14.03.2008

Neue Ära für Südafrika

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Neue Ära für Südafrika

von Johann Rossouw

Es war eine unglaubliche Szene. Mosiuoa „Terror“ Lekota, Südafrikas Verteidigungsminister, wollte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Regierungspartei ANC (African National Congress) den 52. Parteitag Ende letzten Jahres in Polokwane eröffnen, doch seine Bemühungen wurden von einer großen Mehrheit der 4 000 Delegierten zwanzig Minuten lang boykottiert. Jedes Mal, wenn Lekota sie mit dem Ruf „Amandla“ (Freiheit), der Parole des Antiapartheidkampfs, in Schwung bringen wollte, verweigerten die meisten Delegierten ihm das Echo – „Awethu“ (für das Volk). Stattdessen sangen sie die Hymne „Umshini wam“ (Bring mir mein Maschinengewehr).

Es waren die Anhänger von Jacob Zuma, die das Kampflied der Zulus anstimmten, das ihr Held als Erkennungsmelodie für seine Wahlkampagne um den ANC-Vorsitz eingeführt hatte. Die Delegierten gaben keine Ruhe, bis Kgalema Mothlanthe, der amtierende Generalsekretär der Partei, intervenierte.

Eine solche Szene hatte es in der 96-jährigen Geschichte des ANC und vor allem seit deren Regierungsübernahme im Jahr 1994 noch nie gegeben. Sie war der Auftakt für das dramatische Geschehen, das für Südafrikas Präsident Thabo Mbeki und seinen inneren Zirkel einer Demütigung gleichkam. Dass sich viele Delegierte auf Lekota einschossen, lag schlicht daran, dass sich dieser in den Monaten zuvor mehrfach öffentlich mit Zuma und dessen Anhängern angelegt hatte. Dagegen hatte sich Mothlanthe aus dem Zweikampf herausgehalten, den Mbeki und Zuma mit harten Bandagen um den ANC-Vorsitz führten, und erklärt, er werde auch unter Zuma als Vizepräsident kandidieren.

Am Ende stimmten über 60 Prozent der Delegierten für Zuma und wählten sechs seiner Anhänger in führende Positionen. Das Zuma-Lager gewann überdies die meisten Sitze im 80-köpfigen Nationalen Exekutivausschuss (NEC) der Partei. Nicht in den NEC schafften es dagegen mehrere wichtige Mbeki-Anhänger, darunter auch viele Regierungsmitglieder. Zu den Abgestraften gehörte unter anderem die Vizepräsidentin Südafrikas, Phumzile Mlambo-Ngcuka, die Mbeki im Juni 2005 anstelle von Zuma auf diese Position gehievt hatte, der nach Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften seinen Hut hatte nehmen müssen.1

Der ANC-Kongress vom 16. bis 20. Dezember 2007 führte zu einer seismischen Verschiebung in der Politik Südafrikas. Zum ersten Mal wurde die Führung einer ehemaligen Befreiungsbewegung Afrikas auf demokratische Weise ausgetauscht, während sie noch an der Regierung war. Der siegreiche Kandidat Jacob Zuma war früher Bauer und Wanderarbeiter. Erst während seiner Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island konnte er ein Studium aufnehmen, wo er wegen „regierungsfeindlicher Aktivitäten“ von 1963 (damals war er 21 Jahre alt) bis 1974 inhaftiert war.2

Zumas Wahlsieg hat eine weitere bemerkenswerte Facette: Im April 2006 hatte ihn ein Gericht von der Anklage der Vergewaltigung freigesprochen. Die meisten der staatlichen und privaten Medien waren damals gegen Zuma. Präsident Mbeki konnte sich aller staatlichen Hebel bedienen. Auch die südafrikanischen Großindustriellen standen hinter ihm, denn während Mbekis Amtszeit erlebte das Land in neun aufeinanderfolgenden Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Wachstumsrate stieg auf fast 5 Prozent im Jahr 2006.

Wie lässt sich nun vor diesem Hintergrund Zumas Sieg erklären, und was bedeutet er für die Zukunft des Landes? Betrachten wir zunächst die Übergangsperiode zwischen 1990 und 1994. Nachdem am 2. Februar 1990 der ANC zusammen mit anderen Antiapartheidorganisationen legalisiert worden war, brachte er alle anderen Antiapartheidgruppen dazu, ihm das Mandat für die Verhandlungen mit der regierenden National Party zu übertragen, bei denen es um ein neues demokratisches Gefüge ging. Im Gegenzug verpflichtet sich der ANC, über eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verhandeln, um den verarmten, vorwiegend schwarzen Südafrikanern zu helfen, die mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Mbekis Wirtschaftspolitik hat die Armen vergessen

Dass sich die ANC-Führung diese Verhandlungsvollmacht sichern konnte, war eine bemerkenswerte Leistung. Denn weder war der ANC die mitgliederstärkste Gruppierung der Antiapartheidbewegung (das war der Gewerkschaftsverband Cosatu), noch war er so gut organisiert wie andere Organisationen, die nicht ins Exil gegangen waren, wie etwa das UDC (United Democratic Movement).

In der ersten Phase betrieb die ANC-Regierung ein Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm, das den ar-men Schichten zugutekam. Doch 1996 schwenkte die innere Führungsgruppe um Mbeki, die den ANC und das Dreierbündnis mit dem Cosatu und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) kontrollierte, unter dem Druck der südafrikanischen Unternehmer auf die Gear-Strategie (Growth, Employment and Redistribution) um, eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik. Dieser Kurswechsel erfolgte ohne ernsthafte Beratungen innerhalb der Partei oder innerhalb des Regierungsbündnisses. Kurz darauf erklärte Trevor Manuel, Mbekis Finanzminister, die Gear-Strategie für nicht mehr verhandelbar. Mbeki schlug diese Linie auch deshalb ein, weil er auf die Entstehung einer schwarzen Mittelklasse setzte, die für politische Stabilität sorgen könnte. Eine zentrale Rolle spielte dabei eine „pro-active“-Politik, die schwarze Unternehmer stärken und die schwarze Bevölkerung durch gezielte Maßnahmen unterstützen sollte.

Zehn Jahre nach Einführung des Gear-Programms kommen Zweifel auf, ob die Politik der Mbeki-Gruppe wirklich so erfolgreich war. Sie hat zwar einige wenige schwarze Milliardäre und eine – wenn auch kleine – Mittelklasse3 geschaffen, doch nach wie vor leben zwischen 45 und 50 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, während sich die Kluft zwischen Reichen und Armen und vor allem die zwischen schwarzen Reichen und schwarzen Armen vertieft hat.

Südafrikas Wirtschaftswachstum verdankt sich vor allem der ökonomischen Expansion Chinas und Indiens, die die Rohstoffpreise in die Höhe treibt. Dieses Wachstum macht es der Regierung möglich, aktuell 12,4 Millionen armen Südafrikanern staatliche Zuschüsse zu zahlen. Doch wird man diese Sozialpolitik kaum fortsetzen können, wenn die Rohstoffpreise einbrechen. Die Regierung versäumte es, gleichzeitig eine Strategie zu entwickeln, die mehr Armen zu selbstständigen Einkommen verhilft. Nach wie vor sind 98 Prozent der Aktienwerte an der Johannesburger Börse in den Händen von Weißen, und nach wie vor ist Südafrika von ausländischen Investoren abhängig.

Was die Inflationsbekämpfung betrifft, so hält die Mbeki-Regierung an den im Jahr 2000 definierten Zielen fest, die linke Ökonomen nicht mehr für realistisch halten. Das gilt insbesondere, seit die Importe wegen der Fußballweltmeisterschaft 2010 rapide zugenommen haben. In den letzten beiden Jahren wurde der Mindestzinssatz von der Zentralbank fünfmal angehoben. Er liegt heute bei 14,5 Prozent und wird noch weiter steigen. Ein derart hoher Zins ist für die Armen wie für die Mittelklasse eine schwere Belastung. Zudem schrumpft der Anteil der Fertigwarenindustrie am Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich und lag im September 2007 nur noch bei 16 Prozent.4

Die öffentlichen Dienst- und Versorgungsleistungen werden laufend schlechter. Ein Beispiel: Im Dezember 2007 wurden mehr als 2 000 Menschen in Standerton (nahe Johannesburg) Opfer einer Diarrhoe-Epidemie, wahrscheinlich hervorgerufen von einer Trinkwasserverschmutzung durch Bakterien. Auch die Kriminalitätsrate liegt unverändert hoch. Die Finanzkrise auf kommunaler Ebene wird immer bedrohlicher: Ein Drittel aller Stadt- und Gemeindeverwaltungen meldet heute „ernsthafte finanzielle und administrative Probleme“.5

Hinzu kommt ein gravierender Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, der durch die Politik der Bevorzugung von Schwarzen noch verschärft wurde. Denn die hat dazu beigetragen, dass etwa 1 Million weißer Südafrikaner das Land verlassen hat.

Im Juli 2007 meldete die in East London erscheinende Zeitung Daily Dispatch, dass im Frere Hospital in der östlichen Kapprovinz in den vergangenen vierzehn Jahren an die 2 000 Patienten aufgrund mangelhafter Versorgung starben. Die Regierung dementierte diese Zahlen und ließ die Krankenhausangestellten feuern, die die Information an die Presse weitergegeben hatten.6 Als die Sunday Times daraufhin enthüllte, dass die Gesundheitsministerin früher eine „Trinkerin und Diebin“ war7 , drohte Essop Pahad, ein enger Mitarbeiter Mbekis und Minister im Präsidentenamt, der Zeitung damit, dass die Regierung dort keine Anzeigen mehr schalten werde. Und als der Leiter der Generalstaatsanwaltschaft, Vusi Pikoli, den nationalen Polizeichef Jackie Selebi, einen engen Verbündeten Mbekis, wegen Korruptionsverdacht verhaften wollte, wurde er vom Dienst suspendiert.

Mbeki hat mit seinem selbstherrlichen, zentralistischen Regierungsstil viele ANC-Anhänger vor den Kopf gestoßen. Dasselbe gilt für die Aids-Aktivisten, für die Oppositionsparteien und für Minderheiten wie die Afrikaaner. Auf die Dauer konnte das nicht gutgehen. Und Zuma und sein Team haben davon profitiert. Bei der ANC-Konferenz gewannen sie fast 66 Prozent der Delegiertensitze.

Jacob Zuma gilt als geschickter Vermittler. Bei der Befriedung der KwaZulu-Natal-Region Anfang der 1990er-Jahre spielte er eine ebenso entscheidende Rolle wie Ende der 1990er-Jahre bei der Aussöhnung von Hutu und Tutsi in Burundi. Nun kommen jedoch mindest vier schwere Herausforderungen auf ihn zu.

Erstens wird Tabo Mbeki, obwohl die Gruppe um Zuma jetzt den ANC kontrolliert, noch 18 Monate Staatspräsident bleiben. In seinen ersten Interviews nach dem ANC-Parteitag zeigte sich Mbeki in Kampfeslaune, als er etwa behauptete, dass der ANC-Präsident „nicht unbedingt“ auch als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten antreten müsse. Das jedoch ist falsch, denn der Parteitag hat eine Resolution verabschiedet, in der es heißt: „Der ANC-Präsident soll der Kandidat der Bewegung für das Präsidentenamt sein.“8

Zweitens steht Zuma vor der Aufgabe, den ANC wieder zusammenzuschweißen und seine disparaten Unterstützergruppen zufriedenzustellen, das heißt vor allem den Cosatu und die SACP, die mehr politische Maßnahmen zugunsten der Armen fordern werden. Dagegen werden die südafrikanischen Unternehmer und die ausländischen Investoren scharf beobachten, ob durch den Wechsel an der Spitze des ANC die neoliberale Leitlinie bedroht ist.

Drittens muss sich Zuma im August dieses Jahres wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten, von denen sich einige auf Rüstungsgeschäfte beziehen. Sollte es zu einer Anklage kommen, hat der Cosatu bereits Massendemonstrationen angedroht.

Zumas vierte und größte Herausforderung betrifft das Verhältnis zwischen dem ANC und dem übrigen Südafrika. Der ANC wäre niemals in die so schwierige Lage geraten, wenn er klare Ideen entwickelt hätte. In seiner Wirtschaftspolitik schwankte er stets zwischen einer neoliberalen Strategie und einer antiquierten staatlichen Wirtschaftsplanung. Auch passt der von der Partei propagierte Nationalismus nicht zu einem kulturell und ethnisch facettenreichen Land wie Südafrika. In dieser Hinsicht ist der ANC das historische Gegenstück zu der alten weißen National Party, die inzwischen nicht mehr existiert. Weil er eine Partei von gestern ist, wird er über kurz oder lang auseinanderbrechen. Dann wird die Debatte über das künftige Südafrika beginnen, in dem die verschiedenen Communitys sowohl wirtschaftlich als auch hinsichtlich ihrer politischen Kultur an Bedeutung gewinnen.

Fußnoten: 1 1997 hatte die Regierung trotz heftiger Kritik sowohl aus den eigenen Reihen als auch von Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft, ein Rüstungsbeschaffungsprogramm in Höhe von 20 Milliarden Rand beschlossen, das seitdem auf 60 Milliarden Rand aufgestockt wurde. Korruptionsvorwürfe gegen führende ANC-Mitglieder, darunter den entlassenen Verteidigungsminister, wurden von der Regierung nie ernsthaft untersucht. Die neutralisierte sogar einen parlamentarischen Ausschuss, der die Geschäfte (mit vorwiegend europäischen Rüstungsunternehmen) untersuchen sollte. 2 Siehe die kurze Zuma-Biografie von Fred Khumalo: „I am able to fight my own battles“, in: Sunday Times, Johannesburg, 23. Dezember 2007. 3 Die schwarze Mittelklasse wird auf 2 bis 3 Millionen Menschen (von rund 40 Millionen schwarzen Südafrikanern) geschätzt. Nach einem Bericht des staatlichen Institute of Race Relations vom Oktober 2007 haben jedoch nur etwa 300 000 schwarze Haushalte ein Einkommen von mehr als 12 000 Rand pro Monat, das man braucht, um sich „ein durchschnittliches Vorstadthaus sowie Familienurlaube und regelmäßige Golfrunden“ leisten zu können. Siehe: „Black diamonds aren’t really making it“, in: Sunday Times, 7. Oktober 2007. 4 Siehe den Report des Bureau of Economic Research der University of Stellenbosch vom 18. September 2007. 5 Siehe das vom Department of Local Government’s vorgelegte „White Paper on Local Government“, www.thedplg.gov.za/subwebsites/wpaper/wpin dex.htm. 6 Daily Dispatch, 12. Juli 2007. 7 Aus einem Bericht der Sunday Times vom 27. August 2007 geht hervor, dass die Gesundheitsministerin Mitte der 1970er-Jahre von einem Krankenhaus in Botswana entlassen worden war, nachdem sie einen Patienten bestohlen hatte, und dass sie ein gravierendes Alkoholproblem hat. Siehe „Manto: A drunk and a thief“, www.thetimes.co.za/SpecialReports/Manto/Article.aspx?id=542808. 8 „Two centres of power clash“, Sunday Independent, Johannesburg, 23. Dezember 2007.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Johann Rossouw leitet die Redaktion der Afrikaans-Ausgabe von Le Monde diplomatique. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 14.03.2008, von Johann Rossouw