Britisch weltweit akzeptiert
Die ehrwürdige BBC muss sich gegen Kritiker und Sparzwänge behaupten von Jean-Claude Sergeant
Die British Broadcasting Corporation (BBC) ist so etwas wie der Goldstandard des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Als sie 1927 gegründet wurde, stellte sie sich unter ihrem ersten Generaldirektor John Reith die dreifache Aufgabe: informieren, bilden, unterhalten. Dieses Triptychon wurde im Laufe der Jahrzehnte zum Synonym für anspruchsvolles Radio und Fernsehen.
Jahr für Jahr entstehen bei der BBC 400 Stunden Spielfilm in Eigenproduktion, mit teilweise beachtlichem Erfolg. „Eastenders“, eine Serie über den Alltag eines fiktiven Kleine-Leute-Viertels in London, erreicht Einschaltquoten von durchschnittlich 41 Prozent oder 10 Millionen Zuschauer. Hohe Qualität und Popularität zeichnet auch die Verfilmungen von literarischen Klassikern wie Charles Dickens’ „Bleak House“ (2005) oder Elizabeth Gaskells Roman „Cranford“ aus. Den ersten von fünf Teilen des Mammutprojekts sahen an einem Sonntagabend um 21 Uhr fast 8 Millionen Zuschauer.
Als öffentlich-rechtlicher Sender wird die BBC vom Staat darauf verpflichtet, einerseits ein größtmögliches Publikum anzusprechen und für Unterhaltung zu sorgen, gleichzeitig aber Qualität, geistige Anregung und Innovation zu gewährleisten – inhaltlich wie technisch. Zur Sparte Unterhaltung zählt auch „Strictly Come Dancing“ – ein mehrwöchiges Tanzturnier, bei dem die Paare aus Prominenten und Profitänzern gebildet sind und die Zuschauer per Telefon mitentscheiden, wer in die nächste Runde aufsteigt. Am Sonntagnachmittag erreicht diese Serie Einschaltquoten von 30 Prozent.
Anders als die britischen Privatsender blieb die BBC lange Zeit auf Distanz zum Reality-Fernsehen. Inzwischen sendet BBC One aber eine britische Version der amerikanischen Bewerbungsshow „The Apprentice“. Die Kandidaten durchlaufen eine Reihe von Ausscheidungskämpfen, und nur einer von ihnen wird am Ende im Unternehmen von Sir Alan Sugar angestellt. Wie Donald Trump in der US-Version sitzt Sir Alan selbst in der Auswahlkommission. Das Finale der letzten Staffel erreichte außergewöhnlich hohe Einschaltzahlen.
Gewiss ist „The Apprentice“ symptomatisch für eine Zeit, in der Bewerber für einen Arbeitsplatz vieles zu tun bereit sind. Mit der dokumentarischen Reihe „White Season“ setzt BBC Two aber auch ganz andere gesellschaftliche Akzente. „White Season“ läuft seit dem 7. März und zeigt den Frust und das Ressentiment der deklassierten weißen Unterschicht in der multikulturellen Gesellschaft.
Rechtliche Grundlage der BBC ist die Royal Charter – ein Rundfunkstaatsvertrag, der für einen Zeitraum von zehn Jahren den Programmauftrag und die Rundfunkgebühren festlegt. Aber der Ton zwischen der Regierung und dem öffentlich-rechtlichem Sender ist in den letzten Jahren rauer geworden – und die BBC wird vermehrt zum Sparen gezwungen. Mit der Royal Charter vom Dezember 2006 wurden ihr sechs neue Aufgaben übertragen. Sie soll von nun an den Bürgersinn und den sozialen Zusammenhalt fördern, den Bildungscharakter ihrer Programme verstärken sowie die unterschiedlichen Identitäten der einzelnen Regionen und Landesteile (England, Schottland, Wales und in gewissem Maß auch Nordirland) mehr berücksichtigen. Außerdem soll die „Beeb“ ihre Kanäle mehr als bisher für ausländische Programme öffnen, eigene Programme im Ausland besser vertreiben und bis 2012 die Digitalisierung aller Inhalte bewerkstelligen.
40 000 Sendestunden von der BBC in alle Welt
Erstmals in der Geschichte der BBC hat die damalige Kulturministerin Tessa Jowell im Jahr 2003 nicht nur Fachleute, sondern auch das Publikum in die Beratungen über die Zukunft der BBC, die Finanzierung und die Qualität der Programme mit einbezogen.1
Lange Zeit galt die Verlängerung der Royal Charter und die weitere Finanzierung des Senders über Zwangsgebühren als unsicher. Denn seit 2003 war das Verhältnis zur Regierung Blair zerrüttet. Journalisten der BBC warfen dem Premierminister vor, die Bedrohung durch den Irak gezielt übertrieben zu haben, um an der Seite der USA in den Krieg zu ziehen. Umgekehrt stellte ein von Blair in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht die Professionalität und Integrität des öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalismus infrage. Der Streit erlebte seinen Höhepunkt mit dem Selbstmord von David Kelly, eines Experten im Verteidigungsministerium. Danach rollten bei der BBC die Köpfe.
Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, vermied die Regierung alles, was den Anschein eines harten Durchgreifens erweckt hätte. Bei der Neubesetzung der BBC-Intendanz war sie um größtmögliche Transparenz bemüht. Nach einer öffentlichen Ausschreibung gab die Bewerbungskommission im März 2004 eine Empfehlung ab, die allseits auf Zustimmung stieß: Der neue Generaldirektor der BBC heißt seit Oktober 2004 Mark Thompson. Er war von der BBC zum ebenfalls öffentlich-rechtlichen, aber rein werbefinanzierten Sender Channel Four gewechselt und hatte ihn mit harter Hand saniert. Thompson stand von Anfang an für eine grundlegende Erneuerung der BBC. Er musste vor allem ein Reformprogramm ausarbeiten, das als Verhandlungsgrundlage für eine neue Royal Charter dienen konnte.
Ohne Zweifel waren seine erwiesenen Fähigkeiten als radikaler Sanierer ausschlaggebend für die Ernennung zum Generaldirektor der BBC. Als Chef von Channel Four hatte er der BBC vorgeworfen, „auf Kosten der Gebührenzahler in der Hängematte“ zu liegen. Kaum war er im neuen Amt, verkündete er einen zeitlich gestaffelten Abbau von 6 000 der insgesamt 26 000 Arbeitsplätze, vor allem in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Verwaltung. Auch beim BBC World Service und in den Nachrichtenabteilungen standen 350 Stellen oder 15 Prozent zur Disposition.
Auf den Vorwurf, dass sich die BBC zu sehr in ihre Londoner Enklave zurückziehe, reagierte Thompson mit der Auslagerung einiger Bereiche nach Manchester. Thompson bot nun von sich aus an, mehr Programmbeiträge an unabhängige Produzenten zu vergeben. Im vergangenen Jahr kamen immerhin bereits 40 Prozent aller BBC-Programme (Informationssendungen ausgenommen) von privaten Produzenten. (Zum Vergleich: In Deutschland vergaben die öffentlich-rechtlichen Sender nach eigener Darstellung im Jahr 2003 über 70 Prozent ihrer Produktionen an unabhängige Produzenten.2 – Anm. d. Red.)
Mark Thompsons Reformprojekt sieht Budgetkürzungen von 15 Prozent in verschiedenen Abteilungen der BBC vor. Zwei Abteilungen sollen sogar verkauft werden. Den Widerstand der Mitarbeiter gegen diese Umstrukturierung als heftig zu bezeichnen, wäre untertrieben. Vor allem in den am meisten betroffenen Sparten – Kinderfernsehen, Dokumentationen und Informationssendungen – war die Empörung groß. Thompson wurde aus den eigenen Reihen vorgeworfen, er habe bei der Verlängerung der Royal Charter und bei der Festsetzung der Rundfunkgebühren schlecht verhandelt. Er selbst gab sich unterdessen alle Mühe, die Mitarbeiter für sein Projekt zu begeistern: aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Produzenten von Inhalten zu machen, die man in jedem Medium abrufen kann – ob Fernseher, Computer oder Mobiltelefon.
Ein spezieller Fall ist die Tochtergesellschaft BBC Worldwide, die kommerzielle Verwertungsgesellschaft der „Beeb“. Als Europas größter Exporteur von Fernsehprogrammen hat sie 2004 ungefähr 40 000 Stunden Radio und Fernsehen in alle Welt verkauft. Sie ist auch für die Kooperation mit ausländischen Sendern wie dem Discovery Channel zuständig. Schließlich kümmert BBC Worldwide sich außerdem um die Zweit- und Drittverwertung der Programme in Form von DVDs, Tonträgern und Büchern, von denen 2003 insgesamt 23 Millionen Einheiten verkauft wurden. Und bis vor kurzem war sie der drittgrößte Zeitschriftenverlag des Landes. Ihre Publikationen speisen sich inhaltlich vor allem aus den beliebtesten Programmen der Sender. Aber auch BBC Worldwide kann sich den Sparplänen des neuen Generaldirektors nicht entziehen. Kurzzeitig wurde gar diskutiert, sie zu verkaufen; ihr Wert wird auf 2,6 Milliarden Euro geschätzt.
Immer wieder klagen die Privatsender über die Marktverzerrung durch Aktivitäten der gebührenfinanzierten BBC. Die BBC wurde öffentlich aufgefordert, ihren Gebührenzahlern zu beweisen, dass ihre kommerziellen Aktivitäten auch wirklich rentabel seien. Zumindest für BBC Worldwide dürfte dieser Nachweis nicht schwerfallen: Die BBC-Tochter reicht den größten Teil ihrer Gewinne – immerhin 130 Millionen Euro im Jahr 2006 – an den Sender weiter. Der Streit um BBC Worldwide zeigt vor allem das Unbehagen innerhalb und außerhalb der BBC angesichts ihrer kommerziellen Unternehmungen. „Ständig heißt es, der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll gewinnorientierter arbeiten“, sagt ein großer unabhängiger Fernsehproduzent, „aber wenn er es dann tut, wird er sofort dafür kritisiert.“3 Am Ende einigte man sich darauf, BBC Worldwide in der Senderfamilie zu belassen und nur einige der Zeitschriften abzustoßen.
Inmitten dieser Turbulenzen wurde die Royal Charter schließlich verabschiedet. Seit Dezember 2006 hat die BBC damit auch eine andere Verwaltungsstruktur. Ihre Leitung untersteht jetzt einem unabhängigen BBC Trust anstelle des bisherigen Direktoriums. Der Unterschied ist nicht auf den ersten Blick erkennbar und hauptsächlich symbolischer Natur. Das alte Direktorium war immer wieder der Selbstgefälligkeit und Klüngelei bezichtigt worden. „Die Direktoren sind zugleich die Verteidiger und die unparteiischen Regulierer der BBC“, spottete ein Leitartikler der Financial Times. „Da besteht offenkundig ein Interessenkonflikt.“
Seit 1925 hat noch jede Untersuchungskommission die Frage gestellt, ob man die ewig knappen Geldmittel nicht durch Werbung aufstocken solle. Doch selbst Margaret Thatcher kam hier nicht weiter. Unter ihrer Regierung stellte eine Kommission unter Vorsitz des liberalen Ökonomen Alan Peacock 1986 einmal mehr fest, dass der britische Werbemarkt einen Sender von der Größe der BBC nicht finanzieren könne.4
22 Jahre später drängen sich ganz andere Fragen auf: Wie lässt sich eine Zwangsumlage rechtfertigen, wenn 80 Prozent der Haushalte unentgeltlich rund 40 terrestrische Digitalsender empfangen können und wenn die BBC mit ihren beiden TV-Programmen im Durchschnitt kaum noch 30 Prozent des Publikums erreicht? Fragwürdig ist zumindest aus Sicht der privaten Konkurrenten auch, dass die Finanzierung der BBC nicht nur über zehn Jahre gesichert, sondern traditionell auch noch an die Inflation gekoppelt wird und damit vollkommen immun gegen schwankende Einnahmen aus der Werbung ist.
Nach langen Diskussionen hat sich die britische Regierung 2006 entschlossen, die Rundfunkgebühr beizubehalten. Spätestens nach Abschluss der Digitalisierung im Jahr 2012 soll das Thema aber wieder auf der Tagesordnung stehen. Und die BBC wird bis dahin weiter sparen müssen, denn die Gebühren werden nun doch weniger stark steigen als die Inflationsrate – pro Jahr um durchschnittlich 2,4 Prozent. Seine Ankündigung, deshalb weitere 1 800 Arbeitsplätze einzusparen, zog Thompson nach einer Streikdrohung der Gewerkschaften allerdings wieder zurück.
Die Zukunft der BBC und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Großbritannien überhaupt ist alles andere als gesichert. Die neuen privaten Digitalsender erfreuen sich beim Publikum großer Beliebtheit, und es ist nicht klar, ob Channel Four, der private Anbieter ITV oder auch die 1997 gegründete RTL-Tochter Five dagegen bestehen können. Angesichts dieser Situation kam der Vorschlag auf, einen Teil der Programme mit öffentlichem Auftrag auch öffentlich auszuschreiben und frei zu vergeben. Vor allem die konservative Opposition befürwortet dieses Vorhaben des „Top Slicing“, also der „Umverteilung“ der Gebühreneinnahmen. Sie will damit nicht zuletzt eine BBC zurückstutzen, die den einen als elitär, alteingesessen und verwöhnt, den anderen als Spielwiese europafreundlicher Linker gilt.
Darüber hinaus entwickelt sich die Debatte in die Richtung eines öffentlichen Programmauftrags, der sich zunehmend vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und von jeder anderen Verbreitungsplattform abkoppelt.5 Doch gerade hier hat die BBC eine Vorreiterrolle übernommen, indem sie demnächst auf allen Kanälen präsent sein will – analog, digital, online, „on demand“ und auf dem Handy. Das hat ihr zumindest bis zum nächsten Regierungswechsel eine gewisse Atempause verschafft.
Eine deutliche Warnung an Premierminister Brown formulierte unterdessen die angesehene Kolumnistin Polly Toynbee6 : „Will die Regierung wirklich Schuld an der Zerstörung einer in aller Welt bekannten britischen Marke tragen, die dazu noch ein authentisches Emblem britischer Wesensart ist?“
Jean-Claude Sergeant ist Kommunikationswissenschaftler an der Université Paris III.