Die Datenverarbeitung wird Großindustrie
Das Städtchen The Dalles liegt im US-Bundesstaat Oregon. An den Ufern des Columbia-Flusses stehen zwischen vier gewaltigen Kühltürmen zwei riesige Industriehallen, beide von der Größe eines Fußballfelds.1 Im Innern befindet sich ein Rechenzentrum von Google. Es ist speziell auf die Suchmaschine ausgerichtet und kann in Sekundenbruchteilen Anfragen von mehreren tausenden Benutzern gleichzeitig bearbeiten. Wassernähe, ein Kraftwerk, das billigen Strom liefert, und eine leistungsfähige Datenleitung sind die drei wichtigsten Standortfaktoren für die Ansiedlung einer „Datenfabrik“. Hier ist eine Anlage mit 200 Dauerarbeitsplätzen entstanden, die indirekt noch etliche hundert Arbeitsplätze generiert.
Sind die Datenfabriken also ein Segen für Regionen, die unter der Abwanderung traditioneller Industrien ins Ausland leiden? Es wäre zu schön. Wie bei jeder Betriebsansiedlung werden auch in der IT-Branche mit dem Arbeitsplatzargument Beihilfen und Subventionen erpresst. Einen wesentlichen Anteil an den Kosten der Rechenzentren trägt also die öffentliche Hand. In Lenoir in den Appalachen hat Google 600 Millionen Dollar in neue Serveranlagen investiert.2 Die Kommunen steuerten etwa 260 Millionen bei, das sind 1,24 Millionen Dollar pro geschaffenem – oder eher: importiertem – Arbeitsplatz.3 Sorgten die Bauarbeiten noch für eine gewisse Belebung des lokalen Einzelhandels und der Hotelbranche und damit für höhere Steuereinnahmen, so erlahmt diese Dynamik neuerdings durch den Abbau überqualifizierter Dauerarbeitsplätze. Zwar erfordert die Wartung der Serveranlagen hoch spezialisierte Kenntnisse, doch diese Arbeit lässt sich auch outsourcen.
Trotz solcher Rückschläge empfängt man die Investoren überall mit offenen Armen. In San Antonio, Texas, hat Microsoft im Januar 2007 den Bau einer Anlage in Angriff genommen (75 Dauerarbeitsplätze, 1 500 Arbeitsplätze beim Bau), die Planungen für vier weitere Rechenzentren sind bereits im Gang.4
Die Industrie des Virtuellen ist unersättlich. Ihr Verbrauch an Wasser und Strom ist so groß, dass man ihn als Betriebsgeheimnis behandelt.5 Allein die Kühlung der Maschinen benötigt ebenso viel Energie wie die eigentlichen Rechenoperationen. Die größten Serverparks haben einen Strombedarf, der dem eines Aluminiumwerks entspricht.6 Um Google zum Bau einer Anlage in Pryor, Oklahoma, zu bewegen, machte der Bundesstaat eigens ein Gesetz, nach dem es Privatunternehmen gestattet ist, für den Bedarf großer Industrieanlagen Strom zu erzeugen.7
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung versucht man im Rahmen des „Green Computing“, wirtschaftlicher und ökologischer zu arbeiten. Wind- und Sonnenenergie sollen verstärkt eingesetzt werden, um für tausende Computer und deren Kühlsysteme Strom bereitzustellen. Auch die Chiphersteller arbeiten an sparsameren Prozessoren, die außerdem weniger Wärme abgeben.
Die Datenverarbeitung im industriellen Maßstab wird auch von geostrategischen Überlegungen geleitet. Die Server sollten möglichst in der Nähe der Nutzer betrieben werden, um so die rechentechnischen Wirbelsäulen (backbones) des Internet zu entlasten. Zugleich wollen die Betreiber durch eine globalisierte Infrastruktur ihre Unabhängigkeit von einzelnen Regierungen wahren.
Google zum Beispiel verhandelt derzeit mit fünf verschiedenen asiatischen Ländern über die Einrichtung und den Betrieb eines neuen Knotens in seinem weltumspannenden Rechnernetz, da die Nutzung des Internets in Asien gerade zu boomen beginnt.8 Google beteiligt sich auch an einem Konsortium namens Unity, das im Juni mit der Verlegung unterseeischer Kabel zwischen Los Angeles und dem japanischen Chikura begonnen hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Malaysia, Taiwan, Südkorea und andere Länder direkt und vor Ort an die Datenzentren des Giganten angeschlossen sind.
Hervé Le Crosnier