Im Reich der Selbstzweifler
1952 standen die Vereinigten Staaten auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Damals warnte General Douglas MacArthur – Held der republikanischen Rechten, seit ihn der demokratische Präsident Harry Truman aus Korea abberufen hatte – seine Parteifreunde: Die Menschen machten sich große Sorgen über „unsere zunehmende Schwäche gegenüber der Sowjetunion“, über die Unfähigkeit der Regierenden, „die Einsatzfähigkeit unsere Streitkräfte aufrechtzuerhalten“, über „die anwachsende Last unserer finanziellen Verpflichtungen“ und über „ein ins Astronomische wachsendes Haushaltsdefizit, das die Zukunft unserer Kinder schwer belastet“.1
Acht Jahre später war es der Demokrat John F. Kennedy, der im Wahlkampf gegen den republikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon seine Beunruhigung darüber äußerte, dass die USA gegenüber der Sowjetunion angeblich im technologischen Rückstand läge. Nach der Wahl Kennedys zum Präsidenten hörte man vom berühmten „missile gap“ (der Raketenlücke) allerdings nichts mehr. Erst nach dem Watergate-Skandal (1974) und dem Scheitern der USA in Vietnam wurden die Selbstzweifel der Supermacht wieder wach.
In den 1970er-Jahren trat dann eindeutig zutage, dass die Weltmachtstellung der USA erschüttert war. Länder, die nur eine Generation zuvor die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erlitten hatten, erlebten einen neuen Aufschwung und mauserten sich zu wirtschaftlichen Konkurrenten. Auf die „amerikanische Herausforderung“ der 1960er-Jahre folgten die „europäische Herausforderung“ und die „japanische Herausforderung“. Dagegen wankte die Supermacht unter dem Gewicht ihrer Probleme: Dollarkrise, Inflation, Handelsdefizit.
Fortan schien sich alles gegen die USA zu verschwören, von der islamischen Revolution im Iran bis zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Zudem ging der Einfluss Washingtons in den internationalen Organisationen zurück. Mitten in dieser Untergangsstimmung erschien im Jahre 1980 der Retter, der Filmheld Ronald Reagan. Sein Slogan lautete: „America is back!“
Es war freilich nur ein kurzes Comeback. Am Ende von Reagans zweiter Amtszeit stand das Land angesichts des steigenden Haushaltsdefizits und der wachsenden Neuverschuldung – 1985/86 wurden die USA erstmals Nettoschuldner gegenüber dem Rest der Welt – erneut vor einem „Niedergang“. Der englische Historiker Paul Kennedy musste sein berühmtes Buch über den „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ 1987 eilends um ein letztes Kapitel ergänzen, in dem er das Schicksal der USA mit dem der Ming-Dynastie, des Frankreichs von Ludwig XIV. und des britischen Empire verglich.
Als George Bush sen. dann Präsident Reagan beerben wollte, wandte er sich vor dem republikanischen Wahlparteitag im August 1988 gegen Paul Kennedy und zugleich gegen seinen demokratischen Konkurrenten Michael Dukakis, der dem Land einen langen, langsamen Niedergang prophezeite: „Aber Amerika befindet sich nicht im Niedergang. Amerika ist eine aufsteigende Nation. Ich sehe Amerika als Führungsmacht, als einzigartiges Land mit einer besonderen Rolle in der Welt. Wir sprechen vom amerikanischen Jahrhundert, weil wir die beherrschende Macht waren, die das Gute in die Welt brachte. Wir haben Europa gerettet und die Kinderlähmung besiegt, wir sind auf dem Mond gelandet und haben die Welt mit unserer Kultur erleuchtet. Jetzt stehen wir an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts. Und ich sage euch, es wird ein weiteres amerikanisches Jahrhundert werden.“
Seitdem lässt jeder militärische Erfolg der Vereinigten Staaten (ob im Golfkrieg oder im Irak) und jede Spekulationsblase die Rede von der Super- oder Übermacht neu aufleben. Um sogleich bei jedem militärischen Misserfolg und bei jeder wirtschaftlichen oder sozialen Krise durch düstere Prophezeiungen im Stile MacArthurs abgelöst zu werden. Serge Halimi
Aus dem Französischen von Sabine Jainski