Die Gesetze der politischen Ballistik
Putin, Nato und Raketenabwehr von Olivier Zajec
Die geplante Aufstellung neuer US-Abwehrraketen in Europa hat die Spannungen zwischen Russland und dem Westen zweifellos erhöht. Begründet wird dieser Abwehrschirm mit der Gefahr, die den USA und Europa durch iranische Raketen drohe. Letztes Jahr erlangte Washington von Polen die Zustimmung zur Stationierung von Abwehrraketen im Norden des Landes. Die tschechische Regierung willigte in den Bau einer US-Radaranlage nahe der deutschen Grenze ein.1
In beiden Ländern lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung das Vorhaben ab. Die Nato wurde von der bilateralen Initiative der USA, die ihre eigenen, mühsam ausgehandelten Abwehrpläne durchkreuzt, offenbar überrumpelt. Die Europäische Union rührt sich nicht.
Die Rolle des Spielverderbers fällt damit allein Russland zu. Westliche Medien berichteten ausführlich über die zunehmend feindseligen Äußerungen und Drohgebärden russischer Politiker und Generäle. Alsbald wurde in den Kommentaren, mit allen dramatischen Untertönen, ein „neuer Kalter Krieg“ beschworen. Dabei fiel jedoch weitgehend unter den Tisch, worauf sich die Reaktion Russlands gründet. Denn dass die Standorte des neuen Abwehrsystems in Europa liegen, ist nur eines der russischen Bedenken. Um die Haltung Moskaus zu verstehen, muss man sich drei weitere Aspekte klarmachen.
Erstens könnte die beschleunigte Aufstellung eines US-Abwehrsystems das strategische Gleichgewicht zwischen Russland und den USA zum Kippen bringen. Das Vorgehen Washingtons liegt ganz auf der Linie der einseitigen Aufkündigung des ABM-Vertrags durch die Bush-Regierung zum Jahr 2002. Der 1972 abgeschlossene Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen sollte das atomare Gleichgewicht des Schreckens sicherstellen. Den Neokonservativen, die jeglichen Eingriff in die Handlungsfreiheit der USA im Rahmen einer unipolaren Weltordnung ablehnen, war dieser ABM-Vertrag schon lange ein Dorn im Auge.
Am 17. Dezember 2002 erfolgte der offizielle Startschuss für das Nationale Raketenabwehrsystem NMD, das nun keinen lästigen Einschränkungen unterlag.2 Nach dem Ende der UdSSR war der ABM-Vertrag für die Russische Föderation stets das Fundament, auf dem das Gleichgewicht der strategischen Abschreckung zwischen der USA und Russland beruhte. Der Erstschlag der einen Seite hätte zwangsläufig den vernichtenden Gegenschlag der anderen Seite ausgelöst. Russland konnte mit dem ABM-Vertrag gut leben, ganz besonders in den chaotischen Umbruchjahren nach 1990. Die einzige Störung bildete das Strategische Verteidigungsprogramm SDI der Reagan-Administration von 1983. Aber nach dem Ende des Kalten Krieges wurde dieses überdimensionierte und technologisch unausgereifte „Krieg der Sterne“-Programm zurückgefahren. Unter den Regierungen von George Bush (1989–1993) und Bill Clinton (1993–2001) lief es dann unter dem Namen Global Protection against Limited Strikes, GPALS, weiter.
Der einseitige Ausstieg aus dem ABM-Vertrag schockierte die russischen Machthaber. Er bedeutete das abrupte Ende der tastenden freundschaftlichen Annäherung zwischen Wladimir Putin und George W. Bush, die nach dem 11. September begonnen hatte. Die Russen hatten das Gefühl, dass die USA die Tragödie von 9/11 und den viel beschworenen Krieg gegen den Terrorismus als Vorwand benutzten, um die Spielregeln zu ihren Gunsten zu ändern.3
Es folgten die „bunten Revolutionen“ in Russlands „nahem Ausland“ (also in Republiken der ehemaligen Sowjetunion wie Ukraine und Georgien), das Ausgreifen der USA in Richtung Zentralasien und die Invasion im Irak. Die Russen, die gern in Schachkategorien denken, sehen es gar nicht gern, wenn der Gegner Rochaden in alle Richtungen vornimmt. Dass die jüngsten Reaktionen in Moskau so heftig ausfielen, hat mit diesem allgemeinen und tief sitzenden Gefühl zu tun, von übermächtigen Kräften umzingelt zu sein.
Dass das russisch-amerikanische Gleichgewicht kippen könnte, beunruhigt Moskau umso mehr, als die gleichzeitig initiierten Raketenabwehrprojekte befürchten lassen, dass Washington auf militärischem Gebiet unerreichbar davonziehen könnte. Besorgt weisen die russischen Militärstrategen darauf hin, wie viel Geld die USA jährlich für solche Projekte ausgeben – 2008 sind es allein 9,6 Milliarden Dollar. Die USA könnten also in diesem Bereich einen beträchtlichen, wenn nicht uneinholbaren Vorsprung erzielen. Das Raketenabwehrprogramm verschafft mehreren US-amerikanischen Wissenschaftsinstituten umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsaufträge und wirkt damit als bedeutender Technologiemotor. Damit gewinnt Washington auch einen Vorsprung im Wettlauf um die Militarisierung des Weltraums, der vom Pentagon als strategische Front gesehen wird.
Moskau wie Peking werfen Washington – mit guten Gründen – vor, diese Politik ziele vornehmlich auf die Sicherung eines strategischen und technologischen Vorsprungs, den sie im Übergang zur unipolaren Weltordnung nach dem Kalten Krieg gegenüber seinen Konkurrenten, Gegnern und Feinden errungen haben.
Allerdings scheinen die Russen die unmittelbare Bedeutung dieser Projekte zu überschätzen. Die russische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik stützt sich auf ein nichtkonventionelles Waffenarsenal, das seit dem Kalten Krieg zwar reduziert, gleichzeitig aber auch qualitativ verbessert wurde. Dazu gehören taktische ballistische Raketen, Marschflugkörper und Raketenabwehrwaffen. Die Boden-Boden-Rakete SS-27 Topol-M mit Mehrfachsprengköpfen und einer Reichweite von 10 000 Kilometern steht exemplarisch für die Modernisierung dieses Arsenals.4
Neuere Studien gehen davon aus, dass Russland um 2020 über ein Dutzend U-Boot-gestützte Raketensysteme und hundert Langstreckenraketen verfügen wird.5 Für diese Trägersysteme wird es 500 bis 600 Atomsprengköpfe geben. Diese Zahl steigt auf fast 2 000, wenn man die strategischen Einheiten der russischen Luftwaffe mitrechnet.
Dieses modernisierte Waffenpotenzial, das noch durch verbesserte und diversifizierte konventionelle Waffensysteme wie die Kh-555-Rakete mit 5 000 Kilometer Reichweite abgerundet wird, ist von der US-Raketenabwehr nach heutigem Stand auf keinen Fall zu neutralisieren.
Russland geht von einem Machtgleichgewicht aus
Russland verfügt heute als einziges Land über ein halbwegs funktionstüchtiges Abwehrsystem, das zumindest einen Teil seines Territoriums schützen kann. Aber jetzt erweitert Moskau seine Abwehrkapazitäten noch mit dem Flugabwehr-Raketensystem S-400 Triumph und der Modernisierung seines Radarwarnsystems rund um Moskau. Seine Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten machen deshalb einen US-Erstschlag unmöglich. Die öffentlichen Beschwerden des Kreml über das entstehende Ungleichgewicht mögen zwar übertrieben sein, aber die Sorge ist echt, dass die USA militärisch auf lange Sicht einen entscheidenden Vorsprung erringen könnten.
Eine zweite Erklärung für die harsche Reaktion liegt in der Art und Weise, wie Moskau die Bedrohung wahrnimmt. Da die russische Führung auf einen Multilateralismus aus ist, der auf einem machtpolitischem Gleichgewicht beruht, verfolgt sie einen anderen analytischen Ansatz als die USA und einschlägige europäische Staaten. Zum Beispiel sieht der Kreml durchaus die Chance, dass der Iran – bei aller gebotenen Vorsicht – noch einen anderen Weg einschlägt.
Das unterstrich der russische Präsident, als er auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz am 10. Februar 2007 meinte: „Keines der sogenannten Problemländer verfügt über Raketenwaffen mit einer Reichweite von 5 000 bis 8 000 Kilometern, die also Europa tatsächlich gefährden könnten. Auch in absehbarer Zeit werden sie keine, ja nicht einmal die Aussicht auf solche Waffensysteme haben. Zudem würde ich sagen, dass zum Beispiel der Versuch, eine nordkoreanischen Rakete in Richtung USA über Westeuropa hinweg abzuschießen, mit den Gesetzen der Ballistik nicht vereinbar ist.“ Damit wollte Putin das Argument entkräften, mit dem die USA die Aufstellung eines Abwehrschirms in Europa vor allem begründen: die Bedrohung durch „Schurkenstaaten“, deren Massenvernichtungswaffen angeblich Europa erreichen können.6
Für den Kreml ist eine solche Bedrohung also weder akut noch eine ernsthafte Gefahr. Deshalb könne das US-Raketenabwehrprojekt nur einen Sinn haben: das zu neuer Stärke erwachende Russland an seinen Grenzen in Schach zu halten. Damit sind wir beim dritten Aspekt, der die verbalen Gegenangriffe erklärt. Aus russischer Sicht hat sich im Zuge der Nato-Osterweiterung (siehe Zeittafel S. 21) das Ungleichgewicht der Bündnisse und strategischen Kooperationsbeziehungen in Europa weiter verstärkt. Und zwar als Folge der zahlreichen bilateralen Militärabkommen, die eine neue Abhängigkeit der baltischen Staaten, Rumäniens, Bulgariens, der Ukraine, Polens oder der Tschechischen Republik von Washington begründen.
Die russische Argumentation gewinnt an Plausibilität, sobald man über den europäischen Tellerrand hinausblickt. Denn das US-Raketensystem reicht in seiner strategischen Bedeutung weit über den europäischen Raum hinaus. Betrachtet man sich die Gesamtarchitektur dieses Systems von einem gedachten Punkt über den Nordpol aus, erkennt man zwei Hauptachsen, auf denen eine Reihe bereits existierender oder geplanter Abschussrampen für Flugabwehrraketen und Radaranlagen (Verfolgungs- wie Frühwarnradar) liegen.
Die erste Achse verläuft im Westen der USA. Auf ihr liegen Anlagen, die vor einer Bedrohung durch Nordkorea schützen sollen: Raketen auf der Basis Vandenberg in Kalifornien, Flugabwehrraketen in Fort Greely (Alaska), ein Cobra-Dane-Radar auf den Aleuten und ein Frühwarnradar im Japanischen Meer, also nahe an der Gefahrenquelle.
Parallel dazu verläuft die zweite Achse im Osten der USA. Sie soll vor einer Bedrohung durch den Iran schützen. Auf dieser Achse befinden sich Raketenstützpunkte nahe Boston und auf Grönland. Was fehlt, ist ein Radar, das bei einem möglichen Angriff des Iran so früh reagiert, dass auf die USA gerichtete Raketen bereits unmittelbar nach dem Abschuss zerstört werden könnten.
Genau diese Funktion soll das neue Radar in Tschechien übernehmen. Aber ist der US-Stützpunkt Jince dafür optimal geeignet? Um gegen den Iran genauso gut geschützt zu sein wie gegen Nordkorea, müssten die Amerikaner ihr Radar eigentlich möglichst nahe an der iranischen Grenze stationieren: etwa in Georgien oder in Aserbaidschan. Genau dies war der Vorschlag der Russen beim G-8-Gipfel im Juni 2007, zu Beginn der Kontroverse um die europäische Raketenabwehr.
Damals hatte Moskau dem Westen den aserbaidschanischen Stützpunkt Cabla7 angeboten – ein Standort, der gleichzeitig die Flugbahn pakistanischer Raketen abgedeckt hätte. Pakistan ist immerhin ein instabiler Atomstaat, der zudem über leistungsfähigere Raketen verfügt als der Iran. Die USA lehnten diesen Vorschlag höflich ab. Bush nannte ihn „sehr aufrichtig“ und „sehr innovativ“, bestand aber darauf, Polen und Tschechien in das Abwehrsystem einzubinden.
Wenn die russischen Machthaber von den „Gesetzen der Ballistik“ sprechen, haben sie diese geografischen Gegebenheiten vor Augen. Aus ihrer Sicht könnte man deshalb solche Radaranlagen, wenn schon nicht in Aserbaidschan, so doch zumindest im Osten der Türkei, also in einem traditionellen Nato-Land aufstellen.
Für den Kreml macht die Ablehnung ihrer Vorschläge durch die USA über jeden Zweifel klar: Die Entscheidung für Polen und Tschechien ist eine strategische, ein diplomatisches Einkreisungsmanöver gegenüber Russland. Und die ständig beschworene Bedrohung durch den Iran ist nur ein Vorwand. Das als „strategische Inszenierung“ wahrgenommene US-Projekt auf europäischer Bühne könnte allerdings den Blick auf die Gemeinsamkeiten verstellen, die Russland mit dem Westen verbinden: China macht mittelfristig durchaus Sorgen, Indien bleibt ein Verbündeter, Pakistan ein Wackelkandidat und der „internationale Dschihadismus“ eine Bedrohung. In diesen Punkten liegen die russischen Einschätzungen näher an den westlichen Analysen, als man es in Moskau laut sagt.
Für die Verärgerung und das Misstrauen Russlands gibt es zwei weitere Gründe. Da ist erstens die Rhetorik von der „Achse des Bösen“. In Moskau glaubt man, dass der messianische Eifer und Moralismus, der dieser Sprache anhaftet, die so bezeichneten Regime nur noch weiter in die Enge treibt. Der zweite Grund ist die Umklammerung Russlands, insbesondere von seinen westlichen Rändern her. Angesichts der weitreichenden und unumkehrbaren Beziehungen, die das US-Abwehrsystem in Europa schafft, ohne die Interessen des Kontinents zu berücksichtigen, stellt sich für Moskau die Frage, ob eine Autonomie Europas in der Realität überhaupt existiert.
Die Raketenabwehr in Europa ist ein Schachspiel, bei dem jeder Spieler seine Züge im Voraus plant und langfristige Strategien verfolgt. Wobei langfristig für die Schachstrategen im Kreml heißt: jenseits des Jahres 2025, weil ab dann der finanzielle und technologische Abstand zwischen Moskau und Washington die strategische Autonomie Russlands infrage stellen könnte. Russland will, trotz seiner momentan relativ guten finanziellen Lage, auf keinen Fall den Fehler wiederholen, sich in der Konkurrenz mit den USA zu verausgaben. Schließlich hat die Sowjetunion im Wettrüsten zu Zeiten des „Star Wars“-Projekts ihr Imperium verspielt.
Die letzten Maulhelden des Kalten Krieges
Putin und sein Nachfolger Dmitri Medwedjew werden lieber prophylaktisch eingreifen und versuchen, die möglichen Partner von einer Beteiligung an den US-Plänen abzubringen. So sind auch die jüngsten Drohungen zu verstehen, wonach die russischen Raketen auf Polen, die Ukraine oder gar auf die baltischen Staaten gerichtet würden, falls der US-Abwehrschirm dort aufgestellt werden sollte: „Wir werden gezwungen sein, unsere Raketen auf diese Systeme auszurichten, von denen unserer Meinung nach eine Bedrohung für die nationale Sicherheit ausgeht. Das muss ich heute offen und ehrlich sagen“, warnte Putin am 13. Januar 2008 nach seinem Treffen mit der ukrainischen Ministerpräsidentin.8
In diesem Kontext ist auch die weitreichende Entscheidung Russlands vom Dezember 2007 zu verstehen, sich vorübergehend aus dem KSE-Vertrag9 über konventionelle Streitkräfte zu verabschieden, was ganz Europa in Aufregung versetzt hat. Auch die permanenten Äußerungen aktiver oder pensionierter russischer Generäle spielen vor diesem Hintergrund. Da gibt es mal abgewogene, mitunter sogar vernünftige Wortmeldungen der heutigen Führungskräfte, dann wieder anachronistische Schlachtrufe von Maulhelden des Kalten Krieges.
Putin übernimmt dabei geschickt die Rolle des Schiedsrichters. Er schwächt manche Äußerung ab, ohne die Kritik im Kern zurückzuweisen. Er hält seine alte antiamerikanische Garde im Zaum, beharrt aber, wie er bei seinem letzten Treffen mit Bush in Sotschi noch einmal demonstriert hat, auf den russischen Essentials.
Diese Strategie hat mittlerweile sichtbare Resultate. Die polnische Regierung unter Donald Tusk kündigte gleich nach ihrer Wahl 2007 eine Annäherung an die Europäische Union, an Deutschland und Russland an. Auch der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko äußerte sich zuletzt besorgt über die Absichten der USA nach den Präsidentschaftswahlen. Ein neuer demokratischer Präsident wird vermutlich das Raketenabwehrprojekt nicht grundsätzlich aufgeben. Aber ob er auf den Positionen bestehen wird, mit denen die Bush-Regierung die Nato brüskiert, die EU irritiert und Russland verärgert hat, ist durchaus ungewiss.
In der Frage der Raketenabwehr in Europa kann man von drei Hypothesen ausgehen: Erstens zeigen die USA den festen Willen, einen Abwehrschirm in Europa aufzustellen (und zwar unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen). Zweitens werden die Argumente Russlands, für die die Europäer aufgrund ihrer geografischen Lage – und ihrer Abhängigkeit von der Energieversorgung – besonders empfänglich sind10 , stärker berücksichtigt werden müssen (auch wenn es die Europäer zurzeit noch nicht wagen, den Amerikanern offen zu widersprechen). Drittens wird man eine Klärung der Fragen anstreben müssen, die sich bei einer Installation des Abwehrsystem stellen. Also etwa, wer beim Abschuss der Abfangraketen auf den roten Knopf drücken wird.11 Oder wie und nach welchen Kriterien diese programmiert werden, und was mit den Wrackteilen passieren soll, die im Falle eines Abschusses irgendwo aufschlagen.
Bei einem Entscheidungsprozess, in den so viele Variablen eingehen, spricht angesichts der Passivität der EU alles dafür, eine vernünftigere Lösung über die Nato anzustreben. Russland hatte vor dem jüngsten Eklat bei Projekten der ballistischen Raketenabwehr bereits mit diesem Bündnis zusammengearbeitet. So könnten die Europäer an den strategischen und technologischen Entwicklungen des Systems beteiligt werden. In dem Fall müssten allerdings bilaterale Initiativen der Art, wie sie zu der aktuellen Kontroverse geführt haben, der Vergangenheit angehören.
Doch einstweilen schwankt das Ost-West-Klima ständig zwischen heiß und kalt. Und Putin besteht eisern auf seiner Position: „Was ist eigentlich eine unipolare Welt? Trotz aller Bemühungen, diesen Begriff schönzureden, läuft er in der Praxis nur auf eines hinaus: Es gibt ein einziges Zentrum der Macht, ein Zentrum der Stärke, ein Entscheidungszentrum. Die Welt mit einem einzigen Herren, einem Souverän. Und das ist am Ende nicht nur tödlich für alle, die sich innerhalb dieses Systems befinden, sondern auch für den Souverän selbst, weil es ihn von innen heraus zerstört.“12
Im ehemaligen sowjetischen Imperium weiß man, wovon man spricht. Trotz der offenkundigen Hintergedanken und der gewieften Scheinheiligkeit, mit der Russland in diesem Konflikt agiert, sollte man Putins mahnenden Hinweis ernst nehmen. Zumal das Interesse Europas an einer strategischen Autonomie in dieselbe Richtung geht.
Aus dem Französischen von Veronika Kabis Olivier Zajec ist Berater der Compagnie Européenne d’Intelligence Stratégique (CEIS), einer privaten Consultingfirma für Sicherheits- und Marktstrategien mit Sitz in Paris und Brüssel.