13.02.2004

Sonne, Wind und Erdwärme statt Triumph der Technowissenschaft

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Sonne, Wind und Erdwärme statt Triumph der Technowissenschaft

Von PHILIPPE BOVET *

WÄHREND der Hitzewelle im letzten Sommer konnte die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF den erhöhten Strombedarf für Kühl- und Klimaanlagen nur mit Mühe befriedigen. Dafür gab es zwei Gründe: Ein gutes Dutzend der 58 Atomkraftwerke war wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb, und die Stromerzeugung aus Wasserkraft war wegen der anhaltenden Trockenheit stark reduziert.1 Um die Binnennachfrage wie die Exportverpflichtungen zu bedienen, musste die EDF ihre Kohle- und Gaskraftwerke daher voll auslasten.

Mitte August stieg dann in einigen Atomreaktoren die Betriebstemperatur. Die EDF verbrauchte das knappe Wasser, um die Kühltürme zu benetzen, und erhielt eine Sondergenehmigung, das bis zu 30 Grad warme Kühlwasser in Bäche und Flüsse einzuleiten. Die Umweltverbände reagierten mit heftigem Protest. Es hatte sich erwiesen, dass die Stromgewinnung in Frankreich, die vorwiegend auf Atom- und Wasserkraft beruht (78 bzw. 12 Prozent), für klimatische Wechselfälle extrem anfällig ist.2

Die 1946 gegründete „Electricité de France“ (EDF) besitzt in der Strombranche weitgehend ein Produktions-, Verteilungs- und Ausfuhrmonopol.3 Die Elektrizitätserzeugung aus Erdöl, Erdgas und Kohle belastet bekanntlich die Umwelt und setzt Treibhausgase frei, und die mit der Kernkraft verbundenen Risiken sind inzwischen ebenfalls bekannt.

Für saubere Energie begann man sich in den 1970er-Jahren zu interessieren. Seither hat die Entwicklung erneuerbarer Energieträger wie Wind und Sonne, Biomasse und Erdwärme große Fortschritte gemacht. Diese sowohl umweltfreundlichen als auch unerschöpflichen Energiequellen bieten zusätzlich den gewaltigen Vorteil, Energie dort zu erzeugen, wo sie gebraucht wird, ob in der Stadt oder auf dem flachen Land. Mit Ausnahme der US-Ölgesellschaft Exxon haben daher alle Erdölkonzerne einen Geschäftsbereich „Erneuerbare Energieträger“ mit Schwerpunkt Wind- und Sonnenkraft aufgebaut.

Energieexperten sehen für die Sonnenenergie weltweit hohe Wachstumschancen. Nach Angaben der „European Photovoltaic Industrie Association“ (EPIA) ist der Kilowattpreis für Solarstrom in den letzten zwanzig Jahren pro Jahr um 5 Prozent gesunken. Einen ähnlich konstanten Rückgang der Preise kennen wir von der IT-Branche, was bekanntlich die Demokratisierung des Computers ermöglicht hat. In Japan und in Kalifornien soll der Preis für die solar gewonnene Kilowattstunde bis 2005 oder 2010 auf das Niveau herkömmlicher Energieträger sinken.4

Einige europäische Länder investieren massiv in die Technologien der regenerativen Energien. In Deutschland gab es Ende 2002 Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von 278 Megawatt, in Frankreich waren es ganze 17 Megawatt. 2001 wurden in Deutschland 1,5 Millionen Quadratmeter thermische Solarzellen installiert, in Frankreich dagegen nur 100 000 Quadratmeter. Auch bei der Windenergie liegt Frankreich weit zurück: Ende 2002 liefen in Deutschland Windenergieanlagen mit einer Kapazität von 12 000 Megawatt, in Frankreich waren es gerade einmal 150 Megawatt.5 Auch in anderen EU-Ländern wie Österreich, Dänemark und Spanien ist der politische Wille spürbar, verstärkt auf dezentrale Energieerzeugung zu setzen.

Gleichwohl zeigten die französischen Medien während der Hitzewelle wenig Neigung, sich mit energiepolitischen Alternativen zu befassen. „Für unsere Medien ist Sonnenenergie nach wie vor tabu“, erklärt Marc Jedliczka, Leiter der auf Solarenergie spezialisierten Organisation Hespul. „Davon ist nur die Rede, wenn es um Satellitensysteme, die französischen Überseegebiete Dom-Tom oder afrikanische Krankenstationen geht – Hauptsache, es ist weit weg von unserem Alltag.“

Am 13. August 2003 war Michèle Pappalardo zu Gast bei der Talk-Sendung „Le téléphone sonne“ auf France Inter, die sich mit dem Thema Klimaerwärmung beschäftigte. Die Leiterin der französischen Umwelt- und Energiebehörde (Ademe) meinte, Frankreich brauche „erneuerbare Energiequellen, die kein Kohlendioxid freisetzen“, und es sei „Aufgabe der Wissenschaft“, diese zu schaffen. Aber warum sollen wir noch auf Forschungsergebnisse warten, wo erneuerbare Energiequellen in anderen Ländern längst genutzt werden?

An der erwähnten Talkrunde nahm auch die Ministerin für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, Roselyne Bachelot, teil. Sie stellte einen Vergleich zwischen dem 3 600-Megawatt-Atomkraftwerk bei Chinon und regenerativen Stromerzeugungsarten an: „Um Chinon zu ersetzen, wären zweitausend Windkraftanlagen mit jeweils zwei Megawatt nötig. Und das ist noch niedrig geschätzt, da solche Anlagen im Schnitt nur ein Drittel der Zeit laufen. Wenn wir Sonnenenergie im entsprechenden Umfang einsetzen wollten, brauchten wir 3 600 Hektar Solarzellen, die fünfmal so teuren Strom liefern. [...] Im Übrigen produziert die Solarindustrie hochgiftige Abfälle.“ Um politisch korrekt zu bleiben, meinte die Umweltministerin immerhin: „Aber natürlich müssen wir die erneuerbaren Energieträger fördern.“

Keiner der Gesprächsteilnehmer erinnerte sie daran, dass ein wesentlicher Punkt bei den erneuerbaren Energien die dezentrale Gewinnung und Nutzung ist. Sonnenenergie wird lokal erzeugt und verbraucht, Windenergie ist für den regionalen Bedarf gedacht. Der Strom aus Sonnen- und Windkraft soll gar nicht über ein landesweites Hochspannungsnetz den Weg zum Verbraucher finden. Nach einer Untersuchung der European Photovoltaic Industrie Association (Epia) könnte ein Land wie Deutschland 30 Prozent seines Energiebedarfs decken, wenn 40 Prozent der Gebäudedächer – vor allem die großen Flachdächer von Industrie- und Geschäftsbauten – sowie 15 Prozent der Fassaden von Wohn- und Hochhäusern mit Solarzellen ausgerüstet wären.

Auch nannte keiner der Gesprächsteilnehmer den Grund, weshalb Solarstrom noch immer vergleichsweise teuer ist. „Seit dreißig Jahren“, so der ehemalige französische Umweltminister Yves Cochet, „fließen die öffentlichen Forschungsgelder im Energiesektor zum allergrößten Teil in die Atomkraft, dagegen werden nur 2 Prozent der staatlichen Förderung für erneuerbare Energien ausgegeben. Für 2003 werden die Haushaltsmittel der Umwelt- und Energiebehörde Ademe für diese Bereich sogar um 40 Prozent zurückgefahren.“6 Was die giftigen Abfälle anbelangt, die bei der Herstellung von Solarzellen anfallen, erklärt Arnaud Mine, Chef der Sonnenenergie-Tochter „Apex BP Solar“ des Erdölkonzerns British Petroleum: „Bei der Herstellung von Solarpaneelen werden neben Silizium auch Säuren, Lösungsmittel und Fluorverbindungen eingesetzt. Diese Stoffe werden ausnahmslos recycelt, so dass keine giftigen Substanzen in die Umwelt gelangen. Auch bei der Herstellung von elektronischen Bauteilen gibt es ähnliche Fertigungsverfahren. Aber auf die Elektronikindustrie will Roselyne Bachelot lieber nicht mit dem Finger zeigen.“

Dass ein Mitglied der französischen Regierung gegen regenerative Energien argumentiert, steht in offenem Widerspruch zu den EU-Verpflichtungen Frankreichs. Denn die besagen, dass das Land bis 2010 mindestens 21 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen, darunter Wasserkraft, gewinnen muss.

Die Solarenergie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung, und kein Land kann für sich in Anspruch nehmen, einen nennenswerten Teil seines Energiebedarfs durch die Sonne zu decken. Doch das ist kein Grund, diese Energiequelle abzulehnen, zumal die verschiedenen erneuerbaren Energieträger sich gegenseitig ergänzen und nur im Verbund sinnvoll einsetzbar sind. Zwar kann Solarstrom nur bei Tag erzeugt werden, doch auf der anderen Seite fallen eben auch 61 Prozent des Strombedarfs zwischen 7 und 21 Uhr an. Sonnenkollektoren können durchschnittlich 40 bis 70 Prozent, an sonnenreichen Tagen sogar den gesamten Warmwasserbedarf eines Wohnhauses decken. Wird mehr Wasser aufgeheizt als nötig, lässt sich das übrige Wasser problemlos mehrere Tage lang speichern.

Strom aus Windenergie ist allerdings nur an einem Drittel der Tage zu gewinnen, weil im Jahresdurchschnitt an zwei von drei Tagen Windstille herrscht. Auf der anderen Seite fällt Windenergie vor allem im Winter an, wenn der Energiebedarf am höchsten ist. Die Betreiber von Windkraftparks wissen, dass sie, um Produktionsschwankungen auszugleichen, mehrere Standorte brauchen und mit den Erzeugern anderer sauberer Energien kooperieren müssen. Erdwärme und Biomasse hingegen liefern Wärme und Strom je nach Bedarf. Wenn Deutschland plant, die Hälfte seines Energieverbrauchs bis zum Jahr 2050 durch erneuerbare Energien zu decken, so liegt dem ein Gesamtkonzept zugrunde, das auf das Zusammenwirken der verschiedenen Energiequellen setzt.

Dass auch Frankreich seine Energieproduktion allmählich umstellen sollte, wird in der französischen Presse derzeit kaum erwogen. „Unsere Medien sind völlig auf die zentralisierte Energieerzeugung fixiert, wie sie in Frankreich seit über fünfzig Jahren vorherrscht“, kritisiert Didier Lenoir, Präsident des Comité de Liaison des Energies Renouvelables (CLER).7

Dies liegt wohl auch daran, dass die atombegeisterte EDF ein wichtiger Werbekunde von Fernsehsendern und Zeitungen ist. In den Jahren 2001 und 2002 zählte der Strommonopolist zu den zehn größten Werbekunden von Radio France. Bei France Inter rangierte die Elektrizitätsgesellschaft zwischen November 2002 und Oktober 2003 mit Werbeausgaben in Höhe von 1,3 Millionen Euro sogar auf dem vierten Platz.

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen von November 2002 bis Oktober 2003 die EDF-Werbeausgaben in der französischen Tagespresse um 73 Prozent von 2,6 auf 4,5 Millionen Euro. Die Anzahl der Werbeseiten nahm im gleichen Zeitraum um 91,4 Prozent zu. „Die große Mehrheit der französischen Medien“, so die Energiebeauftragte von Greenpeace Frankreich, Hélène Gassin, „macht sich zum Sprachrohr der herrschenden Meinung und berichtet über Windenergie vor allem dann, wenn etwa das Projekt eines Windparks zu Konflikten führt. Die meisten Journalisten nehmen erneuerbare Energien nicht ernst, weil die eben nicht für den Triumph der Technowissenschaft stehen.“ Dabei sind diese erneuerbaren Energien auch insofern alternativ, als sie ebenso leicht zu verstehen wie umzusetzen sind.8

Auch Energieverschwendung ist kaum ein Thema. Zwischen 1974 und 2000 hat sich der Stromverbrauch in Frankreich vervierfacht. Der Präsident der Organisation Négawatt, Benoît Lebot, bemängelt: „Seit zwanzig Jahren wird in Werbekampagnen die Ansicht verbreitet, Energie gebe es im Überfluss. Die Politik verfolgt das Ziel der ständigen Angebotssteigerung. Dabei müsste man versuchen, die Nachfrage zu drosseln, genau wie bei Tabak und Alkohol.“ Eine grundsätzliche Umorientierung der Energiepolitik erforderte also auch ein umfassendes Energiesparprogramm.

Energie lässt sich auf einfache Weise sparen: Man kann Wohnhäuser entsprechend renovieren (Isolation von Innen- und Außenwänden, Einbau von Doppelfenstern, bessere Belüftung) sparsame Kühlschränke und Energiesparlampen anschaffen und auf den Stand-by-Modus bei Musikanlagen und anderen Geräten verzichten. Es kämen etliche Einzelmaßnahmen in Betracht, die für sich genommen „bescheidene, ja kaum wahrnehmbare Auswirkungen haben, im Gesamteffekt aber ein erhebliches Sparpotenzial bergen“.9 Gerade im Wohn- und Bürobereich, in den 46 Prozent des französischen Energieverbrauchs fließen, gibt es ungeheure Einsparmöglichkeiten. Würden die meistgenutzten Glühbirnen durch Sparlampen ersetzt, könnte man auf die Jahresstromproduktion von anderthalb Atomreaktoren verzichten.10

Ein Umlenken in Richtung erneuerbarer Energien wäre im Übrigen auch ein wirksamer Weg, um sich gegen allfällige Energiekrisen zu wappnen. Doch auf diesem Ohr sind in Frankreich alle taub, die Politiker wie die Medien.

deutsch von Bodo Schulze

* Journalist

Fußnoten: 1 Die Stromerzeugung aus Wasserkraft lag im August 2003 um 28,8 Prozent unter dem Vorjahresniveau. 2 Nach dem Observatoire de l’Energie stammten 10 Prozent des Stroms 2002 aus Wärmekraftwerken (Erdgas, Kohle), weniger als 1 Prozent aus erneuerbaren Energien. 3 Seit 1999 können Unternehmen auch bei anderen Anbietern Strom beziehen, ab 2007 auch Privathaushalte. 4 Angaben von Apex-BP Solar. 5 Nach „Baromètre Eurobserver“ (Systèmes solaires, Januar und März 2002 sowie Januar 2003). 6 Yves Cochet und Agnès Sinaï, „Sauver la Terre“, Paris (Fayard) 2003. 7 Herstellerverband im Bereich erneuerbare Energien. 8 Siehe dazu Hermann Scheer, „Solare Weltwirtschaft“, München (Antje Kunstmann) 1999. 9 Yves Cochet und Agnès Sinaï (siehe Fn. 6). 10 Les Cahiers de Global Chance, Nr. 17, Suresnes, September 2003.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2004, von PHILIPPE BOVET