Eine Partie Lügenpoker
Von BERNARD AHUA *
ENDLICH eine gute Nachricht aus Abidjan, jedenfalls auf den ersten Blick. Am 13. Dezember 2003 las man die Meldung, die Forces armées nationales de Côte d‘Ivoire (Fanci) und die „Forces nouvelles“ (die ehemaligen Rebellen, die den Konflikt in der Elfenbeinküste am 19. September 2002 auslösten) hätten mit der Entwaffnung begonnen. In einem ersten Schritt sollten beide Seiten ihre Straßensperren teilweise abbauen und mit dem Abzug ihrer schweren Waffen beginnen. Den genauen Ablauf sollte am 26. Dezember 2003 eine Kommission aus Vertretern der beiden Konfliktparteien sowie der französischen und westafrikanischen Friedenstruppen festlegen.1
Ist die Elfenbeinküste also auf dem Weg, ihren einstigen Frieden wiederzufinden? Die Lage bleibt ungewiss, zumal die Hauptprotagonisten der Krise offenbar entschlossen sind, ihren Lügenpoker noch länger fortzusetzen. Bertin Cadet, Berater des Präsidenten Laurent Gbagbo, weigerte sich am Tag nach dem Massaker vom 10. Dezember in einem Interview mit Radio France Internationale beharrlich, von den „Forces nouvelles“ zu sprechen. Er bezeichnete sie nach alter Gewohnheit als „Rebellen“ und machte sie ohne weitere Beweise für das Gemetzel vom Vortag verantwortlich. So schrieben es tags darauf auch die der Regierung nahe stehenden Zeitungen. Und doch verkündete zugleich Präsident Laurent Gbagbo das „Ende des Krieges“.
Das war ein klassisches Beispiel von Doppelzüngigkeit – oder ein erzwungener Kurswechsel. Womöglich blieb dem Präsidenten der Elfenbeinküste nach seinem Gespräch, das er am 22. November in Libreville (Gabun) mit dem französischen Außenminister Dominique de Villepin geführt hatte, nichts anderes übrig, als so versöhnliche Töne anzuschlagen. Denn Paris ist nicht gewillt, sich für die Freigabe der seit Beginn der Krise eingefrorenen (französischen, europäischen und internationalen) Fördergelder einzusetzen, bevor das Land nicht zur Stabilität zurückgefunden hat.
Das aber erfordert in den Augen des Elysée, der Vereinten Nationen wie auch der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Cedeao) die strikte Umsetzung des Abkommens vom 24. Januar 2003, das von allen politischen Parteien der Elfenbeinküste in Marcoussis unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen sieht vor, dass die Macht im Lande zwischen drei Gruppen aufgeteilt werden soll: der Rebellengruppe FPI (Front Populaire Ivorien), dem RDR (Rassemblement des Républicains) des ehemaligen Ministerpräsidenten Alassane Quattara und der PDCI (Parti Démocratique de Côte d‘Ivoire) des früheren Präsidenten Henri Konan Bédié.
Die Umsetzung des Abkommens stößt jedoch auf unerwartete Schwierigkeiten. So wurde Guillaume Soro, der Generalsekretär des Mouvement patriotique de Côte d‘Ivoire (MPCI), der wichtigsten Rebellenbewegung des Landes, der in der neuen Regierung als Minister für das Kommunikationswesen fungiert, am 27. April 2003 nach einem Besuch bei der staatlichen Fernsehanstalt von Demonstranten attackiert. Nachdem Soro nur knapp und unter unwürdigen Bedingungen entkommen war, feuerte er den Direktor der Fernsehanstalt, Georges Aboké. Obwohl der neue Ministerpräsident Seydou Diarra seine Zustimmung gegeben hatte, weigerte sich der Präsident, die Entlassungsurkunde zu unterzeichnen.
Dieser Zwischenfall ereignete sich vor dem Hintergrund eines schwer wiegenden Konflikts, der damals die Bildung der so genannten Versöhnungsregierung zu lähmen drohte. Streitpunkt waren die Posten des Verteidigungs- und des Innenministers, die man bei der Pariser Konferenz und dann auch in Marcoussis vorschnell den ehemaligen Rebellen zugesprochen hatte. Dabei konnte man sich allerdings nicht auf ein Verfahren einigen, das eine einvernehmliche Nominierung gewährleistet hätte. Die zunächst vorgeschlagenen Namen lehnte der Staatschef jedenfalls ab. Seitdem wird die Lösung des Problems immer wieder aufgeschoben.
Die Spielregeln
DAMIT stellt sich Gbagbo außerhalb des in Marcoussis beschlossenen rechtlichen Rahmens. Der Grund dürfte sein, dass nach diesem Abkommen seine Machtbefugnisse beträchtlich eingeschränkt wären. Jacques Chirac und sein Außenminister hatten bei den Verhandlungen eine einfache und wirkungsvolle Methode angewendet: Die Teilnehmer wurden mit dem Auftrag in einen Raum gesperrt, binnen zehn Tagen in den wichtigsten Punkten zu einem Ergebnis zu kommen: in der Frage des passiven Wahlrechts (die mit dem Problem der „Ivoirité“ zu tun hat), in der Frage des Grundeigentums und hinsichtlich der Wahl eines Ministerpräsidenten. Der sollte im Konsensverfahren bestimmt werden und – ausgestattet mit erweiterten Vollmachten – das Land bis zu den Wahlen im Jahr 2005 regieren, dann aber nicht selbst kandidieren dürfen.
Doch Chirac und Villepin begingen einen erstaunlichen Fehler. An einer Ecke des Verhandlungstischs entschieden sie kurz vor der Eröffnungssitzung über die Verteilung der Ministerposten und sprachen das Innen- und das Verteidigungsministerium den Rebellen zu. Diese Demütigung aber war zu viel für Präsident Laurent Gbagbo. Er instrumentalisierte den „verletzten Stolz“ seiner Anhänger in Abidjan, die zuvor schon von einer „zweiten Unabhängigkeit“2 geträumt hatten, für seine eigenen Zwecke, indem er die Parole ausgab: „Ja zum Geist des Abkommens von Marcoussis, aber Nein zu den Buchstaben.“
Danach überstürzten sich die Ereignisse. Am 25. August wurden zwei französische Soldaten von ehemaligen Rebellen getötet. In der Regierungsarmee (Fanci) regten sich die Kräfte, die von einer Abrechnung mit den Rebellenstreitkräften träumten.3 Obwohl Präsident Gbagbo jegliche Demonstration verboten hat, gehen seine Anhänger auf die Straße. Das weckt die Zweifel an der Fähigkeit oder dem Willen des Staatschefs, seine Gefolgschaft „im Zaum zu halten“. Am 22. September beschließt MPCI-Chef Soro, seine Beteiligung an der Regierung vorläufig ruhen zu lassen, nachdem man den von ihm entlassenen Direktor des staatlichen Fernsehens wieder eingesetzt und gegen seinen Willen René Amani und Martin Bléou zum Verteidigungs- bzw. Innenminister ernannt hatte. Doch Frankreich und die Vereinten Nationen drängten Soro, seinen Sitz in der Regierung wieder einzunehmen. Das ist am 22. Dezember letzten Jahres auch geschehen.
Jetzt glaubte Gbagbo, auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer. Am 22. Oktober wurde der Journalist Jean Hélène, Mitarbeiter von Radio France Internationale, von einem Polizisten kaltblütig ermordet. Gbagbo schien das nicht groß zu beunruhigen,4 vielmehr rechtfertigte er die gegen Frankreich gerichteten Angriffe der „jungen Patrioten“ als Zeichen eines „keimenden Nationalbewusstseins“.5 Dem Frieden in Elfenbeinküste dürften solche Äußerungen kaum förderlich sein.
deutsch von Michael Bischoff
* Journalist