11.04.2008

Die Nichtregierung des Professore Prodi

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Die Nichtregierung des Professore Prodi

Wenn die Meinungsumfragen recht haben, werden die italienischen Wähler Silvio Berlusconi mit einer rechten Mehrheit ausstatten und ihm erneut die Führung des Landes anvertrauen. Darin käme nicht zuletzt die große Unzufriedenheit mit der Bilanz der Regierung Prodi zum Ausdruck.

Der „Professore“ Prodi hatte von Italiens Präsident, dem Exkommunisten Giorgio Napolitano, vor knapp zwei Jahren den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Am 17. Mai 2006 stellte er eine Riege aus 99 Ministern, Vizeministern und Staatssekretären vor – später wurden es sogar 102. Die Arbeit der Regierung stand zunächst unter einem guten Stern. Im Traumsommer 2006 gewann die Mitte-links-Koalition die Kommunalwahlen und fegte in einem Volksentscheid die föderalistische Verfassungsreform der Lega Nord vom Tisch – und dann gewann Italien auch noch die Fußballweltmeisterschaft!

Als eine der ersten Maßnahmen verabschiedete das Parlament mit großer Mehrheit ein Amnestiegesetz. Rund 13 000 Häftlinge wurden aus den hoffnungslos überfüllten Gefängnissen entlassen. Laut Umfragen war die Öffentlichkeit über so viel Milde jedoch nicht begeistert, und es zeigten sich erste Anzeichen von Missstimmung.

Es folgten Debatten über die Finanzierung des Militäreinsatzes in Afghanistan und die Geheimpläne von Prodi-Berater Rovati zur Wiederverstaatlichung der Telecom Italia. Gravierender noch: Der Ministerpräsident und sein Wirtschaftsminister Padoa Schioppa legten einen rigiden Haushaltsentwurf mit Einsparungen von 33 Milliarden Euro vor – und erteilten damit den von der Mitte-links-Wählerschaft geforderten Reformen eine Absage.

Während die Mitte-rechts-Opposition den starken Einfluss der extremen Linken auf die Regierung anprangerte, sah die Realität völlig anders aus: Die „Linksradikalen“ waren eben nicht in der Lage, Druck auf die Regierung auszuüben. Diese vertagte ihre Gesetzesvorhaben zu Einwanderung und zum Arbeitsmarkt, zur Interessenkollision1 und zur Meinungsvielfalt. Dass eine Koalition aus so unterschiedlichen Partnern in vielen Fragen nur schwer zu einem Konsens finden würde, war absehbar gewesen – am Ende erhielt auch in den Prodi-Jahren die Wirtschaft Vorrang vor der sozialen Gerechtigkeit.

Die ständigen Streitereien im Kabinett führten dazu, dass bald wieder in alter Manier die Parteichefs alle Entscheidungen fällten und dass die Schonfrist schnell vorbei war. In Bologna wurde der Ministerpräsident von Messebesuchern ausgepfiffen. Auf Gewerkschaftsversammlungen bei Fiat wurden die Gewerkschaftsführer ausgebuht. Anfang Dezember 2006 demonstrierten in Rom Hunderttausende gegen die Regierung Prodi. Der Unmut der Zentristen, einer kleinen, für die Regierung aber lebensnotwendigen Gruppe von Senatoren, nahm von Tag zu Tag zu.

Am 10. und 11. Januar 2007 berief die Regierung ein Krisentreffen im Palast von Caserta ein. Die Koalitionäre verabredeten eine Liste von zehn vordringlichen Projekten, unter denen sich keine einzige Forderung der Linken fand. Ein Gesetzentwurf zu „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“, der für das Mitte-Links-Bündnis von programmatischer Bedeutung war, wurde Ende Januar 2007 auf unbestimmte Zeit verschoben. Prodi versuchte daraufhin der Kakofonie ein Ende zu setzen, indem er selbst den Ton vorgab. Einen Monat später war seine Regierung am Ende.

Auslöser für den Sturz war die Zustimmung Prodis zur Erweiterung der US-Militärbasis in Vicenza. Am 21. Februar 2007 erlitt die Regierung dann eine Abstimmungsniederlage im Senat: Der „Professore“, der alles auf diese Abstimmung gesetzt hatte, musste seinen Rücktritt einreichen. Drei Tage später hatte Staatspräsident Napolitano keine andere Wahl, als ihn erneut mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen.

Zur selben Zeit wurde ein Bucherfolg zu einem politischen Ereignis. Sergio Rizzo und Gian Antonia Stella, beide Redakteure bei der Tageszeitung Corriere della sera, prangerten in „La Casta“2 („Die Kaste“) die Privilegien der politischen Klasse und die enormen Kosten an, die die Einmischung der Parteien im Verwaltungsapparat verursacht. Das Buch wurde zum Fanal der „Antipolitik“. Diese verbreitete Stimmung fand weitere Nahrung, als der Kabarettist Beppe Grillo im September seinen „V-Day“3 veranstaltete. Er verlangte ein Gesetz, das vorbestraften Politikern eine neuerliche Kandidatur verbieten sollte. Der Besserungsappell war sowohl an die Freunde von Romano Prodi wie an die von Silvio Berlusconi gerichtet. Daraufhin machte sich der Ministerpräsident dafür stark, die Amtsperiode der Regierungen zu verkürzen. Da seine parlamentarische Mehrheit aber am seidenen Faden hing, blieb es bei der Ankündigung der Reform.

Der Regierung wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, als einige katholische Organisationen mit dem Segen der Bischofskonferenz zu einem „Familientag“ aufriefen: Am 12. Mai 2007 fand in Rom eine beeindruckende Demonstration statt, an der führende Oppositionspolitiker, aber auch Leute aus der Mitte-links-Allianz teilnahmen, unter ihnen sogar Minister. Die Gesetzesinitiative zu „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ überlebte den Protest nicht. Unterdessen startete die Unterschriftenkampagne für eine Volksabstimmung zur Änderung des Wahlsystems,4 ebenfalls unterstützt von einigen Ministern. Wenig überraschend wurde Prodis Union bei den Kommunalwahlen zurechtgestutzt. Die extreme Linke verlor die Hälfte ihrer Stimmen. Wer jetzt noch auf die Regierung setzte, tat dies aus Mangel an Alternativen.

Inzwischen reifte das Projekt der Demokratischen Partei (PD) heran. Nach den Kongressen der Linksdemokraten (DS und Exkommunisten) und des links-christdemokratischen Parteienbündnis „Margherita“ bewarb sich der römische Bürgermeister Walter Veltroni um die Führung der neuen Partei. Mit ihm positionierte sie sich als eine Allerweltspartei, die eher bei der Präsidentschaftskampagne Barack Obamas Anleihen nahm als sich auf die Tradition der europäischen Linken zu stützen. Von der Tatsache, dass einige Gründungsparteien der PD verschiedenen Fraktionen des Europa-Parlaments angehören, ließ man sich nicht beirren.

Im Juli 2007 tauchte der Name Prodi auf einer Liste der Staatsanwaltschaft von Catanzaro auf, die wegen der Veruntreuung von EU-Geldern ermittelt. Der stellvertretende Staatsanwalt Luigi de Magistris eröffnete eine Untersuchung gegen Justizminister Clemente Mastella. Die Mailänder Richterin Clementina Forleo, die dubiose Bankübernahmeangebote untersucht, beantragte beim Parlament die Erlaubnis, die Telefone unter anderem der DS-Parteioberen Massimo D’Alema und Piero Fassino abzuhören.

Im selben Monat unterzeichneten die Gewerkschaften und der Unternehmerverband Confindustria eine Vereinbarung über Daseinsfürsorge, Rente und Arbeitsmarkt. Auf diese Übereinkunft reagierten Linke und die zum Gewerkschaftsbund CGIL gehörende Metallarbeitergewerkschaft Fiom mit scharfer Kritik. Im Laufe der Beratungen gelang es der Gewerkschaftsführung jedoch, die Arbeiter zu überzeugen, dass die Zukunft der Regierung auf dem Spiel steht: 80 Prozent der fünf Millionen Stimmberechtigten stimmten mit Ja, nur bei den Metallarbeitern war die Mehrheit dagegen. Die Notverordnung, die das Übereinkommen bestätigte, wurde dank der x-ten Vertrauensabstimmung und der Stimmen der Senatoren auf Lebenszeit gebilligt. Nur die diskutierte Angleichung von Arbeits- und Kapitaleinkünften musste noch etwas warten.

Am 14. Oktober 2007 beteiligten sich drei Millionen Menschen an den Vorwahlen, 75 Prozent von ihnen stimmten für Veltroni als Vorsitzenden der neuen PD. Sechs Tage später erlebte Rom eine Großdemonstration, zu der die linken Kräfte der Union aufgerufen hatten, um die Regierung zum Kampf gegen die soziale Unsicherheit zu zwingen. Sie galt als ein großer Erfolg, führte jedoch lediglich zu dem Vorschlag, ein neues politisches „Subjekt“ der Linken zu schaffen, das „einig und pluralistisch genug [ist], um eine kritische Masse zu bilden“, die der Demokratischen Partei Konkurrenz machen könnte: die „Regenbogenlinke“.

Die Regierung Prodi sah ihr Ende nahen. Ihre parlamentarische Mehrheit löste sich auf, auch weil eine Untersuchungskommission zur Tragödie des G-8-Gipfels in Genua 2001 nicht zustande kam. Die Abfallberge in Neapel und Umgebung wurden ebenso wie die schweren Arbeitsunfälle im Turiner Thyssen-Krupp-Werk zum Sinnbild für das Scheitern der Reformbemühungen. Am 18. November 2007 verkündete Silvio Berlusconi auf der Piazza San Babila in Mailand die Gründung seiner neuen Partei „Volk der Freiheit“. Die Aussicht auf eine Volksabstimmung über das Wahlrecht destabilisierte die Regierung weiter. Sie versuchte Zeit für eine einvernehmliche Lösung dieser Frage zu gewinnen. Aber die Gespräche zwischen Veltroni und Prodi blieben fruchtlos. Ihren Todesstoß erhielt die Regierung von Minister Mastella, dessen Ehefrau, Ratsvorsitzende der Region Kampanien, wegen ihrer mutmaßlichen Verwicklung in eine Korruptionsaffäre unter Hausarrest gestellt wurde. Nach Mastellas Rücktritt verlor der Regierungschef eine Vertrauensabstimmung im Senat mit 156 Ja- gegen 161 Neinstimmen. Am 24. Januar 2008 war es mit Prodis Union schließlich endgültig vorbei – die linke Mitte Italiens steht seither vor einem Scherbenhaufen. Rudi Ghedini

Fußnoten: 1 Hierbei geht es darum, der Aufgabenhäufung entgegenzuwirken – Silvio Berlusconi ist bekanntlich nicht nur Politiker, sondern auch Eigentümer der größten Fernsehsender Italiens. 2 „La Casta. Così i politici italiani sono diventati intoccabili“, Rom (Rizzoli) 2007. 3 Abkürzung für Vaffanculo-Day („Haut ab, ihr Arschlöcher!“-Tag). 4 Ihre Betreiber wollen alle verbliebenen Elemente des Verhältniswahlrechts zugunsten eines Zweiparteiensystems beseitigen.

Aus dem Französischen von Michael Adrian

Le Monde diplomatique vom 11.04.2008, von Rudi Ghedini