14.03.2008

Präsident oder Delinquent

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Präsident oder Delinquent

Das Problem des ANC mit seinem neuen Vorsitzenden von Aoife Kavanagh

Könnte es sein, dass Jacob Zuma, der neue Parteiführer des ANC, nächstes Jahr als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten antritt, um danach gleich ins Gefängnis zu wandern? Diese Frage stellen sich Zumas Anhänger wie seine Kritiker, denn ihm droht eine Anklage wegen Korruption, Betrugs und krimineller Geschäfte, die seiner politischen Karriere ein abruptes Ende setzen könnte. Für Zuma-Fans sind die Anklagen politisch motiviert. Sie haben den Verdacht, dass Nochpräsident Thabo Mbeki seinen designierten Nachfolger Zuma verhindern will, indem er ihn ins Gefängnis schickt.

Zumas Ambitionen auf den Parteivorsitz und das Präsidentenamt 2009 begannen an dem Tag, an dem er 2005 von Mbeki als Vizepräsident entlassen wurde, nachdem sein Finanzberater Schabir Shaik wegen Korruption und Betrugs verurteilt worden war. Zuma selbst wurde ebenfalls Korruption im Zusammenhang mit einem Rüstungsgeschäft zur Last gelegt. Doch wurde die Anklage später fallen gelassen.

2006 erreichte Zuma einen Freispruch von dem Vorwurf, die Tochter eines alten Freundes vergewaltigt zu haben. Der Richter befand, es habe sich um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt.

Doch Zumas Probleme mit den Gerichten sind damit nicht vom Tisch. Während seine Anhänger noch seine Wahl zum ANC-Vorsitzenden feierten, erklärten die staatlichen Ermittler, sie hätten genügend Beweismaterial gesammelt, um ihn der Korruption anzuklagen. Der Prozess soll im August 2008 beginnen – genau zu dem Zeitpunkt, an dem innerhalb des ANC die Nominierungsphase für Mbekis Nachfolger eingeleitet wird. Der Präsident wird nämlich nicht direkt gewählt, sondern vom ANC bestimmt. Wenn also erörtert wird, wer der Kandidat sein soll, könnte Zuma gezwungen sein, mehr Zeit vor Gericht zu verbringen als mit seinen Parteigenossen in der ANC-Zentrale.

„Zuma spricht die Sprache der einfachen Leute“

„Die Entscheidung, derart rasch gegen Zuma vorzugehen, erfolgte auf Anordnung von Thabo Mbeki“, meint Professor Padraig O’Malley, der eine Geschichte des ANC verfasst hat.1 „Man vergleiche nur, wie im Gegensatz dazu der Polizeipräsident Jackie Selebi behandelt wurde“, sagt O’Malley in Anspielung auf einen engen Verbündeten Mbekis. Die Art und Weise, wie Mbeki seinen Schützling Selebi vor einer Anklage bewahrt hat, dürfte die Position Zumas im Kampf um die Führung des ANC verbessert haben. Ganz sicher aber hat sie das Vertrauen der Südafrikaner in die Unabhängigkeit der Justiz nicht gefördert.

Das erste Opfer der Machtverschiebung innerhalb des ANC scheint die Eliteeinheit der Strafverfolgungsbehörde zu sein, die sogenannten Scorpions. Die von Mbeki 1999 gegründete Truppe darf nach wie vor in voller Autonomie ihrer Spezialaufgabe nachgehen, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Diese Einheit war auch die treibende Kraft in den Ermittlungen gegen Zuma. Jetzt aber will der ANC die „Scorpions“ in die normale Polizei integrieren und damit ihre – wie manche meinen – entscheidende Selbstständigkeit abschaffen.

Der Wunsch nach einem politischen Wandel ist in Südafrika sehr stark. Millionen Menschen klagen, dass sie es satt haben, auf bessere Lebensbedingungen, auf einen Job oder auf eine anständige Wohnung zu warten. Dieser Frust richtet sich gegen Mbeki und seine Wirtschaftspolitik, von der nur eine kleine schwarze Elite profitiert, während die Arbeitslosenrate immer noch bei 40 Prozent liegt.

Will man eine differenzierte Einschätzung zur Lage des Landes hören, sollte man sich mit Helen Suzman unterhalten. Die inzwischen 90-jährige ehemalige (weiße) Kämpferin gegen die Apartheid saß lange für den ANC im Parlament. Die aktuellen Grabenkämpfe innerhalb der Partei findet sie entsetzlich. Sie ist zwar keine Zuma-Anhängerin, aber noch schärfer kritisiert sie Mbeki: Der habe schlicht den Kontakt zu den einfachen Menschen verloren. Doch das größte Versagen der Regierung sieht Suzman in der Bildungspolitik. Wie hier die Mittelschicht und die Elite bevorzugt werden, zeigt sich am krassesten bei der Reform der Berufsausbildung: Das alte duale System wurde durch die Ausbildung in gebührenpflichtigen technischen Fachschulen abgelöst, das Millionen Jugendliche ausschließt, weil sie die Kosten nicht aufbringen können.

Suzman erzählt von ihrer ersten Begegnung mit Zuma: „Ich war ein bisschen nervös, weil ich sehr harte Dinge über ihn gesagt und geschrieben hatte. Doch er war wahnsinnig nett.“ Sie versteht, warum Zuma innerhalb der Partei so breite Unterstützung gefunden hat, betont aber, dass sie sich enthalten hätte, wenn sie am Parteitag teilgenommen hätte. Ähnlich wie Helen Suzman sieht es der Historiker O’Malley: „Zumas größte Stärke ist seine Fähigkeit, mit den Massen zu kommunizieren, was Mbeki nie gelernt hat. Zuma spricht die Sprache der einfachen Leute.“

Im Januar hatte Zuma seinen ersten internationalen Auftritt als neuer ANC-Vorsitzender. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos äußerte er sich auch zu einigen heiklen Themen. Zum Beispiel hielt man ihm eine seiner Aussagen in seinem Vergewaltigungsprozess vor. Er soll dem Gericht erklärt haben, nach dem Geschlechtsverkehr habe er geduscht, um sich gegen eine HIV-Infektion zu schützen. Die Aussage wurde damals von dem Richter und von vielen Aids-Aktivisten als gefährliche Verharmlosung verurteilt. In Davos beteuerte Zuma, man habe diesen Satz aus dem Zusammenhang gerissen. Als Präsident Südafrikas werde er jedenfalls eine „umfassende Strategie zum Kampf gegen HIV und Aids“ unterstützen.

Auch Moletsi Mbeki, der jüngere Bruder des heutigen Präsidenten, sieht Südafrika nicht in Gefahr, falls Zuma der nächste Präsident werden sollte. Moletsi war früher im ANC aktiv, dem er noch immer angehört. Heute ist er ein erfolgreicher Unternehmer. Für ihn zählt vor allem, wie die internationalen Investoren auf eine Wachablösung reagieren würden. Zumas Hausmacht innerhalb des ANC ist der mächtige Gewerkschaftsdachverband Cosatu. Aber das beunruhigt Moletsi Mbeki nicht weiter: „Neulich sprach ich in London mit Managern von großen Investmentfonds, die Milliarden britischer Pfund in Südafrika investiert haben. Als ich ihnen erzählte, was die Gewerkschaften von Zuma fordern, fanden sie das nicht besonders bedrohlich.“

Vor dem ANC-Parteitag besuchte Zuma auf einer Mini-Weltreise die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Indien, um Politiker und Investoren zu überzeugen, dass er in der Wirtschaftspolitik keine radikale Wende vollziehen werde. Im Übrigen sei der ANC keine Einmannshow, und er werde sich an die von der Partei vorgegebene Linie halten.

Entscheidend für die künftige Stabilität des Landes werden also die Entwicklungen innerhalb der Partei sein. Werden die Mitglieder des ANC an einem Mann festhalten, dem womöglich eine Gefängnisstrafe droht? Auf kurze Sicht lautet die Antwort: Ja. Zuma hat im ANC einen starken und stabilen Rückhalt. Die wirklich schwierigen Entscheidungen stehen dem ANC allerdings erst noch bevor. Die Generalstaatsanwaltschaft will mindestens 240 Zeugen vorladen. Der Prozess wird sich also vermutlich hinziehen – und höchstwahrscheinlich mit den Präsidentschaftswahlen kollidieren.

Die ANC-Führung hat durchaus noch im Kopf, wie sich die Zuma-Anhänger während des Vergewaltigungsprozesses von 2006 vor den Gerichten versammelten, um ihren Helden zu unterstützen. Dessen Popularität ist seitdem noch gestiegen. Alle Beteiligten sind sich im Klaren darüber, dass die Causa Zuma mit großen Risiken behaftet ist. Die große Frage lautet dabei, ob der ANC es sich leisten kann, auf eine Situation zuzusteuern, in der Zuma wegen Korruption und Betrugs verurteilt wird und vom Präsidentenamt zurücktreten muss. Denn dann stünde der Ruf des ANC und Südafrikas auf dem Spiel.

So sieht es auch Karema Brown, die das Ressort Innenpolitik der Johannesburger Tageszeitung Business Day leitet: „Das Problem des ANC ist nicht die Macht“, meint sie mit Blick auf die Tatsache, dass Südafrika faktisch ein Einparteienstaat ist. „Sein Problem ist die Glaubwürdigkeit. Eine herrschende Partei, die mit jeder Wahl noch mehr an Glaubwürdigkeit einbüßt, hat langfristig ein Problem. In einem Entwicklungsland wie dem unseren müssen sich die Leute eingebunden fühlen, muss die Gesellschaft die Vision des Wandels, die man ihr vorsetzt, auch glauben.“ Das gelte umso mehr, als in Südafrika eine „gesellschaftliche und ökonomische Zeitbombe tickt“. Um die drängenden Probleme angehen zu können, müsse die Partei stark und einig sein.

Für Karema Brown war es zwingend, dass die Herausforderung an die politische Führung – mangels eines wirklich demokratischen Systems – aus den Reihen des ANC kommen musste. Deshalb werde Zuma, auch wenn er nicht selbst für das Präsidentenamt kandidieren sollte, stets ein gewichtiges Wort mitreden: „Als ANC-Führer wird er entweder König oder Königsmacher sein.“ Als ein Mann, der mit mehreren Frauen zusammenlebt und Vater von mindestens zwanzig Kindern ist, kennt er sich mit innerfamiliären Streitigkeiten aus. Man darf annehmen, dass er über die nötigen Kompetenzen verfügt, um den Zwist innerhalb der Partei in den Griff zu bekommen.

Fußnote: 1 Padraig O’Malley, „Shades of Difference, Mac Maharaj and the Struggle for South Africa“, New York (Viking Adult) 2007.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Aoife Kavanagh ist irische Journalistin, die regelmäßig aus Südafrika berichtet. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 14.03.2008, von Aoife Kavanagh