Feigheit vor dem Frieden
Der US-Kongress kann laut Verfassung den Oberbefehlshaber stoppen – und tut es nicht von Ryan C. Hendrickson
Die Zwischenwahlen für den US-Kongress vom November 2006 waren ein klares Signal für die Volksvertreter in Washington. Offenbar wünschen sich die meisten US-Wähler einen Wandel in der Außenpolitik und vor allem eine Wende im Irakkrieg. Diese breite Grundstimmung brachte im Senat wie im Repräsentantenhaus eine demokratische Mehrheit.
Denkt man jedoch an die 160 000 US-Soldaten, die immer noch im Irak stationiert sind, wird vor allem eines deutlich: Dieser mehrheitlich demokratische Kongress hat offenbar nur begrenzte Möglichkeiten, das militärische Geschehen zu beeinflussen. Tatsächlich hat Präsident George W. Bush, seit die Demokraten in beiden Häusern die Mehrheitsfraktion stellen, im Rahmen seiner „surge“-Strategie vom Januar 2007 zusätzlich 21 500 Soldaten in den Irak entsandt. Diese knallharte und demonstrative Machtpolitik bestätigt die politische Macht des US-Präsidenten in Kriegszeiten und macht implizit klar, auf welche Hindernisse der Kongress stößt, wenn er die Kriegsstrategie verändern will.
Bei der Wahrnehmung der verfassungsmäßigen Macht des US-Präsidenten, einen Krieg zu führen, sind für die Zeit seit 1945 und bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Clinton drei wiederkehrende Elemente auszumachen: erstens der Respekt des Kongresses vor dem militärischen Oberbefehlshaber, also dem Präsidenten; zweitens eine andauernde Kontroverse über die Machtbefugnisse in Kriegszeiten; drittens die Tatsache, dass praktisch alle Präsidenten im Ausüben dieser Macht von einer Quasi-Omnipotenz des Oberbefehlshabers ausgingen. Diese konstanten Verhaltensnormen machen in gewisser Weise klar, vor welchen Problemen der aktuelle, von den Demokraten beherrschte Kongress steht, wenn er den Oberbefehlshaber politisch zügeln will.
Die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 etablierte ein System von „checks and balances“ zwischen der Legislative, der Exekutive und der dritten, der richterlichen Gewalt. Was den Kriegsfall und den Einsatz des Militärs jenseits der eigenen Grenzen betrifft, hatten die Gründerväter der Verfassung festgelegt: Kein Präsident konnte das Land ohne ausdrückliche Unterstützung durch den Kongress in einen Krieg führen, außer wenn sich das Land „eines plötzlichen Angriffs zu erwehren“ hat. Ansonsten oblag die Macht, „den Krieg zu erklären“, dem Kongress, der neben anderen militärischen Befugnissen die Kompetenz hatte, „Armeen auszuheben und zu unterhalten“, „eine Kriegsflotte aufzustellen und zu unterhalten“ und „für die allgemeine Verteidigung zu sorgen“.1
Der Präsident sollte zwar als militärischer Oberbefehlshaber fungieren. Die historische Analyse der Debatten über die Verabschiedung der Verfassung legt jedoch den Schluss nahe, dass der Kongress im Kriegsfall mit umfassenden Befugnissen ausgestattet werden sollte. Klar ist auch, dass der Kongress beschließen können sollte, dem Präsidenten während eines Kriegs diverse Beschränkungen aufzuerlegen, wobei die stärkste in der Befugnis liegt, die Finanzierung der militärischen Operationen zu begrenzen.2
In den ersten 150 Jahren der US-Geschichte, behaupten die Experten, ist es dem Kongress tatsächlich gelungen, seine verfassungsmäßigen Befugnisse für den Kriegsfall zu bewahren und des Öfteren auch gegenüber dem Präsidenten durchzusetzen.3 Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Beginn des Kalten Kriegs hingegen hat der Kongress diese grundlegenden Kontrollmechanismen gegenüber dem Präsidenten sehr viel zurückhaltender in Anspruch genommen. Selbst als der Kongress während des Vietnamkriegs entdeckte, dass das US-Verteidigungsministerium unter Präsident Richard Nixon geheim die Bombardierung des neutralen Kambodscha befohlen hatte, zögerten die Abgeordneten, dem Oberbefehlshaber strenge und wirksame Grenzen zu setzen, die ihn an derartigen Aktionen fortan hätten hindern können.4
Wie der Carter, so der Clinton, so der Bush
1973 verabschiedete der Kongress, über ein Veto Nixons hinweg, die sogenannte War Powers Resolution. Dieses Gesetz formulierte zwei Auflagen: Erstens müsse der Präsident sowohl vor Beginn als auch während militärischer Operationen den Kongress „konsultieren“; zweitens sei bei einer Ausdehnung der Operationen über sechzig Tage hinaus die Zustimmung des Kongresses erforderlich. Doch in der Praxis erwies sich die War Powers Resolution als weitgehend unwirksam. Die Präsidenten legten nämlich die Bedeutung der Vorschrift, den Kongress zu „konsultieren“, sehr weit und willkürlich aus, so dass sie bei einer bevorstehenden Militäraktion oft lediglich einige Mitglieder des Kongresses davon „in Kenntnis setzten“.
Für diese Praxis gibt es zahlreiche Beispiele. 1989 setzte Präsident George W. Bush sen. im Vorfeld der US-Invasion in Panama den Kongress erst fünf Stunden vor Beginn der Kampfhandlungen „in Kenntnis“. Drei Stunden vor den Angriffen der US-Luftwaffe auf Libyen im Jahr 1986 benachrichtigte Präsident Ronald Reagan lediglich eine kleine Gruppe wichtiger Kongressmitglieder. Schon 1983, vor der Invasion von US-Truppen in dem karibischen Inselstaat Grenada, gab es nach Aussage von Verfassungsexperten keinerlei nennenswerte Konsultationen mit dem Kongress. Ähnlich verhielt sich 1980 auch Präsident Jimmy Carter bei seinem gescheiterten Versuch, die Geiseln aus der US-Botschaft in Teheran zu retten: Auch er befahl die Militäroperation, gegen den Rat seiner eigenen Parteiführung und ohne den Kongress wirklich heranzuziehen.5
Diese historischen Beispiele zeigen zum einen, wie beharrlich die War Powers Resolution durch die – republikanischen wie demokratischen – Oberbefehlshaber missbraucht wurde; und zum anderen, wie bereitwillig der Kongress die Fortsetzung von Militäraktionen billigte. In dem Maße, in dem die Macht und der Einfluss des Präsidenten zunahmen, nahm die Bereitschaft des Kongresses ab, seine Verantwortung und seine Kompetenzen für den Kriegsfall wahrzunehmen.6
Während der Präsidentschaft Bill Clintons behaupteten maßgebliche Vertreter des Weißen Hauses, der Präsident sei als Oberbefehlshaber befugt, US-Streitkräfte ohne Zustimmung des Kongresses einzusetzen. Nach dieser Maxime handelte Clinton auch bei den wiederholten – wenn auch begrenzten – Luftangriffen gegen den Irak (unter Berufung auf die UN-Sanktionen) in den 1990er-Jahren, 1994 bei der Entsendung von nahezu 10 000 US-Soldaten nach Haiti, 1998 bei den Angriffen mit Marschflugkörpern auf Stützpunkte Ussama Bin Ladens in Afghanistan und auf eine pharmazeutische Fabrik im Sudan.7
Besonders interessant und aufschlussreich sind in dieser Hinsicht zwei weitere Militäraktionen der USA, die in die Amtszeit Clintons fallen: die Interventionen in Bosnien 1995 und im Kosovo 1999. Im Fall Bosniens wurde der Einsatz von Gewaltmitteln sowohl vom UN-Sicherheitsrat als auch von der Nato ausdrücklich gebilligt. Die meisten der etwa 3 500 Luftangriffe der Nato auf Ziele der bosnischen Serben wurden von der US-Luftwaffe durchgeführt. Zur juristischen Begründung dieser Militäraktionen behauptete Clinton, als Oberbefehlshaber könne er Luftangriffe anordnen, sie bedürften nicht der Zustimmung der Legislative.8 Die meisten Mitglieder des Kongresses (der damals eine republikanische Mehrheit hatte), stellten die Verfassungsmäßigkeit dieser Position nicht infrage und warteten das politische Resultat des Unternehmens ab.
Als die Clinton-Regierung dann später tausende US-Soldaten im Rahmen der Nato-Friedensmission nach Bosnien entsandte, verabschiedeten die Republikaner im Kongress eine Resolution, die „die Truppen, nicht aber die Politik unterstützte“.9 Die Republikaner wollten sich, kurz gesagt, um die verfassungsmäßige Verantwortung für das Unternehmen drücken, zugleich aber mit einer eigenen symbolischen – und parteipolitisch eingefärbten – Demonstration zeigen, dass sie als gute Patrioten hinter den US-Truppen stehen.
Vor dem Eingreifen der Nato im Kosovo ersuchte Clinton um die Zustimmung des Kongresses für die bevorstehenden US-Luftangriffe, bekräftigte aber zugleich seine Interpretation, dass er befugt sei, unabhängig vom Kongress zu agieren. Clinton wollte sich also politische Rückendeckung verschaffen, ohne seinen umfassenden Machtanspruch als Oberbefehlshaber des US-Militärs aufzugeben.10 In diesem Fall stimmte nur der Senat für die Unterstützung der Aktion, während das Repräsentantenhaus es vorzog, keine Position zu beziehen und den Präsidenten einfach gewähren zu lassen.
Nach Beginn der Luftangriffe im Kosovo versuchte der republikanische Kongressabgeordnete Thomas Campbell, ein ehemaliger Rechtsprofessor aus Kalifornien, den Legitimitätsanspruch und die praktische Relevanz der Macht des Kongresses zu testen. Zu diesem Zweck stellte er einen doppelten Antrag zur Abstimmung: Der eine verlangte den Abzug der US-Truppen aus dem Konfliktgebiet, der andere beinhaltete eine offene Kriegserklärung. Damit versuchte Campbell, der unter den Republikanern als exzentrischer Einzelgänger galt, alle Mittel der Legislative auszuschöpfen, um gerichtlich klären zu lassen, ob das Verhalten Clintons als Oberbefehlshaber mit der Verfassung vereinbar sei oder nicht.
Beide Resolutionen fielen durch, weil Campbell von der Führung der Republikaner keine Unterstützung bekam und auch bei den Demokraten nicht viele Stimmen gewinnen konnte. Zum selben Zeitpunkt legten auch die Demokraten – die damals die Minderheitsfraktion waren – eine Resolution vor, die den US-Beitrag zum Kosovo-Unternehmen absegnen sollte. Auch diese wurde abgelehnt.11
Der republikanisch dominierte Kongress wollte sich also einerseits in der Frage, ob das Verhalten des Präsidenten verfassungskonform sei, nicht festlegen, andererseits aber die Operation auch nicht explizit billigen. Im Übrigen meinten damals viele demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses, darunter auch ihr Fraktionschef Richard Gephardt, der Kongress könne sich zu Clintons Luftangriffen nicht äußern, solange die Kampfhandlungen andauern.12
Diese Haltung des Kongresses zu der Frage, wer im Kriegsfall die Macht hat, taucht als Muster im Zusammenspiel zwischen Exekutive und Legislative immer wieder auf. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der aktuelle Konflikt um den Irakkrieg besser verstehen, denn auch hier haben wir es wieder mit ähnlichen parteipolitisch gefärbten Positionen zu tun. Zum Beispiel, wenn einige Republikaner behaupten, der (gegenwärtig demokratisch dominierte) Kongress sei trotz des eindeutigen Verfassungsprinzips der „checks and balances“ nicht befugt, Entscheidungen des Oberbefehlshabers infrage zu stellen.
Gleichzeitig stellten sich viele Demokraten im Kongress gegen ihren Senatskollegen Edward Kennedy (Massachusetts), als dieser vorschlug, über Bushs Plan einer Aufstockung der Irak-Truppen abzustimmen. In diesem Fall zweifelte die demokratische Parteiführung an, ob Kennedys Vorschlag verfassungskonform sei.13 Hier haben wir also eine aktuelle Illustration für die ständige Willfährigkeit der Legislative gegenüber dem Präsidenten.
In der gesamten Nachkriegsära konnte sich der Kongress nie wirklich dazu durchringen, den Oberbefehlshaber des US-Militärs in die Schranken zu weisen, wenn sich dieser erst einmal zur Anwendung militärischer Gewalt entschlossen und Truppen außerhalb der Landesgrenzen eingesetzt hatte. Während des Kalten Krieges wie auch in der Amtszeit Präsident Clintons hat der Kongress häufig darauf verzichtet, seine Verantwortung für Krieg und Frieden wahrzunehmen. Und nur selten hat er mehr unternommen, als lediglich symbolisch zu protestieren oder eine unverbindliche Resolution zu beschließen, die den Präsidenten kritisiert.
Diese Verhaltensmuster und Gewohnheiten, die sich in der jüngeren Vergangenheit eingeschliffen haben, erklären zum Teil, warum das politische Klima in Washington so ist, wie es ist. Und vor welchen Problemen diejenigen Demokraten stehen, die im Irakkrieg tatsächlich einen Kurswechsel anstreben.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Ryan C. Hendrickson ist Professor für politische Wissenschaft der Eastern Illinois University und Autor von „The Clinton Wars – The Constitution, Congress and War Powers“, Nashville (Vanderbilt University Press) 2002.