11.04.2003

Legale Diskriminierung

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Legale Diskriminierung

MAN nennt sie OMIs, vor allem in den Bouches-du-Rhône, wo die Landwirtschaft seit Jahrzehnten ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Rund die Hälfte der insgesamt 10 403 OMI-Arbeitsverträge, die französische Unternehmen 2001 abgeschlossen haben, entfallen auf das südfranzösische Departement. Das Kürzel steht nicht für Omertà, Misere, Inkrimination, wie man annehmen könnte, sondern für „Office des Migrations Internationales“. An diese Einwanderungsbehörde hat sich ein Arbeitgeber zu wenden, wenn er einen ausländischen Saisonarbeiter beschäftigen will, eine vorherige Genehmigung der Departement-Behörde für Arbeit und Beschäftigung (DDTE) vorausgesetzt. In den meisten Fällen schreibt er die Stelle vorher noch beim Arbeitsamt (Anpe) aus, um sicherzugehen, dass sich niemand meldet. Anschließend ist es ihm überlassen, die Arbeiter, die er nach Frankreich zu holen gedenkt, namentlich zu benennen. Der Arbeiter muss nach Ablauf seines um zwei Monate verlängerbaren sechsmonatigen Arbeitsvertrags binnen zehn Tagen in sein Herkunftsland zurückkehren. Bisher hat Frankreich nur mit Marokko, Tunesien und Polen entsprechende bilaterale Abkommen geschlossen.1

Denis Natanélic2 , seit 15 Jahren in La Crau (Var) ansässig, gibt uns einen Überblick: „Bis 1981 stieg die Zahl der Saisonarbeiter ständig an. Nach der Wahl von François Mitterrand zum Staatspräsidenten verschafften sich viele eine Aufenthaltserlaubnis und änderten ihren Lebensplan. Sie fanden eine Wohnung und ließen ihre Familie nachkommen. Für den Arbeitgeber waren sie nun nicht mehr so disponibel, sie nahmen nicht mehr alles widerspruchslos hin, ihre Angehörigen passten auf sie auf. Also wurden sie entlassen, wurden arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger.“ Die Lücke füllten die OMI-Arbeiter. „Als 1995 die Arbeitslosigkeit anstieg, wurde ein Rahmengesetz verabschiedet, das nur noch die Erneuerung bestehender OMI-Verträge gestattet. Deren Zahl sank von 3 420 1998 auf 2 858 im Jahr 2000.“3

Doch die Regierung hatte die Rechnung ohne die Arbeitgeberlobby gemacht, zumal ohne den Bauernverband des Departements (FDSEA). 2001 machte der Staat einen Rückzieher und legte das Rahmengesetz von 1995 ad acta. Kurz darauf wurden 1 500 neue OMI-Verträge unterzeichnet, wobei manche Landwirte die Gelegenheit nutzten, um verbrauchte Mitarbeiter abzustoßen.

Die Charta des „Kollektivs zur Verteidigung ausländischer Arbeiter in der Landwirtschaft“4 bezeichnet die IMO-Verträge als „Billig-Zeitarbeitsverträge“, und in der Tat sind die Rechte von IMO-Arbeitern vielfach eingeschränkt. Arbeitsrechtlich haben sie keinen Anspruch auf die Prämie für besondere Notfälle oder auf bevorzugte Neueinstellung. Sie sind nicht ganzjährig sozialversichert, weil der Versicherungsanspruch mit dem befristeten Arbeitsvertrag erlischt. Sie haben kein Anrecht auf Arbeitslosengeld oder -hilfe, obwohl sie in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, und sie haben es schwer, Rentenansprüche geltend zu machen, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückgeschickt wurden. Aufenthaltsrechtlich stehen sie mit leeren Händen da: Anspruch auf Familienzusammenführung haben sie nicht, weil sie nie das ganze Jahr hindurch arbeiten, auch nicht auf eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung, weil sie nur mit Unterbrechungen in Frankreich leben.

Neben der gesetzlichen Diskriminierung gibt es natürlich die illegalen Praktiken gewisser Arbeitgeber. So müssen manche Bewerber vor Vertragsabschluss oder -erneuerung eine Art „geheimer Steuer“ von bis zu 50 000 Franc zahlen, um überhaupt auf die Liste zu kommen. Die tarifvertraglichen Bestimmungen werden vielfach umgangen, eine anständige Unterkunft ist die extreme Ausnahme. Dreh- und Angelpunkt des Systems ist die Erpressung mit der Erneuerung der Arbeitsverträge. Da die Landwirte praktisch nur noch Subunternehmer der Supermarkt-Einkaufszentralen sind, können sie sich nur mit Lohndrückerei und extremer Ausbeutung einen Handlungsspielraum verschaffen. Vom Staat wird diese Form legalisierter Sklaverei gedeckt. Bei diesen Verhältnissen handelt es sich also nicht um ein archaisches Überbleibsel. In Zeiten des knallharten Wirtschaftsliberalismus könnten die IMO-Verträge in ganz Europa zum Modell für die Landwirtschaft ingesamt, für das Bau- und Gaststättengewerbe, für die Textilindustrie und viele andere Sektoren avancieren.

P. H.

Fußnoten:

1 Das OMI schließt mit den Ländern bilaterale Abkommen. Die Juni und August 1963 mit Marokko und Tunesien abgeschlossenen Verträge wurden 1987 bzw. 1988 überarbeitet, Mai 1992 kam Polen hinzu. 2 Leiter des Freundschaftsvereins „Mafadji-Pays d‘Arles“, dessen Mitgliederschaft Einwohner des gleichnamigen Dorfs, Malier aus einer Wohnsiedlung in Rosny-sous-Bois und Leute aus der Region von Arles umfasst (Adresse: Maison des Association, 3, Boulevard Lices, 13200 Arles). 3 Zahlen der Gewerbeaufsichtsbehörde „Inspection du Travail, de l‘Emploi et de la Politique Sociale“ (Itepsa). 4 Adresse des Kollektivs: Codetras, BP 87, 13303 Marseille Cedex 3; codetras@espace.asso.fr.it.

Le Monde diplomatique vom 11.04.2003, von P. H.