dazu die Überlegungen von Perry Anderson, „Das System Europa und seine Gegner“, Le Monde diplomatique, März 2017.