12.09.2008

Afrikanische Verschwörungstheorien

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Afrikanische Verschwörungstheorien

Die heftigen Reaktionen der afrikanischen Presse auf den Skandal um L’Arche de Zoé im Tschad hat vielen westlichen Helfern die Sprache verschlagen.

Der französischen Hilfsorganisation wurde versuchte Kindesentführung unter Vorspiegelung humanitärer Motive vorgeworfen. Ihr Verhalten hat dabei die Fehlentwicklungen der tschadischen Gesellschaft und ihres Regimes bloßgelegt, aber auch die Doppelbödigkeit der humanitären Hilfe und des Nord-Süd-Verhältnisses. Die ersten afrikanischen Reaktionen waren reflexhaft nationalistisch und tendenziell xenophob: Da wurde das administrative Versagen der französischen „Helfer“ ebenso angeprangert wie deren Arroganz und neokolonialistische Attitüde. Ein Fernsehkommentator empörte sich: „Selbst wenn man Tiere aus der afrikanischen Savanne für einen Zoo in Frankreich beschaffen will, muss man sich bei den lokalen Behörden um eine Ausfuhrgenehmigung bemühen!“

Nachdem die Mitarbeiter der Hilfsorganisation von Präsident Idriss Déby Itno begnadigt wurden, lautete ein Kommentar auf afrik.com: „Der afrikanische Kindermarkt ist eröffnet: Kommen Sie, greifen Sie zu, kleine Afrikaner zu entführen kostet nichts oder kaum etwas. Das ist die Botschaft, die uns der Präsident des Tschad verkündet.“

Bei dieser „Affäre“ konnte man zudem ermessen, ob sich eine panafrikanische öffentliche Meinung herausbilden kann, auch wenn die Information anfangs über westliche Nachrichtenquellen liefen. So kritisiert der Politologe Serge-Nicolas Nzi in der in Kinshasa erscheinenden Tageszeitung La Conscience die Haltung der höchsten französischen Behörden, die Lügen und die Verweigerung jeglicher Selbstkritik: „Warum so viele Wortbrüche, warum so viel Gekläffe und Geschrei und so viel Gestikulieren, nur um zu verdrängen, was doch auf der Hand liegt? Kann sich Frankreich als große Nation darstellen, wenn es gleichzeitig sämtliche Massaker leugnet, die es anderen Völkern angetan hat?“2

Auch die Diaspora meldete sich zu Wort. Der kongolesische Schriftsteller Bolya Baenga verurteilte von Paris aus den „humanitären Kannibalismus“: „Wenn die Entführung der Kinder, die nicht aus Darfur, sondern aus dem Tschad stammten, gelungen wäre, hätte es sich um den ersten humanitären Putsch in der Geschichte gehandelt.“ Die Behauptung „Alles nur humanitär“ bezeichnete er als „kannibalisch.“3

Der Skandal um L’Arche de Zoé lieferte aber auch den Anlass für das Ausspinnen höchst entlarvender Wahnideen – zusammengefügt aus Thesen über die Sklaverei, biologischen Spekulationen und Verschwörungstheorien –, ganz nach dem Muster der Theorien über den Ursprung von HIV oder die Hintergründe des 11. Septembers. Der bekannte tschadische Oppositionelle Ngarlejy Yorongar veröffentlichte am 8. November 2007 einen offenen Brief an Präsident Nicolas Sarkozy. Darin behauptete er, in Anknüpfung an französische Verschwörungsthesen, die Generalsekretärin von L’Arche de Zoé sei zugleich stellvertretende Leiterin des an die Universität Paris V angeschlossenen Labors Biotech Santé, und dort sitze mit François Sarkozy ein Bruder des Präsidenten im Aufsichtsrat, also könne es bei dem Vorhaben von L’Arche, 10 000 Kinder aus dem Tschad und dem Sudan nach Europa zu holen, nur um geheime biologische Experimente gehen!

In diesem Text attackierte Yorongar den französischen Präsidenten frontal: „Sie verhöhnen die Menschen des Tschad, die in Ihren Augen weniger wert sind als Ihre Hunde, die Sklaven bleiben und weder Respekt noch Würde verdienen, so wie es schon Ihre Vorfahren gehalten haben.“ Und dann unterstellte er, dass die entführten Kinder vor allem für „Pädophilennetzwerke, Organdiebe, Zuhälter und Versuchslabors“ bestimmt waren. Auf afrikanischen Blogs wurden sogar Parallelen zum Völkermord gezogen: In Darfur wolle man ein zweites Ruanda schaffen und einen Exodus auslösen, um sich die Bodenschätze anzueignen.4

Solche glatt paranoiden Reaktionen sind ein Beleg – und Ventil – für die große Frustration, die sich anlässlich der Affäre um L’Arche de Zoé aufgestaut hat. Vor allem wegen des politischen Umgangs mit dem Skandal durch die Behörden des Tschad und Frankreichs, die sich dabei stärker einig waren, als es nach außen den Anschein hatte.M. G.

Fußnoten: 1 Franck Salin, „Le marché africain aux enfants est ouvert“, 31. März 2008, www.afrik.com/article 13992.html. 2 Serge-Nicolas Nzi, „La France, le mensonge d’Etat et l’anti-repentance“, 26. Dezember 2007, www.la conscience.com/article.php?id_article=6861. 3 Bolya Baenga, „Pour en finir avec le cannibalisme humanitaire“, 2. Februar 2008, www.afrik.com/arti cle13500.html. 4 „Un enlèvement chirurgical: Zoé livre les secrets du Darfour“, 28. Oktober 2007, Blog von Mboa, 11. November 2007, mboangila.afrikblog.com/archives/ 2007/10/28/6695727.html.

Le Monde diplomatique vom 12.09.2008, von M. G.