Als hätte es Darwin nie gegeben
DIE Folgen der Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) im Bereich der Landwirtschaft sind sattsam bekannt und wissenschaftlich vielfach belegt. Das Problem der Kontaminierung konventioneller Sorten stellt sich nicht nur in Afrika, wo sich zum Beispiel Sambia gegen die Eroberung der Felder durch GVO-Produkte wehrt. In Europa wäre insbesondere die alternative Landwirtschaft bedroht, wenn sich über die WTO-Regeln die Interessen der großen US-Konzerne durchsetzten. In dieser Situation wäre eine kritische Haltung der Europäischen Union besondes wichtig. Aber die zuständigen Instanzen in Brüssel, einschließlich EU-Agrarkommissars Franz Fischler, sind offenbar bereit, sich dem internationalen Agrobusiness als Bündnispartner anzubieten.
Von SUSAN GEORGE *
In der Auseinandersetzung um gentechnisch veränderte Organismen (GVO) greifen deren Gegner immer wieder auf drei Argumente zurück: Erstens könnten GVOs irreversible Umweltschäden verursachen; zweitens gehe es um potenziell gigantische Märkte und deren Kontrolle durch einige wenige Konzerne; drittens seien es vor allem US-amerikanische Wirtschaftsinteressen, die sich – von der EU-Kommission tatkräftig unterstützt – Europa und die übrige Welt unterordnen wollen.
Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen breitet sich rapide aus. Im Jahr 2000 waren weltweit 45 Millionen Hektar mit GVOs bepflanzt, davon 68 Prozent in den USA, 23 Prozent in Argentinien, 7 Prozent in Kanada und 1 Prozent in China.1 Über vier Fünftel der GVO-Fläche tragen Mais und Soja, weit abgeschlagen folgen Raps, Baumwolle und Kartoffeln. Das Volumen des Welthandels mit Saatgut liegt bei über 45 Milliarden Euro. 80 Prozent der Landwirte, vor allem in den südlichen Ländern, bewahren jedoch noch immer einen Teil der Ernte für die Aussaat des nächsten Jahres auf und tauschen ihr Saatgut mit ihren Nachbarn, anstatt es einzukaufen. Die transnationalen Saatgutkonzerne verfolgen daher eine Expansionsstrategie mit drei Unterzielen: Sie wollen geografisch expandieren, ihre Varietäten weiter verbreiten und ihre Handelsmacht ausbauen.
Die Saatgutkonzerne sind nicht nur in ihrem Kernbereich tätig, sie produzieren und vermarkten auch Herbizide und Pestizide und zuweilen sogar Pharmaerzeugnisse. Monsanto, Syngenta, Aventis, Dupont, Dow und einige andere Branchenriesen sind ausnahmslos aus Fusionen und Übernahmen hervorgegangen, die Synergieeffekte freigesetzt haben. Sie selbst bezeichnen sich als Unternehmen der „Wissenschaft vom Leben“, doch ihr Ziel ist die Patentierung von Genen, Saatgut und verwandten Technologien und damit nicht mehr und nicht weniger als die weltweite Kontrolle über die Landwirtschaft.
In den USA müssen die Saatgutfirmen eine Genehmigung des Landwirtschaftsministeriums (USDA) einholen, bevor sie eine neue GVO-Varietät auf den Markt bringen dürfen. Von den 87 Anträgen, die der Behörde seit 1992 vorlagen, kamen 45 von Monsanto (inzwischen mit Upjohn, Calgene, DeKalb und Asgrow fusioniert). 18 Prozent entfielen auf Aventis (wozu auch AgrEvo und Plant Genetic Systems gehören), 9 Prozent auf Syngenta (Ciba, Novartis, Northrup und Zeneca). Nimmt man die nächstgrößten US-Firmen Dupont und Dow dazu, so kontrollieren in den Vereinigten Staaten fünf Unternehmen fast neun Zehntel des Markts für GVO-Saatgut samt Pestiziden und Herbiziden. Dieses Oligopol setzt alle Mittel ein, um die Gegner gentechnisch veränderter Lebensmittel zu bekämpfen.
Zwei Wissenschaftler an der Berkeley-Universität in Kalifornien, David Quist und Ignacio Chapela, erfuhren dies am eigenen Leib, als sie im November 2001 einen kritischen Beitrag im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten.2 In Mexiko, so ihr Befund, seien in einheimischen Maisvarietäten Spuren von GVO-Mais entdeckt worden. Das war ein höchst gravierender Befund, denn die Maispflanze hat ihren Ursprung in Mexiko. Um das unersetzliche Erbgut zu schützen, hatte die mexikanische Regierung 1998 ein Moratorium für den Anbau von GVO-Mais erlassen, was die Biotech-Firmen indes nicht hinderte, im ganzen Land weiterhin zahlreiche Versuchsfelder zu betreiben. Darüber hinaus behaupteten die beiden Forscher jedoch, die gentechnisch veränderte DNA der GVO-Sorten habe sich fragmentiert und auf unvorhersehbare Weise im Genom lokaler Varietäten eingenistet. Die Kontaminierung lokaler Sorten war nicht zu leugnen, doch dass die genetisch modifizierte DNA sich derart verselbstständigen kann, schlug wie eine Bombe ein und stellte ernsthaft die Behauptung der Biotech-Industrie in Frage, DNA-Schnipsel könnten sich auf keinen Fall von der Stelle verlagern, an der sie ins Genom eingeführt wurden.
1997 stand Monsanto infolge seiner teuren Pro-GVO-Kampagne finanziell mit dem Rücken zur Wand. Um nicht wieder dieselben Fehler zu begehen, heuerte der Konzern nun die Public-Relations-Firma Bivings Group an, die sich auf die Manipulation der öffentlichen Meinung via Internet spezialisiert hat. Das PR-Unternehmen inszenierte gegen die beiden Forscher hinter den Kulissen eine wahre Rufmordkampagne. Es machte industrienahe Wissenschafter ausfindig, die ihre Zweifel an den Forschungsergebnissen publizieren sollten, und ging sogar so weit, Experten zu erfinden.3 Die Kampagne trug Früchte und veranlasste die Nature-Redaktion zu der beispiellosen Entscheidung, sich von der Veröffentlichung des inkriminierten Artikels nachträglich zu distanzieren. Die Forschungsergebnisse mexikanischer Wissenschaftler, die den Befund ihrer Kollegen aus Berkeley bestätigten, hat das Magazin bis heute nicht publiziert.
Anders als die wissenschaftlichen und medizinischen Akademien in Frankreich beschäftigten sich die British Medical Association und die Royal Society sowie zahlreiche unabhängige Wissenschaftler eingehend mit den Gefahren, die vom Freilandanbau von GVO-Pflanzen ausgehen.4 Inzwischen steht der Pollenaustausch zwischen GVO-Varietäten auf der einen Seite und wilden Sorten oder herkömmlichen Kulturpflanzen auf der anderen Seite zweifelsfrei fest. Je nach Pflanzenart und Befruchtungstyp reicht diese Verunreinigung weit über die amtlich festgesetzten Schutzzonen im Umkreis von GVO-Feldern hinaus. Dabei betrifft die Verschmutzung auch andere Pflanzenarten, und zwar nicht nur genetisch eng verwandte. Sollten die GVO-Freilandversuche allgemeine Verbreitung finden, würde dies aufgrund der unvermeidlichen Kontamination des Ende der biologischen Landwirtschaft bedeuten. Damit wäre ein wichtiger und ökonomisch aussichtsreicher Weg für alle Zukunft abgeschnitten, und die Bauern könnten sich nicht mehr zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft entscheiden. Zudem ist inzwischen bekannt, dass die herbizid- und pestizidresistenten GVO-Sorten die Entstehung aggressiver Unkräuter und Schädlinge fördern.
Mit anderen Worten: Die GVO-Sorten können die veränderten DNAs in das pflanzliche Erbgut einschmuggeln, von dem die Landwirtschaft abhängig ist, und damit den noch vorhandenen Reichtum an Varietäten nachhaltig reduzieren. Der Freilandanbau von GVO-Sorten ist also ökologisch verantwortungslos und hoch gefährlich.
In Kanada zum Beispiel, wo mit dem kommerziellen Anbau von GVO-Raps vor kaum zehn Jahren begonnen wurde, musste das Forschungszentrum des Landwirtschaftsministeriums in Saskatoon vor kurzem feststellen, dass „Pollen und Samen [der GVO-Sorten] so weit gestreut sind, dass es inzwischen schwierig geworden ist, traditionelle oder organische Rapsvarietäten anzubauen, die genetisch nicht kontaminiert sind“. Das Problem ist so weit verbreitet, dass Monsanto sich schon bemüht, der öffentlichen Kritik entgegenzuwirken. Das Unternehmen bietet den kanadischen Landwirten gratis Arbeitskräfte an, die den GVO-Raps auf Feldern, auf denen er nie ausgesät wurde, ausjäten sollen. Nach Auskunft eines Wissenschaftlers von der Universität Manitoba5 ist es inzwischen „absolut unmöglich“, den auf Herbizidresistenz gezüchteten GVO-Raps unter Kontrolle zu halten. Die Unternehmen der „Wissenschaften vom Leben“ verhalten sich so, als hätte es Darwin nie gegeben, als würde die Pestizid- und Herbizidresistenz der Schädlinge nicht mit jeder Generation zunehmen, als hätte man niemals die verheerenden Erfahrungen mit DDT gemacht. Hier entsteht ein explosives Potenzial, das unweigerlich in biologische Katastrophen münden wird.
Der Fall Sambia
DABEI lässt sich der Anbau von GVO-Sorten nicht einmal mit – überdies nur kurzfristigen – wirtschaftlichen Gewinnen rechtfertigen. Trotz Milliardensubventionen büßen die US-Landwirte, die sich in dieses Abenteuer stürzten, viel Geld ein und müssen sich mit ultraresistenten Schädlingen herumschlagen.6 Die einzigen Nutznießer des GVO-Anbaus sind die großen Biotech-Firmen und ihre politischen Gönner in Europa und den USA.
Und die hungernden Menschen in der Dritten Welt? Können sie es sich überhaupt erlauben, wählerisch zu sein? Gewisse Medien gaben sich empört, als Sambia GVO-Mais zurückwies, den die USA als Lebensmittelhilfe liefern wollten. Aber in diesen Berichten fehlte die Information, dass die sambischen Bauern einen Teil der Kornlieferung für die Aussaat im nächsten Jahr zurückbehalten hätten – ein Problem, das bei der Lieferung von gemahlenem Mais gar nicht entstanden wäre. Sambia wollte also nur einer irreversiblen Verunreinigung des Erbguts der einheimischen Sorten vorbeugen, um weiterhin in die EU exportieren zu können. Die Lebensmittelhilfe der USA verfolgte hier also, wie so oft, versteckte ökonomische Ziele.
Das Hauptaugenmerk der GVO-Erzeuger, namentlich bei Mais und Soja, bleibt jedoch auf Europa gerichtet. Hier hat die EU 1999 ein Moratorium für den Import von GVO-Produkten erlassen7 . Seither drohen die USA, das Streitbeilegungsorgan der Welthandelsorganisation (WTO) anzurufen. Sollte es so weit kommen, wäre dies auch eine deutliche Warnung an die Adresse von Ländern wie Brasilien und Mexiko, die eine ähnliche Politik verfolgen. Während der Wahlkampfzeit 2002 in Deutschland und Frankreich hielt sich die US-Administration noch zurück, um den Grünen keine Wahlkampfmunition zu liefern. Doch inzwischen wird das Thema selbst im Weißen Haus erörtert.8
Nachdem der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick die EU-Maßnahmen im vergangenen Januar als „unmoralisch“ gebrandmarkt und angekündigt hatte, das WTO-Streitbeilegungsorgan anzurufen, musste er auf Betreiben des US-Außenministeriums und einiger Präsidentenberater einen Rückzieher machen. Die Umgebung von Bush wollte keine weitere Front gegen die Europäer eröffnen, während die diplomatische Krise in Sachen Irakkrieg ihrem Höhepunkt zustrebte. Im Kongress kam dieses Lavieren nicht gut an. Anfang März erklärte der Vorsitzende des Finanzausschusses im Senat, Charles Grassley, der den agrarischen Bundesstaat Iowa vertritt, die US-amerikanischen Bauern hätten aufgrund der europäischen Importbeschränkungen Handelseinbußen in Höhe von 300 Millionen Dollar zu verkraften: „Der Status quo in diesem Bereich ist völlig inakzeptabel […], die Regierung muss etwas unternehmen, und zwar schnell.“9
Bei den Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Exekutive geht es jedoch allein um die geeignetsten Methoden, während man sich in der Zielsetzung einig ist: weg mit dem EU-Moratorium, weg mit den Herkunftsnachweisen, weg mit der Etikettierung GVO-haltiger Produkte. Dass sich die Bush-Administration noch nicht festgelegt hat, liegt freilich auch daran, dass aus der EU-Kommission seit einiger Zeit vielversprechende Signale kommen. EU-Handelskommissar Pascal Lamy wirbt bekanntlich seit langem und mit Nachdruck für eine Aufhebung des Moratoriums. Er hält allgemeine Herkunftsnachweise und Etikettierungsregeln für ausreichend, und dagegen hätte wohl auch die WTO nichts einzuwenden. Sollten Lamys Vorschläge durchkommen, könnte die Kommission jeden Mitgliedstaat, der an dem Moratorium festhält, vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verklagen. Genau dies gab EU-Agrarkommissar Franz Fischler denn auch seinen amerikanischen Partnern zu verstehen: „Ich kann Ihnen wirklich versichern, dass wir von der Kommission alles tun werden, um zu zeigen, dass wir unsere Aussage ernst meinen, dass wir für die Biotechnologie sind.“10
In der Tat ist Fischler zu „allem“ fähig. Das zeigen auch seine höchst bedenklichen Überlegungen zur möglichen „Koexistenz“ von GVO-Kulturen und herkömmlichen oder biologischen Anbaumethoden, die er seinen Kommissionskollegen am 6. März unterbreitet hat. Sie sind als Diskussionsgrundlage für den runden Tisch am 24. April gemeint, zu dem alle interessierten Parteien geladen sind. Unter Missachtung sämtlicher Forschungsergebnisse unabhängiger Wissenschaftler (auch der oben erwähnten) meint der Kommissar, „Koexistenz“ sei ökologisch kein Problem. Es gehe allein um rechtliche und wirtschaftliche Fragen. Nach Fischler obliegt es den Nicht-GVO-Landwirten, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Felder vor der Verseuchung mit GVO-Pflanzen zu schützen. Nicht der Verunreiniger, der Verunreinigte soll zahlen. Den Gedanken, die EU könnte in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden, wischt er unter Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip vom Tisch.
Es ist schon erstaunlich, wie hartnäckig die dem Namen nach „europäische“ Kommission die Interessen US-amerikanischer Konzerne verteidigt. Angesichts dessen drängt sich der Gedanke auf, dass der Kampf gegen diesen politisch-gentechnisch-industriellen Komplex mittlerweile zu einem moralischen Imperativ geworden ist.
deutsch von Bodo Schulze
* Vizepräsidentin von Attac, Autorin von „Pour ou contre la mondialisation libérale“ (in Zusammenarbeit mit Martin Wolf), Paris (Grasset) 2002.