Künstler, Sammler und das Geld
Was den boomenden Weltkunstmarkt antreibt von Philippe Pataud Célérier
Am 21. Juni 2007 wurde eine Arbeit des 42-jährigen Briten Damien Hirst zu einem Preis versteigert, den bisher noch kein lebender Künstler erreicht hatte. Das Londoner Auktionshaus Sotheby’s verkaufte die 2002 entstandene Installation „Lullaby Spring“ (Wiegenlied Frühling), einen offenen, mit Pillen gefüllten Arzneischrank aus Stahl, für rund 13 Millionen Euro. Im selben Sommer erzielte Hirst einen neuen Rekord: Sein „For the Love of God“, ein mit 8 601 Diamanten besetzter Platinabguss eines Totenschädels aus dem 18. Jahrhundert, wurde von der Londoner Galerie White Cube für 50 Millionen Pfund (75 Millionen Euro) an eine anonym gebliebene Investorengruppe verkauft. Sicher ist immerhin, dass das Werk zumindest die 1 106 Karat wert ist, die die Diamanten wiegen, also schätzungsweise rund 19 Millionen Euro.
Seit den Readymades von Marcel Duchamp (industriell gefertigte und vom Künstler lediglich signierte Gegenstände) weiß man, dass ein Objekt (ein Urinal, ein Flaschentrockner o. Ä.) in dem Moment zu einem Kunstwerk werden kann, in dem der Künstler es dazu bestimmt.1 „Es ist heute nicht mehr möglich“, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin und Kulturexpertin Nathalie Moureau, „ein Kunstwerk nach seinen tatsächlichen Eigenschaften und vor allem danach zu bewerten, inwieweit es einem Maßstab des Schönen entspricht. Auch andere Kriterien wie Handwerk, Arbeit, Innovation, Technik, Können, Originalität und Authentizität sind bei der Bewertung von Kunstwerken kaum mehr relevant. Sie sind beim Zustandekommen der Preise für zeitgenössische Kunst weitgehend bedeutungslos.“2 Immerhin so bedeutungslos, dass ein weiterer Arzneischrank, diesmal die jahreszeitliche Variante „Lullaby Winter“, die sich einzig in den Farben und der Anordnung der Pillen von „Lullaby Spring“ unterscheidet, einen Monat zuvor von Christie’s in New York für lediglich 5 Millionen Euro versteigert worden war. „Lullaby Spring“ hat also sein winterliches Pendant innerhalb weniger Wochen um 8 Millionen Euro übertroffen.
Der Frühling mag für so manche Blüte verantwortlich sein, auf diesen Höhenflug hatte er wohl kaum Einfluss. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass die Installation mit ihren „6 136 handbemalten Pillen“, wie es in der Auktionsbeschreibung heißt, in den Köpfen der Bieter plötzlich eine gewichtige Bedeutsamkeit entfaltet hat. Was also sind die Gründe für eine solche Summe? Ist es der Medienrummel, den Sotheby’s um die Auktion am 21. Juni 2007 herum zu erzeugen wusste? Ist es die für britische Künstler besonders günstige Dynamik des Londoner Kunstmarkts? Ist es Hirsts Persönlichkeit im Zusammenspiel mit seinem mächtigen Netzwerk aus Händlern, Galeristen und Sammlern? Und ist der 21. Juni nicht auch der erste Tag des Sommers?
Ende der 1980er-Jahre begegnete Damien Hirst Charles Saatchi, dem eine der weltweit wichtigsten Werbeagenturen, Saatchi & Saatchi, gehört. Die beiden Männer ergänzten sich prächtig. Die provokativen Eskapaden des einen befeuerten den Kommunikationseifer des anderen. Schnell bildeten der Künstler und der Sammler eine Symbiose. Und zum Beweis für Saatchis Spürnase erhielt Hirst 1995 den begehrten Turner-Preis3 , den die Londoner Tate Gallery seit 1984 jährlich an einen britischen Künstler verleiht.
Londoner Mäzene unter sich
Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass der Turner-Preis von den „Patrons of New Art“ ins Leben gerufen wurde, einer Gruppe von Londoner Mäzenen, die sich auf Initiative der Tate Gallery und Charles Saatchis gegründet hat. Ohne Zweifel hatte die Omnipräsenz Saatchis einen gewissen Einfluss auf das Votum der Jury, die Hirsts „Mother and Child“ prämierte, ein in zwei Hälften zersägtes und in Formaldehyd eingelegtes Kalb.
Die Entscheidung barg eine Menge Vorteile: Die Auszeichnung von Hirsts Installation sicherte nicht nur Saatchis neuem Sponsor, dem Fernsehsender Channel 4, große Medienaufmerksamkeit, sondern festigte auch die Macht des Geschäftsmanns und steigerte den Wert der von ihm bereits erworbenen Kunstwerke.
Der größte Sammler zeitgenössischer britischer Kunst wiederum stärkte durch seine regelmäßigen Ankäufe Hirsts Kurs auf dem Kunstmarkt und bestätigte damit auf finanzieller Ebene das ästhetisch-intellektuelle Urteil der Jury. Für die Spekulanten waren die Signale eindeutig: Institution und Markt (der anfangs allein aus dem steinreichen Saatchi bestand) gingen Hand in Hand. Die Spekulanten brauchten nur zu folgen. Drei Jahre später hatte sich Hirsts Umsatz mehr als verzehnfacht.4
Saatchi spielte also eine zentrale Rolle. „In Zukunft verbürgt sich der Käufer für den Künstler, so wie es im 18. Jahrhundert die Kunstakademien taten“, schreibt der Soziologe Alain Quemin.5 Der große Sammler adelt den Künstler, und er tut dies umso mehr, als er ja nicht nur dessen Arbeiten kauft: Da er über finanzielle Potenz und gesellschaftliches Kapital verfügt, zählt sein Ritterschlag mehr als der einer Institution. „Begreifen wir es“, präzisiert Nathalie Moureau, „als die Gesamtheit der Ressourcen, die sich aus dem Geflecht von Verbindungen und Einflussmöglichkeiten ergibt sowie aus der Fähigkeit der Leute, die Teil dieses Netzwerks sind, ihre Legitimationsmacht auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst kenntlich zu machen und zu behaupten. Nimmt man die Liste der 200 größten Sammler, so stellt man zum Beispiel fest, dass die Mehrheit von ihnen dem Verwaltungsrat eines Museums angehört.“
François Pinault, Inhaber des französischen Luxusimperiums PPR, kaufte den Palazzo Grassi in Venedig und ernannte den ehemaligen französischen Kultusminister Jean-Jacques Aillagon zum Direktor. Der amerikanische Immobilienunternehmer und Milliardär Eli Broad gründete sein eigenes Museum für zeitgenössische Kunst und ließ dafür das Los Angeles County Museum of Art durch den Architekten Renzo Piano umbauen. Einer der wichtigsten Sammler zeitgenössischer chinesischer Kunst, der belgische Baron Guy Ullens, gründete in Peking das Ullens Center for Contemporary Art, eines der ersten privaten Museen für zeitgenössische Kunst in China. Das wissenschaftliche Personal suchte er sich aus angesehenen Institutionen zusammen. Charles Saatchi will in diesem Jahr gemeinsam mit dem Schweizer Auktionator Simon de Pury ein Museum für zeitgenössische Kunst in Chelsea, im Herzen Londons eröffnen. Wie in der Tate Modern, mit der es konkurrieren wird, soll der Eintritt für die erwarteten Millionen Besucher frei sein. Um die Galerieräume herum wird es Klassenzimmer geben, in denen Experten Lehrern und Schülern die ausgestellten Werke nahebringen sollen.
Für die Essayistin und Künstlerin Aude de Kerros haben die großen Privatsammler eine Kompassfunktion, denn „die traditionellen Kriterien, die den Wert eines Werks auf den Märkten für ältere Kunst – die Impressionisten etwa oder die der Klassischen Moderne – bestimmten, lassen sich nicht auf den sehr speziellen Markt für zeitgenössische Kunst anwenden. Hier begründet nicht das Werk, sondern das Netzwerk den Wert. Die Garantie für den Käufer ist nicht der Wert des Künstlers und seines Werks, sondern die Macht des Händlers und die Qualität seines Netzwerks aus Sammlern.“6 Das Nachsehen haben freilich in vielen Fällen die mit weniger Geld ausgestatteten Museen.
Der Kunsthistoriker Georges Armaos, der für einen Teil der Kundschaft der New Yorker Gagosian Gallery, einer der mächtigsten Galerien in den USA, zuständig ist, betont: „Es stimmt, dass viele Sammler Kunst in renommierten Galerien kaufen, weil sie wissen, dass der Galerist oder der Händler ihnen den Marktwert des Werks garantiert. Aber es gibt auch viele Sammler, ich denke, die Mehrheit, vor allem unter den Europäern, die ein Kunstwerk ohne jede kaufmännische Erwägung erwerben, einfach, um mit ihm zu leben.“
Mag sein, aber wie jeder ökonomische Markt muss auch der Markt für zeitgenössische Kunst seine Qualitätskriterien kennen und in eine Rangordnung bringen, um zu funktionieren. Es ist daher nicht erstaunlich, wenn diese Kriterien in der Macht des Netzwerks gesucht werden und weniger die Kunst von Interesse ist als die Personen, die sich mit ihr beschäftigen. Dies wird von der englischen Monatszeitschrift Art Review bestätigt, die jedes Jahr das ungeduldig erwartete Ranking „Power 100“ mit den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten aus der Welt der zeitgenössischen Kunst veröffentlicht.7
In diesem Ranking tauchen nur vergleichsweise wenige Künstler auf (19 Prozent) – unter den bestplatzierten Damien Hirst (Platz 6) und Jeff Koons (Platz 13) –, dafür ist aber der Anteil der Sammler von 19 Prozent im Jahr 2002 auf 31 Prozent im Jahr 2007 gestiegen; es folgen Galeristen und Zwischenhändler mit 22 Prozent. Sammler sind da, wo das Geld sitzt, und so überrascht es auch nicht, dass 74 Prozent der in dem Ranking angeführten Personen US-Amerikaner und Briten sind.
„Zum Vergleich: Die Gagosian Gallery8 macht jährlich einen Umsatz, der mindestens fünfzehnmal so hoch ist wie unser, und der beträgt 15 Millionen Euro“, sagt Jean Frémon, einer der Leiter der berühmten französischen Galerie für zeitgenössische Kunst Lelong. „Da sich die Käufer häufig für Künstler ihrer Nationalität entscheiden, manchmal nur aus dem einfachen Grund der geografischen Nähe, besitzen angelsächsische Künstler heute den höchsten Marktwert.“
„Wenn jeder bildender Künstler werden oder es zumindest versuchen kann, wird keiner Erfolg haben. Zum Erfolg benötigt man ein Minimum an Aufmerksamkeit. Das ist nichts Neues. Neu aber ist, dass es keine logische Verbindung mehr gibt zwischen der Laufbahn, die jemand beruflich oder von der Ausbildung her beschreitet, und der Aufmerksamkeit, die er erhält. Um Erfolg zu haben, genügt es heutzutage, zu wissen, wie man sich verkauft“, schreibt der Philosoph Christian Delacampagne.9
Je unsichtbarer die Kunst im Rahmen ihres traditionellen Kanons wird, umso mehr muss der Künstler mit subversiven Mitteln für seine Sichtbarkeit sorgen. Und auf diesem Gebiet haben die lebenden Künstler im Vergleich zu ihren Vorgängern allerlei Trümpfe in der Hand: Sie können Sammler treffen und versuchen, deren Interesse zu wecken (was legitim ist), sie können aber auch auf die Nachfrage reagieren (was weniger legitim ist, wenn man bedenkt, dass ein Künstler sich zuallererst dadurch definiert, dass er ein Risiko eingeht, dass er Werke schafft, die das Publikum nicht erwartet.
Sowohl die Gemälde von Vincent van Gogh als auch die Installationen von Damien Hirst haben Proteste und Empörung bei ihren Zeitgenossen ausgelöst; in diesem Punkt könnten die beiden durchaus miteinander konkurrieren. Dennoch starb van Gogh in Elend und Armut, während Hirst mit gut vierzig Jahren ein Vermögen besitzt, das die Sunday Times auf 270 Millionen Euro schätzt. Das klingt nach ziemlich ausgebufften Taschenspielertricks.
Einigen Künstlern mangelt es nicht an Marketingstrategien. Um die kleine Gruppe der Superreichen auf sich aufmerksam zu machen, greifen sie auch gern mal zur kalkulierten Normverletzung. Ein in Zersetzung befindlicher Kuhkopf (Damien Hirst) oder eine mit Elefantenkot bedeckte Jungfrau Maria (Chris Ofili) entsprechen den Erwartungen jenes Kunstmarktsegments, das genau auf die Empörung der Öffentlichkeit und damit auf das mediale Getöse aus ist, das dem Kunstwerk die bislang fehlende Aufmerksamkeit verleiht. So werden am Ende jene Käufer angesprochen, denen es in erster Linie um Publicity geht. Man kann sich freilich fragen, welche korrosive Kraft in einer Subversion steckt, die am Tropf von Institutionen oder großen Geldgebern hängt.
Andere Künstler kaprizieren sich auf irgendwelche Stars und spekulieren darauf, dass diese die ersten Käufer ihrer Arbeiten sein werden, damit einen Trend setzen und die mediale Präsenz von Künstler und Werk erhöhen werden. Der Brite Marc Quinn hat eine Skulptur des Models Kate Moss geschaffen, der US-Amerikaner Jeff Koons eine von Michael Jackson in Gesellschaft seines Schimpansen Bubbles (die bei Sotheby’s für 5,6 Millionen Dollar an einen norwegischen Reeder versteigert wurde). Koons hat genau begriffen, dass er, um den Erwartungen seiner Kunden zu entsprechen, eine Bilder- und Vorstellungswelt kultivieren muss, die sich aus einem vertrauten Formenrepertoire speist. Die meisten Leute mögen ein riesiges lila Herz, einen blauen oder grünen Diamanten oder einen rosaroten Porzellanpanther banal finden. Und doch begeistern die Skulpturen von Koons ein Publikum, das in ihnen das plastische Universum ihrer eigenen alltäglichen Gefühle wiedererkennt. Der Arzneischrank von Hirst („Lullaby“) gehörte zuvor zum Mobiliar des angesagten Restaurants Pharmacy in Notting Hill, wo die Bedienung, bevor das Lokal von seinem Besitzer, Damien Hirst, verkauft wurde, Chirurgenkittel von Prada trug.
Für Caroline Bourgois, Leiterin des Fonds régional d’art contemporain d’Ile-de-France, genannt Plateau10 , liegen die neuen Versprechen in einer „Kultur der Unmittelbarkeit. Die Formen müssen verständlich sein, unmittelbar verführerisch. Einen Jeff Koons anzuschauen ist eben nicht so anstrengend.“ Die Popularität von Koons verdankt sich allerdings auch der Wertschätzung, die er bei Stars genießt (wozu seine Heirat mit der Expornoqueen Cicciolina sicher das Ihre beigetragen hat). Indem der Künstler der Presse Futter liefert, kann er seine Arbeiten mit jener Medienaura aufladen, die für die Käufer das Allerwichtigste ist. Das Paradox ist, dass es ja die Käufer selbst sind, die durch die horrenden Preise, die sie zahlen, dem Kunstwerk den Status einer Ikone verleihen.
Würde überhaupt jemand über „Hanging Heart“ reden, jenes knapp 1 600 Kilo schwere, an einem goldenen Band hängende lila Herz aus rostfreiem Stahl, wenn es nicht zu einem gigantischen Preis versteigert worden wäre? Sotheby’s wies bei der Auktion auf die tausenden von Arbeitsstunden hin, die Koons (oder vielmehr die Arbeiter in seinem Atelier) auf das Werk verwandt habe. Besann sich das Auktionshaus hier mangels anderer Argumente auf Kriterien, die in der heutigen Kunstwelt doch eigentlich als obsolet gelten? Wer weiß. Seit dem 14. November 2007 verfügt Sotheby’s über ein unabweisbares Argument: Das Riesenherz in Pink erzielte 23,6 Millionen Dollar – eine Summe, die Hirsts „Lullaby“-Rekord um Längen schlägt. Die Erklärung folgte auf dem Fuße: „Glauben Sie ernsthaft, dass ein Sammler diesen Preis gezahlt hätte, wenn das Werk nichts wert wäre?“
Da kann man schlecht widersprechen, zumal das Werk mit steigendem Preis immer weniger kritisierbar wird. Schließlich sind vom Verkäufer bis zum Auktionator alle an der Preistreiberei beteiligt, um ihre Arbeit wie ihr Einkommen zu rechtfertigen. „De facto“, sagt ein Beobachter des Kunstmarkts ironisch, „leistet sich der Käufer kein Kunstwerk, sondern einen Preis – einen Preis, der allein den Wert des Kunstwerks bestimmt. Nur ist das Kunstwerk manchmal so schwach, dass man sich fragt, ob eigentlich Geld bei den Menschen, die darin schwimmen, noch irgendeinen Wert hat.“
Inzwischen dürfte es niemandem mehr entgangen sein, dass die zeitgenössische Kunst auf Erfolgskurs ist. Mit ihr ist schnell viel zu erreichen. „Sie ist eine Art Abstandszahlung, die man tätigen muss, um Zugang zu einem Beziehungsnetzwerk zu erlangen, das seine Mitglieder nach ihrem Portemonnaie beurteilt – mit zeitgenössischer Kunst wird das Recht erworben, auf spektakuläre Weise den medialen Echoraum zu betreten, was gerade für die neuen Unternehmer der aufstrebenden Länder wichtig ist“, kommentiert Aude de Kerros.
Zugänglich und unelitär will Koons seine Kunst – und gibt damit so manchem Museum, das im Korsett seiner bedeutenden Geschichte festsitzt, sogar Schützenhilfe in Sachen Medien, Kommerz und Demokratie. So sollen Ende 2008 Werke von Koons in den Parkanlagen von Versailles aufgestellt werden. Was natürlich dem großen Koons-Sammler François Pinault nur gefallen kann. Der neue Präsident des Etablissement public du musée et du domaine des Versailles, Jean-Jacques Aillagon, war bis dato Direktor des Palazzo Grassi, der Pinault gehört. Es ist wohl nicht falsch, hier von einer Interessenkollision zu sprechen. Im Übrigen ist Pinault seit 1998 auch Inhaber des Auktionshauses Christie’s.
Die aufstrebenden Länder werden natürlich in dem Maße, wie ihr Reichtum zunimmt, Teil des internationalen Kunstmarkts. Sind nach China nun Indien, Russland und Brasilien an der Reihe? „Die Käufer wissen“, erklärt der Experte für indische Kunst, Hervé Perdriolle, „dass die Preise für zeitgenössische indische Kunst dem Wirtschaftswachstum des Landes bald folgen werden. Der positive Aspekt an diesem plötzlichen Interesse ist, dass bedeutende indische Künstler, die auf der internationalen Szene bislang keine Beachtung fanden, mit einem Mal richtig Geld verdienen.“
Überall auf der Welt finden mittlerweile Kunstmessen statt, sie erhöhen mit immer effizienteren Marketingstrategien die Anziehungskraft von Auktionen. „Kunstwerke, für die wir vor einiger Zeit noch hundert potenzielle Käufer hatten, ziehen inzwischen zehn-, zwanzig-, dreißigmal so viele Interessenten an“, sagt der Leiter der Abteilung für zeitgenössische Kunst bei Sotheby’s, Grégoire Billaut. Natürlich heizt die zunehmende Zahl von Versteigerungen die Preise immer weiter an. Teilweise treiben auch die Auktionshäuser selbst die Preise in die Höhe, was für manche Beobachter einer Kriminalisierung des Kunstmarkts gleichkommt.11
Mitverantwortlich für die Fehlentwicklungen ist das System der garantierten Preise: Um einen Eigentümer zum Verkauf eines Kunstwerks zu bewegen, sichert das Auktionshaus ihm einen hohen Verkaufspreis zu und verpflichtet sich, falls dieser Betrag bei der Versteigerung nicht erzielt wird, für die Differenz aufzukommen. Das Auktionshaus wird daher alles tun, um das zu versteigernde Objekt aufzuwerten, und dies geschieht oftmals weniger durch eine eingehende Beschäftigung mit dem Kunstwerk (Technik, Material, Sujet) als durch eine Kapitalisierung all dessen, was eine vermögende, aber nicht unbedingt kundige Klientel ansprechen könnte. Und da ist es natürlich von Belang, ob das Werk zuvor in Besitz einer berühmten Persönlichkeit war.
Losgelöst von aller inhaltlichen Substanz, wird der Kunstmarkt zu einem Spielball der Globalisierung. Galerien, Auktionshäuser und Expertenforen liefern Käufern, die sich mit den neuen Technologien auskennen, jede erdenkliche Information. Dokumentationen, Analysen und Studien über das Gewinnpotenzial bestimmter Kunstwerke sind besonders bei Hedgefonds begehrt, die mithilfe eines analytischen Instrumentariums, das der Komplexität der hoch spekulativen Prognosen angepasst ist, in den Markt der zeitgenössischen Kunst investieren.
Artprice.com, Weltmarktführer für Kunstpreisdatenbanken (25 Millionen Auktionsergebnisse, Kurse und Indizes für 405 000 Künstler), bietet gegen Geld Studien, Analysen, Statistiken und ökonometrische Daten. Die jüngsten (Januar 2008) ermitteln zum Beispiel in Echtzeit das Vertrauen der Akteure in den Kunstmarkt und ihre Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse (Börsenschwankungen, geopolitische Ereignisse, Ergebnisse eines medienwirksamen Verkaufs etc.).
Künstler wie Emmanuel Barcilon verweigern sich diesem Getriebe. Auf der Pariser Messe für zeitgenössische Kunst, Slick12 , erklärte er: „Je mehr Kunstevents es gibt, umso mehr musst du produzieren. Und je mehr du produzierst, umso weniger kannst du dich erholen und Neues schaffen. Bei diesem System mitzumachen, heißt für mich, sich als Künstler zu verleugnen.“ Barcilon möchte im Jahr nicht mehr als zwei Dutzend Arbeiten machen, auch wenn er mehr verkaufen könnte. „Das kann im jetzigen System zum Problem werden“, sagt sein Galerist Marc Hourdequin von Dukan & Hourdequin in Marseille. Denn auch wenn der Kunstmarkt sich nicht auf die schwindelerregenden Preisentwicklungen reduzieren lässt, so können Kunstliebhaber sich aufgrund des Medienrummels kaum den Marktmechanismen entziehen und werden zu spekulativem Verhalten verführt. „Sie hören mehr, als sie sehen“, beklagt der Galerist. „Aber wie soll man ihnen dafür die Schuld geben, wenn ein Kunstwerk innerhalb von vierzehn Tagen taxiert wird. Wenn weniger die Kunst als die mit ihr zu erzielenden Gewinne gefördert werden. Man wünscht sich fast eine Finanzkrise herbei, die die unanständigen Preise zurechtstutzt und den Markt wieder gesundschrumpfen lässt. Es geht darum, hinter den finanziellen die künstlerischen Werte wiederzuentdecken. Wir sollten nicht vergessen, dass der Kunstmarkt den ökonomischen Gezeiten ausgesetzt ist und bei Ebbe nur die großen Steine nicht weggespült sein werden.“
Ein Investor, der in sich selbst investiert
Noch freuen sich die Akteure, dass einige Zugpferde die Kunstpreise immer weiter in die Höhe treiben, und die Investoren wiegen sich in Sicherheit. Dabei ist die Immobilienkrise in den USA noch längst nicht ausgestanden, und diejenigen, die das Marktgeschehen durchschauen, sehen die Zeichen keineswegs auf Hausse stehen. Damien Hirst gehört freilich selbst zu der Investorengruppe, die sein Werk „For the Love of God“ erworben hat und verlangte, anonym zu bleiben.
Der Künstler hatte bereits 2003 seine Arbeiten von seinem ehemaligen Sammler Saatchi zurückgekauft, um den Markt besser unter Kontrolle zu halten.13 Kürzlich schenkte er der Tate Gallery vier seiner Installationen. Zweifellos in der Absicht, damit in dem Museum glanzvoll vertreten zu sein, seinen Marktwert zu stabilisieren und sein Netzwerk aus Galeristen und Sammlern sowie die Auktionshäuser zu beruhigen, von denen einige, die wie Sotheby’s an der Börse notiert sind, ihrerseits unter Druck stehen, ihre Kunst sammelnden Aktionäre zufriedenstellen zu müssen.
Offiziell hieß es, Hirst wolle sich mit seinen Schenkungen bei der Tate dafür bedanken, dass sie ihn mit dem Turner-Preis ausgezeichnet hat. Denn schließlich hat das Museum nicht das Geld, um seine sensationellen Werke anzukaufen, die imstande sind, Museen in Geisterzüge zu verwandeln. Warum, fragt man sich nach all dem, kann ein verfaulender Kuhkopf nicht schlicht und einfach als Teil einer Gegenwartskunst verstanden werden, die, losgelöst von den gewohnten Forderungen nach ästhetischer Autonomie, wie Hans Belting14 schreibt, „eines von mehreren Systemen symbolischer Verständigung und Abbildung von Welt“ darstellt. Und sei diese Welt auch in Auflösung begriffen.
Aus dem Französischen von Uta Rüenauver
Philippe Pataud Célérier ist Journalist.