Der Dinosaurier von Lomé
OB General Gnassingbé Eyadéma, der seit 1967 in Togo an der Macht ist, im Laufe dieses Jahres wirklich zurücktreten wird, wie er es seinem französischen Freund Jacques Chirac im Juli 1999 versprochen hat, ist eine offene Frage. Das Land hat fünfunddreißig Jahre blutiger Militärdiktatur hinter sich, der Demokratisierungsprozess ist in den Neunzigerjahren abgebrochen worden, und im Dezember letzten Jahres hat Eyadéma eine neue Verfassung verabschieden lassen, die dem Staatschef ausdrücklich erlaubt, sich unbegrenzt weiter zur Wahl zu stellen. Auf die schwere Wirtschaftskrise, in der das Land überdies steckt, hat Eyadéma nur eine Antwort: Wo immer es geht, werden die Kabyè, die Volksgruppe des Präsidenten, bevorzugt.
Von COMI M. TOULABOUR *
Die Macht General Eyadémas und seines Regimes gründet darauf, dass er es versteht, die ethnische Identität zum Politikum zu machen. Wie in anderen afrikanischen Staaten ist in Togo nicht die ethnische Frage selbst das Problem, sondern ihre Funktionalisierung durch die politische Elite. Die politische Führung nutzte diese Situation, um an die Macht zu gelangen und sich dort zu halten, ganz egal ob und was für eine Opposition es gab. Statt die Gründung moderner und ernst zu nehmender Organisationen zur Mobilisierung und politischen Mitbestimmung (Parteien, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft usw.) zu fördern, machte sich Präsident Eyadéma das Konzept der ethnischen Zugehörigkeit zunutze – so laut er sich auch öffentlich davon distanzierte.
Der durch zwei Staatsstreiche an die Macht gekommene Präsident ist eine Art Doppelgänger von Mobutu Sese Seko aus dem ehemaligen Zaire, von dem er sich beim Aufbau seines Regimes hat inspirieren lassen. Dieses beruht auf der maßlosen Anbetung seines Anführers, der räuberischen Ausbeutung der bescheidenen Rohstoffe des Landes sowie auf Grausamkeit und extremer Gewalt. Am 13. Januar 1963 stürzte Eyadéma den ersten Präsidenten des unabhängigen Togo, Sylvanus Olympio, und ließ ihn ermorden. Im Januar 1967 setzte er als Generalstabschef der Armee Präsident Nicolas Grunitzky ab, weil dieser eine Verfassung durchsetzen wollte, die ein Mehrparteiensystem garantierte. Der einstige Feldwebel verbündete sich dann mit dem älteren Félix Houphouët-Boigny von der Elfenbeinküste, der ihm als Pate in den nach der Ermordung von Olympio deutlich abgekühlten französisch-afrikanischen Beziehungen zur Seite stand. Nach dem Tod des Präsidenten der Elfenbeinküste sicherte sich Eyadéma die zweifelhafte Position des „Doyen der afrikanischen Staatschefs“. Zur Mafia der von Paris unterstützten Diktatoren gehörten der Kameruner Paul Biya, der Gabuner Omar Bongo und Blaise Compaoré aus Burkina Faso. Eyadéma pflegte seine Beziehungen zu ausländischen Staatschefs. Vor allem in Frankreich bekam er von Linken wie Rechten einige Unterstützung.
Im eigenen Land setzte General Eyadéma ab 1967 eine „Ethnopolitik“ nach dem Vorbild Houphouët-Boignys durch, die seine Volksgruppe, die Kabyè, allen anderen vorzog. Die Ermordung seines Vorgängers hat er stets mit der zu befürchtenden Teilung des Landes in Nord und Süd erklärt. Im Unterschied zu ihren Kollegen in der Elfenbeinküste waren die Machthaber in Togo zu faul oder nicht einfallsreich genug, um nach dem Vorbild der Ivoirité eine „Togolité“ zu erfinden – die Bezeichnung gibt es zwar nicht, der Vergleich hat jedoch seine Berechtigung.1 Obwohl die „Togolité“ intellektuell ziemlich dürftig scheint, ist sie politisch ebenso gefährlich und zerstörerisch wie die Ivoirité.
Die Grundlage der „Togolité“ bilden die Mythen von der „vertikalen“ Migration der Kabyè, des „Präsidentenvolkes“. Nach dieser Schöpfungslegende stiegen die Kabyè vom Himmel herab, um den Nordteil des Territoriums zu besetzen, während die anderen Ethnien das Land durch „horizontale“ Migration bevölkert haben. Dieser Mythos tauchte dank – oder wegen – der aus Mobutus Zaire2 eingeführten Authentizitätspolitik seit 1974 im politischen Diskurs auf. Er suggeriert nichts anderes, als dass eine der Ethnien einen historischen Besitzanspruch auf das Land hat und somit rechtmäßig dazu bestimmt ist, es zu regieren. Natürlich taucht auch der Name dieser ethnischen Gruppe in jenem Lied auf. Eine alberne offizielle Mythologie hat also jahrzehntelang festgelegt, dass General Eyadéma geboren sei, um zu herrschen.
Während im Süden der Elfenbeinküste die Akan und die Baoulé ein mythisches, imaginäres Wir bilden, wird diese Rolle in Togo von den Kabyè im Norden ausgefüllt. Begriffe wie „ursprüngliche Togoer“, „authentische Togoer“, „echte Togoer“ tauchen auf und werden den „falschen Togoern“, den „Staatenlosen“ und „Verrätern“ gegenübergestellt. Solche Bezeichnungen können in Phasen schwerer politischer Krisen an Bedeutung gewinnen, wenn sie identitätsstiftend wirken oder als Werkzeug der Unterdrückung eingesetzt werden. Die Machthabenden berufen sich dann auf angebliche Putschversuche, um mit unvorstellbarer Gewalt ethnisch „zu säubern“ und zu bestrafen. Parallel zur offiziellen Losung der nationalen Einheit wird in den Klubs und in sonstigen Vereinigungen von Beamten oder Intellektuellen aus dem Norden des Landes, vor allem unter den Kabyè, ein anderes ebenso reales und prägendes Motto verkündet. General Eyadéma liebt diese Foren, deren Gründung er selbst befördert hat. Dorthin geht man, um die „Leute aus dem Süden“ zu „zermalmen“ und Strategien zur Bewahrung der Staatsmacht zu entwickeln, die in den Händen der „Leute aus dem Norden“ bleiben muss, selbst wenn diese „edle nationale Aufgabe“ nur mit Hilfe der Armee erfüllt werden könnte.
Die Armee ist nach dem Bericht des französischen Botschafters in Togo, Jean-François Valette3 , „die effektivste Einrichtung in Togo […], diszipliniert, ziemlich gut ausgebildet und gut geführt“. Sie besteht fast nur aus Vertretern derselben Volksgruppe, der „Ethnie des Präsidenten“4 . Das erkennt Valette ausdrücklich an, wenn er seinen Vorgesetzten rät, „der togoischen Armee zwei Jagdflugzeuge zu schenken, die in keinem Fall für Unterdrückungsmaßnahmen im Land genutzt werden dürfen. Sie werden zur Sicherheit des Hafens in Lomé beitragen und können von den Ethnien des Südens benutzt werden, die gegenwärtig in der Armee in der Minderheit sind.“5 Zwischen Togo und Frankreich bestehen immer noch die Verteidigungsverträge vom 10. Juli 1963 und die Abkommen über technische und militärische Zusammenarbeit vom 29. März 1976.
Als Eyadéma mit den demokratischen Forderungen der nationalen Konferenz vom Juli 1991 konfrontiert wurde, stützte er sich vor allem auf seine Armee und behauptete, die Leute aus dem Süden wollten ihm nur „seine“ Macht rauben. Dann ging er mit ethnischem Radikalismus vor und „kabyesierte“ die gesamte staatliche und halbstaatliche Verwaltung. Fast alle Staatsunternehmen, die nicht privatisiert wurden, sind heute in den Händen der Kabyè, und die meisten von ihnen stammen aus Pya, dem Geburtsdorf des Staatschefs. Die Phosphatbehörde (geschätzte Phosphatvorkommen: über 100 Millionen Tonnen), der autonome Hafen Lomé, die Flughafengesellschaft, die Staatliche Lotterie, die Togoische Baumwollgesellschaft, die Industrie- und Freihandelszone, die großen Botschaften im Ausland (USA, Frankreich, Deutschland, Kanada) – sie alle sind in den Händen von Kabyè aus Pya. Auch im Justizapparat gibt es eine bezeichnende Arbeitsteilung. Zwar kommen die meisten Anwälte aus dem Süden des Landes, Staatsanwälte und Richter stammen aber aus dem Norden und erweisen den Machthabern, die sie eingesetzt haben, große Dienste.
In Gilchrist Olympio, dem Sohn des ersten Präsidenten, Sylvanus Olympio, hat auch Togo seinen Alassane Ouattara. Olympio, der historische Gegenspieler der Eyadéma-Diktatur, lebt seit 1963 im Exil. Er verkörpert schon mit seinem wenig togoisch klingenden Namen das Fremde und Andere. Mehrere Attentate wurden auf ihn verübt, zum Beispiel am 5. Mai 1992 in Soudou, und er ist in Togo zum Tode verurteilt. Unter diesen Bedingungen konnte seine wiederholte Präsidentschaftskandidatur nur scheitern: Annullierung der Wahl im August 1993; Abbruch des Wahlverfahrens im Juni 1998 (weil der Machthaber seine Niederlage ahnte); brutale Polizeiaktionen gegen Olympios Union der Kräfte des Wechsels (UFC); falsche Anklagen wegen angeblichen Versuchs, das Land von Ghana aus zu destabilisieren. Sogar der Botschafter Frankreichs, der UFC nicht gerade wohl gesinnt, weil er ihre Opposition für zu hart hält, war beunruhigt über diese „togolitären“ Entgleisungen: „Ich habe versucht, zu vermitteln, und habe mit Präsident Eyadéma gesprochen, damit er ein Abgleiten in die Nationalitätenproblematik wie in der Elfenbeinküste verhindert.“6 Es spricht Bände, dass Eyadéma seinen Premier Agbéyomé Kodjo, der im Juni 2002 zurücktrat und einen leidenschaftlichen offenen Brief gegen das Regime verfasste, in Misskredit zu bringen versuchte, indem er dessen Nationalität in Zweifel zog.
Wie auch in der Elfenbeinküste legten die Machthaber in den 1970er-Jahren im Rahmen ihrer „Landpolitik“ fest, der Boden gehöre dem, der ihn bestellt! Zwanzig Jahre später führte diese Entscheidung zu tragischen und brutalen Zwischenfällen. General Eyadéma wollte seinen Leuten etwas Gutes tun, indem er die Kabyè-Landarbeiter auf den Kaffee- und Kakaoplantagen des Südens von einem Tag auf den andern zu deren Eigentümern erklärte.7 Beim Übergang zur Demokratie, 1991 und 1992, nutzten die beraubten Eigentümer ihre wiedererlangte Freiheit. Sie rebellierten gegen die Landbesetzer, vertrieben sie und beglichen bei der Gelegenheit auch ein paar alte Rechnungen. In den fruchtbaren Regionen Kpalimé und Atakpamé kam es zu pogromartigen Ausschreitungen.
Die radikalen Studenten
ANDERSWO, vor allem in Lomé, wollten junge radikalisierte ethnische Gruppen in Milizen und bewaffneten Banden kämpfen. Besonders aktiv war der Hohe Rat der Studentenvereinigungen und -bewegungen (Hacame), der vorwiegend aus jungen Leuten und Soldaten aus dem Norden bestand. In der Schlagkraft war er seinem Gegenspieler, der weitgehend aus Südtogoern bestehenden Ekpemog, weit überlegen.8
Die „Togolité“ muss auch im Kontext der dramatischen Wirtschaftskrise betrachtet werden. Strukturanpassungspläne werden mit fanatischem Eifer umgesetzt, ohne jedoch überzeugende Ergebnisse zu erbringen. Seither ist Togo ökologisch und sozial ruiniert, die Hauptstadt Lomé ist eine schmutzige, verwahrloste Stadt geworden. Die kleine Mittelschicht in Lomé und in den Städten im Landesinnern, in erster Linie Beamte, Händler und wenige wohlhabende Bauern, ist nahezu verschwunden, wurde von einer miserablen, räuberischen Wirtschaftsführung platt gewalzt, die Inlands- und Auslandsschulden ansteigen ließ. Der Staat ist nicht mehr imstande, seine Angestellten zu bezahlen.
Seit der Wahlfarce von 1993 erhält Togo keine Subventionen mehr von der Europäischen Union (vorher ca. 75 Millionen Euro pro Jahr), die auch wichtigster Kreditgeber durch multilaterale Fonds und vielfältige bilaterale Hilfen war. Trotz des heftigen Widerstands aus Paris, das den Machthabern nach wie vor wohlwollende Unterstützung zuteil werden lässt, hat Brüssel Sanktionen gegen Togo beschlossen. Das Land ist erschöpft, es hat negative Wachstumsraten (2000 fast –2 Prozent), die Inflation erreichte im Jahre 2001 offiziell 2,9 Prozent, und das Bruttoinlandsprodukt sinkt ständig.9 Aber noch immer machen die Machthaber schamlos die Oppositionsparteien für ihre schlechte Regierungsarbeit verantwortlich.
Während der Präsident kreuz und quer durch Afrika reist und zum Beispiel im Konflikt in der Elfenbeinküste den Vermittler spielt, weist sein eigenes Land alle Komponenten auf, die zu einer vergleichbaren Explosion führen können. Ironie des Schicksals: Während General Eyadéma im Ausland agiert, ist einer der wichtigsten Führer der Opposition in Togo, Yaovi Agboyibor, nach Dakar gereist, um dort um Vermittlung durch den senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade zu bitten. Noch wird das Land durch ein Gemisch aus Angst, Fatalismus, Überdruss und unterdrücktem Zorn künstlich zusammengehalten. Noch dient dies dem Regime als ein wenn auch zerbrechlicher Schutzschild. Allerdings hat Eyadéma wie zufällig im Dezember letzten Jahres von der Nationalversammlung eine neue Verfassung verabschieden lassen: Sie verbietet es dem scheidenden Staatschef künftig nicht mehr, sich unbegrenzt weiter zur Wahl zu stellen.10
deutsch von Claudia Steinitz
* Wissenschaftsreferent im Centre d‘études d‘Afrique noire – Institut d‘Études politiques (CEAN-IEP), Bordeaux.