07.05.2015

Neue Perspektiven für Teheran

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Neue Perspektiven für Teheran

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Der Abschluss eines Abkommens über das iranische Nuklearprogramm bedeutet an erster Stelle einen Sieg für Teheran. Zwar musste die iranische Führung in einigen Punkten nachgeben, die zuvor als nicht verhandelbar dargestellt wurden, wie etwa die Anzahl der Zentrifugen zur Urananreicherung. Doch als Gegenleistung erhält das Teheraner-Regime den Status eines anerkannten Verhandlungspartners des Westens und insbesondere der USA. Angesichts dessen sieht die Islamische Republik eine Perspektive neuer Kooperationsmöglichkeiten mit ihren einstmaligen Kritikern; zunächst im wirtschaftlichen Bereich und langfristig vielleicht auch auf politischem und militärischem Gebiet. All dies gilt – auch wenn noch nichts in trockenen Tüchern ist und weiterhin große Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Abkommens bestehen, vor allem in Bezug auf den Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen.

Entgegen dem, was man hätte erwarten können, hat das Übergangsabkommen bei der iranischen Führung keine Euphorie ausgelöst. Teheran übte sich in Zurückhaltung, ohne jedoch gleichzeitig seine Zufriedenheit zu verbergen. Alle hohen Vertreter des iranischen Staats, vom Kommandanten der Revolutionsgarden über den Parlamentspräsidenten Ali Laridschani bis hin zum Generalstabschef, würdigten die Leistung des iranischen Verhandlungsteams.

Nur der oberste Rechtsgelehrte Ali Chamenei äußerte sich recht spät und sagte, „der Text von Lausanne garantiert nicht notwendig ein endgültiges Abkommen“. Die Iraner sollten „nicht überschwänglich werden oder sich beglückwünschen“.

Chameneis Aussagen klangen wie eine Warnung für die Zukunft. Doch er sollte nicht vergessen, dass er selbst zu diesem Ausgang der Verhandlungen beigetragen hat, als er den iranischen Unterhändlern erlaubte, Zugeständnisse zu machen. Letztlich haben nur die Hardliner-Fraktionen innerhalb des Regimes, die dem ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nahestehen und sich in der Bewegung der sogenannten Besorgten (Delvapassan) versammelt haben, das Abkommen kritisiert. Ihrer Meinung nach berücksichtige es nicht hinreichend die nationalen iranischen Interessen.

Vor dem Hintergrund der Atomverhandlungen haben Präsident Rohani und seine Regierung im Verlauf der vergangenen Monate mehr oder weniger erfolgreich versucht, ein Gefühl der nationalen Einheit zu schaffen. Im November 2014 initiierten sechs Filmemacher, darunter Abbas Kiarostami, Asghar Farhadi und Rakhshan Bani-E’temad, eine Kampagne unter dem Motto: „Es gibt kein schlechteres Abkommen als kein Abkommen“. Es war das erste Mal seit über 30 Jahren, dass sich iranische Intellektuelle auf so beharrliche und positive Weise in die Angelegenheiten der Islamischen Republik einmischten. Gleichzeitig trug das Verhalten Saudi-Arabiens und Israels, die versuchten, die Verhandlungen in Lausanne zum Scheitern zu bringen, dazu bei, das Nationalgefühl der Iraner – um nicht zu sagen: den Nationalismus – wiederzubeleben.

Geschickte Außenpolitik, schlechtes Regieren

Doch man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Der Abschluss eines endgültigen Abkommens wird die Ungeduldigen im Land nicht beruhigen. Die öffentliche Meinung im Iran hat den Ausgang der Verhandlungen in Lausanne im Übrigen weder enthusiastisch noch optimistisch aufgenommen – teils sogar mit einem gewissen Fatalismus. Die wirtschaftliche Lage ist nach wie vor äußerst angespannt. Die Regierung hat zwar verkündet, die Inflation im Griff zu haben, doch die Preise hören nicht auf zu steigen, und das Tag für Tag. Die Unzufriedenheit wächst, vor allem in der Automobilindustrie und im Bildungssektor wird regelmäßig gestreikt.

Darüber hinaus stellt die Annäherung mit dem Westen den Iran vor neue geopolitische Herausforderungen. Die Verhandlungen attestieren Teheran außenpolitisches Geschick. Denn im Gegensatz zu vielen seiner Nachbarn hat der Iran tatsächlich eine schlüssige strategische Vision für die Region und auf internationaler Ebene entwickelt. Er hat eine Einflusszone aufgebaut, die sich von China über den Norden Afghanistans bis ans Mittelmeer erstreckt.1

Doch wie soll der Einfluss in diesem Interessengebiet ausgebaut werden, ohne Spannungen mit den westlichen Gesprächspartnern zu provozieren? Egal ob es um den Libanon, den Irak, Syrien oder den Jemen geht: Die iranischen Diplomaten haben zwar stets darauf geachtet, die Nuklearproblematik von anderen heiklen Fragen, wie der Anerkennung Israels, zu trennen, doch über kurz oder lang wird Teheran seine Regionalpolitik anpassen müssen, wenn es das Abkommen von Lausanne nicht gefährden möchte.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Fortschritte in der Frage um das Nuklearprogramm auch auf die innere Entwicklung des Regimes auswirken werden. Die schlechte Führung der Regierung, unter der das Land seit Jahren leidet, ist historisch gewachsen: Eine der Stärken des iranischen Regimes war seit jeher die Koexistenz verschiedener Strömungen, wobei es in den vergangenen 30 Jahren keiner Fraktion gelang, die anderen zu isolieren.2

Doch was in den ersten Jahren der Islamischen Republik zweifellos von Vorteil war, erweist sich inzwischen als Hemmschuh. Für jedes Reformvorhaben ist ein breiter Konsens innerhalb der heterogenen Führungsschicht notwendig.

Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1990er Jahren haben zu permanenten Spannungen zwischen dem Regime und der Bevölkerung geführt. Die Führung in Teheran hat zunehmend Schwierigkeiten, den Widerspruch zwischen einem religiös-islamisch begründeten Machtsystem und der Entwicklung einer modernen urbanisierten Gesellschaft zu verwalten.3

Präsident Rohani hat die Präsidentschaftswahlen vom Juni 2013 zwar schon in der ersten Runde gewonnen, aber es geht ihm nicht darum, die bestehende Ordnung infrage zu stellen. Neben dem Wiederaufbau des Staatsapparats, der durch die acht Jahre währende Präsidentschaft Ahmadinedschads stark geschwächt wurde, besteht seine Hauptaufgabe darin, die Beziehungen zum Westen zu normalisieren und die Isolation seines Landes zu beenden. Nimmt man einmal an, dass sich die iranische Führung – ermutigt durch die Perspektive, dass die direkte Konfrontation mit den USA und Europa endet – für den Wandel entscheidet, dann braucht sie ein Vorbild, dem sie folgen kann.

Das Modell der Reformer, eine politische Öffnung „à la Gorbatschow“, ist gescheitert. Vor diesem Hintergrund scheint das chinesische Modell – politisch restriktiv und wirtschaftlich liberal – einige Vorteile zu bieten. Doch die Entwicklung des industriellen Kapitalismus im Iran ist äußerst begrenzt, denn die Wirtschaft ist kaum diversifiziert und obendrein stark von den Öleinnamen abhängig. Außerdem wird die angekündigte Öffnung des iranischen Markts die einheimische Industrie nicht stärken. Es besteht das Risiko, dass dabei das Gleiche herauskommt wie in vielen anderen erdölproduzierenden Ländern: ein Rentier-Kapitalismus, der als lokale Zweigstelle der großen multinationalen Unternehmen fungiert. In vielerlei Hinsicht wird der Weg des Wandels im Iran noch lang sein.

Shervin Ahmadi

Fußnoten: 1 Siehe Shervin Ahmadi, „Die Welt aus der Sicht Teherans“, Le Monde diplomatique, Januar 2014; und Jean-Luc Racine, „Ein Hafen für Afghanistan“, Le Monde diplomatique, November 2014. 2 Siehe Sharareh Omidvar, „Fraktionen und Koalitionen. Das innenpolitische Kaleidoskop im Iran “, Le Monde diplomatique, Juli 2009. 3 Siehe Shervin Ahmadi, „Die Lieblingsserie der Iraner“, Le Monde diplomatique, Juli 2011. Aus dem Französischen von Jakob Farah Shervin Ahmadi leitet die Farsi-Ausgabe von Le Monde diplomatique.

Le Monde diplomatique vom 07.05.2015, von Shervin Ahmadi