17.01.2003

Ölmultis im Ansturm auf Ecuador

zurück

Ölmultis im Ansturm auf Ecuador

AUF der Erdölförderung beruht die Wirtschaft Ecuadors. Das bessere Leichtöl gehört bis anhin dem Staat, das Schweröl fördern multinationale Ölkonzerne. In diesem Jahr soll eine neue, 500 Kilometer lange Pipeline für Schweröl in Betrieb genommen werden – doch vieles deutet darauf hin, dass diese Pipeline das Vorspiel für die Privatisierung der Leichtölvorkommen ist. Der Bau der Pipeline stößt in den Anrainerdörfern derweil auf heftigen Widerstand von Umweltschützern und der lokalen Bevölkerung. Ecuadors Hoffnungen ruhen auf dem neuen Präsidenten Lucio Gutiérrez. Doch Euphorie löste die Wahl von Gutiérrez nicht aus: Zu desolat ist die Wirtschaftslage, zu mächtig sind die traditionellen Kasten und die Clans der Großgrundbesitzer.

Von FRANÇOISE BARTHÉLEMY *

Ölpumpen, gigantische Flammen von abgefackeltem Gas in der Luft, schwarz verfärbte Röhren entlang den Wegen, riesige Wasserbecken, in denen die giftigen Abfälle des Rohöls verrotten: So sieht die Landschaft aus, in der die überwiegend arme Bevölkerung der Amazonasprovinz Sucumbíos im Nordwesten Ecuadors lebt. Aus Amazonien kommen 96,6 Prozent der Rohölproduktion des Landes. Sucumbíos hat von diesem Reichtum nichts abbekommen. Es ist durch die Präsenz der Erdölgesellschaften und ihres Personals eine der ärmsten und gleichzeitig der teuersten Provinzen des Landes. Zahlreiche ländliche Gemeinden und Siedlungen von Ureinwohnern haben weder fließendes Wasser noch Strom.

Außer der Straße nach Quito gibt es nur Staubwege mit schwärzlichen Ablagerungen, die aus den unzähligen derrames, den Lecks in der Pipeline, stammen. Luft, Erde und Bäche sind verschmutzt. Krankheiten sind die Folge (vor allem Krebs). Für jede Schürfung wurden bis zu tausend Kilometer trochas (Wege) durch den Urwald geschlagen und zigtausend Hektar abgeholzt. Im regendurchtränkten Morast wurden die Rückstände der bei den Bohrungen verwendeten chemischen Produkte ohne Rücksicht auf Mensch und Natur aufgeschüttet.

Die Hauptstadt Quito liegt davon weit entfernt. Im Geschäftsviertel stehen die Wolkenkratzer der Bank La Previsora. Einer der Türme beherbergt die Büros der sehr umstrittenen Pipeline für schweres Rohöl (OCP), die ab Juni 2003 funktionieren soll. „Eine Pipeline zu bauen ist kein harmloses Unternehmen“, räumt der Präsident der OCP, der Kanadier Andy Patterson, ein. „Das Wichtigste ist, die Umweltschäden so gering wie möglich zu halten. Deshalb setzen wir die sicherste und modernste Technologie ein. Da wird wirklich gute und schöne Arbeit geleistet.“ Am selben Strang zieht María de Los Angeles Mantilla, bei der OCP Ecuador S. A. zuständig für Regierungsangelegenheiten und Öffentlichkeitsarbeit: „Hut ab vor den hohen Anforderungen, die die Techniker erfüllen“, sagt sie. „Anfangs wurden für die Hilfeleistungen entlang der Piste 7 Millionen Dollar veranschlagt. Heute sind wir bei 18 Millionen. Wir haben auch einen wirklich wunderbaren Wiederaufforstungsplan. Während wir einen Weg schlagen, um die Röhren unter den Boden zu verlegen, transportieren wir die Pflanzen in eine Baumschule, bis sie wieder eingepflanzt werden können. Was will man mehr verlangen?“

Obwohl die Produktion des Landes (340 000 Barrel pro Tag) auf dem Weltmarkt nur eine marginale Rolle spielt, war Erdöl in den letzten dreißig Jahren eine seiner Haupteinnahmequellen. Nachdem das Erdölgeschäft anfangs in den Händen von privaten Gesellschaften wie Gulf oder Texaco lag, kommt es zwischen 1972 und 1976 durch ein öffentliches Unternehmen, das sich später Petroecuador nennt, unter staatliche Kontrolle. In Esmeraldas wird die erste Raffinerie errichtet und das transecuadorianische Pipeline-System Sote gebaut, das von den Ölfeldern im Osten zur Pazifikküste führt: 503 Kilometer Rohrleitungen, durch die kommerziell hochwertiges leichtes Rohöl (29 bis 30 Grad API) fließt. Diese auf autonome Entwicklung der Nation bedachte Politik ändert sich mit der Präsidentschaft des christlich-sozialen León Febres Cordero (1984–1988), der ausländischem Kapital über Dienstleistungsverträge die Tür öffnet.

Zwischen 1986 und 1987 beginnen die ausländischen Gesellschaften in den jeweils etwa 200 000 Hektar großen „Schollen“ zu bohren, die die Regierung ihnen im Amazonasbecken zugewiesen hat. Sie entdecken die ersten Vorkommen an schwerem Rohöl (15 API), dessen Handelswert weit unter dem für leichtes Rohöl liegt. „Aber es gibt nur eine einzige Pipeline, die Sote, durch die nun das leichte Erdöl der Petroecuador und das schwere Erdöl der Gesellschaften vermischt fließen“, erklärt Teresa Herrera, Fachjournalistin der Tageszeitung Hoy. „Durch diese Vermischung verliert Ecuador viel Geld auf dem Weltmarkt. Die Gesellschaften wiederum, denen nun 80 Prozent ihrer Produktion gehört, möchten mehr Rohöl fördern und ihre Gewinne steigern. Unter ihrem Druck entstand vor über zehn Jahren das Projekt einer neuen Pipeline, das von Anfang an sehr umstritten war.“

Ab 1990 nehmen die Proteste der Ureinwohner gegen die neoliberale Politik der unfähigen und korrupten Regierenden zu, die sich über die wachsende Armut von fast 70 Prozent der 12,5 Millionen Einwohner hinwegsetzen. Nach dem Sturz des Präsidenten Jamil Mahuad am 21. Januar 2000 hat die Regierung von Gustavo Noboa nur einen Gedanken im Kopf: die neue Pipeline im Eiltempo zu bauen.

Jeder Protest, egal, ob von Firmenchefs, Gewerkschaften, sozialen und politischen Bewegungen oder von Menschenrechtsorganisationen, wird abgeschmettert. Am 15. Februar 2001 unterzeichnet das Konsortium OCP limited, in dem die bereits – überwiegend im Amazonasbecken – tätigen Gesellschaften zusammengeschlossen sind, mit dem Staat Ecuador einen Vertrag, der sie zum Bau der Pipeline ermächtigt. Auf weiten Strecken parallel zur Sote verlaufend, soll sie zwanzig Jahre lang in Händen der Gesellschaften verbleiben.1 Durch die Rohrleitungen sollen täglich etwa 400 000 Barrel Rohöl fließen, was die Produktion des Landes verdoppelt. Denn den Multinationalen zufolge gibt es beträchtliche nachgewiesene Vorkommen. „Dank der OCP werden mindestens 50 000 Arbeitsplätze geschaffen“, verkündet Minister Pablo Terán. Diese Hoffnung erweist sich bald als trügerisch, denn bis jetzt gibt es nur 9 000 Arbeitsplätze, die außerdem auch noch zeitlich begrenzt und nicht qualifiziert sind.

„Eine neue Pipeline zu bauen heißt, ein Entwicklungsmodell weiter zu verfolgen, das auf die intensive Ausbeutung der natürlichen Reserven ausgerichtet ist“, entrüstet sich Natalia Arias von der einflussreichen Gruppe Acción ecológica (AC). „Wir kämpfen für eine langsamere Erdölgewinnung. Je weiter der Bau der Pipeline voranschreitet, übrigens mit Verzögerungen wegen des Widerstands, auf den er stößt, desto mehr Leute verstehen unsere Kritik und bedenken globale Probleme wie die Klimaveränderung, Urwaldrodung, die Umweltverschmutzung usw.“

Seit März 2001 führt AC eine aktive Kampagne gegen die OCP, die des mehrfachen Verstoßes gegen die Verfassung angeklagt wird: keine Anhörung der betroffenen Bevölkerung, keine Untersuchung über entstehende Umweltschäden vor Unterzeichnung des Vertrages usw.2

Widerstand in Lago Agrio

DIE Wut wächst, die Mobilisierung findet auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene statt. Obwohl die Ökologen Robert Goodland, einen Experten der Weltbank, zu Hilfe gerufen haben, um zu beweisen, dass die OCP gegen die wesentlichen ökologischen und sozialen Normen dieser Institution verstößt, haben sie verloren. Am 30. September 2002 erhielt die Westdeutsche Landesbank – jene öffentliche deutsche Bank, die den Großteil der Finanzierung übernimmt (900 Millionen von insgesamt 1 300 Millionen Dollar3 ) – vom nordrhein-westfälischen Landesparlament grünes Licht für die Weiterfinanzierung des Projektes. Diese Gelder fließen in die Suche nach weiteren Ölvorkommen auf einer Urwaldfläche von 2,4 Millionen Hektar. Dort liegen die angestammten Gebiete zahlreicher Gemeinden von Ureinwohnern: Shuar, Ashuar, Huaroni, Guechua, Shiwiar und Zapara. Und „geschützte“ Reservate: Yasuni, Cuyabe, Limoncocha …

Lago Agrio, das 35 000 Einwohner zählt, ist die rasch wachsende, als gefährlich geltende Hauptstadt von Sucumbíos. Seit Mitte 2001 protestiert die Bevölkerung mit Demonstrationen gegen die Errichtung des „Terminal Amazonas“, dem innerhalb des Stadtgebietes vorgesehenen Ausgangspunkt der OCP. Mit riesigen Tanks, Pumpstationen und Heizanlagen, in denen das Rohöl bis auf 80 Grad erhitzt werden soll, bringt das Bauwerk erhebliche Verseuchungsgefahr mit sich.

Am 7. August 2001 blockiert der Bürgermeister von Lago Agrio, Máximo Abad, mit Unterstützung einer großen Menge von Unzufriedenen die zum Aufbau der Amazonas-Station bestimmten Maschinen. Angesichts dieser entschlossenen Haltung wenden sich die Verantwortlichen des Konsortiums an jene Mitglieder der Stadtverwaltung, die sie (mit Hilfe von Schmiergeldern? – genau wird man es nie erfahren) für beeinflussbar ansehen. Fünf der sieben Stadträte lassen sich umstimmen. Mit Unterstützung der Regierung Noboa unterzeichnen sie in Quito einen Vertrag mit der OCP. Das Gesetz sieht vor, dass einzig und allein der Bürgermeister als Vertreter der Stadt das Recht hat, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen.

Im Februar 2002 beginnen die Einwohner von Lago Agrio und verschiedener anderer Gemeinden einen Streik und besetzen den Terminal Amazonas, von wo sie die Arbeiter der OCP vertreiben. Die beiden Provinzen Sucumbíos und Orellana (über 180 000 Einwohner) sind lahm gelegt. Dutzende Ölschächte werden besetzt. Nach dreißigtägigem Kampf und militärischer und polizeilicher Unterdrückung, die vier Tote und über dreihundert Verletzte fordert, geht die Regierung auf die dringendsten Forderungen ein: Straßennetz, Stromversorgung, soziale Entwicklung usw. Die OCP ihrerseits verpflichtet sich zur Errichtung gewisser Infrastrukturen (Erziehung, Gesundheit usw.) sowie zur Asphaltierung einer zehn Kilometer langen Straße in der Stadt … „Eine Verhöhnung der Gesetze Ecuadors“, befand Máximo Abad von der linken demokratischen Volksbewegung MPD dennoch. „Scheinbefragungen, aufgezwungene Entscheidungen, Bruch des sozialen Friedens, zugrunde gerichteter Stadtrat. Es ist ihnen fast gelungen, mich abzusetzen, aber ich habe standgehalten.“

Bei Mindo, einem kleinen Dorf am Fuße der Anden, 75 Kilometer nordwestlich von Quito, liegt eines der schönsten Naturreservate der Welt. In der Gemeinde hat sich der Tourismus entwickelt, die Dorfbewohner vermieten Zimmer. Davon lebt ein großer Teil der Mindeños, die übrigen widmen sich der Viehzucht, der Milch- und Käseproduktion. Unglaublich, aber wahr: Die so berüchtigte „Nordvariante“ des OCP-Trassees durchquert nordwestlich von Pichincha den für seine unvergleichliche Artenvielfalt berühmten Nebelwald von Mindo Nambillo.

Dieses von den Behörden Ecuadors 1988 zur Naturschutzzone erklärte Gebiet umfasst 19 200 Hektar. Im Laufe der Jahre hat sich in der Bevölkerung das Bewusstsein zugunsten einer „zukunftsorientierten“ Ökonomie entwickelt. Als der Verlauf der neuen Pipeline bekannt wird, bilden Landbesitzer, Bauern, lokale Vertreter der Obrigkeit, Umweltschutzgruppen, Wissenschaftler, Beschäftigte im Ökotourismus usw. eine gemeinsame Front. „Was haben wir verlangt?“, fragt Giovanni Patiño, Mitglied der Gruppe „Aktion für das Leben“. „Nur eine Änderung der Trasseeführung der Pipeline, die über den Kamm des Berges von Guarumos verläuft und nicht tiefer unten, wie wir verlangt haben. Wir sind Gemäßigte, keine übertriebenen Aktivisten.“4

Dieses Trassee, das kostengünstigste für die OCP, folgt einem extrem schmalen Grat, der an manchen Stellen kaum zwei Meter breit ist und seine Formation dem zu Tale strömenden Wildwasser verdankt. Eine weitere Erosion ist durch nichts aufzuhalten. Falls es durch Erdstöße des nahe gelegenen aktiven Vulkans Pichincha5 zu einem Zwischenfall kommt, kann die beschädigte Pipeline gleich zwei hydrografische Becken verseuchen: das des nach Norden fließenden Mindo und das des nach Süden fließenden Alambí.

In Mindo selbst ist die Front der Gegner inzwischen gespalten. Etwa fünfzig Einwohner arbeiten am Bau der Pipeline, für deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegende Löhne. Vor allem aber hat sich die OCP, wie Don Luis Patiño, der Präsident der kommunalen Regierung beteuert, bereit erklärt, die Trinkwasseraufbereitung, neue Wasserleitungen, ein Kanalnetz, die Renovierung des Stadtbads, ein Tourismusbüro, den Wiederaufforstungsplan für das Tal von Mindo und den Brückenbau zu finanzieren.

Das Umweltministerium wiederum hat ein paar dutzend jungen Leuten eine Ausbildung im Tourismussektor angeboten. „Das sind Vorteile, die uns bleiben“, ruft Don Luis aus, der wie ein alter Bauer einen Hut auf dem Kopf trägt. „Leider haben diese verbohrten Umweltschützer nichts begriffen!“

In den Räumen der Bezirkspolizei, in denen zu Ehren der OCP ein Plakat mit der Aufschrift „Sicherheit im Vormarsch“ prangt, geizt Unteroffizier Carlos Fuel nicht mit gehässigen Bemerkungen. Die Umweltschützer seien mehr an dem Geld interessiert, das sie bekommen, als an ihrer „so genannten“ Liebe zur Natur. Auf einem Tisch seines Amtszimmers prangt ein brandneuer Computer mit zugehöriger Elektronik. „Den haben mir die Chefs des Konsortiums geschenkt“, vertraut uns der Unteroffizier jubilierend an. „Sie haben mir sogar versprochen, hier ein richtiges Gefängnis einzurichten, damit ich Verbrecher endlich einlochen kann!“

Maria Eugenia Garzón, Wirtin eines kleinen Landgasthauses, stellt keine großen politischen Betrachtungen an. Was ihr große Sorgen bereitet, ist die Qualität des Wassers, das aus der Leitung fließt oder in dem man badet oder fischt. „Ich bin pessimistisch, weil durch neue Baugruben bereits Quellen zugeschüttet worden sind, die oben in den Bergen entspringen“, sagt sie.

Fährt man von Mindo in Richtung der fernen Küste, sieht man am Straßenrand das gelbe „Monster“, durch das das Erdöl bald unterirdisch fließen soll, abschnittweise schon montiert, und abschnittweise nur markiert.

Drohende Privatisierung

ANKUNFT im Hafen von Esmeraldas: Wuchernde Natur – und Armut der von den zentralen Behörden im Stich gelassenen Bevölkerung. „Dreißig Jahre Erdölindustrie haben den Wohlstand der Bevölkerung nicht im Geringsten gemehrt, im Gegenteil“, meint Ernesto Estupiñan, der erste Farbige und erste Vertreter einer linken Partei, der (im Jahre 2000) zum Bürgermeister gewählt worden ist. „Wir haben unsere Politik gegenüber der umweltverschmutzenden Raffinerie von Petroecuador geändert und sie gezwungen, die bereits bestehenden Einheiten zu verändern und neue zu schaffen. Außerdem haben wir der OCP, die hier Lager für schweres Rohöl errichtet, unsere eigenen Bedingungen aufgezwungen. Die Verhandlungen waren hart und haben mehrere Monate gedauert.“

Dabei herausgekommen sind: finanzielle Entschädigungen, eine Änderung der Straßenführung sowie die Einrichtung von grundlegenden Infrastrukturen in Esmeraldas und den umliegenden Landgemeinden. „Das wichtigste Ergebnis ist, dass die Bevölkerung in letzter Zeit ihre Selbstachtung wiedergewonnen hat. Man hat sich gegen das ‚Monster‘ gewehrt, es ist jetzt da, aber man hat bewiesen, dass es nicht allein bestimmen kann“, schließt Lenin Plaza Castillo, Moderator von Radio Antena Libre, dem meistgehörten Lokalsender.

Vom maximalen Fördervolumen von 328 000 Barrel pro Tag im Jahr 1994 ging die Produktion von Petroecuador stufenweise bis auf 220 000 Barrel pro Tag im Jahr 2002 zurück. Parallel dazu stieg die Produktion der Privatgesellschaften, die in siebzehn der achtzehn „Schollen“ Amazoniens schürfen, von 50 000 auf 160 000 Barrel pro Tag. Obwohl vom Absterben bedroht, bildet Petroecuador noch immer die Säule der nationalen Wirtschaft. Aber sie stagniert. Wie soll sie ohne neue Investitionen auf neue Reserven stoßen, um die abnehmenden Erträge aus den veraltenden Schächten auszugleichen, die sie ausbeutet? Wie soll sie das Ziel von 400 000 Barrel pro Tag erreichen, jene Menge, die ab Juni 2003, wenn die OCP in Funktion tritt, erforderlich ist, um den Sote zu füllen? Warum korrigiert selbst die OCP ihre Prognosen nach unten? „Tatsächlich erfüllen die Mutterfirmen der Mitgliedsgesellschaften des Konsortiums den Investitionsplan von 3 Milliarden Dollar, die für die Entdeckung neuer Rohöllagerstätten vorgesehen waren, nicht“, erklärt Victor Hugo Jijón, ehemaliger Erdölingenieur und Berater beim Entwicklungsrat der Nationalitäten und Völker Ecuadors (Condempe).

Diese Firmen, die von enormen nachgewiesenen Rohölreserven gesprochen hatten, machen plötzlich einen Rückzieher und behaupten, es gebe nicht genug Schweröl, um die OCP zu füllen und rentabel zu machen. „Das Ziel war klar und ist heute noch klarer geworden“, analysiert Fernando Villavicencio, Betriebsrat der Arbeiter von Petroindustrial und Sekretär des Exekutivausschusses zur Koordination der sozialen Bewegungen (CMS), die Lage. „Hinter dem Bau der neuen Pipeline lauert die künftige Privatisierung der großen Vorkommen an leichtem Rohöl von Petroecuador. Und die künftige Kontrolle des Sote durch das private Konsortium. Da keine Maßnahme ergriffen worden ist, die Rohöle in Lago Agrio zu trennen, werden die beiden Pipelines auch künftig vermischtes Öl transportieren. Ecuador wird weiterhin auf dem Weltmarkt Einbußen erleiden. Und die nachgewiesenen Reserven werden durch übermäßige Ausbeutung in vierzehn Jahren erschöpft sein.“ Während die Erdölarbeiter eine Reihe von Vorschlägen für eine veränderte Politik ausgearbeitet haben6 , stellt sich die Bevölkerung die Grundfrage: Wozu dienen die Einkünfte aus dem Erdölgeschäft? In erster Linie zur Tilgung der Auslandsverschuldung – der höchsten Lateinamerikas (1 100 Dollar pro Kopf).

Aus Kreisen der Petroecuador verlautet, dass von den 2,4 Milliarden Dollar Einkünften aus dem Erdölgeschäft im Jahre 2000 1,3 Milliarden zur Zinszahlung verwendet worden sind. Im gleichen Jahr wurde 1 Milliarde Dollar für die Sanierung der bankrotten Handelsbanken aufgewendet. Wie viel blieb da für die Lösung der schwierigen sozialen Probleme übrig? Sehr wenig. Bei den Wahlen am vergangenen 24. November haben die Ecuadorianer dieser Logik eine Absage erteilt (vgl. den Artikel unten).

dt. Linde Birk

* Journalistin

Fußnoten: 1 Zu dem Konsortium gehören die kanadische Gesellschaft Alberta Energy und die US-amerikanische Occidental Petroleum. Aber auch Kerr McGee (USA), Agip (Italien), Pérez Companc (Argentinien), Repsol YPF (Spanien) und Techint (Argentinien). 2 Für weitere Informationen: www.amazonwatch.org; www.foei.org 3 Die Kosten für die OCP steigen immer weiter. Wegen dieser Mehrausgaben hat der inzwischen zum Präsidenten gewählte Lucio Gutiérrez beim Obersten Gerichtshof eine Untersuchung einleiten lassen. 4 Die Aktion für das Leben und seine Freunde wurde 2002 stark unter Druck gesetzt: Bedrohungen, Inhaftierungen, Deportation mehrerer Ausländer usw. Derzeit läuft gegen 16 Personen ein Prozess wegen „Sabotage und Terrorismus“. www.actionpourlavie@free.fr 5 Die Erdbebengefahr ist im gesamten Verlauf des OCP sehr hoch, da Ecuador im sehr instabilen Gebiet des Pazifischen Feuergürtels liegt. 6 Vgl. den Bericht „Petróleo: desarrollo o dependencia“ des Betriebsrats von Petroecuador und seiner Filialen, Quito, September 2002.

Le Monde diplomatique vom 17.01.2003, von FRANÇOISE BARTHÉLEMY