Obama in Montana
Auf der Spur der Demokraten im Wilden Westen von Serge Halimi
Am Highway von Kansas nach Colorado, kurz vor der Grenze, stehen Plakatwände: „Abtreibung – ein Herz hört auf zu schlagen“, „Nehmt Jesus Christus als Erlöser an und ihr werdet erlöst – oder ihr bereut es in alle Ewigkeit“. Kansas ist bekannt für den Eifer seiner religiösen Fundamentalisten, die die Evolutionstheorie aus den Schulen verbannen wollen. Dabei gehört Kansas noch nicht einmal zum tiefen Westen. In Bozeman, Montana, fleht ein Neugeborenes vor blauem Hintergrund: „Nimm meine Hand, nicht mein Leben.“
Montana ist ein Agrar- und Bergbaustaat, fast so groß wie Kalifornien, mit weniger als einer Million Einwohnern. Der Gouverneur heißt seit 2005 Brian Schweitzer. Der Rancher, Bewässerungsexperte und leidenschaftliche Befürworter alternativer Energien gehört zu den Hoffnungsträgern der Demokratischen Partei. Einen „Wirbelwind in Jeans“ hat die New York Times ihn genannt. Auf dem demokratischen Nominierungsparteitag im August in Denver hielt Schweitzer auf Wunsch von Barack Obama eine Rede zur Energiepolitik. Der Gouverneur sprach vor vollen Rängen, in Jeans.
Seine Beliebtheit beruht auf einem simplen Erfolgsrezept. Die Republikaner, bemüht, ihre Reihen zu schließen und ihren Gegnern Atheismus, Entfremdung und naives Gutmenschentum vorzuwerfen, reiten unablässig auf den „drei G“ herum: „god, gays and guns“. Also gut, sagt sich da Brian Schweitzer, dem Kampf auf diesem Terrain sollten die Demokraten besser ausweichen. Wie das? Indem sie sich so fromm wie sonst wer geben, zurückhaltend gegenüber der Homo-Ehe, und keine Absicht erkennen lassen, den Schusswaffenerwerb zu regulieren. Und das freilich mit einer Gelassenheit, als zählten diese Fragen nicht wirklich – oder als verstünden sich die Antworten von selbst. Um dann die Auseinandersetzung auf solche Themen zu verlagern, die kein Wasser auf die Mühlen der Republikaner sind: Wirtschaft, Energie und Umwelt.
Schweitzer ist kein Radikaler. Aber in Montana, wo die Rolle des Gouverneurs traditionell die des „Wachhunds der Industrie“ war – womit sich seine republikanische Vorgängerin Judy Martz jedenfalls brüstete –, betont Schweitzer seine Unabhängigkeit von den großen Wirtschaftslobbys. So prangert er die riesigen Gewinne durch die Deregulierung des Energiesektors an, die Steuerfreibeträge für Reiche und Großunternehmen oder Arzneimittelpreise, die deutlich höher sind als im benachbarten Kanada. Und er protestiert gegen die Aushöhlung der Grundrechte durch den Patriot Act. Schweitzer war auch gegen den Irakkrieg – und berief sich dabei auf seine Kenntnisse der Region – er hatte einmal sieben Jahre als Bewässerungsspezialist in Saudi-Arabien gearbeitet.
Wie aber, frage ich, steht es mit god, gays and guns? „Ich bin Katholik“, antwortet Schweitzer in seinem Büro in der Hauptstadt Helena, „in Montana sind die Fundamentalisten nicht besonders stark. Gesellschaftliche Fragen sind hier nicht so wichtig.“ In der Gegend gibt es in der Tat viele neue Kasinos, und in den Kleinstädten geht man sichtlich lieber in Kneipen als in die Kirche. Abgesehen davon, so Schweitzer, halte man die von den Republikanern so gern im Munde geführten Familienwerte ja wohl nicht dadurch hoch, dass man schlecht bezahlte Berufsanfänger dazu zwingt, ihr Glück anderswo zu suchen, weit weg von der Familie. „Wir haben hier gewissermaßen eine Lachswirtschaft“, sagt Schweitzer, „die jungen Leute verlassen den Staat und kommen erst zum Sterben wieder.“
Gut, aber die Waffen? Ja, das sei freilich ein Thema, dem man nicht ausweichen kann. Man muss die Waffenfrage also – entwaffnen. Im ländlichen Westen ist man der festen Meinung, dass wohl nur Städter darauf kommen können, den Schusswaffenbesitz zu reglementieren, was hier einem politischen Selbstmord gleichkommt. Eine Ahnung davon vermittelt zum Beispiel ein Artikel in der Casper Star-Tribune, einer Tageszeitung aus Wyoming, die über den „Verein behinderter Jäger“ berichtete, die Wyoming Disabled Hunters, deren querschnittsgelähmter Gründer sich mit einem erlegten Hirschen zu seinen Füßen ablichten ließ.
Wir lieben Gewehre, ob große oder kleine
Schweitzer ist Mitglied der mächtigen National Rifle Association, die ihm ihre beste Bewertung gegeben hat (ein A) – während Obama mit der schlechtesten Note (F) und John McCain mit einem mittleren C dasteht. „In Montana bedeutet Schusswaffenkontrolle, dass man trifft, worauf man zielt. Wir lieben Gewehre, ob große oder kleine oder Schrotflinten, wir lieben sie alle! Auch die Frauen schätzen sie. So sind wir eben.“ Bob Raney, Staatsbeauftragter für Energiewirtschaft, bestätigt, was sein Gouverneur sagt: „Wenn Sie den Menschen signalisieren, dass Sie ihnen ihre Waffen wegnehmen wollen, haben Sie schon verloren. Da wird keiner auch nur einen Millimeter nachgeben. In der South Side von Chicago gibt es sicherlich ganz andere Probleme, aber die Leute hier werden nicht auf ihre Waffen verzichten, um die Probleme in Chicago zu lösen.“ Jon Tester, Farmer und seit 2007 demokratischer Senator von Montana, ließ die Billings Gazette wissen, er habe Obama auf dieses heikle Thema angesprochen: „Er hat mir ohne zu zögern geantwortet: ‚Ich werde dir deine Waffen nicht wegnehmen. Lass dir von niemandem das Gegenteil erzählen.‘ “1
Natürlich ist Billings nicht Chicago. In der größten Stadt des Big Sky State Montana, die durch die Invasion der allgegenwärtigen Handelsketten à la Wal-Mart, Starbucks, Barnes & Noble jeglichen Charme eingebüßt hat, sind seit 1882 acht Polizisten getötet worden – die letzten beiden 1946 und 1989. Am Tag unserer Ankunft in Billings betraf die am meisten diskutierte Nachricht eine offenbar alltäglichere Art von Gewalt: Im Yellowstone-Nationalpark, etwa 200 Kilometer südwestlich von Billings, greifen ausgehungerte Wolfsrudel immer wieder Büffel an. Die Wölfe treiben die schweren Tiere in den Tiefschnee, wo sie einsinken und ihren Jägern damit hilflos ausgeliefert sind.
Diese zumindest für den Menschen ruhige Gegend verdankt einiges von dem Charme, der sie für Amerikaner auf der Suche nach unberührten, friedlichen Plätzen besonders attraktiv macht, vor allem ihrer Abgeschiedenheit. „Hier können sie sagen: Ich weiß nicht, wo meine Kinder gerade sind, bestimmt spielen sie irgendwo“, sagt Schweitzer. „Wenn man in Los Angeles, Hartford oder Chicago lebt, ist man da weniger entspannt.“
In dieser Gegend aus Bergen und windigen Ebenen, die mancher etwas übertrieben als amerikanisches Sibirien bezeichnet, herrscht auch ein anderes Klima als in Los Angeles. Die trockene Augusthitze wird von Hagelstürmen unterbrochen und die Hauptstadt ist von verschneiter Landschaft umgeben. Ein Reisender kann hier durch endlose Westernlandschaften fahren, sein Mobiltelefon hat keinen Empfang, und er muss nichts weiter befürchten, als am Steuer einzuschlafen oder mit einem Hirsch zusammenzustoßen. Hier und da sieht man kleinere Erdölbohrtürme im Einsatz, Kohlenfrachtzüge von über zwei Kilometern Länge, vereinzelt Kühe. Montana ist wie eine Mischung aus Wildem Westen und der Schweiz, mit Indianerreservaten zwischendrin.
Little Big Horn liegt rund 60 Kilometer von Billings entfernt. Dort starben am 25. Juni 1876 General George Custer und über 200 Mann seines Kavallerieregiments bei einem gemeinsamen Angriff von Stämmen der Cheyenne und Lakota-Sioux. Es war der letzte Sieg der Indianer; im Jahr darauf kapitulierte Häuptling Crazy Horse. Zwar behauptete der Bürgerkriegsgeneral und spätere Präsident Ulysses S. Grant (1822 bis 1885), es gelte „die Indianer zu christianisieren und zu zivilisieren, um ihnen die Kunst des Friedens beizubringen“ – dabei ging es aber einzig und allein darum, das Land ungestört auszubeuten.
Man hat uns immer wie eine Kolonie behandelt
Alles in allem für die Staaten des Westens eine vertraute Situation: Die großen Konzerne haben ihre Bodenschätze (Kupfer und Kohle) gnadenlos geplündert und zerstörte Landschaften und Gift hinterlassen. In Libby, im Osten Montanas, starben im Laufe einer zwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit 92 Prozent der Beschäftigten des Chemieunternehmens W. R. Grace am Asbestkrebs.2 „Montana“, meint Bob Raney, „ist immer wie eine Kolonie behandelt worden.“
Doch während der Rest des Landes sich auf eine Rezession zubewegt und unter den gestiegenen Energiepreisen leidet, lebt der Westen auf. Dies gilt besonders dort, wo die Wirtschaft von der Montanindustrie geprägt ist wie in Sarah Palins Alaska, das mit einer Verdreifachung seiner Steuereinnahmen (2,8 Milliarden US-Dollar 2005, mehr als 9 Milliarden 2009) auf einem Überschuss von 5 Milliarden Dollar sitzt.
Auch Wyoming steht nicht schlecht da. Als größter Kohleförderer der Vereinigten Staaten und bedeutender Gasproduzent häuft das Land Überschüsse beinahe so schnell an, wie es neue Gebiete für Probebohrungen freigibt. Wyomings demokratischer Gouverneur Dave Freudenthal nennt die Zahl von 30 000 Gruben, womit auf 16 Einwohner eine Grube kommt. Da der Staat die Steuern kaum weiter senken kann – es gibt weder Einkommens- noch Verbrauchssteuern –, spricht man in Wyoming bereits davon, höhere Bildung zum Nulltarif zu ermöglichen. Und die Universität von Wyoming wurde mit einer hübschen Summe ausgestattet, mit der sie die besten Professoren anwerben kann.
So viel ist sicher: Am 4. November wird Wyoming republikanisch wählen, wie seine Nachbarstaaten Idaho und Utah. Hier hat Präsident Bush die Wahlen von 2004 mit annähernd 40 Prozent Vorsprung gewonnen. Sonst aber scheint das Rennen im Westen diesmal offener zu sein. Es ist also kein Zufall, dass die Demokraten ihren Nominierungsparteitag in Denver, Colorado, abgehalten haben und dass Barack Obama zwischen April und August fünfmal in Montana war. Die Vorwahlen im Juni gewann er mit deutlichem Abstand vor Hillary Clinton – in einem Staat, der mit 0,43 Prozent den geringsten schwarzen Bevölkerungsanteil der USA aufweist (landesweit liegt er bei durchschnittlich 13 Prozent).
Für die Demokraten ist es durchaus nicht selbstverständlich, Zeit und Geld in den Westen zu investieren. Viele würden lieber alles auf Ohio, Pennsylvania und Michigan setzen. Doch Obama ist da weniger festgelegt. Er hofft darauf, eine mögliche Niederlage im industriellen Mittleren Westen mit einem Überraschungssieg in Colorado oder in ein, zwei kleinen republikanischen Bastionen des ländlichen Westens ausgleichen zu können. „Niemand weiß, wo der Blitz einschlagen wird“, meint Howard Dean, der Erfinder der 50-Staaten-Strategie – womit gemeint ist, dass kein Staat kampflos aufgegeben werden soll.
Diese Strategie ist nicht ohne Risiko. 1975 leitete Ronald Reagan eine 25-jährige republikanische Dominanz im tiefen Westen ein.3 Er punktete mit dem Vorwurf an die Demokraten, „unsere Wirtschaft mit einer wachsenden Last von Kontrollen und Reglementierungen zu erdrücken“. Sie seien für „die Vernichtung von Arbeitsplätzen und das Abwürgen unverzichtbarer Energiequellen“ verantwortlich. Statt sich für die bewaldeten Rückzugsgebiete der Schleiereule oder das Überleben von Wölfen und Büffeln einzusetzen, um Umweltextremisten zu besänftigen, sei es wichtiger, so Reagan, sich um die Zukunft der Holzfäller und Rinderzüchter zu kümmern.
„Die Republikaner haben damals gewonnen, weil es ihnen gelungen ist, die Demokraten mit der Umweltbewegung gleichzusetzen“, erinnert sich die Journalistin und Autorin Andrea Peacock, die in Livingstone lebt, nicht weit von Yellowstone. „In der Vorstellung der Holzfäller und Ranchbesitzer bedeutete republikanisch wählen, Arbeitsplätze zu erhalten. Der Schutz für Wölfe oder Bären bedeutete für sie nichts anderes, als dass die Regierung damit unmittelbar in ihr Leben eingreifen würde.“ 1981 ernannte Reagan James Watt zum Umweltminister. Der christliche Fundamentalist, der wie sein Freund Richard Cheney aus Wyoming stammt, machte sich zum Ziel, „alle Bürokraten und Freunde des Nullwachstums, die die individuelle Freiheit und die Gewerbefreiheit bedrohen, vor Gericht zu bringen“. Als hätte man dem Fuchs den Hühnerstall anvertraut. „Wir werden mehr aus den Bergwerken fördern, nach mehr Öl bohren und mehr Bauholz schlagen, um unsere Ressourcen zu nutzen, anstatt sie unter Verschluss zu halten.“4
Auch wenn die Republikaner heute nicht mehr so überzeichnen, haben sie die gestiegenen Energiepreise dann doch dazu ermutigt, in ihr Wahlprogramm zu schreiben: „Wir müssen mehr amerikanisches Öl aus amerikanischem Boden fördern.“ Dies sei umso wichtiger, so John McCain, weil „wir jedes Jahr 700 Milliarden Dollar an Länder geben, die uns nicht mögen, und ein Teil dieses Geldes in den Händen von Terrororganisationen landet.“5 Davon abgesehen, bekräftigen seine politischen Freunde, seien es „die Anhänger einer zentralistischen, alles kontrollierenden Kommandowirtschaft“, die mit den „Weltuntergangsszenarien vom Klimawandel“ hausieren gingen. In Colorado sendet eine Gruppe von Baulöwen namens Free Market Alliance seit Monaten einen Radiospot, mit dem der demokratische Kandidat für die Senatswahl, Mark Udall, unter Druck gesetzt werden soll, seinen Widerstand gegen die landeseigene Ölförderung aufzugeben: „Wie viel sind Sie bereit, für eine volle Tankfüllung zu zahlen? Udall kommt aus einer reichen Familie, er kann sich nicht vorstellen, wie sehr die arbeitenden Familien unter den hohen Preisen leiden.“
Doch in dem Maße, in dem Umweltfragen wichtiger werden und Reiche, Pensionäre und Naturliebhaber in den Westen ziehen, sorgen sich die Leute weniger um die Jobs in der Montanindustrie, dafür aber mehr um saubere Flüsse: „Es gibt mehrere Gründe, warum sich der Westen insgesamt der demokratischen Partei angenähert hat“, erklärt Pat Williams, langjähriger Abgeordneter aus Montana im US-Repräsentantenhaus. „Wenn man sich auf einen beschränken müsste, würde ich die Umwelt nennen. Die Republikaner sind zu weit gegangen, die Gier war zu groß, die Zerstörungen sind zu offensichtlich. Dabei gab es seit 1980 einen enormen Bevölkerungszuzug gerade wegen der schönen Landschaft.“
Wo einst Antilopen und Hasen lebten und riesige Weidegebiete lagen, stehen in Wyoming heute Bohrtürme. Und immer mehr Privatgrundstücke verwehren den Zugang zu Flüssen und Wäldern. Dabei schätzen es natürlich auch republikanische Wähler, so der Direktor der Wyoming Wildlife Federation, Walton Gasson, wenn sie „jagen, angeln und reiten, ihr Zelt aufschlagen, ihre Stiefel schmutzig machen und ihren Geist reinigen können“.
Wenn man für den Kandidaten stimmt, „der am wenigsten Schaden anrichtet“ – wie die in Montana oft gehörte Formel lautet –, dann hat es hier ein demokratischer Bewerber nicht unbedingt schwerer. Erst recht nicht beim Viehzüchter, der Wasser braucht, beim Fischer, der um seinen Forellenbestand fürchtet oder beim Jäger auf der Suche nach einem Jagdrevier und Wild. Deren Interessen decken sich öfter mit denen der Umweltschützer, als sie zugeben wollen.6
Wir sind Demokraten, die Steuern senken
In acht westlichen Staaten gibt es mittlerweile fünf demokratische Gouverneure – 2001 waren diese Ämter noch an Republikaner gegangen. Brian Schweitzer rechnet mit Nachbeben, die auch das Weiße Haus erschüttern werden: „Wir sind Demokraten, die Steuern senken, Unternehmen anziehen und die Umwelt schützen. Das finden die Leute gut. Und wenn ihnen gefällt, wie die Dinge in Montana laufen, und nicht gefällt, was man in Washington tut, dann hilft das den Demokraten auch auf Bundesebene.“ Der Absturz der Republikaner müsste allerdings verheerend sein: 2004 gewann George W. Bush den Big Sky State mit 59 Prozent der Stimmen.
Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Steuern zu senken. Auch auf diesem Feld hat Schweitzer auf den Konfrontationskurs verzichtet, um nicht Groß und Klein im gemeinsamen Hass auf Steuereinnehmer gegen sich zu haben. Stattdessen hat er das republikanische Projekt umgelenkt. Unter Bush wurden die Steuern proportional zur Steuerschuld gesenkt, was vor allem den Reichen zugutekam und auch so gedacht war. In Montana hingegen bekamen alle den gleichen Nachlass: 400 Dollar, unabhängig vom Einkommen oder dem Wert ihres Immobilienbesitzes. Und Großunternehmen wurden steuerlich besser erfasst, denen es immer gelungen war, Schlupflöcher zu finden. Die alte, von den Republikanern geschmiedete Koalition der Steuergegner brach damit auseinander. „Die Leute haben unsere Botschaft verstanden“, freut sich Schweitzer. „Sie wissen, dass sie mehr Steuern zahlen müssen, wenn wir die Reichen davonkommen lassen.“7
Zu den Erfahrungen mit einer verfehlten Steuerpolitik und den Folgen ungezügelten Wachstums kam eine dritte – die Deregulierung der Energiewirtschaft. Die 1997 von dem damaligen republikanischen Gouverneur und George-W.-Bush-Vertrauten Marc Racicot angeführte Initiative war ein Desaster für Montana: Tariferhöhungen wie in Kalifornien, Spekulation wie im Fall des zusammengebrochenen Energiekonzerns Enron, und tausende Kleinaktionäre, die ihre Pensionsgelder verloren. All das erlebte auch Montana. Federführend dabei war die Investmentbank Goldman Sachs. „Unsere öffentlichen Dienstleistungen wurden in Einzelteile zerlegt und dabei ernorme Gewinne gemacht“, erklärt Steve Doherty, Leiter der Kommission für Fische, Wildtiere und Parks in Montana. In seinen Augen war dies der Anfang vom Ende der Republikaner.
Zwar gelang es Exgouverneur Racicot auf eine höchst lukrative Karriere als Lobbyist im Dienste jener Firmen umzusatteln, die er schon als Gouverneur gut behandelt hatte. Doch seinen Aufstieg können die Demokraten auch für sich nutzen, indem sie den politischen Freunden der Spekulanten vorwerfen können, dass vor den Privatisierungen der Strom nirgendwo so billig war wie in Montana, während die Stromversorgung danach zu einer der teuersten in der Region wurde.
Der texanische Spekulant und Republikaner T. D. Boone Pickens ist im Ölgeschäft reich geworden. Er tritt häufig im Fernsehen auf und gibt gern Radiointerviews, was sich dann so anhört: „Die heiß diskutierte Frage in Washington ist, soll man nach neuen Ölquellen bohren oder nicht? Ich sage: ‚Bohrt, bohrt, bohrt!‘ Aber die Frage ist falsch gestellt. Denn wir werden so oder so von ausländischem Öl abhängig bleiben und den größten Wohlstandstransfer in der Geschichte der Menschheit erleben.“ Die Konsequenz daraus: „Wir müssen ausländisches Öl durch Erdgasvorkommen in den Vereinigten Staaten ersetzen. Und deshalb bezahle ich für diese Botschaft.“ Da sein Spekulationsfonds BP Capital in Erdgas investiert, ist sein bisheriger Einsatz von 58 Millionen Dollar gewiss nicht verloren.
Auf Pickens’ Internetseite8 ist auch noch Folgendes zu erfahren: „Norddakota und die Staaten der Great Plains [Texas, Kansas, Colorado, Wyoming, Montana und andere] verfügen mit Abstand über das größte Windpotenzial der Welt.“ Kurz, um das Erdgas vor allem für die Autofahrer zu reservieren, will Pickens binnen zehn Jahren 20 Prozent des amerikanischen Strombedarfs durch Windenergie erzeugen – heute ist es nur 1 Prozent.
Obgleich sie noch in den Kinderschuhen steckt, hat die Windenergie im vergangenen Jahr um beachtliche 45 Prozent zugenommen, und Firmen wie J. P. Morgan haben 4,4 Milliarden Dollar in diesem Bereich investiert. Bleibt nur das Problem – und böse Zungen verweisen schon auf die Schwierigkeiten des amerikanischen Finanzsektors –, dass die Windindustrie nahezu vollständig von staatlichen Förderungen abhängt.9
Die kleine Windturbine für den privaten Gebrauch kennt solche Probleme nicht. Künstler und Politiker schwärmen für sie. Starkomiker Jay Leno, in Amerika bekannt für seine „Tonight Show“, hat auf der Suche nach „grünen Lösungen für seine Werkstatt“ eine Windturbine auf dem Dach der Halle installiert, in der er seine Sammlung von 105 Autos und 80 Motorrädern pflegt. Die kleinen Turbinen erzeugen nicht viel Strom und sind teuer, dafür aber schick und angesagt. Der Designer Philippe Starck hat eine eigene Version für Europa angekündigt – elegant soll sie sein und aus Plastik.
In Helena zeigt uns Gouverneur Schweitzer einige Windturbinenmodelle auf seinem Schreibtisch, der aussieht wie eine Ausstellungsfläche für alternative Energien. Ein paar Kilometer entfernt warten die echten Generatoren am Rand der Autobahn darauf, dass Wind aufkommt.
Aus dem Französischen von Michael Adrian