Immer der Arbeit nach
Jedes Jahr ziehen rund 25 000 Haitianer zu Beginn der zafra, der Zuckerrohrernte, in den grünen Ostteil der Insel Hispaniola in die Dominikanische Republik. Die meisten reihen sich ein in die Scharen von braceros, den Zuckerrohrschneidern in den Diensten der reichen Zuckerindustrie. Sie werden von skrupellosen Anwerbern, den buscones, mit der Aussicht auf fantastische Verdienstmöglichkeiten angelockt und laufen blindlings in die Falle: Unterwegs zocken Grenzsoldaten oder als Polizisten getarnte Kriminelle die Arbeitssuchenden ab. Bei ihrer Ankunft werden ihnen die Papiere abgenommen. Sie hausen in stacheldrahtumzäunten Baracken ohne Trinkwasser und Strom, bateyes genannt. Die abschätzig als „Congos“ titulierten Wanderarbeiter schuften von früh bis spät für einen Hungerlohn.
Am Ende der zafra haben sich die meisten verschuldet. Inzwischen sind sie auch illegal im Lande, weil das Visum abgelaufen ist oder von den Aufsehern einkassiert wurde. So hängen sie in den Baracken fest. Die Kinder, die hier zur Welt kommen, werden von keiner der beiden Regierungen anerkannt. In der Dominikanischen Republik sollen 250 000 solcher staatenloser Kinder leben, ohne Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Die meisten müssen sich in den Plantagen abschinden, sobald sie kräftig genug sind, eine Machete zu halten.
Im Jahr 2004 änderte das dominikanische Parlament das Einbürgerungsgesetz. Die im Land geborenen Kinder von Arbeitsmigranten1 sind seitdem nicht mehr qua Geburt dominikanische Staatsbürger, sondern ihnen werden nur dann die Bürgerrechte zugestanden, wenn die Eltern eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Anfang April 2007 verabschiedete das Parlament die Einführung eines speziellen Ausweispapiers für Ausländer, das „livre rose“. Seither erhalten die in der Dominikanischen Republik geborenen Kinder von illegalen Haitianern oder von Personen, die ihre Staatsangehörigkeit nicht nachweisen können, eine rosafarbene Geburtsurkunde. Für Edson Louidor von der Unterstützergruppe für Abgeschobene und Flüchtlinge (GARR) hat dieser Beschluss „die Diskriminierung amtlich gemacht. Ganze Bevölkerungsgruppen und insbesondere die Menschen haitianischer Herkunft werden aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit und Hautfarbe von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.“
Zwei UN-Sonderberichterstatter für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stellten im Oktober 2007 nach einer Reise ins Land fest, dass es „in der dominikanischen Gesellschaft einen tradierten und tief sitzenden Rassismus gegenüber Haitianern, Dominikanern haitianischer Herkunft und generell gegenüber Schwarzen gibt“. Senat und Kirche reagierten gleich bei der Ankunft der UN-Gesandten empört auf die „internationale Verschwörung“ gegen das Land.
Verheerend ist auch die Bilanz des Menschenhandels auf beiden Seiten der Grenze. Monat für Monat sind hier zahlreiche Opfer zu beklagen: von den Schleppern zurückgelassene, verhungerte, vergewaltigte oder von den Grenzposten erschlagene oder erschossene Menschen.
Das Zuckerimperium der Gebrüder Fanjul
Im Frühjahr 2007 veröffentlichte amnesty international einen erschütternden Bericht über die Lage der Haitianer und Dominikaner haitianischer Herkunft.2 Inzwischen ist die dominikanische Regierung noch einen Schritt weitergegangen. Am 27. September 2007 stellte sie ein 500 Mann starkes Sondercorps für den Grenzschutz (Cesfront) auf. Zahlreiche Vereine und engagierte Bürger äußerten Bedenken gegen die Militarisierung des Umgangs mit den Migranten. Insgesamt wurden im Jahr 2007 mehr als 16 000 Haitianer abgeschoben. Dabei lag nur für die Hälfte von ihnen ein gültiger Ausweisungsbeschluss der Ausländerbehörde vor.
Am meisten profitiert die dominikanische Oberschicht von der illegalen Einwanderung. Drei Dynastien teilen sich die satten Gewinne aus dem Zuckerrohranbau: die Familien Vicini, Campollo und Fanjul. Die Brüder Alfonso und José Fanjul leiten ein Imperium mit Plantagen in der Central Romana im Südosten der Insel. Die armseligen Arbeiterbaracken liegen nur wenige hundert Meter neben der luxuriösen Villenanlage Casa del campo, dem Urlaubsparadies für die „Freunde“ der Familie Fanjul. Zu den Gästen zählten bereits sämtliche US-Präsidenten von Ronald Reagan bis George W. Bush, aber auch das spanische Königshaus.
Die Familie Fanjul besitzt 400 000 Hektar Land in Florida und in der Dominikanischen Republik und produziert 3,5 Millionen Tonnen Zucker im Jahr. Großzügig finanziert sie sowohl das demokratische als auch das republikanische Lager und sichert sich damit die Subventionen der US-Regierung – 65 Millionen Dollar jährlich.
Ohne zu zögern, übt die mächtige Lobby auf dominikanische Bürgerrechtsorganisationen Druck aus: Noemí Mendez, die als Anwältin für die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts eintritt, und Sonia Pierre, die das dominikanisch-haitianische Frauenbündnis leitet, wurde vorgeworfen, eine „internationale Verleumdungskampagne gegen die Dominikanische Republik“ anzuführen. Beide haben bereits Morddrohungen erhalten. Der dominikanische Staat beteiligt sich am Mobbing der beiden Frauen. So forderte die Zentrale Wahlbehörde die Annullierung der Geburtsurkunde von Sonia Pierre. Sie ist haitianischer Herkunft und wurde 2006 für ihre Verdienste um die Bürgerrechte mit dem Robert-Kennedy-Preis ausgezeichnet.
Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass der in Costa Rica angesiedelte Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die Regierung im Oktober 2005 aufforderte, zwei Mädchen haitianischer Herkunft, die in der Dominikanischen Republik geboren waren, die Staatsbürgerschaft zu verleihen.
Am 1. Mai 2008 beschwerte sich die Abgeordnetenkammer bei der französischen Botschaft in Santo Domingo über das internationale Dokumentations- und Hilfsprojekt „Esclaves au paradis“ (Sklaven im Paradies)3 : Die junge Fotografin Céline Anaya Gautier und der Tontechniker Esteban Colomar hatten im Frühjahr 2005, getarnt als Missionare, die Zuckerrohrarbeiter zwei Monate lang begleitet. Im Frühjahr 2007 organisierte die Projektgruppe in Paris gemeinsam mit dem Verein „Collectif 2004 images“4 und Jean-Marie Théodat von der Universität Sorbonne ein Kolloquium über die Lage der haitianischen Zuckerrohrarbeiter in der Dominikanischen Republik. Es gab eine Ausstellung mit den Fotos von Céline Anaya Gautier und eine Preview des Dokumentarfilms „The Price of Sugar“ (2007) von Bill Haney, der inzwischen mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später, im Juni 2008, forderte der dominikanische Außenminister Carlos Morales Troncoso die Teilnehmer des Gipfeltreffens der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) im kolumbianischen Medellín dazu auf, die Pariser Veranstaltungsreihe zu verurteilen. Troncoso sprach von einer „Hasskampagne“, die die Zustände in den bateyes maßlos überzeichnen würde.
Mehrere dominikanische Zeitungen folgten seinen Darstellungen. Als langjähriger Aktionär der Zuckermultis empörte sich der Außenminister über die Bezeichnung „Sklave“. Er behauptete, die Arbeiter „seien frei, würden entlohnt und arbeiteten freiwillig“. Die Veranstalter von „Esclaves au paradis“ und die Produzenten von „The Price of Sugar“ wurden durch die Anwälte der Familie Vicini unter Druck gesetzt. Damit sollte die Verbreitung des Films, der in der Dominikanischen Republik schon verboten wurde, verhindert werden.
Die Unverhältnismäßigkeit der Mittel zeigt, welche enormen finanziellen Interessen bei der Ausbeutung der Wanderarbeiter im Spiel sind. Es geht um den Tourismus, den Zucker und das aus Zuckerrohr gewonnene Ethanol für die Herstellung von Biotreibstoffen: drei Märkte, die den Motor für die im Aufschwung befindliche dominikanische Wirtschaft bilden. Produzenten und Behörden lassen sich lieber auf juristische Großangriffe gegen die Nestbeschmutzer ein, als die Lebensbedingungen der Wanderarbeiter zu verbessern.
Benjamin Fernandez
Benjamin Fernandez ist Journalist.