Reiches Land mit armen Leuten
Angola hat sich vom Bürgerkrieg nicht erholt – trotz Ölboom von Augusta Conchiglia
Seit Januar wird in Luanda am „größten Symbol des modernen Angola“ gearbeitet: Ein Hochhausturm von 325 Metern, mit siebzig Etagen. Vom obersten Stockwerk hat man einen fantastischen Blick über die Hauptstadt und das Umland. Es ist das höchste Bauwerk Afrikas, wie man überall ungefragt erfahren kann, höher als alle Hochhäuser in den anderen Ländern, die man ebenfalls ungefragt aufgezählt bekommt, die meisten davon stehen in Südafrika.
In dem Hochhaus, dessen Grundriss ein A bildet, soll ein Luxushotel mit 400 Zimmern entstehen, ein Einkaufszentrum, ein Krankenhaus, Restaurants, Kinos und Luxusapartments zum Quadratmeterpreis von 4 115 Euro. Voraussichtliche Baukosten: 506 Millionen Euro. Den angolanischen Medien war das keine große Aufregung wert – schließlich ist ständig von Summen in Milliardenhöhe die Rede, wenn es um die Öleinnahmen und neue Großprojekte geht.
Dass der sogenannte Tour Angola genau einen Meter höher wird als der Eiffelturm, unterstreicht seine symbolische Bedeutung. Gustave Eiffel ist hier kein Unbekannter: Ihm wird der Entwurf eines eleganten Palais im alten kolonialen Stadtzentrum zugeschrieben, einer Stahlkonstruktion aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Allerdings befindet sich auch dieses Haus wie die meisten Gebäude im Kolonialstil mit ihrem typischen gelben und rosafarbenen Verputz in einem beklagenswerten Zustand.
Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Angola wurde erst am 4. April 2002 beendet – mit einem Abkommen zwischen der regierenden MPLA (Volksbewegung zur Befreiung Angolas) und der Unita (Nationale Union für die Unabhängigkeit Angolas), deren Anführer Jonas Savimbi kurz zuvor getötet worden war.1
Bereits 1975, kurz nach der Unabhängigkeit, war die südafrikanische Armee in Angola einmarschiert, um die MPLA an der Machtübernahme zu hindern. Kein militärischer Konflikt im subsaharischen Afrika wurde so erbittert geführt wie der Krieg zwischen der MPLA und dem Apartheid-Regime in Pretoria, dessen Armee lange Zeit Teile von Angola besetzt hielt.
Als Südafrika trotz seiner Luftüberlegenheit 1988 in der Schlacht von Cuito Cuanavale unterlag – kubanische Truppen hatten auf angolanischer Seite mitgekämpft –, wandelte sich das Bild der gesamten Region: Namibia wurde unabhängig, der Niedergang des Apartheid-Regimes nahm seinen Anfang. In seiner Rede zum 20. Jahrestag der Schlacht von Cuito erklärte ANC-Präsident Jacob Zuma am 23. März 2008 in Luanda: „Der Beitrag der MPLA und des angolanischen Volkes für die Überwindung der Apartheid in Südafrika hat nicht seinesgleichen.“
Nach dem Friedensschluss wurde Angola zu einer Großbaustelle. Unzählige Hochhäuser wurden in nur wenigen Jahren gebaut, zumeist Firmensitze von Ölgesellschaften, Banken und Versicherungen. Sie stehen in der Stadtlandschaft wie Enklaven, unbekümmert hingestellt in eine Umgebung schmutziger, holpriger Straßen und chaotischen Verkehrs.
Zu den prominentesten Gebäuden gehört die neue Zentrale der mächtigen nationalen Erdölgesellschaft Sonangol an der wunderschönen natürlichen Bucht von Luanda. Angola erwirtschaftet aus dem Ölgeschäft 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, 90 Prozent der Exporteinnahmen und 83 Prozent der Staatseinnahmen.
Auf dem Dach der Sonangol-Zentrale gibt es den unverzichtbaren Hubschrauberlandeplatz – nur mit dem Helikopter entgeht man dem Verkehrsstau. Die Straßen der Hauptstadt sind chronisch verstopft durch tausende große Kombis mit Allradantrieb. Oft braucht man eine Stunde für einen Kilometer, aber es empfiehlt sich auch nicht, zu Fuß zu gehen: Neben den üblichen Hindernissen wie Müll, Pfützen und Erdspalten haben zusätzlich die Sanierungsarbeiten in der Hauptstadt viele Bürgersteige vollends unpassierbar gemacht.
Angolanische Unternehmer mit guten Kontakten zur Staatsmacht träumen davon, Luanda in eine futuristische Metropole nach dem Vorbild der Hauptstädte am Arabischen Golf zu verwandeln. Das Land, in dem bereits fast 2 Millionen Barrel Erdöl pro Tag gefördert werden, sei es sich schließlich schuldig, ein paar Symbole seiner Wirtschaftsmacht vorzuzeigen. So soll die prächtige Küstenstraße, die vom Hafen entlang der Bucht bis zur portugiesischen Festung aus dem 16. Jahrhundert führt, ausgebaut und ins Meer hinein erweitert werden.
Mit den Bauarbeiten wurden Privatunternehmen beauftragt, die die auf 200 Millionen US-Dollar geschätzten Kosten übernehmen – dafür haben sie eine Reihe von Grundstücken an dieser Corniche kostenlos übereignet bekommen. Hier werden luxuriöse Gebäude mit Blick auf die Bucht entstehen, geschätzter Marktwert: 2 Milliarden Dollar. „Das Schlimmste konnte verhindert werden“, meint ein Anwohner, der im Staatsdienst tätig ist. „Im Zentrum der Bucht sollte eigentlich ein Wolkenkratzer nach dem Vorbild des Dubai-Towers gebaut werden. Dieses Vorhaben hat man im Prinzip aufgegeben.“
Und was haben die Machthaber sonst noch vor? Man verfolgt diverse Pläne zur Sanierung der übervölkerten Musseques, der Elendsquartiere – vor Ort ist allerdings davon noch nichts zu bemerken. Das Vorhaben ist schwierig zu realisieren, auch bei den Vierteln mitten in der Stadt. So breitet sich ein besonders elender Musseque direkt hinter dem Hafen, neben einem großen Markt und nahe dem Botschaftsviertel, immer weiter über die Müllberge aus.
China baut Kliniken, aber es gibt keine Ärzte
Da es in Luanda kaum noch größere Grundstücke für Neubauten gibt, wurde ein alter Plan wieder ausgegraben: Eine neue Regierungshauptstadt soll im Mündungsgebiet des Dande entstehen, etwa 60 Kilometer nördlich von Luanda. Mit der Planung wurde der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer betraut, der Schöpfer von Brasília, der im vergangenen Dezember seinen hundertsten Geburtstag feierte.
In Angola wächst die Ungleichheit zwischen den Regionen, zwischen Stadt und Land, zwischen der Küste und dem Landesinneren. 68,2 Prozent der Bevölkerung, das sind 13 Millionen Menschen, leben von weniger als 2 Dollar (1,25 Euro) am Tag. Der Verfall des staatlichen Gesundheitswesens zeigt sich an wiederkehrenden Cholera-Epidemien: 2006 erkrankten 70 000 Menschen, 2 800 starben an der Krankheit.
Auf dem aktuellen Index der menschlichen Entwicklung der UNO rangiert Angola auf Platz 162 (von 177), obwohl das Land seit Jahren zweistellige Wachstumsraten vorweisen kann – 23 Prozent waren es 2007.2 Die UN-Millenniumsziele wird Angola bis 2015 in keinem der Bereiche (Gesundheit, Bildung, Armutsbekämpfung) erreichen.3
Immerhin scheint das Land aus seiner jahrelangen Lethargie erwacht zu sein: Dafür sorgen nicht nur die enormen Einnahmen aus dem Ölgeschäft4 , sondern, seit 2004, auch zinsgünstige Kredite aus China (4,5 Milliarden US-Dollar), Brasilien, Spanien und Deutschland. Die Regierung konnte nun überall im Land kostspielige Bauvorhaben beginnen.
In der Endphase des Bürgerkriegs, nach den ersten demokratischen Wahlen 1992, die der MPLA die Mehrheit brachten, wurde die durch Bombenangriffe der südafrikanischen Luftwaffe bereits geschädigte Infrastruktur Angolas zu zwei Dritteln zerstört. In Luanda, heute eine der teuersten Hauptstädte der Welt, wurde mit dem Zustrom der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten der Wohnraum knapp.
Zwei Drittel der 5 Millionen Einwohner (fünfmal so viele wie zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit, ein Drittel der Gesamtbevölkerung)5 leben in riesigen, schlecht versorgten Vororten – mit schnell hochgezogenen Bruchbuden, um all die Leute unterzubringen. Die kilometerweite Fahrt ins Stadtzentrum kostet die Bewohner dieser Vorstädte bis zu 400 Kwanzas (3 Euro) pro Tag. Wasser wird dort aus Tankwagen verkauft, von Privatfirmen, die etwa 6,35 Euro pro Kubikmeter verlangen. Das städtische Wasserwerk verlangt dafür nur 50 Cent, wovon aber nur etwa eine Million Menschen profitieren.
Auch die Stromversorgung ist ein Albtraum. Die Hochspannungsleitungen, die von den Wasserkraftwerken am Kwanza-Fluss zur Hauptstadt führen, sind in einem so schlechten Zustand, dass es regelmäßig zu Stromausfällen kommt. Das Kraftwerk am größten Staudamm des Landes, in Capanda, hat inzwischen eine Kapazität von 520 Megawatt, aber die Stromgesellschaft der Provinz versorgt nur 165 000 Haushalte. Und weil die Strompreise immer noch so niedrig sind wie in der staatswirtschaftlichen Epoche in den Jahren nach der Unabhängigkeit6 , fehlt es an Mitteln, um das Netz auszubauen.
Nach dem Bürgerkrieg kümmerte sich die Regierung zunächst kaum um die Instandsetzung der durch Anschläge der Unita beschädigten Stromleitungen. Erst durch die chinesischen Kredite wurden inzwischen Arbeiten für umfassende Netzverbindungen ermöglicht, wodurch die Stromversorgung um 42 Prozent erhöht werden soll.
Im Staatshaushalt 2008 (mit einem Volumen von etwa 25 Milliarden Euro) sind 7,6 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Landes vorgesehen.7 Nach Angaben des Finanzministers José Pedro de Morais bringt Angola fast ein Drittel davon aus Eigenmitteln auf. Tausende Straßenkilometer und Bahnstrecken sind geplant, ebenso der Wiederaufbau von Brücken und Staudämmen, dazu Krankenhäuser, Schulen und Verwaltungsgebäude.
Seit Kriegsende ist der Anteil der Sozialausgaben am Staatshaushalt erheblich gestiegen: von nur 4 Prozent 2005 auf den Rekordanteil von 31 Prozent im laufenden Haushaltsjahr. Die Militärausgaben machen nur noch 18 Prozent aus.
Die Erfolgsaussichten all dieser Vorhaben sind allerdings schwer einzuschätzen, denn die Bedürfnisse sind enorm in einem Land, in dem 4,5 Millionen Menschen während des Bürgerkriegs fliehen mussten. Fast die Hälfte der Bevölkerung hat heute immer noch keinen direkten Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität sowie zu einer medizinischen Grundversorgung. 2007 wurde ein ehrgeiziger Zweijahresplan zur Verbesserung des Gesundheitswesens (Ausbildung von Fachkräften und neue Ausrüstung) gestartet, für den 443 Millionen Euro bereitgestellt wurden. Chinesische Baufirmen haben bereits einige Regional- und Bezirkskrankenhäuser errichtet, für die es aber noch kein Personal gibt.
Wird die lang ersehnte Friedensdividende nun endlich ausgezahlt? João Melo, Parlamentsabgeordneter der MPLA und Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift Africa 21, ist überzeugt, dass „die kleine Clique der Machthaber vor allem die Interessen der Reichen vertritt. Es geht um die Privatisierung der entscheidenden Wirtschaftssektoren, und daran verdienen immer dieselben Mitglieder der gesellschaftlichen Elite. Soziale Fragen, die Sanierung der Elendsviertel – das ist zweitrangig.“
Das ist nach Ansicht von João Melo nichts Neues: Egoismus und persönliche Bereicherung seien schon immer charakteristisch für die Oberschicht gewesen. Aber mit der weltweiten Verbreitung von Kasino-Kapitalismus und einer „Kultur des Geldes“ habe diese Elite die letzten Hemmungen verloren.8 „Falls keine politischen Maßnahmen zur Stärkung der produktiven Wirtschaftssektoren – vor allem der Landwirtschaft und der Fertigwarenindustrie – ergriffen werden, ist Angola zu hoher Arbeitslosigkeit verdammt9 und wird eine von Importen abhängige Volkswirtschaft bleiben, trotz seines Erdöls.
Wegen umfassender Korruption10 war Angola Ende der 1990er-Jahre von den internationalen Finanzorganisationen boykottiert worden, aber inzwischen lobt man Luanda für die positive Zahlungsbilanz und die Verringerung der Schulden und der Inflation (von 1 400 Prozent 1998 auf derzeit 13 Prozent). Und die Währungsreserven sind von 126 Millionen Euro (2002) auf 6 Milliarden Euro gewachsen.11
Aber die staatlichen Gesellschaften Sonangol (Erdöl) und Endiama (Diamanten) fallen immer noch durch ein undurchsichtiges Geschäftsgebaren auf. Fragwürdig scheinen auch die Beziehungen Angolas zum International China Fund Limited, einer privaten Finanzierungsgesellschaft in Hongkong. Mit dieser Finanzgruppe hatte das „Büro für den nationalen Wiederaufbau“ (Gabinete de Reconstrução Nacional, GRN) – geleitet von einem engen Vertrauten des Präsidenten, General Manuel Hélder Vieira Dias, genannt „Kopelipa“ – 2004 direkte Verhandlungen über die Finanzierung zahlreicher staatlicher Bauvorhaben aufgenommen.
Als Sicherheit für das vereinbarte Kreditvolumen von 6 Milliarden Euro, zahlbar in Raten über mehrere Jahre, wurden die Erdöleinnahmen eingesetzt. Doch das scheinbar solide chinesische Konsortium stellte 2007 die Zahlungen ein, und die angolanische Regierung sah sich gezwungen, kurzfristig bei heimischen Banken 2 Milliarden Euro aufzunehmen. Es war der größte Kreditvertrag, der je mit privaten Banken des Landes geschlossen wurde – deren Liquidität wird allerdings auf insgesamt mehr als 6 Milliarden geschätzt.
2002, nach Kriegsende, hatte sich die Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds überworfen, als sie Abkommen zur ökonomischen Strukturanpassung nicht unterzeichnete.12 Der Streit ging um die Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft, wobei auch der Widerstand gewisser Kreise in Angola eine Rolle spielte, die von der mangelnden Transparenz des Systems profitierten. Eine Geberkonferenz für den Wiederaufbau wurde daraufhin abgesagt.
Nicht ohne Stolz erklärt die Regierung heute, dass sie diese Aufgabe auch ohne internationale Hilfe bewältigen könne. Aber wie soll die Entwicklungsstrategie aussehen? Die Medien und viele angolanische Intellektuelle – auch jene, die der MPLA nahestehen, welche der Regierung der Nationalen Einheit und Versöhnung13 vorsteht – werfen den Machthabern immer wieder den Mangel an glaubhaften Entwürfen vor. Auch die Kritik aus der Zivilgesellschaft an den Bereicherungspraktiken im Staatsapparat reißt nicht ab. In jüngster Zeit gab es erneut zahlreiche Fälle von Amtsmissbrauch: Mitglieder der Regierung oder der Verwaltung haben in ihrem Zuständigkeitsbereich Firmen gekauft oder gegründet.
Ein Entwurf für die Zukunft des Landes ist dringend nötig. Solange keine neuen Lagerstätten entdeckt werden, bleibt der Ölreichtum eine begrenzte Perspektive: Von 2010 bis 2014 soll sich die Förderung mit etwa 93 Milliarden Euro pro Jahr auszahlen, 2025 werden es nur noch 7 Milliarden sein.14 Aber bis 2025 wird sich die Bevölkerung fast verdoppelt haben.
Verschobene Wahlen, im Namen der Staatsräson
Die MPLA, aus deren Reihen alle kommen, die heute an den Schaltstellen der Machthaber sitzen, hat 2007 eine nationale Konsens-Agenda für den Zeitraum bis 2025 vorgestellt, in der die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik empfohlen wird. Möglicherweise ist es nur ein taktisches Manöver, um die Kader der MPLA für die Parlamentswahlen am 6. und 7. September 2008 zu mobilisieren, mit Sicherheit aber ein Hinweis darauf, dass an der Parteibasis die Unzufriedenheit wächst: Sie empört sich über den neuen und dreist zur Schau gestellten Reichtum und fordert mehr soziale Gerechtigkeit.
Die Parlamentswahlen sind seit 2004 mehrfach verschoben und schließlich von den auf 2009 gelegten Präsidentschaftswahlen abgekoppelt worden. Das Mandat von Präsident Dos Santos wurde – um die Stabilität des Landes zu sichern, wie es offiziell heißt – also über den Termin eines möglichen Regierungswechsels hinaus verlängert. Der Ausgang der Wahlen dürfte ohnehin schon feststehen: Die Opposition ist schwach und hat keine glaubwürdigen Programme anzubieten. Die Unita ist noch so sehr in ihrer „savimbistischen“ Vergangenheit befangen, dass sie sich weigert, eine innere Bestandsaufnahme vorzunehmen, wie einige ihrer Führungskader es gefordert haben – oder gar Selbstkritik zu üben im Hinblick auf die blinde Fortsetzung des Krieges und die Säuberungen in den eigenen Reihen.15
Dass bei den ersten demokratischen Wahlen innerhalb der Unita – dergleichen hat es bei der MPLA noch nicht gegeben – im Juli 2007 Isaías Samakuva als Parteichef bestätigt wurde, macht deutlich, dass die Mehrheit der Delegierten aus den ländlichen Gebieten der zentralen Hochebene für politisch moderatere Kandidaten wie Abel Chivukuvuku wenig übrig hat. Damit hat die Unita die Chance vergeben, sich neuen Herausforderungen zu stellen und in der aufstrebenden „Zivilgesellschaft“ Teil einer echten nationalen Opposition zu werden. Überdies schränkt ihre Entscheidung, bis zu den Wahlen der Allparteienregierung Gurn anzugehören, ihren politischen Handlungsspielraum deutlich ein.16
Andere Oppositionskräfte bleiben außerhalb der Städte weitgehend unbekannt. Dafür sorgt auch die Regierung – sie setzt viel Geld ein, um oppositionelle Bestrebungen zu unterdrücken. Der Historiker Arlindo Barbeitos17 ist überzeugt, dass „die politische Klasse Angolas, mit wenigen Ausnahmen, eigentlich nichts von der Wirklichkeit im Land weiß – und auch nichts von seiner Geschichte und Kultur. Eigentlich sind nur die traditionellen Kirchen und einige Wohlfahrtsverbände so eng mit den Menschen verbunden, dass sie um die Leiden und Verletzungen der Menschen wissen und die aktuelle Lage wirklich einschätzen können. Nach dem Ende des Krieges wuchs die Kritik, und es war auf ihre Art die katholische Kirche, die den sozialen Protest anführte.“
Barbeitos findet es erstaunlich, dass der Konflikt nicht zur dauerhaften Spaltung des Landes in soziale Gruppen oder Regionen geführt hat, die sich dem einen oder dem anderen Lager zugehörig fühlen. „Alle waren sich einig in der Ablehnung dieses Krieges, und das hat offensichtlich das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Nation gestärkt. (…) Die Menschen fühlen sich mehr denn je als Angolaner. Dazu hat auch die umfassende Verbreitung des Portugiesischen beigetragen (leider auf Kosten einiger Landessprachen) – selbst in Regionen, wo nur eine kleine Minderheit die Amtssprache beherrscht, wirkt dieser einigende Faktor.“
Dennoch zeigt sich in manchen angolanischen Medien noch immer die Tendenz, politische Gegensätze als Konflikte zwischen Ethnien, im Extremfall auch rassistisch zu interpretieren. Und manchmal wird der angebliche Gegensatz zwischen der „westlichen“ und „arroganten“ Haltung einerseits und dem „authentisch afrikanischen“ Standpunkt andererseits zur Karikatur: 1996 gab es eine Gesetzesvorlage, die nach dem Vorbild der Kolonialzeit in den Personalausweisen wieder die „Rassenzugehörigkeit“ (Weiß, Schwarz, Mischling) vermerken lassen wollte.
André Nsingui, Professor an der Universität Agostinho-Neto, ist überzeugt, dass eine Stärkung des angolanischen Nationalbewusstseins – wie sie die kulturellen und politischen antikolonialen Bewegungen anstrebten – erst möglich wird, wenn der Staat bereit ist, „die Ungleichheiten und Asymmetrien zwischen Regionen und Gebieten aufzulösen“. Dazu bedarf es allerdings mehr als Absichtserklärungen und Wiederaufbauprogrammen. Die herrschende Elite müsste sich erneuern und einer grundsätzlich anderen Ethik verpflichten. Und vor allem: Angola braucht eine starke Opposition.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Augusta Conchiglia ist Journalistin.