17.01.2003

Birmas Generäle machen weiter

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Birmas Generäle machen weiter

UNGEACHTET der Hoffnungen, die im Westen in den letzten zwei Jahren geäußert wurden, haben die militärischen Machthaber in Birma sich nicht zu einer Lockerung ihres Regimes oder gar zu einer demokratischen Öffnung entschließen können. Zwar haben die Verhandlungen zwischen Razali Ismail, dem Vertreter der Vereinten Nationen, und den Generälen des Landes am 6. Mai 2002 zur Freilassung der oppositionellen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi geführt. Und weitere 115 politische Häftlinge kamen am 25. November letzten Jahres frei. Doch dies sind nicht etwa Anzeichen einer „Liberalisierung“, sondern kalkulierte Gesten in Richtung der westlichen Industrieländer. Und die demonstrative Verbrennung von Opiumfeldern bedeutet keineswegs, dass die Generäle auf ihre wichtigste Einnahmequelle verzichten wollen.

Von ANDRÉ und LOUIS BOUCAUD *

Kein einziges Wort haben Birmas Medien, die vollständig vom Militärregime kontrolliert werden, über die Freilassung von Aung San Suu Kyi am 6. Mai 2002 verloren. Nicht erst seit ihrem letzten, 19 Monate dauernden Hausarrest gilt Frau Suu Kyi als Symbol des Widerstands gegen eines der repressivsten Regime der Welt. Offiziell hat sie nun völlige Bewegungsfreiheit, die sie für Reisen im ganzen Lande nutzt. An einigen Orten wurden sogar die Büros ihrer National League for Democracy (NLD) wieder eröffnet.

Aber nach 12 Jahren Unterdrückung hat der Kampfgeist der Demokraten gelitten. Aung San Suu Kyi steht heute fast allein da, und sie muss ihre wenigen verbliebenen Mitstreiter immer wieder dringlich auffordern, sich an der Parteiarbeit und an politischen Aktionen zu beteiligen. Pausenlos erinnert sie daran, dass die Wiedereinführung der Demokratie nicht nur von ihr allein abhängt.

Bis heute ist es zu keiner Begegnung zwischen den Führern der Militärjunta – dem State Peace and Development Council (SPDC) – und der Opposition gekommen. Hunderte politische Gefangene sitzen nach wie vor in den Gefängnissen des Landes. Die Funktionäre der NLD werden scharf überwacht, sogar die Straße, die zum Haus von Frau Suu Kyi führt, bleibt abgesperrt. Dennoch hat Aung San Suu Kyi ihre Positionen gegenüber der Junta erkennbar verändert. Sie ist inzwischen bereit, mit der Regierung in allen Bereichen zusammenzuarbeiten, in denen die Bevölkerung davon unmittelbare Vorteile hat. Außerdem will sie sich in Zukunft nicht mehr gegen Entwicklungshilfe an ihr Land wenden, sofern diese auf vollkommen transparente und moralisch unanfechtbare Weise vergeben wird.

Nachdem Suu Kyi sich im Rahmen einer nationalen Versöhnung für einen Kompromisskurs entschieden hat, sind nunmehr die Machthaber am Zuge. Damit müssen sich auch die internationalen Organisationen ihrer Verantwortung stellen. Die Japaner haben dies bereits verstanden. Das wichtigste Geberland setzt mittlerweile die Militärjunta in Rangun unter Druck. Bei ihrem offiziellen Besuch im August 2002 hat die japanische Außenministerin Yoriko Kawagashi den SPDC-Vorsitzenden General Than Shwé aufgefordert, die Demokratisierung einzuleiten und in einen Dialog mit Suu Kyi einzutreten. Nach offiziellen japanischen Quellen hat Than Shwé daraufhin seinem Gast zwar nicht widersprochen, jedoch sehr rasch das Gesprächsthema gewechselt.

Dass die NLD ihren Widerstand gegen ausländische Entwicklungshilfe aufgegeben hat (wenn auch nur unter der Bedingung, dass deren Verteilung genauestens überwacht wird), entfernt den schmerzhaftesten Stachel aus dem Fuß des SPDC. Die Militärregierung erwartet nämlich zunehmend verzweifelt, dass die Sanktionen aufgehoben werden, die das wirtschaftliche Leben des Landes lahm legen. Ihre Vertreter haben sich in der Frage der wirtschaftlichen Reformen auch am ehesten gesprächsbereit gezeigt, denn nur unter dieser Voraussetzung kann es ihnen gelingen, ausländisches Kapital ins Land zu holen. Während Japan inzwischen bereit ist, seine finanzielle Unterstützung Birmas wieder aufzunehmen, behalten sich die westlichen Geberländer eine Änderung ihrer Politik aber noch vor.

Begünstigt wurden die positiven Ansätze offenbar durch die Entmachtung des Exdiktators Ne Win, der einer der unnachgiebigsten Feinde der Familie von Aung San Suu Kyi gewesen ist. Nachdem ihn die drei gegenwärtig starken Männer, die Generäle Than Shwé, Maung Aye und Khin Nyunt, entmachtet hatten, ist Ne Win am vergangenen 5. Dezember verstorben. Der allmähliche Wandel in Birma ist jedoch in erster Linie ein Ergebnis des Autoritätsverlusts, den der SPDC aufgrund der Wirtschaftskrise erlitten hat.

Mit seinem Versuch, die Krise durch intensiven Einsatz der Notenpresse zu überwinden, löste das Regime zudem eine galoppierende Inflation aus. Auch tragen die Drogenbarone mit ihrer Schattenwirtschaft wesentlich zur Verarmung des Landes und zum weiteren Verfall seiner Währung bei, denn sie agieren in ihren regionalen Hochburgen so gut wie straffrei und haben den wichtigsten grenzüberschreitenden Handel in der Hand. Seit 30 Jahren liegt der offizielle Wechselkurs zwischen dem Dollar und dem birmanischen Kyat bei 1 zu 6. Auf dem Schwarzen Markt verliert der Kyat jedoch ständig an Wert, und hier werden für einen Dollar inzwischen rund 1 200 Kyat bezahlt.

Ein Programm namens Potemkin

DIE Geldwäsche von Einnahmen aus dem Drogenhandel ist für Birmas Wirtschaft ein maßgeblicher Faktor. Inzwischen hat der SPDC gelernt, dass diese Tatsache für die Zusammenarbeit mit dem Ausland eher von Nachteil ist. Mit spektakulären Aktionen will man nun das Ansehen des Landes bei der internationalen Gemeinschaft verbessern. Diese soll seit Beginn des vergangenen Jahres mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit und mit Hilfsprogrammen überzeugt werden, die in den Bundesstaaten Shan, Kachin und Karen die Bauern mit Hilfe von mehreren Millionen Dollar zum Ausstieg aus dem Opiumanbau bekehren sollen. Die demonstrative Vernichtung von Opiumernten hat aber indirekt erst auf die Verbreitung von Mohnkulturen aufmerksam gemacht, denn sie wurde fern der traditionellen Anbaugebiete veranstaltet, wo die Bauern von der Armee zum Anbau von Mohn gedrängt werden.

Unter dem Vorwand, den Ausstieg aus der Opiumproduktion zu fördern, hat der SPDC auch die groß angelegte Umsiedlung von Angehörigen der Wa sanktioniert. Die Volksgruppe der Wa lebte früher in den nördlichen Bezirken des Shan-Staates, entlang der Grenze zu China. Nun haben die birmanischen Generäle den Wa gestattet, sich im Süden von Shan, also nahe der thailändischen Grenze niederzulassen. Damit gelang es ihnen, indirekt – nämlich durch die Präsenz der United Wa State Army (UWSA) – Druck auf Thailand auszuüben.

Innerhalb weniger Jahre haben die Wa dank der Einnahmen aus dem Drogenhandel in ihrer neuen Umwelt Fuß gefasst. Sie haben Straßen gebaut und einen großen Teil ihrer Bevölkerungsgruppe nachkommen lassen. Damit verfügt die birmanische Armee über ein großes Reservoir an Rekruten, die sich im Kampf gegen die separatistische Shan State Army (SSA) einsetzen lassen. Dieselben Leute sind aber auch als Arbeitskräfte nützlich: für den Ausbau ihrer verschiedenen „Business“-Aktivitäten im Grenzgebiet. Dazu gehört nicht zuletzt die Herstellung riesiger Mengen von Amphetaminen, die über die Grenze hinweg den thailändischen Markt überschwemmen.1

Die Wa sind zu unbestreitbaren und unverzichtbaren Verbündeten des Militärregimes in Rangun geworden. Sie bieten ihnen sowohl militärische Unterstützung bei Auseinandersetzungen mit den Nationalisten der SSA, als auch wirtschaftliche Hilfe beim Ausbau der Infrastruktur. Wie andere Drogenbarone nützen die Wa diese Allianz zur Wäsche ihrer schmutzigen Gelder, und zwar über verschiedene Unternehmen, die sie kontrollieren und die inzwischen zu den größten in ganz Birma gehören. Die wichtigsten dieser Betriebe sind Asia World unter Kontrolle von Lo Hsing Han und Hong Pang Co. unter der Kontrolle des UWSA-Anführers Wei Shao Kang. Anfang August nannte General Than Shwé auch diese beiden Firmen als Hauptauftragnehmer bei der fälligen Sanierung und dem Ausbau des Straßennetzes.

Ethnopolitisch motivierte Umsiedlungen

NACH einem im April 2002 veröffentlichten Bericht der Lahu National Development Organization (einer regionalen Nichtregierungsorganisation) mit dem Titel „Unsettling Moves“ sind seit 1999 in Birma 126 000 Menschen zum Wegzug von ihrem Wohnort gezwungen worden. Auf Befehl der Wa-Anführer hatten diese Bauern nur wenige Stunden Zeit, ein kleines Bündel zu schnüren und zu verschwinden. Ihre Häuser und ihr Vieh mussten sie zurücklassen. Wer großes Glück hatte, konnte einen Teil des Weges auf einem Lastwagen der Firma Hong Pang Co. zurücklegen. Doch alle Übrigen mussten die 400 Kilometer in weniger als drei Monaten zu Fuß bewältigen. Obwohl der Bericht von tausenden Menschen spricht, die in den malariaverseuchten Tälern dem Fieber erlagen oder wegen der schlechten hygienischen Bedingungen an der Ruhr starben, bestätigt er zugleich, dass den migrierenden Wa zumindest die direkten Schikanen der birmanischen Armee erspart blieben, die sich in den Dörfern der Shan und der Lahu abgespielt haben.

Aus dem gesamten Staat Shan kommen seit langem zahlreiche Klagen über Verwüstungen und Plünderungen durch Militäreinheiten – von „Sondersteuern“ in Form von Bargeld, Reis oder anderen Nahrungsmitteln zum Unterhalt der Truppen gar nicht zu reden. Zudem hat die Junta hier in den letzten Jahren eine Politik der zwangsweisen Birmanisierung verfolgt. Es begann mit der Deportation von Angehörigen der Shan-Volksgruppe, die durch birmanische Bauern aus der Zentralebene des Landes ersetzt wurden. Dann ermutigte man in Rundschreiben die birmanischen Soldaten zur Heirat mit Shan-Frauen und stellte eine entsprechende Belohnung in Aussicht. Organisationen der Shan versuchen seit einiger Zeit, auf die Praxis der zwangsweisen Sterilisierung in den Krankenhäusern des Shan-Staates aufmerksam zu machen.

In den letzten Jahren hat die Junta schließlich die bosnischen Methoden der ethnischen Säuberung übernommen. Implizit ermutigt sie zu Vergewaltigungen als Waffe gegen die Zivilbevölkerung. Zwei Nichtregierungsorganisationen der Shan – die Shan Human Rights Foundation und das Shan Woman Action Network – haben am 19. Juni 2002 den sehr überzeugenden Bericht „Licence to Rape“ veröffentlicht, der über einen Zeitraum von fünf Jahren 625 Vergewaltigungen an Frauen belegt.

Dieser Bericht erregte die Aufmerksamkeit einiger Mitglieder des US-Repräsentantenhauses. Die Abgeordnete Ileana Ros-Lehtinen erklärte, die Massenvergewaltigungen seien als Verletzung der Genfer Konvention und als Kriegsverbrechen zu sehen. Außenminister Colin Powell beauftragte daraufhin das State Department, von Rangun eine Erklärung zu fordern. Die Veröffentlichung von „Licence to Rape“ hätte für den SPDC zu keiner ungünstigeren Zeit kommen können, hatte er doch kurz zuvor der US-Firma DCI Associate 450 000 Dollar gezahlt, um mit Hilfe dieses kommerziellen Lobbyunternehmens Präsident Bush für eine Normalisierung der Beziehungen zu gewinnen.

Immerhin gelang es Rangun zur gleichen Zeit, seine Politik gegenüber den Nachbarn und sogar in der Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (Asean) durchzusetzen. Im Schlusskommuniqué der letzten Asean-Versammlung in Brunei am 31. Juli erklären die Minister, dass sich die Lage der Menschenrechte in Birma seit Ende des Jahres 2000 verbessert habe. Das Thema der Freilassung von Aung San Suu Kyi wurde – wie Birmas Außenminister Win ganz offiziell gefordert hatte – nicht erwähnt.

Vor allem Thailand hätte durchaus Anlass zu einer kritischeren Position gegenüber Rangun gehabt, denn die Beziehungen zwischen den Nachbarn sind gespannt.2 Doch Thailands Außenminister hielt sich in Brunei peinlich genau an die Anweisungen seines Premierministers Thaksin. Seine Mission bestand darin, alle Streitfragen zu umgehen und sich der birmanischen Junta anzunähern. Tatsächlich strebt Thaksin nach politischer Entspannung um jeden Preis, um die Handelsbeziehungen zum Nachbarn auszubauen. Da Birmas Generäle aber wenig kompromissbereit sind, musste Thaksin sehr weit gehen, um sie gnädig zu stimmen. Er hat nicht nur das Prinzip der Verteidigung der territorialen Integrität aufgegeben, sondern auch die thailändischen Generäle kaltgestellt, die besonders unnachgiebig gegen die Provokationen der birmanischen Armee und gegen den Drogenhandel vorgegangen waren, an dem die Birmanen sich offen bereichern.

Wie verfahren die Situation im Land selbst auch sein mag: Das Triumvirat der Generäle unter der Führung von Than Shwé ist offensichtlich noch längst nicht am Ende und hat Birma immer noch fest im Griff. Und was auch immer bei den ausführlichen Gesprächen mit der Opposition unter Führung von Aung San Suu Kyi herauskommen wird, auf die sich die Mächtigen in Rangun derzeit vorbereiten: Die Armee zeigt keinerlei Absichten, ihre Macht aufzugeben.

Das exilierte National Coalition Government of the Union of Burma (NCGUB) des Dr. Sein Win und die NLD sind sich einig, dass Birmas Armee an der Macht unbedingt festhalten wird und dass deshalb kein Weg an ihr vorbeiführt. Sie wird noch lange die einzige etablierte und verlässliche Institution des Landes bleiben. Auch eine demokratische Regierung muss sich auf diese Armee stützen oder sich mit ihr arrangieren – in technischer und organisatorischer Hinsicht wie auch zur Wahrung der nationalen Einheit. Eine Reduzierung der Armee und der damit verbundenen finanziellen Belastung ist nur langfristig vorstellbar. In diesem Zusammenhang gibt es auch für die ethnischen Minderheiten im Land kaum Aussichten, in absehbarer Zeit die erhoffte Autonomie zu erlangen.

Als sich die Generäle 1990 weigerten, den Wahlsieg der NLD anzuerkennen, sagten zahlreiche Beobachter der Junta weitere zehn Jahre an der Macht voraus. Dass am 25. November letzten Jahres 115 politische Häftlinge freikamen, kann niemanden täuschen. Diese Gefangenen hatten ihre Strafe nahezu verbüßt, und immer noch sitzen rund 1 000 Oppositionelle in den Kerkern des Regimes. Es wird noch mindestens ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis sich in Birma eine echte Demokratie herausbilden kann.

dt. Herwig Engelmann

* Journalisten

Fußnoten: 1 Die Thais schätzen die Zahl der von den Drogenhändlern ins Land geschmuggelten Amphetamintabletten auf 700 bis 800 Millionen. 2 Seit Ende 1990 haben die Separatisten der Shan State Army – eine der letzten Gruppen, die gegen das birmanischeMilitärregime Widerstand leisten – waghalsige Angriffe ausgeführt. Rangun hat behauptet, dass diese von der thailändischen Armee gesteuert seien, und äußerst aggressive Vergeltung geübt. Im Februar 2001 und im Mai 2002 gab es blutige Zusammenstöße zwischen den Armeen Thailands und Birmas. Beide endeten zugunsten der Thais.

Le Monde diplomatique vom 17.01.2003, von ANDRÉ und LOUIS BOUCAUD