Feuer frei für Mikrowellen
GERÄUSCHLOS, geruchlos, unsichtbar: Diese Bombe wirbelt keinen Staub auf, hinterlässt keinen Krater, tötet keine Menschen. Was so unwahrscheinlich klingt, ist bereits Realität. Das Ding heißt E-Bomb: die elektromagnetische Bombe. Zum Einsatz gekommen ist sie allerdings noch nicht.
Der Effekt von Mikrowellen auf elektronische Systeme wurde beinahe zufällig entdeckt. Militärs stellten des Öfteren fest, dass ihre elektronischen Apparaturen in unmittelbarer Nähe leistungsstarker Radaranlagen den Dienst versagten. Dieselbe Wirkung hat das elektromagnetische Feld, das durch eine Atombombenexplosion in größerer Höhe erzeugt würde.
Damit musste man nur noch erforschen, wie sich die entsprechenden Apparaturen in Granaten, Raketen, Lastwagen, Satelliten, Koffer und andere Träger einbauen lassen. Die neue Waffe zielt auf Übertragungsnetze, Server, elektronische Schaltkreise, Prozessoren, Switches, Computer oder auch Schaltzentralen unterirdischer Bunker, die mit anderen Mitteln nur schwer auszuschalten sind. Ihre Wirkung besteht darin, Kommunikationssysteme, Datenübermittlungstechniken, Befehlsstrukturen, Radar-, Mess- und Steuerungsanlagen vorübergehend oder dauerhaft lahm zu legen. Im Rahmen einer Luft- oder Bodenoffensive sollen sie den Feind von der Umwelt abschneiden, ihm jede Möglichkeit nehmen, seine militärischen Mittel und Potenziale einzusetzen und ein Bild von den laufenden Kampfhandlungen zu gewinnen.
Die elektromagnetischen Waffen gehören zur Gruppe der Pulswaffen, genauer: zur Familie der Hochleistungs-Mikrowellenwaffen (High Power Microwaves Weapons, HPM). Die Zeiten, da sie noch Science-Fiction waren, sind definitiv vorbei. Der stellvertretende Direktor der Abteilung technologische Strategien bei der französischen Generaldirektion für Rüstung (STTC-DGA), François Debout, kommentiert: „Diese Waffen sind die logische Weiterentwicklung der bisherigen Angriffs- und Verteidigungstechnologien.“ Die Apparate haben Koffer- bis Lastwagengröße und bestehen aus einer Energiequelle, einem Pulsgenerator, einer Hochfrequenzröhre und einer Antenne. Sie erzeugen sehr kurze und sehr starke elektromagnetische Impulse, deren Frequenz, Reichweite und Richtcharakteristik variabel sind.
Dem Menschen sollen diese Wellen nicht schaden, zumindest ist das Gegenteil nicht bewiesen. François Debout erklärt: „Da die Mikrowellenimpulse von sehr kurzer Dauer sind, geraten die Wassermoleküle nicht in Schwingung, sodass die Körpertemperatur nicht ansteigt.“ Mit anderen Worten, die Mikrowellen haben zumindest der Theorie nach nicht genügend Zeit, die in ihrem Aktionsradius befindlichen Lebewesen zum „Kochen“ zu bringen – wenn sie nicht aufgrund eines Anwendungsfehlers der Strahlung über längere Zeit ausgesetzt sind. Dagegen sind alle elektrischen und elektronischen Apparate für die gepulsten Wellen anfällig, zumal die elektronischen Bauteile durch zunehmende Miniaturisierung immer sensibler werden.
Forschungsprogramme zu dieser Waffengattung laufen seit 1980 am kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory, am Los Alamos National Laboratory sowie an einem Institut der US Air Force, wie aus einschlägigen Forschungsberichten1 dieser Institutionen hervorgeht. Los Alamos veranstaltete 1993 geheime Tagungen zum Thema, an denen auch Parlamentarier und Vertreter der US Navy und der US Air Force teilnahmen. Als weiterer Beleg können die detaillierten Haushaltspläne des Verteidigungsministeriums gelten, in denen die HPM-Programme seit Mitte der Neunzigerjahre aufgeführt sind, allerdings ohne detaillierte Beschreibung.
Die ersten Tests zur Entwicklung von Verteidigungssystemen gegen E-Bombs, vor allem für die F-16, fanden im Jahr 1994 statt. 1996 wurde ein Computersimulationsmodell erstellt. Der erste Entwicklungsauftrag für einen entsprechenden Generator ging noch im selben Jahr an eine namentlich nicht genannte Konstruktionsfirma.2
Ein-Impuls-Waffen und anderes Gerät
IN Kalifornien wurde im Jahr 1997 ein erster Test in freier Natur durchgeführt; als Zielscheibe fungierte ein Hubschrauber. Nach der „Demonstration der operationellen Fähigkeit der HPM-Waffen, in einem natürlichen Umfeld bestimmte Ziele zu zerstören, und der Validierung der für den Einsatz solcher Systeme geforderten Kriterien“3 wurde 1998 mit der Entwicklung konkreter Waffensysteme begonnen. Im Jahr 2000 wurde dann die Ein-Impuls-Waffe eingeführt, die für die Zerstörung der feindlichen Luftabwehr gedacht ist.
Aller Wahrscheinlichkeit nach besitzen die USA bereits raketengestützte HPM-Waffen und haben vor, bemannte und unbemannte Flugzeuge damit auszurüsten. Bei der Entwicklung von Verteidigungssystemen gegen solche Waffen befindet sich die Forschung dagegen im Rückstand. Die laufenden Untersuchungen zur Verwundbarkeit von Mensch und Material und die Entwicklung von entsprechenden Schutzvorrichtungen werden erst Mitte dieses Jahres zu konkreten Ergebnissen kommen, meint Hauptmann Tom Jost vom US-amerikanischen Air Force Safety Center.4
In Frankreich wird an den Universitäten von Limoges und Lille sowie an den Ingenieurschulen Supélec in Rennes und der Polytechnique auf dem Saclay-Plateau über verschiedene Aspekte solcher Waffensysteme geforscht. „Ein Entwicklungsprogramm wurde aber noch nicht beschlossen“, behauptet François Debout von der DGA. Zu klären bleiben unter anderem folgende Fragen: Wie lassen sich die HPM-Waffen in die diversen Trägersysteme integrieren? Wie lässt sich eine angemessene Ziel-Mittel-Relation erreichen? Wie lässt sich vermeiden, dass die eigenen Waffensysteme Schaden nehmen? Wie lässt sich verhindern, dass die Technologie dem Feind in die Hände fällt, zum Beispiel durch eine fehlgeleitete Rakete? Abgesehen von den Vereinigten Staaten, die diese Fragen offenbar zumindest teilweise gelöst haben – oder ignorieren –, sind die diesbezüglichen Forschungen nach Berichten des US-Verteidigungsministeriums am weitesten in Großbritannien, China, Deutschland und vor allem in Russland gediehen.
Nach Angaben der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet haben Australien und Schweden den Russen 1998 eine kleine HPM-Waffen für 150 000 Euro zu Testzwecken abgekauft. Die russische Firma Rosoboronexport führt solche Waffen seit Oktober 2001 im Angebot, darunter die „Ranets-E“, ein mobiles System, das in einem Radius von 10 Kilometern 10 bis 20 Nanosekundenimpulse mit einer Leistung von 500 Megawatt aussendet.
Im August 2002 ließ US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld durchblicken, die als „nichttödlich“ geltenden HPM-Waffen könnten auch gegen den Irak zum Einsatz kommen. „Man kann nie wissen“, lautete seine Antwort auf die Frage eines Journalisten. Doch ob mit oder ohne E-Bomb, für François Debout bleibt die Rede vom „sauberen Krieg“ ein Widerspruch in sich: „Ich weigere mich jedenfalls, diese Waffe als nichttödlich zu bezeichnen. Stellen Sie sich vor, ein Passagierflugzeug wird von so einem System getroffen.“
Eine „Waffe zur Produktion von Unfällen“, lautet die lakonische Definition von Paul Virilio.
deutsch von Bodo Schulze
* Journalistin, Spezialgebiet neue Technologien.