Stille Offensive
KAUM bemerkt von der Weltöffentlichkeit interessieren sich die Vereinigten Staaten seit einiger Zeit auch in Afrika für das Schwarze Gold. Im Atlantik vor der afrikanischen Westküste, vor allem im Golf von Guinea, lagern Reichtümer unter dem Meeresboden, die einen erheblichen Teil des weltweiten Bedarfs decken können – und das zu Preisen, die nicht vor der Opec kontrolliert werden. Der Kleinstaat Äquatorial-Guinea wird von den Energiemultis bereits als „afrikanisches Kuwait“ gehandelt. Es ist also kein Wunder, dass die Öllobby beginnt, sich für einen Schuldenerlass und andere Vergünstigungen für afrikanische Staaten einzusetzen. Und auch das Pentagon denkt darüber nach, wie die neue strategische Region militärisch abzusichern wäre. Ihre Experten haben bereits die Inseln São Tomé und Principé als mögliche US-Stützpunkte inspiziert.
Von JEAN-CHRISTOPHE SERVANT *
Während die Vereinigten Staaten ihre Waffen für den Irakkrieg auf Hochglanz bringen, hat die Schlacht bereits einige tausend Kilometer vom Golf entfernt begonnen. Dabei handelt es sich um keine militärische Operation, aber um eine von beträchtlicher strategischer Tragweite. Die „stille Offensive“, so die nigerianische Tageszeitung The Vanguard1 , „will zum einen vermeiden, die nahöstlichen Verbündeten zu brüskieren, zum anderen soll sie dem Eindruck vorbeugen, Amerika interessiere sich in Afrika nur für die Ressourcen“2 , sprich für das subsaharische Erdöl. Walter Kansteiner, Staatssekretär für Afrikafragen im US-Außenministerium, hat bereits erklärt, das Öl des Schwarzen Kontinents sei „für die Vereinigten Staaten von strategischem Interesse“3 . Ähnlich äußert sich der republikanische Senator Ed Royce aus Kalifornien, Vorsitzender der Afrika-Arbeitsgruppe im außenpolitischen Ausschuss des US-Repräsentatenhauses: „Nach dem 11. September sollten die USA das afrikanische Erdöl als äußerst wichtigen Faktor in der Frage der nationalen Sicherheit betrachten.“4
Ob der Kongress und das Weiße Haus diese Strategie zur offiziellen Politik erklären werden, bleibt abzuwarten. Doch in diese Richtung weisen immerhin einige diskrete, aber bezeichnende Vorstöße in den Produzentenländern: etwa die Friedensgespräche im Sudan Anfang 2002 oder der an Nigeria gerichtete Appell, aus der Opec auszutreten.
Darüber hinaus unternahm Colin Powell im vorigen Jahr als erster US-Außenminister einen Staatsbesuch in Gabun, während Präsident George W. Bush zehn Staatschef aus Zentralafrika am 13. September 2002 zu einem Arbeitsfrühstück ins Weiße Haus bat. Schließlich bereiste General Carlton Fulford vom Oberkommando der US-Streitkräfte in Europa im Juli 2002 die im Golf von Guinea gelegenen Inseln São Tomé und Príncipe, um die Sicherheit der Erdöloperationen zu erörtern.
Das wieder erwachte Interesse an Afrika – ein Kontinent, den Bush noch als Präsidentschaftskandidat von der nationalen Prioritätenliste gestrichen hatte – erklärt sich aus den verlockenden Perspektiven, die neueste Prognosen eröffnen. Die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) schätzt die Erdölreserven des Kontinents mit 80 Milliarden Barrel auf 8 Prozent der Welterdölvorkommen5 , und das „National Intelligence Council“ geht davon aus, dass die USA den Anteil subsaharischen Erdöls am US-Gesamtverbrauch von derzeit 16 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2015 steigern könnten.
Schon heute fördert Schwarzafrika mit täglich 4 Millionen Barrel genauso viel wie der Iran, Venezuela und Mexiko zusammen. Innerhalb der letzten zehn Jahre stieg die afrikanische Erdölproduktion um 36 Prozent an, während der Zuwachs auf den anderen Kontinenten bei nur 16 Prozent lag. Der Sudan, der erst seit drei Jahren Erdöl ausführt, fördert heute 186 000 Barrel pro Tag. Der führende afrikanische Ölexporteur Nigeria dürfte seine Tagesproduktion von derzeit 2,2 Millionen Barrel auf 3 Millionen Barrel im Jahr 2007 und 4,42 Millionen Barrel im Jahr 2020 steigern.
Das zweitwichtigste afrikanische Förderland Angola, wo im Frühjahr 2002 ein 15-jähriger Bürgerkrieg zu Ende ging, wird seine Tagesproduktion bis dahin auf 3,28 Millionen Barrel verdoppeln. Und Äquatorial-Guinea, das in seiner Schelfzone weltweit – nach Angola – die meisten Explorationsbohrungen genehmigt hat, könnte mit einer Tagesfördermenge von 740 000 Barrel bis 2020 zum drittgrößten afrikanischen Erdölförderland noch vor dem Kongo und Gabun aufrücken.
Diese afrikanischen Erdölvorkommen sind nicht nur quantitativ viel versprechend, sie haben auch einige politische Vorzüge zu bieten. Zum einen ist außer Nigeria keins der Förderländer Mitglied der Opec, die Amerika ohnehin durch den Ausschluss gewisser Schwellenländer langfristig zu schwächen versucht.6 Zum anderen handelt es sich, wie der Afrikaberater des US-Außenministeriums, Robert Murphy, unterstreicht, überwiegend um „Offshore-Vorkommen, die vor eventuellen politischen und sozialen Unruhen geschützt sind. Politische Spannungen oder andere Streitigkeiten in den Erdöl produzierenden Ländern Afrikas werden sich wohl kaum regional ausweiten oder eine ideologische Wendung nehmen, die zu einem Embargo führen könnte.“
Mittelfristig dürfte sich der Golf von Guinea, mit seinen Erdölvorkommen von 24 Milliarden Barrel, zur weltweit bedeutendsten Tiefseeförderregion entwickeln. Zudem liegen die afrikanischen Vorkommen direkt gegenüber der amerikanischen Ostküste – mit Ausnahme der sudanesischen Vorkommen, deren Öl jedoch künftig durch eine über Tschad nach Kamerun führende Pipeline mit einer Tageskapazität von 250 000 Barrel nach Westafrika gepumpt werden soll.
US-Ölgesellschaften wie die beiden Giganten Exxon-Mobil und Chevron-Texaco, aber auch kleinere Firmen wie Amerada Hess, Marathon und Ocean Energy wollten 2002 insgesamt 10 Milliarden Dollar in Afrika investieren. Sie hatten den ölreichen Kontinent schon lange vor dem 11. September 2001 auf ihrer geopolitischen Prioritätenliste. Schon im März 2000 hatten sie bei einer Anhörung der Afrika-Arbeitsgruppe im US-Repräsentantenhaus, in der es um das Energiepotenzial Afrikas ging, ihr Interesse bekundet. Bei diesem Hearing tat sich vor allem das „Institute for Advanced Strategic and Political Studies“ (IASPS)7 hervor. Der 1984 in Jerusalem gegründete Think-Tank steht den amerikanischen Neokonservativen und dem Likud nahe, der sich schon immer dafür einsetzte, dass die USA ihre Abhängigkeit vom saudischen Öl abbauen.
Neue Prioritäten seit dem 11. September
DER Wahlsieg von George W. Bush war auch ein Sieg der texanischen Ölgesellschaften, entsprechend finden seit dem 11. September die Vorstellungen des IASPS bei den energiepolitischen Beratern der US-Administration und den Falken im Weißen Haus immer mehr Gehör. Am 25. Januar 2002 veranstaltete das Institut eine Tagung, an der neben Walter Kansteiner mehrere Mitglieder der Bush-Administration teilnahmen, darunter der Afrikaspezialist Barry Schutz und Air-Force-Oberstleutnant Karen Kwiatkowski, die dem Pentagon zugeordnet ist, außerdem etliche Kongressmitglieder, internationale Energieberater, Spitzenmanager der Erdölindustrie und Vertreter von Investmentgesellschaften teilnahmen. Ergebnis dieser Tagung war die „African Oil Policy Initiative Group“ (Aopig), die als Schaltstelle zwischen Privatwirtschaft und US-Administration fungiert, sowie ein Weißbuch mit dem Titel „African Oil, a Priority for US National Security and African Development“8 .
Die darin formulierte Botschaft der Ölindustrie an die Bush-Administration lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „If you lead, we‘ll follow.“ Seitdem ist die amerikanische Energiepolitik ersichtlich für den Einfluss dieser Lobby anfällig. Die von Vizepräsident Cheney im Mai 2002 verkündete nationale Energiepolitik trägt deutlich ihre Handschrift: „Das afrikanische Öl mit seiner hohen Qualität und seinem geringen Schwefelgehalt stellt für die Raffinerien der Ostküste einen wachsenden Markt dar.“ Die Aopig engagierte sich Mitte Juli 2001 in Nigeria bei politischen und sozialen Unruhen im Norden des Landes mit einer Vermittlungsmission, die von dem „Ölguru“ Michael Wihbey9 geleitet wurde. Offiziell ging es dabei um die Gründung einer Kommission für den Golf von Guinea, an der alle Erdöl produzierenden Länder der Region teilnehmen sollen. Inoffiziell sei auch Nigerias Austritt aus der Opec erörtert worden – ein Gerücht, das die Regierung in Abuja aber dementierte.
Zur „Vermeidung der Fehler, die in der Golfregion begangen wurden“, empfiehlt das Aopig-Weißbuch, bei der Deklaration der Erdöleinkünfte auf mehr Transparenz zu achten und die bestehenden Zollerleichterungen für Afrika auszubauen. Auch wird vorgeschlagen, die USA sollten sich für einen vorsichtigen und begrenzten Schuldenerlass einsetzen. Bis solche Absichten „eines Tages in US-amerikanische Politik umgesetzt werden“,10 bleibt allerdings noch einiges zu tun.
Bislang jedenfalls stehen Erdöl und good governance im Widerspruch. So erinnert die „Vereinigung der Bischofskonferenzen der Region Zentralafrika“ (Acerac) in einer Denkschrift vom Juli 2002 an die „Komplizenschaft zwischen Erdölgesellschaften und Politikern in der Region“ sowie an die Tatsache, dass ein Teil der „Erdöleinkünfte für den Machterhalt der bestehenden Regime“ eingesetzt wird.11 In Angola, wo die Ölgesellschaft Chevron 75 Prozent der Erdölförderung kontrolliert, sollen die futunogo (wie man dort die regierungsnahe Compradoren-Clique nennt) nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Jahr 2001 über 30 Prozent der Ölprofite in die eigene Tasche gesteckt haben. Doch am deutlichsten zeigt sich die Art, wie die USA ihre Ölinteressen neu gewichten, in einem der kleinsten Förderländer der Region, in Äquatorial-Guinea. In diesem „afrikanischen Kuwait“, stieg das Bruttoinlandsprodukt 2001 um 70 Prozent; die bekannten Erdölvorkommen werden auf 2 Milliarden Barrel geschätzt. Hier wollen die USA das in der Clinton-Ära wegrationalisierte Konsulat in Malabo wieder eröffnen. Auch soll Äquatorial-Guinea von der schwarzen Liste gestrichen werden, auf der 14 afrikanischen Länder wegen Missachtung der Menschenrechte stehen.
Festzuhalten bleibt, dass das Land, das laut CIA-Jahresbericht „von gesetzlosen Führern geleitet wird, die die Volkswirtschaft plündern“, in den USA einen Botschafter unterhält (den Schwager von Präsident Teodoro Obiang), der ebenfalls an besagter IASPS-Tagung teilgenommen hat. Festzuhalten bleibt auch, dass zwei Drittel der Förderkonzessionen des Landes an US-Interessenten gingen, die mit der Bush-Administration12 eng verbandelt sind.
William McCormick etwa, Chef der Ölgesellschaft CMS Energy, hat zu den Feierlichkeiten anlässlich der Amtseinführung von George W. Bush 100 000 Dollar beigesteuert. Die ebenfalls im Golf von Guinea aktive Ölfirma Ocean Energy hält sich in Malabo den Berater Chester Norris, der unter Bush sen. als Botschafter der Vereinigten Staaten im Land weilte. Um das Bild der idealen Bananenrepublik komplett zu machen, sollen die Offshore-Vorkommen Äquatorial-Guineas demnächst von Grenzschützern überwacht werden, die von der Firma „Military Professional Ressources Inc“ ausgebildet sind. Das private Sicherheitsunternehmen unter der Leitung hochrangiger ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter ist auch in Kolumbien als Subunternehmen tätig. Aus der Botschaft Äquatorial-Guineas in Washington verlautet denn auch: „In unserem Land sind es die Ölgesellschaften, die das amerikanische Außenministerium informieren.“
Man sieht: Die für das kommende Frühjahr geplante Rundreise von George W. Bush durch Afrika und vor allem sein Staatsbesuch in Nigeria könnten sich in mehr als einer Hinsicht als historisch bedeutungsvoll erweisen.
dt. Bodo Schulze
* Journalist