Frankreich und die Krise in der Elfenbeinküste
Von YVES EKOUÉ AMAÏZO *
AN der Spitze der afrikanischen Staaten stehen vielfach Politiker, deren Legitimität ebenso zweifelhaft wie ungesichert ist. Laurent Gbagbo, der langjährige Regimegegner und derzeitige Staatspräsident der Elfenbeinküste, bildet keine Ausnahme. Die Rechtmäßigkeit seines Mandats war von Anfang an mit Fragezeichen versehen, hatte er doch das Präsidentenamt namentlich in Wahlen gewonnen, bei denen einige Kandidaten wegen fehlender „Volkszugehörigkeit“ (Ivoirité) ausgeschlossen waren.l Doch abgesehen von diesen Unregelmäßigkeiten wurzelt die Krise in der Elfenbeinküste eher in einer Wirtschaftspolitik, die offenkundig nur einem Teil der Bevölkerung zugute kommt und die das innenpolitische Gleichgewicht und den sozialen Zusammenhalt des Landes nachhaltig gefährdet.
Die ökonomische Entwicklungsrichtung, die das westafrikanische Land eingeschlagen hat, macht deutlich, wie sehr es vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank abhängig ist, und natürlich von Frankreich, denn die ehemalige Kolonialmacht verfolgt in der Elfenbeinküste nach wie vor starke Interessen. Zwischen 1970 und 2001 sind die Weltmarktpreise der wichtigsten Rohstoffe drastisch abgestürzt. Nach Angaben der Weltbank sank der Kakaopreis von 2,40 Euro je Kilogramm im Jahr 1970 auf 1,11 Euro im Jahr 2001. Im gleichen Zeitraum fiel der Preis für Kaffee der Sorte Arabica von 4,09 Euro auf 1,42 Euro, für Kaffee der Sorte Robusta von 3,30 Euro auf 63 Cents und für Baumwolle von 2,25 Euro auf 1,09 Cents. Nur der Erdölpreis stieg von 4,08 Euro auf 23,90 Euro je Barrel.2
Bis 1999 konnte das von Félix Houphouët-Boigny eingeführte System der garantierten Preise den sozialen Zusammenhalt und das Wirtschaftswachstum des Landes absichern. Doch dann setzte der IWF das Prinzip durch, dass diese Rohstoffe nur noch gegen Barzahlung verkauft werden. Das bedeutete die Abschaffung des bewährten Terminverkaufs. Auf diesem System basierte wiederum der Ausgleichsfonds zur Stabilisierung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, der im August 1999 abgewickelt werden musste.3
Dieser entscheidende strukturelle Wandel hatte zwei Konsequenzen: Die Einkünfte der Bauern fielen auf die Hälfte, und die Erzeugung von Kakao, Kaffee, Baumwolle, Karité und Kautschuk – die wirtschaftlichen Lebensadern des Landes – gerieten unter die Kontrolle von Exportmultis wie der Groupe Bolloré, Cargill, Archer Daniels Midland (ADM), Delmas Vieljeux (Socopao), Amjaro und Aig Fund. Wie in vielen anderen Regionen stellten die Bretton-Woods-Institutionen auch in der Elfenbeinküste sicher, dass die staatlichen Monopole durch private abgelöst wurden, für die soziale Verantwortung an allerletzter Stelle steht.
Die Kleinproduzenten unterliegen nicht nur dem Preisdiktat der Konzerne, sondern werden auch auf anderen Ebenen geschröpft. So wird die Warenzirkulation vielfach von Sicherheitskräften kontrolliert, die den staatlichen Stellen nahe stehen, die wiederum enge Kontakte zu den Importfirmen unterhalten. Das führt zu Mehrkosten von bis zu 30 Prozent, die unter dem Titel „Trinkgeld“ laufen. Diese Art von Schutzgelderpressung läuft auf eine „bürgernahe Korruption“ hinaus, die vor allem die kleinen Händler trifft. Der exportorientierte Großhandel mit seinen Verbindungen zum Staatsapparat und zu den multinationalen Konzernen bleibt von diesen Belastungen meist verschont.
Überhaupt haben die postkolonialen Multis sich das Ziel gesetzt, ihre Kontrolle auf den gesamten Produktions- und Handelssektor der Entwicklungsländer auszuweiten. Zum Beispiel haben sie es innerhalb kurzer Zeit geschafft, mittels der guten Dienste – oder der Ignoranz – der lokalen Behörden gewisse „Einflusskapazitäten“4 aufzubauen. Dabei handelt es sich um Seilschaften mit führenden politischen Persönlichkeiten in Afrika, aber auch in den westlichen Ländern, in denen die Multis ihren Unternehmenssitz haben. Die wichtigsten Mittel sind dabei Gelder zur Wahlkampffinanzierung und ähnliche Dienstleistungen, für die man sich Einfluss auf Entscheidungen an höchster Stelle kaufen kann.5 Diesem Korruptionssystem kommt die Regierungsmannschaft von Laurent Gbagbo nun dadurch in die Quere, dass sie die exorbitanten Gewinnmargen der multinationalen Konzerne durch internationale Ausschreibungen unterläuft.
So fragt man sich in Abidjan, weshalb man die Interessen der französischen Unternehmensgruppe Bouygues bedienen soll, wenn China die geplante dritte Brücke in der Hauptstadt für ein Drittel des Preises bauen würde und bereit wäre, einen Teil davon in Naturalien (Kaffee und Kakao) begleichen zu lassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Flughafen von San Pedro, wo das öffentliche Ausschreibungsverfahren, an den eingespielten Beziehungen von Bouygues vorbei, südafrikanische Unternehmen begünstigt. Hinzu kommt, dass die Verträge zwischen Bouygues und der ivorischen Elektrizitätsgesellschaft sowie zwischen France Télécom und Côte d‘Ivoire Télécom 2004 auslaufen.6
Die fehlende Transparenz der Märkte heizt die Gerüchteküche an. Den britischen Handelsgesellschaften Amajaro und Aig Fund – die zwar von London aus agieren, ihren Unternehmenssitz jedoch auf die britischen Jungferninseln verlegt haben – wird in der ivorischen Presse vorgeworfen, sie würden absichtlich die Versorgung Großbritanniens mit ivorischem Kakao destabilisieren, um ihre Gewinne hochzutreiben, und zwar bis auf das Fünfzehnfache ihrer Investitionssumme.7 Nun mag die Presse in Krisenzeiten zu Übertreibungen neigen, doch sind es die fehlende Transparenz und die soziale Verantwortungslosigkeit der Großunternehmen, die bestimmte Anschuldigungen erst möglich machen – also etwa die Behauptung, die „Aufständischen“ im Norden und Westen des Landes würden ganz oder teilweise von den Multis finanziert.8
Die Verteidigung französischer Interessen bemisst sich an der Bedeutung, die einige französische Multis ihrem Wunsch nach Kontrolle des produktiven Apparats und der öffentlichen Versorgungsbetriebe (Strom, Telekommunikation, Straßenbau)9 in der Elfenbeinküste beimessen. Dabei bekommt die örtliche Bevölkerung nicht einen Zipfel des erwirtschafteten Reichtums zu fassen, und von den Früchten des Wachstums darf sie nicht mal naschen. Doch trifft dieser Vorwurf nur einige Großkonzerne, viele französische Klein- und Mittelbetriebe arbeiten schon länger in bestem Einvernehmen mit der einheimischen Bevölkerung zusammen.
Zu den Big Players gehören Konzerne wie Bolloré, Bouygues, Barry-Caillebault und ADM, aber auch öffentlich-private Unternehmen wie Sitrarail und France Télécom. Letztere laufen nun Gefahr, „alles“ an die Amerikaner und Kanadier zu verlieren, die häufig attraktivere Angebote vorlegen. Davon abgesehen gibt es zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand keine klare Scheidelinie, so dass sich die militärische Intervention Frankreichs zumindest teilweise aus den Verflechtungen zwischen dem französischen Staat und „seinen“ Multis erklärt. Daneben gibt es aber auch Firmen wie Mérieux, die es verstanden haben, ihre wirtschaftlichen Interessen mit der Förderung des ivorischen Gesundheitswesens zu vereinbaren. Insgesamt kann also keine Rede davon sein, dass sich Frankreich aus Afrika zurückzieht, wie hier und da behauptet wird.10 Allerdings tritt die Privatwirtschaft mit der Zeit an die Stelle des staatlichen Sektors, der jedoch als Rückversicherung für die privaten Interessen im Spiel bleibt.
In der Elfenbeinküste stehen die Chancen, die Zukunft des Landes mit natürlichen Ressourcen zu bestreiten, aus denen keine Schulden entstehen, gegenwärtig gleich null.11 Die Kalamität besteht darin, dass in der herrschenden Form des Kapitalismus gesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen nicht vorgesehen ist und dass alle externen Kosten dem Staatshaushalt – also dem Steuerzahler – aufgebürdet werden. Dass das Interesse der internationalen Unternehmen an dem Land schwinden könnte, ist nicht anzunehmen: Rund dreißig Kilometer von Abidjan entfernt wurden bei Jacqueville Erdölvorkommen von der Dimension der angolanischen Ölfelder entdeckt.
Keine Transparenz bei der Militärhilfe
DIE Prinzipien von Wettbewerb und Transparenz, die der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gerne stärken möchten, finden ihre Grenze am Einfluss – und zuweilen am Störpotenzial – gewisser privater Finanzoligarchien, die die Regierungen der nördlichen wie der südlichen Hemisphäre, wenn es sein muss, auch in den Schwitzkasten nehmen. So werden mit dem Geld der westlichen Steuerzahler bestimmte Militäraktionen finanziert, um in krisengeschüttelten Ländern der Dritten Welt Ruhe und Ordnung wieder herzustellen oder um die afrikanischen Staatsführer unter Druck zu setzen, die sich der „Jasager-Diplomatie“ verweigern.
Derzeit benötigen die Staatschefs der „Kontaktgruppe“12 rund 66 Millionen Dollar, um 2 000 Soldaten für sechs Monate an die Front zu schicken. Über 75 Prozent der Kosten für die Friedenstruppe, deren Aufstellung auf dem Gipfeltreffen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) am 18. Dezember in Dakar beschlossen wurde, soll die Europäische Union übernehmen. Wie aus Paris verlautet, will Frankreich einen Teil seines Beitrags aus den 180 Millionen Euro bestreiten, die eigentlich als Entwicklungshilfe für die Elfenbeinküste vorgesehen sind.
Diese Gelder werden natürlich für Entwicklungsaufgaben fehlen, wenn wieder Frieden herrscht. Dabei ist es kein Geheimnis, dass der Transport der Ecowas-Truppen von der International Charter Incorporated of Oregon übernommen werden soll, einer privaten US-Fluggesellschaft, die wiederholt mit der US-Regierung zusammengearbeitet hat und auch schon in Sierra Leone einschlägige Erfahrungen sammeln konnte.
Angesichts zu großer Bedürfnisse und fehlender Ressourcen wird keine afrikanische Regierung, die nicht die Verträge mit den multinationalen Konzernen revidiert, den Interessen der Bevölkerung gerecht werden können. Die Wurzel des Übels und der tiefere Grund für die Krise in der Elfenbeinküste ist darin zu sehen, dass ethische Forderungen gar nicht mehr zum Zuge kommen, weder im Hinblick auf legale Wahlen noch als Maxime für sozial verantwortliches unternehmerisches Handeln. Die Aufständischen hatten bei ihren Sezessionsbestrebungen, die zunächst den Forderungen nach Lebensmittelhilfe entsprangen, nichts anderes im Sinn, als ihre Posten im Staatsapparat zu behaupten, die im Zuge des von den multilateralen Organisationen verordneten Personalabbaus gefährdet waren. Dann versicherten sie sich der Hilfe ausländischer Berater – Waffenexperten, Verfassungsrechtler und diplomatische Berater – und fordern nun den Rücktritt eines Präsidenten, dessen Legitimität auch nicht umstrittener ist als die etlicher anderer Staatschefs in Afrika.
Die Rede von good governance gehört zu dem in solchen Situationen üblichen double talk und dient lediglich als Alibi, um die Eroberung oder Rückeroberung – im Grunde die Rekolonialisierung – des Staatsapparats zu rechtfertigen und den verlorenen Einfluss wiederzugewinnen. Die Berufung auf Freiheit, Demokratie und Sicherheit reicht anscheinend aus, um jeden Protest gegen „Kollateralschäden“ – Folgen der mit wirtschaftlicher Abhängigkeit einhergehenden Gewalt – zum Schweigen zu bringen. Langfristig wird so die Basis staatlicher Souveränität in Frage gestellt und damit zugleich die Legitimität der Staatsführung untergraben.
Die Staaten Afrikas sind nicht Privateigentum ausländischer Interessenten. Notwendig ist, Fehlentwicklungen zu erkennen und mit ethischen Argumenten zu bekämpfen. Die bisherigen Strukturen führen zur Entmachtung der afrikanischen Eliten, zum Verrat an einer Bevölkerung ohne Macht und Stimme.
Wirklicher politischer Wandel in Afrika ist nur möglich auf der Grundlage eines neuen demokratischen Pakts und einer neuen Definition politischer Legitimität.13
dt. Bodo Schulze
* Ökonom bei der UN-Organisation für industrielle Entwicklung. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.