Dieses Subjekt wird bewacht
Smarter Bodyguard, verdruckster Aufpasser oder kantiger Rausschmeißer: Der private Wachschutz ist vor Banken, in Supermärkten und Diskotheken allgegenwärtig – und längst auch akzeptiert. Porträt eines Berufs mit unklarem Profil von Martin Mongin
Ob in unserer näheren oder unserer weiteren Umgebung, der Einsatz von Wachschutzpersonal nimmt ständig zu. Supermärkte, Parkplätze, Kaufhäuser, Büros, Bahnhöfe, Straßen, Universitäten, Museen, Kultur- oder Sportveranstaltungen und neuerdings auch Schulen: Es gibt kaum mehr einen öffentlichen Ort, an dem man nicht auf private Sicherheitskräfte trifft, die mit argwöhnischen Blicken die Menge inspizieren. Wir gewöhnen uns an ihre Gegenwart. Wir gewöhnen uns daran, unseren Ausweis vorzuzeigen und unsere Taschen zu öffnen. Folgsam lassen wir uns zur Ordnung rufen.
Im Jahr 2007 waren in Frankreich 150 000 Personen im Wachschutz beschäftigt; seit 1998 ist im Durchschnitt ein jährlicher Zuwachs um 8,5 Prozent zu verzeichnen; bis 2015 werden voraussichtlich 60 000 neue Stellen zu besetzen sein. Die erweiterte Anwendung des „Plan Vigipirate“1 und der Kampf gegen den Terrorismus lieferten allen und jedem einen bequemen Vorwand, seine Boutique, seinen Betrieb oder überhaupt seine Räume mit den Agenten der privaten Sicherheit zu bemannen.
Vorgeblich geht es um Komfort für die Kunden
Aber man lasse sich nicht täuschen, die Funktion der Wachschützer ist vor allem ökonomischer Art: Sie sollen Diebe abschrecken, Sachschäden verhindern, die ordnungsgemäße Nutzung der für die Öffentlichkeit bestimmten Einrichtungen und Räume sichern et cetera. Spitzentechnologie, die vom Wachpersonal kontrolliert wird (Videoüberwachung, Alarm- und Aufspürsysteme), hilft dabei, diesen Auftrag zu erfüllen. Die Schutz- und Sicherheitskräfte sollen also in erster Linie für die Sicherheit des Betriebs selbst sorgen (dessen Ware, Ausstattung, Personal und Umsatz) – und nicht für die der Kunden oder Besucher, wie es meist heißt: „Für Ihren Komfort und Ihre Sicherheit wird unser Geschäft von einem Sicherheitsdienst überwacht.“
Aber gerade wegen dieser bewussten Täuschung wirkt sich die verstärkte Präsenz von Wachleuten im gesamten gesellschaftlichen Raum unbemerkt auf die Öffentlichkeit aus. Und das hat damit zu tun, dass es so viel Unklarheiten gibt, was diese Profession betrifft. Unklarheit herrscht bezüglich des Status der Sicherheitskräfte, bezüglich ihrer Funktion, ihrer Befugnisse und schließlich bezüglich der Definition jener „Sicherheit“ selbst, die sie gewährleisten sollen und mit der ihre ständige personelle Aufstockung gerechtfertigt wird. Und die Unklarheit ist umso bezeichnender, als die problematischen rechtlichen Aspekte des Themas in den Medien kaum je behandelt werden.
Dadurch, dass der Beruf des Wachmanns kein klares Profil hat, ist nicht nur dem Missbrauch aller Art Tür und Tor geöffnet. Das Diffuse überträgt sich auch. Wenn einem andauernd überall Wachleute begegnen, beginnen sich normalerweise voneinander abgegrenzte Sphären des gesellschaftlichen Lebens zu vermischen. Das kann so weit gehen, dass man nicht mehr einzuordnen weiß, was wozu gehört, und anfängt, sich unangemessen zu verhalten.
Durch die Omnipräsenz von Sicherheitskräften werden die großen, für die Gesellschaft konstitutiven Trennlinien zwischen der Ordnung des Gesetzes und der Ordnung durch Regeln, wie etwa die Hausordnung, die nur an einem bestimmten Ort gilt, verwischt – aber auch diejenigen zwischen öffentlichem und privatem Raum.
Der Status eines Wachmanns deckt eine ganze Palette von Berufen ab: Sicherheitsbeamter, Brandschutzbeauftragter, Detektiv, Hundeführer, Betreiber von Videoüberwachungsgeräten, Nachtwächter und so weiter. Und er beinhaltet die unterschiedlichsten Tätigkeiten: Beaufsichtigung, Geldtransport, Personenschutz, Überwachung, Kontrolle von technischem Gerät.
Unter dem Vorwand, all das gehöre direkt oder indirekt zum Bereich der „Sicherheit“, umfasst der Wachschutz immer mehr Funktionen, die sich überschneiden. So kann der Brandschützer auch Wärterdienste in Museen verrichten oder verdächtige Personen in Kaufhäusern festnehmen. Ebenso kann die Arbeit einer Sicherheitskraft „vornehmlich in Empfangs- und Einweisungsaufgaben, Eingangskontrollen, Rundgängen, Kontrollen zur Einhaltung der vor Ort geltenden Sicherheitsbestimmungen, im Einsatz in Erste-Hilfe- und Alarmsituationen, in der Einweisung von Hilfsmannschaften, im Abfassen von Ereignis- und Tätigkeitsberichten“2 bestehen.
Unmerklich wird in den zitierten Zeilen von Information zu Prävention, von Prävention zu Intervention, von Intervention zu Repression gewechselt. Meistens weiß niemand mehr, wo der Aufgabenbereich eines Wachschützers beginnt und wo er endet. Die einzige Konstante ist der Dresscode: schwarzer Anzug und Krawatte oder Drillichhose und Ranger-Stiefel; Schulterstücke, Firmenlogo, Headset, Walkie-Talkie.
Tatsächlich ist es ein illegitimes Machtverhältnis
Die Uniform des privaten Sicherheitsmanns hat vor allem die Funktion, eine Asymmetrie herzustellen, ein Autoritäts- und mithin Machtverhältnis zwischen ihm und den Personen, an die er sich wendet – ein Autoritäts- und Machtverhältnis, das vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet vollkommen illegitim ist.
Auf diesen Punkt weist das vom Ministerium für öffentliche Sicherheit von Québec herausgegebene Weißbuch mit Nachdruck hin: „Eines der größten Probleme im Zusammenhang mit der privaten Sicherheit in den westlichen Ländern ist die Aufgabenüberschneidung zwischen öffentlichen und privaten Sicherheitsdiensten.“ Daher kann durch „das Fehlen eines Kodex von Berufsregeln und -pflichten für die Branche des privaten Wachschutzes bei den diversen Anbietern Unklarheit darüber entstehen, welche Praktiken erlaubt sind und welche nicht.“
Unklarheit besteht aber auch bei der Bevölkerung: „Eine solche Situation kann […] dazu führen, dass die Bürger das besondere Schutzmandat, das der Eigentümer einer privaten Sicherheitsagentur gegenüber einem Kunden übernommen hat, mit dem Mandat zum Schutz der öffentlichen Sicherheit verwechseln, das die Polizei gegenüber der Gemeinschaft innehat.“
Und fügen wir noch hinzu: Unklarheit auch bei den Auftraggebern, die entweder die Situation ausnutzen oder schlecht informiert sind und den Wachschutz fast zwangsläufig mit Rechten ausstatten, die ihm nicht zustehen.3
Die privaten Sicherheitskräfte sind weder Polizisten noch Ordnungsbeamte. Sie gehören nicht zu den staatlichen Ordnungskräften, für die sehr strenge Vorschriften gelten. Solche existieren auch für die Wachleute, zum Beispiel in Bezug auf ihre Berufskleidung: „Ohne Ausnahme […] haben die [Wachleute] bei der Ausübung ihrer Funktionen eine besondere Berufskleidung zu tragen. Diese darf keinerlei Verwechslung mit der Kleidung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zulassen, namentlich mit der der nationalen Polizei, der nationalen Gendarmerie, des Zolls und der Gemeindepolizei.“4
Nun treten die privaten Sicherheitskräfte aber, selbst wenn sie der Forderung nach Unterscheidbarkeit in der Berufskleidung nachkämen, was bei weitem nicht immer der Fall ist, in symbolischer Hinsicht stets als Repräsentanten des Gesetzes auf – oder zumindest als Repräsentanten der Repräsentanten des Gesetzes.
In symbolischer Hinsicht, weil die Ursache für sämtliche nicht sichtbaren Wirkungen, die die Präsenz der Wachleute zeitigt, in dem Empfinden liegt, das diese bei den Menschen auslöst. Das hat nichts mit irgendeiner Form von Subjektivismus zu tun. Das Empfinden, um das es hier geht, ist durchdacht und geplant, es wird herbeigeführt und gepflegt. Es ist das Kalkül mit der Angst, das am Anfang der Abschreckung steht.
Während der Polizist Mittler ist zwischen Bürger und Justiz, kann der Wachmann niemals mehr sein als Mittler zwischen Bürger und eben diesem Polizisten. Er kann der Polizei nur zur Seite stehen, und seine zentrale Aufgabe besteht darin, diese bei Rechtsverstößen zu benachrichtigen. Er ist nichts weiter als ein zusätzliches Glied im Prozess der Gesetzesanwendung.
Der Wachmann hat den Auftrag, zu überwachen, zu kontrollieren und, vor allem, Alarm zu geben. Er handelt im Namen der Gebote der Sicherheit, achtet auf die Einhaltung eines präskriptiven Codes, ist manchmal ausgerüstet, um Gewalt entgegenzutreten, und initiiert ein Macht- oder Autoritätsverhältnis. All das trägt dazu bei, dass in den Köpfen der Leute Zweifel gesät wird. Die Wachleute verbreiten überall, wo sie auftreten, die Drohung des Gesetzes.
Jedoch, und es ist erstaunlich, dass diese wichtige Information in den Medien nie erwähnt wird, sind die Wachleute Bürger wie alle anderen. Sie besitzen nicht mehr Macht als ein gewöhnlicher Staatsbürger, nicht mehr Privilegien oder mehr Autorität. Die Beschäftigten in der Sicherheitsbranche sind ebenso „Berufstätige“ wie die im Uhrengeschäft oder in der Gastronomie. Sie spielen also meistens eine Rolle, die ihnen gar nicht zusteht. Denn die privaten Sicherheitskräfte stehen Gesetz und Justiz nicht näher als ein Normalbürger, und sind Gesetz und Justiz auch in gleicher Weise unterworfen.
Gefährlich wird es, wenn Langeweile aufkommt
Wie jeder Bürger darf ein Wachmann natürlich entsprechend der Vorgaben der Strafprozessordnung mutmaßliche Delinquenten ergreifen. Dieses Festnahmerecht gilt jedoch nur bei Vergehen oder Verbrechen, die mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Dies lässt den Bürgern einen gewissen Spielraum, der von Wachleuten allerdings mitnichten immer eingehalten wird.
Tatsächlich nämlich kommen solche Vergehen und Verbrechen – ebenso wie Brände oder jene Störungen, denen der Wachschutz vorbeugen soll – nur selten vor. Man könnte daraus nun ironisch die Schlussfolgerung ziehen, dass die privaten Sicherheitskräfte ihren Auftrag eben mit Erfolg erfüllen. Doch im Gegensatz zur Feuerwehr, zur Polizei oder zum medizinischen Rettungsdienst, die erst nach einem Vorfall einschreiten, haben die Wachleute geduldig abzuwarten, dass eine Situation der Unsicherheit eintritt. Und solange diese nicht eintritt, geraten sie – um sich die Langeweile zu vertreiben oder ihre Anwesenheit zu rechtfertigen – leicht in Versuchung, ihren autoritären Blick auf andere, weniger gravierende Vorkommnisse zu werfen.
Im alltäglichen Geschäft besteht die Arbeit eines Wachmanns tatsächlich nicht darin, mutmaßliche Delinquenten festzunehmen und sie bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Die Arbeit eines Wachmanns bewegt sich nicht auf dem Boden des Gesetzes, sondern auf dem der Regel. Sie besteht schlicht und einfach darin, zu gewährleisten, dass die Hausordnung, die in einem kommerziell genutzten Raum gilt, von der Kundschaft, die diesen frequentiert, befolgt wird.5
Nicht außerhalb der dafür vorgesehenen Plätze essen; nicht mit Blitzlicht fotografieren; keine Flugblätter politischen Inhalts verteilen; keine scharfen Gegenstände wie Messer, Scheren, Brieföffner, die andere verletzen könnten, mit sich führen; nicht den Rasen betreten et cetera. Solcherart sind die Regeln, auf dessen Einhaltung der Wachmann zu achten hat, wenn er auch über keinerlei Mandat verfügt, das ihm dazu die Vollmacht erteilen würde.
Private Sicherheitskräfte sind an besonderen Orten tätig, die man als „von der breiten Masse genutztes Privateigentum“ („propriétés privées de masse“)6 bezeichnen könnte. Shoppingcenter oder Kino-Multiplexe sind zwar private Räume, also Räume, die von einer Privatperson oder einer unabhängigen Gesellschaft betrieben werden, es sind aber gleichzeitig Räume, die der Öffentlichkeit offenstehen und in denen sich ein immer größerer Teil des gesellschaftlichen Lebens abspielt. Diese doppelwertigen Räume unterscheiden sich von den traditionellen öffentlichen Räumen darin, dass sie streng „funktional“ sind.
Was ist ein solcher funktionaler Raum? Es ist ein Raum, dessen Daseinsgrund, dessen Funktion und dessen Legitimität in Hinblick auf Frequentierung und Nutzung im Vorhinein festgelegt und durch eine Hausordnung kodiert ist.7 In einem Raum, der in monofunktionelle Einheiten unterteilt ist (Raum zur Entspannung, Raum für Gastronomie, Raum für Kinder, Raum für Raucher), weiß jeder, der sich hier aufhält, genau, was er zu tun und zu unterlassen hat. In einem solchen Raum sind alle Wege im Voraus festgelegt, alle Verhaltensmöglichkeiten antizipiert. Es ist ein logischer Raum – das heißt, er basiert auf einem abgeschlossenen System aus notwendigen Beziehungen zwischen Dingen, Personen, Zeichen –, dessen sämtliche Teile jedes für sich der Realisierung dieses Gesamtplans untergeordnet sind.
Der Verbraucher als potenzieller Verbrecher
Folglich ist ein funktionaler Raum auch ein Raum, in dem nur Personen zugelassen sind, die sich bereitwillig dessen Nutzungsplan unterwerfen. Ein Supermarkt, ein Parkplatz, ein Kino, ein Museum oder eine Schwimmhalle sind funktionale Räume. Menschen, die die jeweilige Funktion dieser Orte, also auch deren jeweilige Hausordnung nicht respektieren, gelten, wenn nicht als „vogelfrei“, so doch als „unerwünscht“.
Denn diese Orte beziehungsweise deren Betreiber haben die Neigung, den Zugang zu regulieren und die Besucher in willkommene (Kunden, Abonnenten, Nutzer, Konsumenten, Angestellte) und unerwünschte (Flaneure, Jugendbanden, Ladendieb, Penner, Demonstranten) einzuteilen. Jede Person gehört, sobald sie einen solchen Raum betritt, prinzipiell zu der einen wie der anderen Kategorie.
So ist ein Einkaufszentrum ein wirklich heimtückischer Ort, weil es einerseits die Konsumenten anlockt (durch Werbung und kostenloses Parken), ihnen die (automatischen) Tore weit öffnet, sie mit einem Lächeln begrüßt (die Empfangsdamen), dann aber die größte Mühe hat, sie nicht als Verdächtige zu behandeln (mit Kameras und Alarmanlagen). Denn wenn man dort prinzipiell willkommen sein soll, weil man zunächst einmal ein potenzieller Konsument ist, gilt man dort zugleich als verdächtig und unerwünscht, da man, ebenso prinzipiell, ein potenzieller Delinquent ist.
Der Wachmann hat nun die Aufgabe, jedwedem Vorfall, der den vorab festgelegten funktionalen Rahmen überschreitet, vorzubeugen, ihn zu berichtigen und abzuwenden. Denn ein solcher Vorfall ist für den Betreiber eines kommerziellen Unternehmens immer mit Kosten verbunden, und seien sie auch noch so gering: Verluste hinsichtlich des Umsatzes, aber auch, was den Kundenzulauf betrifft, des Rufs, des Images.
Dennoch kann die Funktion von privaten Sicherheitskräften einzig präventiver Natur sein. Sie besitzen kein anderes Recht, als am Ort präsent zu sein und das Publikum über die Bestimmungen der Hausordnung zu informieren. Wird aber gegen diese verstoßen, verfügen sie über keinerlei Macht, die Vergehen selbst zu ahnden. Sie dürfen sie feststellen, protokollieren und gegebenenfalls die Polizei rufen, mehr nicht.
In der Praxis hingegen spielt der Wachmann, der „Agent der Sicherheit“, durch seine äußere Erscheinung, seine Funktion und sein Gebaren sehr wohl auf dem doppelten Register von Gesetz und Regel. Und tendiert so dazu, den kleinsten Regelverstoß als Vergehen, ein bisschen Übermut oder einen winzigen Vorfall als Akt von Delinquenz zu behandeln. Mit dem Ergebnis, dass die „auffällige“ Person, die niemals sicher weiß, ob sie es nun mit einem Gesetzesvertreter zu tun hat oder nicht, den Verweis lieber annimmt, als handele es sich dabei um eine echten Ordnungsruf. Sie glaubt, ihr Verhalten sei „illegal“, obwohl es lediglich und noch dazu in Bezug auf eine zufällige Norm „nicht normal“ ist.
Die Vermischung von Gesetz und Regel hat ihre Ursache zum Teil darin, dass ein informelles in ein formelles Autoritätsverhältnis überführt wurde. Das hängt weniger mit der Existenz einer Hausordnung als solcher zusammen, als mit der Entscheidung, mit deren Anwendung im Namen des Unternehmens externe Kräfte zu beauftragen.
Früher war es die Aufgabe des Personals in einem Betrieb (Schalterbeamte, Lehrer, Hausmeister oder Abteilungsleiter), auf die Einhaltung der Regeln zu achten und Personen, die sich nicht daran halten, zu sanktionieren. Dies geschah informell, also menschlich, flexibel und lebendig. Es kam immer darauf an, wer unter welchen Umständen und aus welchen Gründen gegen eine allgemein anerkannte Ordnung verstoßen hatte. Die von einem Subunternehmen angestellten Wachleute sind dagegen angehalten, die Hausordnung wortwörtlich anzuwenden, Protokoll zu führen, ihre Vorgesetzten zu informieren, Berichte abzufassen und Rechenschaft abzulegen.
Eine verallgemeinerte Logik der Gefängniswelt
Dort, wo innerhalb eines Machtverhältnisses noch eine gewisse Flexibilität möglich war, herrscht nun die mechanische Ordnung: Die gleichen beobachteten Ursachen müssen die gleichen Wirkungen nach sich ziehen.
Der Philosoph Michel Foucault hat deutlich gemacht, was daraus folgt, wenn diese für sogenannte Disziplinargesellschaften charakteristische Vermischung zwischen dem Regime des Gesetzes und dem Regime der Regel vorangetrieben wird. Unmerklich wird so „die Strafgewalt zu etwas Natürlichem und Rechtmäßigen […] oder zumindest [setzt sie] die Toleranzschwelle ihr gegenüber herab […]. [Sie] läßt das Außerordentliche der Züchtigung zurücktreten, indem [sie] ihre beiden Register geschickt kombiniert: das gesetzliche der Justiz und das außergesetzliche der Disziplin.“8
Die Anwesenheit von Aufsehern an öffentlichen Plätzen oder im Eingangsbereich öffentlicher Räume führt dazu, dass das gesamte gesellschaftliche Feld mit der Logik der Gefängniswelt überzogen wird, welche den Instrumenten zur Disziplinierung ebenso wie den Entscheidungen und Sanktionen, die sie ins Werk setzt, gesetzliche Rückendeckung verleiht. „Das Kerker-Kontinuum und die Ausweitung der Gefängnisform legalisieren oder legitimieren jedenfalls die Disziplinarmacht, die sich auf diese Weise alle Ausschreitungen oder Missbräuche erspart. […] Das verallgemeinerte Kerkersystem, das in die Tiefe des Gesellschaftskörpers hineinwirkt und die Kunst des Besserns ständig mit dem Recht zum Strafen vermengt, macht das Bestraftwerden natürlicher und erträglicher.“9
Das Regime der Regel, zu dessen Verbreitung die Wachleute beitragen, gefährdet die individuellen Freiheiten. Es führt dazu, dass die Menschen allzu schnell Autoritätsverhältnisse akzeptieren, gefügiger werden gegenüber den Manifestationen der Macht, ihr Verhalten der Norm anpassen und sich jede Form von Exzentrik und Extravaganz versagen. Gleichzeitig aber schützt sich das Regime vor jeder Äußerung politischer Art sowie vor jedwedem Akt zivilen Ungehorsams, die seine Ausweitung behindern könnten.
Im Namen der Erfordernisse einer vermeintlichen, noch zu begründenden „Sicherheit“ werden alle, die ein „von der breiten Masse genutztes Privateigentum“ aufsuchen, von dessen Betreibern angehalten, die Freiheit oft beschneidende Vorschriften zu befolgen, über deren Einhaltung professionelle Sicherheitskräfte mit Argusaugen wachen. Das hat „faschistoide“ Züge, auch wenn man hier vielmehr von „Mikro-Faschismus“ sprechen sollte.
Der Philosoph Gilles Deleuze beschrieb das Phänomen bereits vor vielen Jahren folgendermaßen: „Der alte Faschismus, so aktuell und mächtig er in vielen Ländern auch sein mag, ist nicht ein neues Gegenwartsproblem. Man bereitet uns auf andere Faschismen vor. Es etabliert sich ein regelrechter Neo-Faschismus. Im Vergleich dazu nimmt sich der frühere Faschismus wie Folklore aus. Anstelle einer Kriegspolitik und -ökonomie ist er ein weltweites Bündnis für die Sicherheit, für die Verwaltung eines ‚Friedens‘, der nicht weniger schrecklich ist.“10
Es gibt keinen allgemeinen Plan, in dem die Anwendungsmodalitäten fixiert wären, keinen besonderen Agenten, der als Anführer aufträte, keinen Gründungstext, der die Gesamtdoktrin enthielte, kein Komplott. Es ist nichts weiter als eine Summe von einzelnen Willen, die aufeinandertreffen, sich addieren, gegenseitig verstärken und am Ende ein diffuses autoritäres System bilden, dessen Zentrum überall und dessen Peripherie nirgends ist; ein System, das deshalb jenen, die es zu stürzen wünschen, wenig Angriffsfläche bietet.
Aus dem Französischen von Uta Rüenauver Martin Mongin ist Professor für Philosophie und Mitglied des Institut de démobilisation in Rennes.