Patt im Tschad
Das Epizentrum der zentralafrikanischen Krise liegt in Khartum von Gérard Prunier
Kenner der Region waren wenig überrascht, als die Rebellen im Tschad am 31. Januar eine neue Offensive starteten. Schon seit 15 Monaten hatten sich die Präsidenten des Tschad und des Sudan, Idriss Déby und Omar al-Baschir, mithilfe von Guerillatruppen einen Stellvertreterkrieg geliefert. Der jüngste Angriff bedeutete nur den Übergang zum offenen Krieg.
Am 28. Januar hatte sich ein Konvoi von 250 Kleinlastern mit etwa 2 000 Bewaffneten aus dem Lager Hadschil in West-Darfur (Sudan) in Bewegung gesetzt. Wie aus informierten Quellen verlautet, wurde die Invasion vom sudanesischen Verteidigungsminister, General Abdal Rahim Hussein Mohammed, persönlich geplant.1 In der Schlacht um Massaguet, 80 Kilometer nordöstlich von N’Djamena, konnten die Rebellen am 1. Februar eine Gegenoffensive der tschadischen Regierungsarmee (ANT) zurückschlagen: Am Morgen des nächsten Tages erreichten sie die Hauptstadt und begannen, die wichtigsten öffentlichen Gebäude einzunehmen. Sogar der Präsidentenpalast kam unter Beschuss, doch nach zwei Tagen gewannen die Regierungstruppen die Oberhand.
Dass die Rebellen scheiterten, hatte rein militärische Gründe. Weil sie von der Schwäche des Regimes allzu sehr überzeugt waren, starteten sie ihren Angriff mit unzureichenden militärischen Mitteln: mit zu wenigen Soldaten und ganz ohne Artillerie, mit zu wenigen panzerbrechenden Waffen und ohne Boden-Luft-Raketen. Dagegen verfügten die Regierungstruppen immerhin über drei russische Mil Mi-24 Kampfhubschrauber, die von ukrainischen Söldnern geflogen wurden, und etwa 20 alte russische T-55-Panzer. Diese leichte Überlegenheit war ausreichend, um den Gegner zu bezwingen.
Die Rebellen verloren zwei Drittel ihrer Fahrzeuge sowie 200 bis 300 Kämpfer und mussten sich zurückziehen. 80 Kilometer vor N’Djamena sammelten sie ihre Truppen und warteten auf Nachschub und personelle Verstärkung. Aus dem Sudan waren bereits etwa 2 500 Mann unterwegs. Um diesen Vormarsch zu stoppen, bemühte sich Präsident Déby um die Hilfe der sudanesischen Rebellenbewegung JEM (Justice and Equality Movement).2
Die schickte eine starke Einheit über die Grenze und stellte den Gegner, bevor er N’Djamena erreichte. Am 4. Februar fiel bei Adré die Entscheidung. Das Regierungslager behielt knapp die Oberhand, obwohl die sudanesische Luftwaffe über tschadischem Territorium die JEM-Truppen attackierte.
Dass die Invasion auch an der JEM scheiterte, führte im Sudan zu massiven Vergeltungsaktionen. Am 8. Februar überfiel die sudanesische Armee, unterstützt von Dschandschawid-Söldnern3 , die Dörfer Abu Surouj, Salia und Sirba nahe der Grenze zum Tschad und tötete mehr als 200 Dorfbewohner, die als Unterstützer der JEM galten.
Mitte Februar konnten die aus N’Djamena vertriebenen Rebellen und die aus dem Sudan nachgerückten Kämpfer ihre Kräfte 300 Kilometer östlich der Hauptstadt zusammenführen. Doch Präsident Déby und seine Verbündeten von der JEM sind weiterhin in der strategisch besseren Position.
Dass es überhaupt zu einer so eindeutigen Verschränkung der Konflikte im Sudan und im Tschad kommen konnte, hat mit dem Krieg in Darfur zu tun. Als dort im Februar 2003 die Auseinandersetzungen begannen, war der militärische Führer der Rebellion ein Mann aus dem Tschad – der bekannte Kommandant Abdallah Abbakar, der im Januar 2004 bei einem Gefecht getötet wurde. Abbakar gehörte zur Ethnie der Zaghawa, deren Siedlungsgebiet sich beiderseits der Grenze zwischen den Ländern erstreckt, was seinen Einsatz für die unterdrückten Zaghawa im Sudan erklärt.4
Natürlich wusste Präsident Déby, welch destabilisierenden Folgen der politisch-militärische Konflikt um Darfur für sein Land haben konnte. Er selbst war 1989 nach Darfur geflohen, um von dort seine Rebellion gegen den damaligen Präsidenten Hissène Habré zu organisieren, die im Februar 1991 erfolgreich war. 2003 stellte sich Déby sofort auf die Seite der sudanesischen Zentralregierung in Khartum und gegen den Aufstand in Darfur. Damit war er allerdings gezwungen, auch gegen aufständische Gruppen seines eigenen Volkes vorzugehen, was eine Rebellion der Zaghawa innerhalb der Armee des Tschad auslöste. Um die Situation zu entschärfen, feuerte Déby im Mai 2005 die Chefs des Generalstabs und des Geheimdienstes. Ihre Nachfolger – ebenfalls aus dem Volk der Zaghawa – zeigten mehr Verständnis für den Aufstand in Darfur. Seitdem erhielten die Rebellen in Darfur Unterstützung aus dem Tschad. Das führte Ende 2005 zum Kurswechsel des Sudan gegenüber der Regierung in N’Djamena.
Das Regime von Präsident Déby war schon immer extrem gefährdet. Es stützt sich allein auf die Bevölkerungsminderheit (2 Prozent) der Zaghawa, die im Darfur-Konflikt auch noch in Anhänger und Gegner der sudanesischen Rebellen gespalten waren. Von Demokratie konnte im Tschad nie die Rede sein: Wahlfälschungen, Korruption und Unterdrückung der Meinungsfreiheit bestimmten das Bild. 2006 hatte das Regime ein Abkommen mit der Weltbank aufgekündigt, demzufolge ein Teil der Öleinkünfte für langfristige Strukturmaßnahmen verwendet werden sollte. Aus diesem Topf bediente sich die Staatsführung, um Waffen zu kaufen.5
So wundert es nicht, dass die Rebellen im Tschad Ende 2005 Unterstützung in der Bevölkerung fanden, obwohl alles dagegen sprach, dass ihre Machtübernahme dem Tschad eine bessere Regierung bringen würde. Ihre Führer entstammten dem herrschenden Regime und waren ebenso bestechlich und machtgierig wie die Leute um Déby. Zudem pflegten sie fragwürdige Kontakte zum Regime in Khartum.
Die zivile und gewaltlose Opposition im Tschad spielt daher eine Schlüsselrolle: Nichts fürchtet Präsident Déby mehr als ein Bündnis dieser Kräfte mit den Rebellen, selbst wenn Erstere nur als moralisches Feigenblatt bei einem Machtwechsel dienen sollten. Am 3. Februar 2008 ließ das Regime daher die wichtigsten Führer der zivilen Opposition verhaften. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt. Aber man muss das Schlimmste befürchten, denn die Regierung leugnet sogar die Razzia, die es ohne Zweifel gegeben hat. Seit der Rückeroberung der Hauptstadt am 6. Februar machen Gerüchte über das Verschwinden von Personen und außergerichtliche Hinrichtungen die Runde.
Die Krise im Tschad hat auch international neue Probleme aufgeworfen. Als die Rebellen aus dem Sudan aufbrachen, sollten gerade zwei Friedenstruppen in das Krisengebiet einrücken: die europäische Eufor-Mission im Tschad, die mit 3 700 Mann (davon 2 100 Franzosen) in N’Djamena stationiert werden soll6 , und die Unamid-Mission in Darfur, bei der sich allerdings der Einsatz von Einheiten der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union (AU) immer wieder verzögert. Und zwar auch deshalb, weil diese Mission von der sudanesischen Führung hintertrieben und von der internationalen Gemeinschaft nur halbherzig unterstützt wird.7
Der Putschversuch im Tschad zielte auch auf Darfur
Der Zeitpunkt des Angriffs auf N’Djamena war offensichtlich kein Zufall: Die Rebellen – und ihre Hintermänner im Sudan – mussten befürchten, dass die Eufor, deren offizielle Aufgabe der Schutz von Flüchtlingen und Vertriebenen im Osten des Tschad ist, letztlich als Stütze des Déby-Regime fungiert. Wenn es dieser Truppe gelingen würde, das Grenzgebiet zu sichern, könnte auch die Stationierung der Unamid in Darfur schneller vorankommen.
Angesichts dieser heiklen diplomatischen und militärischen Lage verhielt sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy abwartend. Um Frankreich nicht durch einseitige Stützung des zweifelhaften Regimes im Tschad zu isolieren, bot er den Regierungstruppen zunächst nur ein Minimum an logistischer Unterstützung und Aufklärung an. Als jedoch deutlich wurde, dass er das zumindest indirekte Einverständnis von AU8 und UN9 voraussetzen konnte, ging er einen Schritt weiter. Die Regierung verkündete, Paris werde alle „notwendigen Schritte“ unternehmen, falls es zu einem erneuten Angriff komme. Die Rebellen verurteilten die französische Militärhilfe für das Regime und forderten die ehemalige Kolonialmacht auf, sich neutral zu verhalten (siehe auch S. 9).
Die Kühnheit wie die Brutalität des Angriffs, der die Rebellen fast an die Macht gebracht hätte, erklärt die Haltung der internationalen Gemeinschaft. Weil die gewaltsame Ablösung einer wenig respektablen, aber rechtmäßigen Regierung durch ein neues, ebenso zweifelhaftes Regime als erneute Bedrohung für die Stabilität der Region gesehen wurde, tat sich für Frankreich ein Handlungsspielraum auf. Die USA hielten sich auffällig zurück. Sie hatten mit der Krise in Kenia10 genug zu tun und überließen das Problem im Tschad deshalb nur zu gern den Franzosen. Das passt zu ihrer unklaren Haltung gegenüber dem Sudan: Während das Außenministerium dem Regime in Khartum nach wie vor misstraut11 , schätzt das Pentagon die sudanesische Führung als „bekehrte“ Islamisten, die im „Krieg gegen den Terrorismus“ eine große Hilfe sein können.
Ob Frankreich nun Präsident Déby noch weiter stützen wird oder nicht, ändert nichts an der grundsätzlichen Problematik. Tatsächlich existiert das Regime im Tschad nur noch auf dem Papier12 , und die Lage in Darfur ist mit mindestens 200 000 Toten und 2 Millionen Vertriebenen ein einziges Desaster. Wenn die „Friedenstruppen“ nicht bald einrücken, werden sie keinen Frieden mehr zu bewahren haben.
Die Regierungen des Tschad und des Sudan „fördern ein Klima des Misstrauens, indem sie sich gegenseitig beschuldigen, die Rebellen beiderseits der Grenze zu unterstützen“, meint Jean-Marie Guéhenno, stellvertretender UN-Generalsekretär für Friedenseinsätze. Ihr Verhalten verstärke die Spannungen ausgerechnet in einer Region, die „das Potenzial für einen Konflikt von internationalen Dimensionen“ habe.13
Aus dem Spannungsfeld zwischen Tschad und Darfur ist damit eine der Krisenregionen des afrikanischen Kontinents geworden. Und daran wird sich nichts ändern, solange das Regime in Khartum ungestraft die elementarsten Menschenrechte verletzen darf.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Gérard Prunier forscht am Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Paris.