Kein Geld, kein Sieg, kein Charisma
EINE Welle von Protesten ging durch die westafrikanische Republik Senegal. Zu den Auslösern gehörten ein Enthüllungsbuch über die neue Führungsschicht des Landes, Angriffe auf missliebige Oppositionelle, regierungskritische Musikkassetten und die Ausweisung einer französischen Radiojournalistin. Die Befriedung der südlichen Provinz Casamance stockt, die Wirtschaftsreformen verbessern die Lage der Armen nicht. Politisch leben die Koalitionsparteien von der Hand in den Mund. Derweil sucht Präsident Wade Zuflucht in diplomatischer Umtriebigkeit und autokratischen Gesten.
Von VINCENT FOUCHER und JEAN-CLAUDE MARUT *
Im November letzten Jahres demonstrierten in Dakar tausende unter der Parole „Gegen die politische Gewalt“. Die Presse veröffentlichte flammende Artikel, führende Politiker warfen sich Beleidigungen an den Kopf, ein Oppositionsabgeordneter wurde unter bis heute ungeklärten Umständen zusammengeschlagen. Selbst die Bischöfe gaben ihre übliche Zurückhaltung auf und stellten in einer Proklamation die Frage: „In was für einer Demokratie leben wir eigentlich?“1
Die Unruhen haben sich an den Regierungsmethoden von Staatspräsident Abdoulaye Wade und seiner Umgebung entzündet. Sein Ansehen als liberaler Wirtschaftspolitiker ist beschädigt, und die Legitimationskrise seiner Regierung hat sich verschärft. Die Hoffnungen, die seine Wahl im Jahr 2000 bei vielen Menschen geweckt hatte, sind inzwischen enttäuscht2 ; der Wechsel des politischen Personals brachte keine andere Politik.
Symptomatisch für das Abgleiten in den Autoritarismus ist die Ausweisung der senegalesischen Korrespondentin von Radio France International (RFI), Sophie Malibeaux, einen Monat vor den Unruhen. Nach ihrer Verhaftung in Ziguinchor, Hauptstadt der südlichen Provinz Casamance, wurde die Journalistin trotz der Interventionen der RFI-Redaktion und des französischen Außenministeriums zurück nach Paris geschickt. Der Vorfall ereignete sich einige Monate nach der Ausweisung illegal eingewanderter Afrikaner aus Frankreich und hat zu einer merklichen Abkühlung der französisch-senegalesischen Beziehungen beigetragen. Die trat genau in dem Augenblick ein, da Präsident Wade seine guten Beziehungen zu George W. Bush demonstrativ herauskehrte.3
Die senegalesischen Behörden werfen Sophie Malibeaux einseitige Berichterstattung über einen Parteitag der im Südsenegal operierenden bewaffneten „Bewegung der demokratischen Kräfte von Casamance“ (MFDC) vor.4 Im Vorfeld der Friedensverhandlungen mit der Regierung verfolgte der Parteitag den Zweck, die in mehrere Flügel gespaltene Unabhängigkeitsbewegung wieder zusammenzubringen. Die Regierung in Dakar betrachtete diesen Kongress als einen notwendigen Schritt zur Beilegung des Konflikts und unterstützte die Organisatoren, die mit ihr am selben Strang ziehen, sowohl materiell als auch politisch.
Jean-Marie Biagui, der Generalsekretär der Bewegung, hatte die militärische Niederlage bereits anerkannt. Nun rief auch der charismatische MFDC-Führer Abbé Diamacoune Senghor dazu auf, die Waffen niederzulegen und die örtliche Bevölkerung über die Unabhängigkeit entscheiden zu lassen. In der Tat ist die Rebellenbewegung politisch wie militärisch stark geschwächt. Seit einiger Zeit schon ist aus dem bewaffneten Kampf im Südsenegal ein Bereicherungsfeldzug irregulärer Banden geworden. Eine militärische Lösung hält keine der Kriegsparteien für möglich. Nachdem die Zivilbevölkerung jahrelang der Willkür senegalesischer Soldaten und Untergrundkämpfer5 ausgeliefert war, leidet sie in jüngerer Zeit immer stärker unter den von der Regierung so genannten „Banditen“ – die wiederum bei weitem nicht alle Rebellen sind. Hinzu kommt, dass die Region auch noch vom Untergang der Passagierfähre „Joola“ im September 2002 besonders hart betroffen war.6
Als das französische RFI vor diesem Hintergrund ein Interview mit dem Führer einer MFDC-Fraktion ausstrahlte, die Diamacoune Senghor ebenso feindlich gesinnt ist, wie sie den Parteitag ablehnte, wurde das von den senegalesischen Behörden als „willentliche Sabotage“ des Friedensprozesses hingestellt. Abdoulaye Wade hatte im Wahlkampf 2000 versprochen, die Casamance-Frage innerhalb von hundert Tagen zu lösen, doch nach seinem Amtsantritt beschritt er dann andere Wege. Er ernannte einen Casamancer zum Verteidigungsminister und zog damit eine Entscheidung an sich, über die sich die politische Führung zuvor stets in kollegialer Absprache verständigt hatte. Allerdings wurde der Verteidigungsminister dann nach dem Untergang der „Joola“ wieder abgesägt, weil der Armee die Hauptverantwortung für das Unglück und für die unzulänglichen Rettungsarbeiten zugeschrieben wurde.7
In der Folgezeit hielt sich Staatspräsident Wade an die Methoden seiner Vorgänger, gegen die er lange gestritten hatte, und akzeptierte als Gesprächspartner nur Rebellen, die bereits dem bewaffneten Kampf und dem Ziel der Unabhängigkeit abgeschworen hatten. Die zahlreichen Radikalen und die „reuigen Rückkehrer“, die vom derzeitigen Friedensprozess ausgeschlossen sind, können auf das fortgeschrittene Alter des MFDC-Führers Abbé Diamacoune spekulieren. Auch können sie hoffen, von der Instabilität der Nachbarländer Gambia und Guinea-Bissau8 zu profitieren, die dem MFDC schon einmal als Hinterland dienten, auch wenn die dortigen Regierungen zur Zeit mit Dakar zusammenarbeiten. In diesem Fall könnte das Manöver der Regierung, mit dem Friedenskongress eine politisch abgesicherte Waffenruhe zu erreichen, den beabsichtigten Zweck verfehlen.
Die senegalesische Regierung versuchte diese Widersprüche zu verdecken, die das RFI-Interview mit dem MFDC-Dissidenten aber zumindest zum Teil wieder aufdeckte – wobei darin auch nicht mehr gesagt wurde, als schon in der senegalesischen Presse gestanden hatte. Aber offensichtlich konnte eine Regierung, die auf ihr internationales Ansehen bedacht ist, eine solches Kritik nicht aushalten.
Die RFI-Berichterstattung über die Casamance-Frage hatte bereits unter Wades Vorgänger Abdou Diouf 1997 zu Spannungen geführt. Während die senegalesische Presse damals jedoch auf den französischen Radiosender losgegangen war, hat sie in der jüngsten Krise für Sophie Malibeaux Partei ergriffen. Denn die Ausweisung der Journalistin fand in einem Klima des politischen und sozialen Verfalls statt. Im Juli 2003 hatte der Direktor des Radiosenders Sud FM, Abdoulatif Coulibaly, mit der Publikation eines Buches ein politisches Erdbeben ausgelöst. Unter dem Titel „Wade, ein Oppositioneller an der Macht. Der Politikwechsel in der Falle?“9 ging der Journalist schonungslos mit der Politik des Wandels ins Gericht. Der Staatsführung warf er Vetternwirtschaft, Klientelismus, opportunistische Diplomatie und persönliche Machtgier vor. Der Präsident reagierte harsch: Dem Verlag Sud Communication wurde die Steuerfahndung auf den Hals geschickt. Noch schlimmer waren die Morddrohungen gegen Coulibaly und seinen Verleger. Das Parlament setzte angesichts des Wirbels eine Untersuchungskommission ein.
Dann eskalierten die verbalen Attacken zu physischer Gewalt. Der Abgeordnete Talla Sylla wurde auf offener Straße von vier Männern mit Hämmern traktiert. Einige Tage zuvor hatte er eine Musikkassette mit sehr regierungskritischen Politsongs herausgebracht. Das Attentat wurde innerhalb von Senegal einhellig verurteilt – auch von Wade selbst, obwohl einige seiner Anhänger der Tat verdächtigt werden. Die Strafverfolgungsbehörden haben mit den Ermittlungen begonnen; inzwischen hat auch Syllas Rechtsanwalt Morddrohungen erhalten.
Sylla hatte als Chef der Allianz Jëf-Jël ursprünglich den Präsidentschaftskandidaten Wade unterstützt, sich dann aber von ihm abgewandt. Daran wird deutlich, dass der historische Regierungswechsel vom März 2000 weniger von einer Pro-Wade-Koalition als vielmehr von einem Anti-Diouf-Bündnis getragen wurde. Es begann bereits am Tag nach der Wahl zu zerfallen. Bei der Regierungsumbildung im August 2003 wollte keine der umworbenen Oppositionsparteien einen Minister in die neue Regierung entsenden.
Präsident Wade kann Kritik an seiner Person nur schlecht ertragen. Das hat wiederum politische Gründe. Der historische Oppositionsführer, der nach zwanzig Jahren Kampf und einigen Jahren im Gefängnis an die Macht gelangte, tritt als überzeugter Wirtschaftsliberaler auf. Zudem ist er ein Produkt der politischen Kultur der Fünfzigerjahre und von ihrem durch Charisma abgesicherten Dirigismus geprägt. Seine diplomatischen Erfolge etwa um die afrikanische Aufbau-Initiative Nepad haben ihn in dem Glauben bestärkt, den Veränderungswillen des senegalesischen Volks so eindeutig zu verkörpern, dass er seine Person nicht mehr in Frage stellen lässt.
Dabei steckt Senegal in der Krise: Das Wirtschaftswachstum hat sich wieder verlangsamt, die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten fällt nicht unter 40 Prozent, und auf dem Land herrschen nach der improvisierten Privatisierung der Erdnussplantagen chaotische Verhältnisse. Auf allen Ebenen der Regierung und der Wirtschaft regiert nach wie vor die Korruption.
Insgesamt sind damit die Hoffnungen zerstoben, die sich an die Wahl von Abdoulaye Wade im März 2000 geknüpft hatten. Das gilt vor allem für die Intellektuellen und die städtische Bevölkerung, die sich besonders stark für Wade engagiert hatten. Zu dieser Enttäuschung kommt die Ungewissheit in der Regierungskoalition. So könnte es durchaus ein, dass die versprengten Reste von Wades Amtsvorgänger Diouf gemeinsam mit den ehemaligen Verbündeten Wades einen erneuten Machtwechsel herbeiführen.
deutsch von Bodo Schulze
* Studienleiter an der Ecole des hautes études en sciences sociales (Ehess) und Forschungsleiter am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und am IRD (Lasdel, Niamey, Niger).