Der Präsident befiehlt
Paris betreibt Außenpolitik wie im Ancien Régime von Philippe Leymarie
Am 2. Februar 2008 telefonierte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy immer wieder mit seinem tschadischen Amtskollegen. Es war derselbe Samstagvormittag, an dem er in einem Salon des Élysée-Palastes heimlich seine Freundin Carla Bruni ehelichte.
Sarkozys Telefonpartner saß in N’Djamena in seinem Präsidentenpalast verschanzt, lehnte aber das Angebot ab, sich außer Landes bringen zu lassen. Unterdessen waren die „Rambos“ von Frankreichs – auf Geiselbefreiungen spezialisierten – Sondereinsatzkommando COS bereits dabei, mehr als 1 000 Ausländer zu evakuieren.
Frankreich unterhält mit der Elfenbeinküste, mit Gabun, dem Senegal, den Komoren, Dschibuti und neuerdings auch mit Libyen Verteidigungsbündnisse, die relativ weitgehende Verpflichtungen beinhalten. Mit dem Tschad dagegen besteht seit 1976 nur ein einfaches militärisches Kooperationsabkommen. Dabei hält sich Frankreich an das Prinzip „Unterstützung ohne Eingreifen“, im Klartext: ohne Kampfeinsätze. Man beschränkt sich also auf Hilfe beim „Neuaufbau“ der tschadischen Armee (Ausbildung, Ausrüstung), auf logistische Unterstützung (Transport, Munition), Sanitätsdienste (Bergung von Verwundeten, Militärhospitale) und vor allem Luftaufklärung.
Für die Luftaufklärung sorgen die permanenten Beobachtungsflüge im Rahmen der „Operation Sperber“1 durch F1-Mirage-Jäger und Patrouillenflugzeuge des Typs Breguet-Atlantic. Mit der Entdeckung feindlicher Verbände hat diese Luftaufklärung dem Regime in N’Djamena schon mehrfach das Überleben gesichert.2 Kein Wunder, dass diese Hilfeleistung von den Rebellen in der jüngsten Krise als „Kriegshandlungen“ eingestuft wurde.
Obwohl der Sudan eindeutig in den Konflikt verstrickt war, sprach das offizielle Frankreich von einer „internen“ Angelegenheit des Tschad, in die man angeblich nicht verwickelt war. Tatsächlich aber half Paris Präsident Déby wieder einmal aus der Patsche.3 Die französischen Truppen – durch Truppen aus der Garnison in Libreville (Gabun) auf fast 2 000 Mann verstärkt – verteidigten den Flughafen und sicherten damit nicht nur die dringend benötigten Munitionslieferungen aus Libyen und Israel ab, sondern auch die Hubschraubereinsätze der kleinen, aber gut bewaffneten Luftwaffe des Tschad.4
Das französische Vorgehen im Tschad wurde – wieder einmal – hinter den verschwiegenen Mauern des Élysée-Palastes beschlossen, in Abstimmung mit dem Verteidigungs- und dem Außenministerium. Nur diese sind im Sicherheitsrat vertreten und von dessen Zusammentreten erfährt die Öffentlichkeit schon in Friedenszeiten nichts, geschweige denn in einer kriegsträchtigen Krisensituation. So wurden bereits zehntausende Soldaten ohne öffentliche Debatte oder parlamentarische Kontrolle abgestellt, um Auslandsoperationen („Opex“ im Militärjargon) in Afghanistan und der Elfenbeinküste, im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, im Kosovo, in Bosnien und im Libanon durchzuführen.5
Militäreinsätze ohne parlamentarische Kontrolle
In Artikel 35 der französischen Verfassung heißt es: „Die Kriegserklärung bedarf der Zustimmung des Parlaments.“ Alle Auslandsoperationen der letzten Zeit waren jedoch offiziell Einsätze zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens auf der Basis multinationaler Entscheidungen und im Rahmen wechselnder Koalitionen. Solche Einsätze brauchen definitionsgemäß keine „Kriegserklärung“.
Für die Exekutive ist das sehr bequem, denn sie muss nicht mal die Abgeordneten der Verteidigungsausschüsse von Senat und Nationalversammlung einbeziehen. Die Staatsführung darf also ein Expeditionskorps entsenden, ohne Begründung, ohne Debatte oder Abstimmung im Parlament.6 Auch während der Einsätze gibt es praktisch keine parlamentarische Kontrolle, sieht man von gelegentlichen Truppenbesuchen von Abgeordneten ab, die aber mangels Fachkenntnissen ahnungslos bleiben. Lange Zeit wurden die militärischen Interventionen nicht mal im Haushalt ausgewiesen: Die zusätzlichen Kosten wurden nach Ablauf des Finanzjahrs im Nachtragshaushalt versteckt.7
Im März 2000 stellte der sozialistische Abgeordnete François Lamy in seinem Bericht an den Verteidigungsausschuss über militärische Auslandseinsätzen fest, dass diese „Form des militärischen Eingreifens immer häufiger und immer wichtiger“ werde, aber durch keine öffentlichen und anfechtbaren Rechtsakte (wie etwa Erlasse) geregelt sei. Viele der Operationen seien im Rahmen von Verteidigungsabkommen (vor allem mit afrikanischen Staaten) erfolgt, die dem Parlament nicht bekannt waren oder der Geheimhaltung unterlagen. Der Abgeordnete kritisierte, die Presse sei oft besser über solche Abkommen und Einsätze informiert als das Parlament. Im Übrigen bleibe der Status der in Afrika auf den fünf ständigen Militärstützpunkten in Dschibuti, N’Djamena, Dakar, Libreville und Abidjan stationierten Truppen ungeklärt.
Tatsächlich gilt die seit 1983 bestehende Militärpräsenz Frankreichs im Tschad immer noch als Teil der damals begonnenen „Operation Sperber“, obwohl sie längst zum Dauerzustand geworden ist. Überdies ist es üblich, dass französische Truppen, die aufgrund eines Verteidigungsabkommens in ein Land entsandt wurden, ganz oder teilweise auch außerhalb des betreffenden Landes zum Einsatz kommen.
Zwischen 1987 und 2002 konnte das Parlament seine Rolle in einigen Fällen zwar aufwerten – etwa bei der Untersuchung des französischen Engagements in Ruanda, der Beteiligung am Kosovo-Krieg und der Massaker in Srebrenica – doch in das massive militärische Engagement in Afghanistan wurde die Legislative nicht eingeweiht. François Lamy verwies darauf, dass die Abgeordneten am 24. November 2004 aus Paris Match erfahren mussten, dass im Südosten Afghanistans eine französische Spezialeinheit unter US-Kommando im Einsatz war. Präsident Chirac hatte die 200 Mann für die Operation „Enduring Freedom“, also zur Jagd auf die Taliban, „ausgeliehen“. Nur eine Woche zuvor hatte Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie die Gerüchte über diesen Einsatz dementiert.
Die Spezialeinheit wurde erst im Dezember 2006 aus Afghanistan abberufen, über etwaige Verluste wurde nichts bekannt gegeben.8 Demnächst sollen diese Soldaten durch 200 „Berater“ ersetzt werden, die bei der afghanischen Armee als Ausbilder und Begleiter bei Kampfeinsätzen fungieren werden. Dieser Sondereinsatz ist Teil des größeren Beitrags Frankreichs zur Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) der Nato, den Präsident Sarkozy im Juni 2007 beschlossen und im August öffentlich bestätigt hat – jeweils ohne jede Beratung im Parlament.
Immerhin hat sich Sarkozy für eine Stärkung der Rolle des Parlaments ausgesprochen. Die Kommission zur Reform der Verfassung unter Leitung des früheren Ministerpräsidenten Edouard Balladur könnte einige Vorschläge aus dem Lamy-Bericht aufgreifen. Demnach soll bei jedem neuen Auslandseinsatz der Verteidigungsminister und der Chef des Generalstabs im Parlament gehört werden, beide Kammern des Parlaments sollen die Truppeneinsätze mit einer ständigen Beobachtergruppe verfolgen, und vor einer Operation sollen die Verteidigungsausschüsse beider Kammern informiert werden müssen. Der Lamy-Report enthält weiter die Forderung, dass die Kosten größerer „Opex“-Einsätze im Haushalt erscheinen und dass dem Parlament alle Verteidigungsabkommen oder Verträge über militärische Zusammenarbeit vollständig zur Kenntnis gebracht werden.
Eine solche Beratungs- oder gar Informationspflicht stößt bei vielen Militärs auf Ablehnung. Sie argumentieren, Geheimhaltung sei schon bei der Vorbereitung einer Operation geboten, wozu auch die delikaten diplomatischen Verhandlungen über Allianzen gehören. Man dürfe dem Gegner keine Informationen zukommen lassen, weil das die eigenen Truppen gefährden könne. „Ein rasches Eingreifen kann Krisen im Keim ersticken“, erklärt ein General: „Kommt es zu Verzögerungen, wie in Darfur oder bei der Eufor-Operation im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik, kostet das Menschenleben.“ Der General glaubt, dass Länder wie Deutschland, mit langwierigen parlamentarischen Genehmigungsverfahren, auf Krisensituationen nicht wirksam reagieren können.
Die „Opex“-Einsätze stellen die Militärs vor eine neue Herausforderung. Sie passen nicht zum klassischen Aufgabenbereich einer nationalen Armee, der in der Verteidigung des nationalen Territoriums besteht. Den Soldaten fehlt der „existenzielle“ Grund für ihren Einsatz, die Antwort auf die Frage, warum und für wen sie ihr Leben riskieren. Sie kämpfen an wechselnden Orten – Elfenbeinküste, Libanon, Bosnien, Tschad – und unter sehr unterschiedlichen Einsatzbedingungen, zumeist innerhalb einer komplexen Befehlskette mit multinationalem Charakter.
Ende März soll Präsident Sarkozy ein Weißbuch zu Fragen der Sicherheit und Verteidigung übergeben werden – eine Studie zur Integration der französischen Politik in die europäische Grundhaltung in den nächsten 15 Jahren. Darin wird der Rückzug von den traditionellen afrikanischen Krisenschauplätzen ebenso empfohlen wie der Abbau des Netzwerks französischer Militärstützpunkte und die Übergabe der Verantwortung an die Afrikanische Union.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Philippe Leymarie ist Journalist bei Radio France International, von ihm erschien (mit Thierry Perret), „100 Clés de l’Afrique“, Paris (Hachette Littératures und RFI) 2006.