Umweltkatastrophe in der Wüste
Der Uranabbau im Niger zerstört die Lebensgrundlagen der Tuareg von Anna Bednik
Wenn „nur die Sprache der Gewalt verstanden wird, dann müssen wir uns ihrer bedienen.“ Mit dieser Erklärung1 hat die mehrheitlich aus Tuareg bestehende Bewegung der Nigrer für Gerechtigkeit (Mouvement des Nigériens pour la justice, MNJ) die Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Zentralregierung des Niger begründet – zwölf Jahre nach dem Friedensvertrag vom 24. April 1995, mit dem ein erster bewaffneter Aufstand beendet worden war. Begonnen hat die neue Rebellion im Februar 2007 in der Region Agadez im Norden des Landes, von wo sie sich bis ins Gebiet des Tschad-Sees im Südosten ausbreitete.
Der MNJ, ein Verbund aus Kämpfern der 1990er-Jahre, dem sich im vergangenen Jahr Überläufer aus den Regierungstruppen sowie einige lokale Volksvertreter angeschlossen haben, führt immer wieder Angriffe auf Militärstützpunkte und staatliche Einrichtungen aus. Seine Forderungen: die Umsetzung der Abkommen von 1995 (die vor allem eine Dezentralisierung der Verwaltung vorsehen), die Ausschüttung von 50 Prozent der Gewinne aus dem Bergbau an die lokalen Gemeinschaften, die vorrangige Beschäftigung von Autochthonen in diesem Sektor, die Beendigung des Ausverkaufs von Schürfrechten und keine weitere Prospektion von Bodenschätzen in Weidegebieten.
Im Juli 2007 verschärfte eine Geiselnahme die Spannungen: Der MNJ hatte einen Mitarbeiter des chinesischen Bergbauunternehmens Sino-Uranium entführt und verlangte, dass alle Ausländer das Land verlassen sollten, die im Niger „mit Prospektion oder Ausbeutung von Bodenschätzen“ befasst seien.
Niger ist der weltweit drittgrößte Uranexporteur. Die Jahresproduktion wird auf 3 300 Tonnen geschätzt, knapp die Hälfte der Exporteinnahmen stammen aus diesem Sektor. Nach zwanzig mageren Jahren zogen die Preise für Uran 2003 wieder an. Da die globale Nachfrage nach Strom stieg und strengere Vorgaben zur Reduzierung der CO2-Emissionen galten, bestanden rosige Aussichten für die zivile Nutzung der Nuklearenergie.2
Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO rechnete 2007 mit einer Zunahme von mindestens 20 Prozent (und maximal 83 Prozent) der weltweit aus Atomkraft erzeugten Energie bis zum Jahr 2030. Nach Angaben der World Nuclear Association (WNA) sind heute 34 Atomkraftwerke im Bau und 93 weitere in Planung – vor allem in China, Indien, Japan und Russland. Der Bedarf an Nuklearbrennstoff wird zunehmen, außerdem werden die sogenannten sekundären Quellen von nuklearem Brennstoff, insbesondere das aus ausgemusterten Atomsprengköpfen gewonnene angereicherte Uran, langsam knapp: Beides zusammen bewirkt, dass die Suche nach Lagerstätten von natürlichem Uran sowie dessen Abbau wieder verstärkt betrieben werden.
Der Niger ist reich an Uran, aber zugleich eines der ärmsten Länder der Welt – im Human Development Index (Index der menschlichen Entwicklung, HDI) belegt es Platz 174 von 177. Die Regierung in Niamey sieht das neue Interesse an Uran als eine einmalige Chance in ihrem „Kampf für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung“.3
Großes Schachern um die Schürfrechte
Um die Einnahmen aus Bodenschätzen zu steigern, hat sich Präsident Mamadou Tandja neue Geschäftspartner gesucht. Zwei französisch-nigrische Unternehmen (die Société des mines de l’Aïr, Somair, und die Compagnie minière d’Akouta, Cominak) betreiben heute den Uranabbau – bei beiden ist die französische Areva NC4 Hauptaktionär (mit 63,4 bzw. 34 Prozent). Am 26. Juni 2007 wurde der Sicherheitsbeauftragte dieses französischen Energieriesen, Oberst Gilles de Namur, des Landes verwiesen, am 25. Juli folgte ihm der örtliche Firmenchef Dominique Pin – beiden warf die Regierung Unterstützung der MNJ-Rebellen vor.5 Die Beziehungen zwischen Paris und Niamey normalisierten sich allerdings bald wieder: Im Januar 2008 erteilte die Regierung des Niger Areva die Schürfrechte für die Uranlager von Imouraren, wo eines der größten Uranbergwerke der Welt entstehen soll. Im Gegenzug erhöhte sich der Preis, den Areva für das Uran bezahlt, um 50 Prozent.
Areva darf also weiterhin Geschäfte im Niger machen. Die Regierung in Niamey verkauft inzwischen jedoch einen Teil der Produktion selbst – 2007 waren es 300 Tonnen. Mit dem französischen Monopol auf das Uran im Niger ist es vorbei. Im November 2007 erhielt die China Nuclear International Uranium Corporation (Sino-Uranium), eine Tochter der staatlichen China National Nuclear Corporation (CNNC), die Rechte für die Uranexploration in Azelik. Das Unternehmen beutet bereits seit 2006 die großen Lagerstätten in Tegguida aus. Außerdem wurden Explorationsrechte an etwa zwanzig „kleinere“ Firmen aus Kanada, Australien, Südafrika, Indien und Großbritannien vergeben.
Bei den bereits erteilten oder derzeit in Verhandlung befindlichen Konzessionen geht es um die Urangewinnung in einem Gebiet von fast 90 000 Quadratkilometern in der Region Agadez, am westlichen Rand des Aïr-Gebirges, zwischen der algerischen Grenze und den Felswänden der Falaise de Tiguidit. Die mehr als 300 000 Bewohner der Region, mehrheitlich Tuareg, wurden nicht gefragt, als Bergbauunternehmen Bodenrechte in Teilen ihrer angestammten Siedlungsgebiete erhielten. So mussten Einwohner des Gebiets um Tegguida-n-Tessoum im Westen von Agadez das etwa 2 500 Quadratkilometer große Gebiet verlassen, in dem die Sino-Uranium die Schürfrechte erworben hat. Niger Uranium Limited verbot nach Beginn der Prospektionsarbeiten in In-Gall und Ighazer den Hirten die Benutzung der Wasserstellen, und seit Areva in Imouraren mit Vorarbeiten für den Uranabbau begonnen hat, kann dort kein Vieh mehr weiden.
Die Bevölkerung dieser Gebiete lebt seit Jahrhunderten von der Landwirtschaft in den Oasen, von Salzgewinnung und der Viehzucht in sogenannter Wanderweidewirtschaft. Dieses komplexe ökonomisch-ökologische Gleichgewicht ist nun bedroht, denn die wichtigsten Weidegründe der Nomaden liegen in den neuen Bergbaugebieten – etwa in der Ighazer-Ebene,6 wo sich alljährlich zehntausende von Hirten zur „Salzkur“ zusammenfinden, weil ihre Tiere dort die nötige mineralische Futterergänzung bekommen.
Angesichts der neuen Bergwerke in Azelik (Inbetriebnahme geplant für 2010) und Imouraren (Inbetriebnahme geplant für 2012) wächst auch die Angst vor Strahlenschäden. In den Bergbaustädten Arlit und Akokan hatte das unabhängige atomkritische Strahlungsforschungs-Institut CRIIRAD (Commission de recherche de d’information indépendantes sur la radioactivité) schon zwischen 2003 und 2005 den Gesundheitszustand und vor allem die Strahlenbelastung der Bevölkerung untersucht. Auftraggeber waren die Umweltorganisation Aghir In’Man und die Menschenrechtsorganisation Sherpa.7
CRIIRAD berichtete, dass in diesen Städten, in denen mehr als 86 000 Einwohner leben, die internationalen Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Trinkwasser weit überschritten werden. Radioaktive Abfälle würden im Freien gelagert, strahlender Schrott aus den Fabrikanlagen werde auf den Märkten verkauft und als Baumaterial oder Küchenutensilien verwendet. Im Mai 2007 setzte CRIIRAD die Firmenleitung von Areva und die nigrische Strahlenschutzbehörde in Kenntnis, dass der Aushub aus den Bergwerken bei öffentlichen Bauvorhaben verwendet werde und dass die Belastung durch Gammastrahlen mehr als das Hundertfache der Normalwerte betrage.
Solange keine seriösen wissenschaftlichen Gutachten vorliegen, ist das Risiko langfristiger Gesundheitsschäden kaum abzuschätzen.8 Nach Auskunft der NGO Sherpa nehmen die Fälle von schweren Atemwegs- und Lungenerkrankungen in den betroffenen Regionen jedenfalls deutlich zu – was freilich durch die beiden von Somair und Cominak betriebenen Krankenhäuser systematisch verschleiert werde.
Die beiden Bergbauunternehmen sind nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber im Niger und sie versorgen unzählige Zulieferer mit Aufträgen. Allerdings profitieren davon vorwiegend die aus dem Süden stammenden Haussa und Djerma – sie sind besser ausgebildet, verfügen über Einfluss in Politik und Verwaltung und haben folglich auch die besseren Chancen auf gute Posten und lukrative Aufträge. Die seit jeher in der Gegend lebenden Tuareg dagegen mit ihrer geringen Schulbildung und ihrem traditionellen Nomadentum haben kaum Anteil am Wirtschaftsboom in den Bergwerksstädten.
Die Dürrekatastrophe von 1973/74 hatte mehr als drei Viertel der Herden vernichtet und viele Tuareg in die großen Städte oder ins Exil nach Algerien und Libyen getrieben. Ende der 1980er-Jahre kehrten mehr als 20 000 von ihnen zurück – Oberst Ali Saïbou, der den seit dreizehn Jahren unter Ausnahmerecht regierenden General Seyni Kountché gestürzt hatte, versprach eine Politik der „Entspannung“ im Niger. Zunächst erlebte das Land jedoch eine Wirtschaftskrise, während der für die Integration der vielen Remigranten nichts unternommen wurde. Auch die Hoffnung auf ein weniger rigides Regime erfüllte sich nicht: Nachdem es im Mai 1990 in Tchin-Tabaraden zu Zusammenstößen mit Regierungstruppen gekommen war, erlebten die Tuareg eine Welle der Repression.9 Dass die Verantwortlichen für die blutige Unterdrückung nie bestraft wurden, verstärkte den Unmut unter den Tuareg, die sich übergangen fühlten – im Oktober 1991 kam es zu einem ersten bewaffneten Aufstand.
Massenflucht aus der Region Agadez
Im Friedensabkommen von 1995 war nicht nur die Rehabilitation der Rebellen festgeschrieben, sondern auch ein Entwicklungsprogramm für den Norden, die Dezentralisierung der Verwaltung und vor allem eine Beteiligung der lokalen Gemeinschaften an den Einnahmen aus dem Bergbaugeschäft. Doch die Vereinbarungen wurden nicht umgesetzt: Dreizehn Jahre danach ist die Dezentralisierung noch immer nicht verwirklicht, und auch die erst 2006 beschlossene Beteiligung von betroffenen Gemeinden im Norden (mit 15 Prozent der Einnahmen) blieb bislang ohne jede Wirkung. Und die Vergabe neuer Schürfrechte wurde beschlossen, ohne irgendwelche Entschädigungen für die Betroffenen vorzusehen. „Um uns Tuareg machen sich die Regierenden einfach keine Gedanken, die sind nur mit ihren wirtschaftlichen Sorgen beschäftigt“, meint Issouf ag Maha, der gewählte Bürgermeister von Tchirozérine, der gegenwärtig im französischen Exil lebt. „Dabei wollen wir doch nur, dass die Bergbaugesellschaften und die Machthaber in Niger die Tatsache anerkennen, dass wir in diesen Gegenden leben.“
Im August 2007 verhängte die Regierung die „erhöhte Alarmbereitschaft“ (eine Spielart des Ausnahmezustands) über die Region Agadez. Menschenrechtsorganisationen haben seither über willkürliche Verhaftungen (mehr als 100) und außergerichtliche Hinrichtungen von Zivilisten (etwa 70) berichtet – Vergeltungsmaßnahmen der Armee für Angriffe des MNJ. Auch von Folter, Vergewaltigung, Plünderung und dem Abschlachten von Herden (zumeist die Existenzgrundlage der Tuareg) ist die Rede. Die Armee benutzt regelmäßig Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ – vor allem wenn sie irgendwo Minen vermutet.
Angesichts solcher Gewaltakte ergreifen viele Menschen die Flucht. „In Ifréouane gibt es jetzt nur noch Soldaten, alle Einwohner sind geflohen“, berichtet der Leiter einer kleinen Hilfsorganisation, die sich, wie viele andere, aus der Region zurückziehen musste. Die Versorgungslage verschlechtert sich, weil kaum jemand die verminten Straßen befahren oder sich Repressionen aussetzen will. Die Preise steigen, auch der Tourismus fällt in diesem Jahr als Einkommensquelle aus.
Libyen, Burkina Faso und die Afrikanische Union haben erfolglos Vermittlungsversuche unternommen. Für Präsident Mamadou Tandja sind die Aufständischen nichts weiter als „Banditen und Drogenschmuggler“, mit denen er nicht verhandeln möchte. Journalisten dürfen in die Kampfgebiete nicht mehr einreisen.10 Die Machthaber in Niamey beharren auf der Position, das Land müsse frei über seine natürlichen Reichtümer verfügen können. Darüber hinaus wollen sie ihren Bürgern weismachen, die innenpolitische Krise sei nur Folge der gewachsenen strategischen Bedeutung Nigers. Mitte April 2008 forderte das Parlament die Regierung auf, „alles zu unternehmen, um eine friedliche und dauerhafte Regelung des Konflikts herbeizuführen“ – denn der könne die Stabilität des Landes ernstlich gefährden. Bislang haben die Machthaber darauf nicht reagiert.
Anna Bednik ist Journalistin.