09.05.2008

Das Öl soll in der Erde bleiben

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Das Öl soll in der Erde bleiben

Ecuador verlangt, dass die Industrieländer ihre Umweltschulden abzahlen von Leah Temper und Joan Martinez Alier

In den letzten Jahren ist weltweit eine Bewegung für „Klimagerechtigkeit“ entstanden. Dieser Begriff beinhaltet die Forderung, dass die Industrieländer Verpflichtungen anerkennen, die sie gegenüber der Dritten Welt insofern haben, als sie die Fähigkeit der Erde zur Absorption von sogenannten Treibhausgasen vorwiegend zu ihren eigenen Gunsten strapazieren. In Grundsatzdokumenten wie den „Bali Prinzipien über Klimagerechtigkeit“ von 2002 und der „Deklaration von Durban über den Klimawandel“ von 2005 wurde dargelegt, dass für den Klimawandel die Eliten des Nordens wie des Südens verantwortlich sind, dessen negative Folgen jedoch am härtesten den Süden, die Inselstaaten, die Frauen und die Armen treffen.

Klimagerechtigkeit verlangt ein vollständiges Moratorium für die Exploration und Ausbeutung neuer Ölvorkommen, die Einschränkung des Handels mit fossilen Brennstoffen sowie ein ganz neues Nachdenken über nachhaltige Produktionsmethoden und Konsumgewohnheiten. Und schließlich fordern die Fürsprecher der Klimagerechtigkeit den Norden auf, ihre Umweltschulden gegenüber dem Süden anzuerkennen und diesen entsprechend zu entschädigen.

Mittlerweile gibt es ein Land, das diese Prinzipien nicht nur rhetorisch einfordert, sondern konkret umsetzt. Der kleine Andenstaat Ecuador sieht sich mit den Folgen des Klimawandels bereits direkt konfrontiert, denn mit dem Abschmelzen der Gletscher in der Andenregion schrumpfen auch seine künftigen Wasserreserven. Aber Länder wie Ecuador, die es bislang unterlassen haben, größere Mengen Kohlenstoff in die Luft zu blasen, sind vom globalen Prozess zur Bekämpfung des Klimawandel praktisch ausgeschlossen. Offenbar sollen über eine Lösung des Problems nur diejenigen befinden, die es verursacht haben. Aus Frustration über diesen Stand der Dinge hat die neue progressive Regierung in Quito radikale Vorschläge entwickelt, wie das Problem des Klimawandels an den Wurzeln zu packen wäre.

Der erste Vorschlag, das sogenannte Yasuni-ITT-Modell, läuft darauf hinaus, dass das größte unerschlossene Ölvorkommen von Ecuador, Ishpingo Tambococha Tiputini (ITT) mit einer geschätzten knappen Milliarde Barrel Rohöl, für immer im Boden bleibt. In dieser Gegend am Rio Yasuni, der kurz vor der ecuadorianisch-peruanischen Grenze in den Rio Napo (einen Nebenfluss des Amazonas) mündet,liegt der Yasuni-Nationalpark. Das Gebiet war im Pleistozän nicht von Eis bedeckt und soll auf einem Hektar mehr Baumarten aufweisen als ganz Nordamerika. Es ist das traditionelle Stammesgebiet der Huaorani; zwei weitere Stämme, die Tagaeri und die Taroemanane, haben sich hierhin zurückgezogen. Alle drei sind bereits durch die illegale Holzmafia bedroht. Bei einer Ausbeutung der Ölvorkommen wären sie sehr wahrscheinlich zum Untergang verurteilt.

Die Rechte und das Überleben der indigenen Bevölkerung und die Erhaltung der einmaligen Artenvielfalt sind die wichtigsten Gründe, die dafür sprechen, das Yasuni-Gebiet unangetastet zu lassen. Ein weiterer ist die immer noch unterschätzte Bedeutung des Amazonasbeckens für das globale Klima. Wenn das Öl im Boden und die Waldflächen erhalten bleiben und kein Erdgas abgefackelt wird, wird die Klimabilanz um 436 Millionen Tonnen Kohlenstoff entlastet. Man mag darin nur einen „kollateralen Nutzen“ sehen, aber in der aktuellen, vom Thema Klimawandel geprägten Debatte hat dieses Argument größte Durchschlagskraft.

Lebensräume zu verkaufen

Als Kompensation für die Zusicherung, das Öl nicht zu fördern, verlangt Ecuador von der internationalen Gemeinschaft die Hälfte der Geldsumme, die man mit der Ausbeutung der Vorkommen einnehmen könnte: jährlich rund 350 Millionen Dollar auf Dauer von zwanzig Jahren. Regierungen, Umweltorganisationen und Individuen können barrelweise Öl kaufen, das in der Erde bleibt. Wenn das Geld dafür bis September 2008 nicht zusammenkommt, werden die Förderrechte zum Verkauf angeboten. Die chinesische Sinopec und die brasilianische Petrobras stehen bereits in den Startlöchern.

Etliche Kommentatoren halten die ecuadorianische Position für eine Art Erpressung. Aber eine derart vereinfachte Interpretation lässt die Tatsache außer Acht, dass die Kosten für die Erhaltung der globalen Waldbestände und der Artenvielfalt ausgerechnet von den armen und stark verschuldeten Länder der tropischen Zonen getragen werden. Eine der vorgeschlagenen Varianten der Belohnung für das Öl im Boden sieht vor, Ecuador einen Teil der 10 Milliarden Dollar Auslandsschulden zu erlassen. Mit anderen Worten: Die finanziellen sollen mit den ökologischen Schulden abgeglichen werden.

Die Idee von Ökoschulden wurde erstmals in den 1980er-Jahren von lateinamerikanischen Umweltaktivisten formuliert, um die Debatte über die rapide wachsende Außenverschuldung ihrer Länder in einen neuen Rahmen zu stellen. Sie beruht auf dem Gedanken, dass in der Theorie alle Menschen das gleiche Recht an der Atmosphäre und der Umwelt haben, aber in der Praxis die reichen Länder des Nordens einen überproportionalen Anteil in Anspruch nehmen. Nach dieser Logik werden die üblichen Schuldnerländer im Hinblick auf die Umweltbelastung zu Gläubigern, die Gläubiger dagegen zu Ökoschuldnern.

Neuerdings versuchen Wissenschaftler, die Ökoschulden zu quantifizieren. Nach einer Studie1 vom Januar 2008 haben die reichsten Länder der Welt den armen Ländern allein durch die Emission von Treibhausgasen einen Schaden in Höhe von schätzungsweise 2,3 Billionen (2 300 Milliarden) US-Dollar zugefügt. Diese Summe ist deutlich höher als die Gesamtverschuldung der Dritten Welt (in Höhe von 1,8 Billionen Dollar).

Die ökologischen Schulden entstehen dabei nicht nur aus der Kohlenstoffschuld, sondern auch durch die ökologisch ungleichen „terms of trade“: das heißt dadurch, dass der Norden Rohstoffe wie Öl, mineralische Bodenschätze und Hölzer aus dem Süden bezieht und die Artenvielfalt und das Wissen der indigenen Völker des Südens ausbeutet, ohne die Folgen der Beschaffung und Produktion dieser Rohstoffe für die Gesellschaften und die Umwelt dieser Länder einzukalkulieren. Die negativen Auswirkungen für die exportierenden Länder nennt man in der Volkswirtschaft „externalisierte Kosten“, also unbeabsichtigte Nebenwirkungen einer ökonomischen Aktivität, die sich nicht im Preis niederschlagen. Ökologisch orientierte Ökonomen weisen gern darauf hin, dass solche „externalisierten Kosten“ nicht etwa ein Versagen des Marktes bedeuten, sondern im Gegenteil eine erfolgreiche, „marktgerechte“ Kostenabwälzung.

Die Ölförderung ist dafür ein klassisches Beispiel. Während sie den Ölkonzernen Rekordgewinne verschafft, beschert sie den betroffenen Gesellschaften verschmutztes Wasser, belastete Böden – und wenige Vorteile. Ölförderung in Ecuador ist eine besonders schmutzige Angelegenheit. An der Umweltkatastrophe, die sich nördlich des Yasuni-Parks in der Region Oriente, dem östlichen Amazonasgebiet Ecuadors, abspielt, zeigt sich das Erbe der Öloperationen. Hier hat der Ölmulti Chevron Texaco etwa 70 Milliarden Liter hochtoxischer Rückstände in 600 ungesicherten Bohrlöchern hinterlassen. Der Konzern hat damit ein paar Millionen Dollar eingespart, die angefallen wären, wenn er die damals in den USA vorgeschriebenen Standards eingehalten hätte.

Die indigenen Bewohner der Region haben inzwischen eine zivilrechtliche Klage angestrengt, mit der sie Chevron Texaco für die entstandenen Schäden haftbar machen wollen, als da sind: die Auslöschung zweier Indigenenstämme; eine Krebsrate, die 60 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt; die Belastung des Wassers und des Bodens mit gefährlichen Giften. Die Kompensation für diese Schäden und die Kosten für die Säuberung der Umwelt werden auf 5 bis 6 Milliarden Dollar geschätzt. Aber kann man Krebstote oder den Untergang eines Stammes mit einem Preisschild versehen?

Der Prozess findet in Lagro-Agrio statt, einem ölverpesteten Städtchen in der Provinz Sucumbio, wo das Bohrloch gesetzt wurde. Es sieht so aus, als könne in diesem Fall die Gerechtigkeit einen kleinen Sieg feiern. Aber ob das bedeutet, dass die Ölfirmen sich in Zukunft nicht mehr verdrücken können, ohne ihre gesellschaftlichen und ökologischen Schulden zu begleichen, wird sich in fernerer Zukunft zeigen.

Ist es die wahre Antwort auf den Klimawandel, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen? Förderverzicht ist keine Philosophie um ihrer selbst willen. Man sollte darin eher die Aufforderung sehen, den wahren Kosten der Förderung in einer empfindlichen Umwelt größere Beachtung zu schenken. Diese Kosten werden nicht einbezogen, solange eine verzerrte ökonomische Logik den Wert von nicht marktförmigen Umweltfaktoren nicht mitberechnet. Ein bestehender Wald ist für die Industrie wertlos, obwohl er für viele die Lebensgrundlage darstellt. Erst wenn der Wald zu Holz geworden oder seine Artenvielfalt vermarktet ist, kann ihm ein ökonomischer Wert zugeordnet werden. Bei der kommerziellen Ausbeutung natürlicher Ressourcen steht deren Tauschwert also weit höher als deren Gebrauchswert für diejenigen, die davon unmittelbar abhängen.

In Ländern, in denen ein Menschenleben wenig zählt und die Demokratie schwach ist, können Rohstoffunternehmen es sich leisten, Umwelt und Menschenrechte ihren Profitinteressen zu opfern. Und Völker, in deren Lebensbereich die Rohstoffvorkommen liegen, verkaufen billig – ihrer begrenzten Kaufkraft wegen. So kann man die versteckten ökologischen Kosten problemlos auf sie abladen.

Weltweite Kohlenstoffsteuer

Ecuador ist nicht das einzige Land des Südens, das den Norden auffordert, die noch unangetasteten Waldgebiete vor dem Zugriff der Rohstoffindustrien bewahren zu helfen. Die Regierung von Kamerun bemüht sich, ein 830 000 Hektar großes Regenwaldgebiet für 1,6 Millionen Dollar jährlich an Umweltschützer zu verpachten.2 Bislang hat es noch keine Abnehmer gefunden, obwohl der World Wildlife Funds (WWF) Interesse angemeldet hat. Falls es keinen Pächter gibt, verlautet aus dem kamerunischen Forstministerium, wird der Ngoyla-Mintom-Wald an Holzunternehmen versteigert. Ein andere Möglichkeit wäre, diese mehr als 200 Millionen Tonnen Kohlenstoff bindende Waldmasse in das REDD-Programm einzubeziehen, das unlängst auf der Klimakonferenz von Bali diskutiert wurde.

Die Regierung in Ecuador hat noch eine weitere Idee, wie die Erhaltung der Natur im Süden finanziert werden könnte. Im Rahmen der Opec schlug sie eine Ökosteuer von 3 Prozent auf jedes exportierte Barrel Rohöl vor. Auf den ersten Blick hat eine solche Steuer mit den Aufgaben der Opec vielleicht nichts zu tun. Doch Rafael Correa ließ sich von einem Vortrag bei der Opec-Konferenz von 2001 anregen, in dem der Umweltökonom Herman Daly darlegte, dass die Opec sich als Steuerträgerin für Kohlenstoff anbiete, weil sie besitze, was einem Monopol auf den verursachenden Rohstoff am nächsten kommt. Das gescheiterte Projekt einer Energiesteuer, wie es US-Präsident Clinton und Al Gore 1993 vorgeschlagen hatten, könne eines Tages vielleicht doch noch realisiert werden. Und es liege im Interesse der Opec, der Einführung einer Kohlenstoffsteuer in reichen Ländern oder einer allgemeinen Emissionsbegrenzung zuvorzukommen, denn diese wären durch das Kartell nicht mehr zu kontrollieren.

Die durch die Steuer aufgebrachten Geldmittel sollen in einen Fonds für nachhaltige Entwicklung fließen, dessen Erträge zum einen armen Ländern helfen sollen, ihre Ölimporte zu finanzieren, was wiederum Gelder für die Armutsbekämpfung freimachen würde. Zum anderen sollen damit neue Technologien der Energiegewinnung und -umwandlung gefördert werden. Und schließlich könnte man so auch Projekte finanzieren wie das Yasuni-ITT-Modell und das ganz ähnlich geplante für den Banc-d’Arguin-Nationalpark im Norden Mauretaniens, wo die Ölförderung die Vogelwelt und die Fischbestände und damit auch den Lebensunterhalt der Fischer bedroht. Auch in Nigeria könnte der Fonds dazu beitragen, das Abfackeln von Erdgas im Nigerdelta zu stoppen.

Moratorien für die Erdölförderung könnten selbst in reichen Ländern sinnvoll sein. In Alaska ist für die Naturschutzgebiete derzeit nur ein wackliges Moratorium in Kraft. In Kanada fordern Umweltaktivisten ein Moratorium für die Ausbeutung der Ölsandvorkommen, weil für die Gewinnung von einem Barrel Öl aus Ölsand rund 750 Kubikmeter Erdgas erforderlich sind. Das heißt, sauberer Kraftstoff wird verbrannt, um schmutzigen zu gewinnen, was die Emissionen fast verdoppelt. Die Ausbeutung der Ölsande von Alberta ist heute für zwei Drittel der 270 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich, die Kanada noch einsparen muss, um seine Verpflichtungen nach dem Kioto-Protokoll zu erfüllen. Wenn Kanada Emissionsrechte in Höhe dieser Kohlenstoffschuld einkaufen müsste, würde sich der Abbau von Ölsanden nicht mehr rechnen.

Umweltaktivisten und Ökologen sind längst nicht mehr die Einzigen, die von Ökoschulden reden. Auf dem UN-Klimagipfel in New York im November 2007 sprach der damalige argentinische Präsident Kirchner von einer „moralischen und ökologischen Schuldenlast“ der entwickelten Länder, die Reparationen für die Entwicklungsländer erforderlich mache: „Wir, auf denen in finanzieller Hinsicht Schulden von unglaublicher Höhe lasten, sind zugleich im Hinblick auf die Umwelt die größten Gläubiger auf diesem Planeten.“

Fußnoten: 1 U. Thara Srinivasan, Susan P. Carey, Eric Hallstein u. a., „The debt of nations and the distribution of ecological impacts from human activities“, National Academy of Sciences, Januar 2008. 2 Siehe: „The price of conservation: The Unkindest Cut“, The Economist, 14. Februar 2008. 3 Programm zur Reduzierung der Emissionen im Rahmen von Entwaldungen in Entwicklungsländern.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Leah Temper ist Journalistin und Doktorandin an der Autonomen Universität von Barcelona. Joan Martinez Alier ist dort Professor für Wirtschaft und Wirtschaftsgeschichte, außerdem Vorsitzender der International Society for Ecological Economics.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 09.05.2008, von Leah Temper und Joan Martinez Alier