Wo Buddhas Bauch das Geschäft fördert
Im Juli 1921 wurde in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas gegründet. Heute ist die Stadt die wichtigste „Global City“ des Landes, dessen Wachstum einen erheblichen Einfluss auf Rohstoffpreise und Weltwirtschaft hat. Multinationale Konzerne haben dort ihre Niederlassungen, es gibt eine Reihe großer Forschungszentren und, nicht zuletzt, expansionswütige Bauunternehmen. Sie profitieren derzeit am meisten vom Übergang Chinas zum Kapitalismus.
Von PHILIPPE PATAUD CÉLÉRIER *
ARBEITER tun ihre Arbeit. Eine junge Frau treibt auf einer blau-rosa Woge dahin. Eine wirbelnde Kraft zieht ihren Körper in einen wollüstigen Strudel von Siphons und Abflüssen. Waschbecken erheben sich mit der Frische der Meeresbrandung: „American Standard“ verkündet die Werbetafel am Rand der Schnellstraße. Ein paar Meter darunter drängen sich Neugierige vor einer Absperrung – Bänder, die vom Eintreffen des Unerwarteten künden, ein Unfallopfer, das am Boden liegt, ein Wohnhaus, das einzustürzen droht.
Doch nichts dergleichen ist hier zu sehen. Nichts außer einem Restaurant, das sich fest und sicher inmitten von Bauschutt erhebt. Der Gästeraum ist verwüstet. Schatten schluchzen. Wie kann es sein, dass der Bau in diesem völlig zerstörten Viertel immer noch steht? Reiner Zufall wahrscheinlich. Die Behörden haben gar nicht so Unrecht, wenn sie die Gaffer mit dem rot-weißen Plastikband fernhalten, das sonst ein Zeichen dafür ist, dass da etwas liegt, hier aber heißt, dass etwas noch steht.
Eine alte Frau erzählt: „Ganz früh heute Morgen sind Männer gekommen und haben alles zerschlagen: Stühle, Tische, Geschirr, die Vitrine. Den Koch haben sie verprügelt. Der Eigentümer geht nicht mehr aus dem Haus, weil die Stadt, nachdem er endlich in den Verkauf seines Restaurants eingewilligt hatte, nur noch die Hälfte der versprochenen Entschädigung bezahlen will.“ Aber was kann er schon machen? Die Menschen, die in den Häusern zu bleiben versuchen, in denen sie seit vier Generationen wohnen, müssen erleben, dass man ihnen Wasser und Strom abstellt. Wenn sie im öffentlichen Dienst angestellt sind, kann es passieren, dass sie ihre Arbeit verlieren oder von einer der schrägen Gestalten belästigt werden, die tagsüber mit Dienstmütze herumlaufen. „Die Polizisten lassen sich solche Überstunden von den Baugesellschaften bezahlen. Meiner Tochter haben sie eine andere Wohnung gegeben, zwanzig Kilometer weg von hier. Seitdem ist sie arbeitslos. Sie hat früher Zeitungen ausgetragen. Was soll nur aus ihr werden?“
Die Szene spielt am Suzhou-Fluss, unweit des Bahnhofs von Zhabei, dem Arbeiterviertel im Norden Shanghais, wo im Zuge der industriellen Textilproduktion zwischen 1924 und 1927 die ersten chinesischen Gewerkschaften entstanden.1 André Malraux schrieb seinerzeit in „So lebt der Mensch“: „In Chapei ist der Generalstreik ausgerufen worden!“ Manche Kommunisten schluckten Zyankali, um nicht beim Pfeifen der Lokomotiven den Nationalisten in die Hände zu fallen. Heute übertönt der Lärm der Planierraupen die Stimme der Enteigneten.
Von den 15 Millionen Einwohnern der Provinz Shanghai oder genauer von den gut 10 Millionen Einwohnern der zehn innerstädtischen Viertel sollen seit den 1990er-Jahren schon 2,5 Millionen enteignet worden sein.2
Hier am Nordufer, das wegen der freien Südlage nahe am Fluss besonders begehrt ist, haben die Behörden ein Spruchband angebracht: „Schützen wir unser Volk! Seit achtzig Jahren erfolgreich dieselbe Politik der Partei!“ Auf einem zweiten steht: „Für ein besseres Leben in besseren Stadtvierteln!“ Das Fernsehen wurde geholt, damit es das Chaos und den Dreck in diesem extrem dicht besiedelten Wohnviertel zeigte. Eine junge Frau berichtete vor der Kamera: „Unsere Häuser sind vergammelt. Da wohne ich lieber im Hochhaus, wo ich morgens die Sonne sehe. Dann gibt es fließend Wasser! Schluss mit den Nachttöpfen!“
Vertreter der Baugesellschaften und der Baubehörde traten auf und klagten über den verrotteten Zustand der Häuser. Man forderte die fast beschämten Bewohner auf, ihre Häuser aufzugeben, entweder gegen eine pauschale Entschädigung oder gegen die Umsetzung in Miet- oder Eigentumswohnungen in einem der riesigen Wohntürme am Stadtrand – wobei die Ersatzwohnung in Größe und Zustand der aufgegebenen Wohnung entsprechen soll.
Bis in die 1980er-Jahre hinein gehörte es zur staatlichen Sozialpolitik, dass Angestellte von staatlichen Firmen gegen eine symbolische Mietzahlung oder auch völlig kostenfrei Wohnraum zur Verfügung gestellt bekamen. Dieses 1998 abgeschaffte System schuf einen Ausgleich für die niedrigen Löhne der Staatsunternehmen. Doch diese Form von Naturalienentlohnung hat eine Kehrseite: Die Mieteinnahmen reichten nicht aus, um die Instandhaltung der Gebäude zu finanzieren. Viele Staatsunternehmen sparten, als die Einnahmen zurückgingen, an den Ausgaben für die Wohnhäuser. Die durchschnittliche Wohnfläche sank 1979 auf vier Quadratmeter pro Person. Die wirtschaftliche Umstrukturierung bedeutete auch das Ende für unrentable Investitionen.
Ohne Abriss kein Aufbau, wie Mao schon sagte
ABER wie macht man aus einer Sozialleistung eine marktfähige Ware, die private Investoren anzieht? „Unter dem Einfluss Deng Xiaopings wandelte die Wirtschaftsreform in den 1980er-Jahren den Wert von Grund und Boden in einen Extraprofit um“, erklärt der Architekt und Stadtplaner Zhang Liang.3 „Der Quadratmeterpreis hängt seitdem von verschiedenen Faktoren ab. Da spielen erstens geografische Faktoren eine Rolle – also ob die Wohnung im Stadtzentrum oder am Stadtrand liegt und wie weit es etwa zur nächsten U-Bahn-Station ist – zweitens ökonomische – je nach Nutzung als Bürogebäude oder als Wohnhaus – und drittens Aspekte wie die Attraktivität des Viertels.“
„Bu po bu li! – ohne Abriss kein Aufbau“, so die von Mao während der Kulturrevolution ausgegebene Parole, der die Bodenspekulation neue Aktualität verleiht. „Die Tabula-rasa-Politik erlaubt es, Hochhäuser zu bauen und die Gesamtwohnfläche zu vergrößern, indem die Bebauung verdichtet wird“, fährt Herr Zhang fort. Die Bauprojekte rentieren sich nicht zuletzt, weil es die örtlichen Behörden sind, die die niedrigen Enteignungsentschädigungen festsetzen, und weil die Baugesellschaften, deren Hauptaktionäre in vielen Fällen örtliche Parteikader sind, ohnehin auf Rechtsansprüche keine großen Rücksichten nehmen.
„300 000 Yüan pro Wohnung?4 Die Entschädigung soll den Kauf einer 90-Quadratmeter-Wohnung jenseits des dritten Rings ermöglichen?“ Liu lacht bitter über diese offizielle Behauptung. Er hat nur 120 000 Yüan – 40 000 Yüan pro Person bei maximal drei Personen pro Wohnung – als Entschädigung für das Häuschen erhalten, das er einst am Ufer des Suzhou besaß und das inzwischen abgerissen wurde. Ein nicht verhandelbarer Betrag, den er dennoch der angebotenen Ersatzwohnung vorgezogen hat: „Das war in einer Vorortsiedlung ohne Anschluss an die öffentliche Versorgung und ohne Schule für meine einzige Tochter. Mit der Entschädigung habe ich mich bei Freunden eingemietet, die noch hier im Viertel wohnen. So kann ich meine Stelle als Wächter bei der Hauptpost von Suzhou behalten. Bei einem Quadratmeterpreis von 5 000 Yüan kann ich mir hier unmöglich eine Wohnung kaufen.“
Liu weiß, dass die Entschädigungen oft noch ungerechter ausfallen. So erhielt ein Hausbesitzer eine noch geringere Entschädigung (von 100 000 Yüan), weil auf dessen Grundstück – doppelt so groß wie das von Liu – eine Grünfläche entstehen soll. Ein wenig Grün vor einem Bürokomplex. Diese Umwidmung führt nicht etwa zu einer Erhöhung der Entschädigung, obwohl die Baugesellschaft für jeden Quadratmeter beim Weiterverkauf das Dreifache berechnete – bei immerhin dreißig Etagen.
„Die Stadt verhindert sehr geschickt, dass die Enteigneten sich miteinander solidarisieren“, erklärt Liu. „Wer sofort auf das Angebot einer Ersatzwohnung eingeht, kann unter verschiedenen Wohnungen wählen, die nicht so weit vom Zentrum entfernt liegen.“ Was mit den anderen geschieht, ist allgemein bekannt: Warnung, Einschüchterung, Drohungen, Zwangsräumung. Und als Strafe für ihre Widerspenstigkeit noch mehr Unrecht. „Sehen Sie die zerstörten Dächer dort? Die Baugesellschaft ist pleite, aber die Stadt hat nicht das Geld, um die Bewohner zu entschädigen oder ihnen angemessene Ersatzwohnungen zur Verfügung zu stellen, obwohl sie die Häuser der Leute zerstört hat. Schon seit zwei Jahren leben sie in den Trümmern, hinter der Mauer, die die Stadt hat bauen lassen, damit die Gäste der benachbarten Hotels und die zukünftigen Eigentümer der noch nicht errichteten Wohnhäuser von dem Anblick nicht abgeschreckt werden.“
Denn beiderseits des Suzhou schießen neue Wohnviertel wie Bambus aus dem Boden. Ihre Namen sind englisch: „Brillant City“ oder „Rhine City“. Genau dort, wo der Fluss einen großen Bogen macht – eine begehrte Lage, denn die Rundung, die an den Bauch Buddhas erinnert, ist günstig für Geschäfte –, erheben sich zwei riesige Wolkenkratzer.
„Für nur einen Yüan können Sie sich den Reichtum ansehen.“ Mit diesen Worten spricht ein Arbeitsloser die Passanten an und hält ihnen ein Fernglas hin. „Sehen Sie nur!“ Eine Baugesellschaft aus Hongkong hat zwei hundert Meter hohe Gebäude errichtet. Auf zweiunddreißig Stockwerken werden 208 Wohnungen von 120 bis 165 Quadratmetern angeboten, komplett möbliert mit Einbauküche, mehreren Bädern, Wohnzimmern über zwei Etagen und makellos weißen Toiletten. An Gemeinschaftseinrichtungen stehen den Bewohnern außerdem kleine Gärtchen, Pool und Fitnessräume zu Verfügung. Der Quadratmeterpreis beträgt je nach Etage zwischen 7 000 und 17 000 Yüan.
Die Wohnungen sind alle seit mindestens einem Jahr verkauft, hauptsächlich an Hongkong-Chinesen, an Ausländer – seit August 2001 dürfen sie Wohneigentum erwerben – und an Neureiche aus der Provinz, vor allem aus Wenzhou (in Zhejiang). Andere mieten sich lieber eine Wohnung; die Monatsmiete liegt im Schnitt zwischen 10 000 und 13 000 Yüan, das sind exorbitante Preise im Vergleich zu den 1 000 bis 2 000 Yüan für eine normale Wohnung oder zu den 50 bis 100 Yüan Monatsmiete für eines der vielen tausend kleinen Häuser in der Nähe des Flusses, die demnächst abgerissen werden. Am Fuß der Hochhäuser ist nämlich eine Parkanlage geplant.
Am Suzhou gibt es immer weniger Industrie. Das Flusswasser wird – darüber können sich Investoren und zukünftige Anwohner freuen – in einer Anlage gereinigt. „Ja, es wird besser hier im Viertel“, räumt Liu ein, „aber wir haben nichts davon. Man setzt uns vor die Tür, weil wir zu wenig verdienen. Und wir können unser Recht nicht durchsetzen.“
Die Ungerechtigkeit ist für die Menschen umso unerträglicher, als die Korruption im Immobiliensektor ebenso groß ist wie das Wachstum. Und das ist rasant. „Der Nachholbedarf ist enorm ebenso wie der Bevölkerungsdruck – zum Vergleich: alle fünf Jahre kommt die gesamte Bevölkerung Frankreichs hinzu –, da bleibt gar nichts anderes übrig als gegen die gewaltige, noch von Mao ererbte Unterentwicklung des Wohnungsbaus und der Wohninfrastruktur zu kämpfen“, kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler Jean-François Huchet.5 Die Pekinger Zeitung China Business berichtete vor kurzem, dass 88 Prozent der 479 in den Jahren 2001 bis 2003 in Shanghai durchgeführten Verkäufe staatlicher Grundstücke ohne die gesetzlich dafür vorgeschriebene öffentliche Ausschreibung erfolgt seien.6
Populärer Anwalt als Spion verurteilt
RECHT ist eben etwas anderes als Gerechtigkeit“, meint ein chinesischer Jurist in Anlehnung an Voltaire. „Das Recht ist zu einem bloßen Werkzeug im Dienst der Mächtigen geworden.“ Nur wenige Anwälte setzen sich für die Rechte der vertriebenen Bewohner ein. Mit dem Hinweis auf das Gemeinwohl, das Vorrang vor Privatinteressen haben müsse, weisen die Gerichte regelmäßig Klagen von Betroffenen ab, obwohl diese nur die Einhaltung geltender Gesetze verlangen. So müssten Baugesellschaften zum Beispiel für Familien, deren Wohnungen im Stadtzentrum sie haben abreißen lassen, doppelt so große Ersatzwohnungen am Stadtrand bauen – was sie freilich nie tun.
Der Fall des 54-jährigen Shanghaier Anwalts Zheng Enchong veranschaulicht das herrschende Klima. Nachdem er über 500 enteignete Familien vertreten hatte, ohne einen einzigen Prozess zu gewinnen, bekam er die Anwaltslizenz entzogen. Aber es kam noch schlimmer. Im Juni 2003 wurde er unter dem Vorwurf verhaftet, er habe Staatsgeheimnisse an eine ausländische Organisation verraten. Bei dieser Organisation handelte es sich um Human Rights in China7 , und die angeblich verratenen Staatsgeheimnisse betrafen unter anderem einen Streik in einer Lebensmittelfabrik in Shanghai.
Die Betriebsleitung hatte die Entlassung der Mehrzahl der Beschäftigten angekündigt. Als Abfindung sollten sie gerade einmal 30 000 Yüan erhalten. Es folgten Proteste und Demonstrationen, die aufgelöst wurden und Strafmaßnahmen nach sich zogen. Eine Sondereinheit des Amtes für öffentliche Sicherheit in Shanghai unterzog ein in der Fabrik geklebtes Plakat einer grafologischen Analyse: „Ich habe nichts mehr zu essen. Ich will Gift verteilen.“
Weil der Anwalt Informationen über diese Ereignisse per Fax weitergegeben haben soll, wurde er am 29. Oktober 2003 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Begriff des Staatsgeheimnisses war in China schon immer äußerst dehnbar. Ganz besonders dehnbar scheint er zu sein, sobald es darum geht, einen lästigen, kämpferischen und populären Anwalt außer Gefecht zu setzen.
Bei seiner Vertretung illegal enteigneter Familien hatte Zheng Enchong die betrügerischen Praktiken des großen Bauunternehmers Zhou Zhengyi angeprangert, der laut Forbes (2002) das elftgrößte Privatvermögen in China besitzt und mit Huang Ju, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, befreundet ist. Die Berufung in dieses Amt verdankt Huang dem früheren Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (und ehemaligen Bürgermeister von Shanghai), Jiang Zemin, der den Ausschuss mit Leuten seines Vertrauens besetzte (nämlich fünf der neun Mitglieder), bevor er sein Amt an den jetzigen Generalsekretär und Staatspräsidenten Hu Jintao abtrat.
Einige Enteignete haben auch schon den Versuch unternommen, sich direkt an die oberste Führung in Peking zu wenden und bei Hu Jintao eine Petition einzureichen. Um nach Peking zu reisen, müssen sie allerdings am Amt für öffentliche Sicherheit von Shanghai vorbeikommen, das seine Leute an den Bahnhof von Zhabei oder sogar an den Ankunftsbahnhof in Peking schickt. Einige besonders Verzweifelte haben sich auf dem Platz des Volkes selbst verbrannt.8
Viele Betroffene sind nicht länger bereit, sich mit den Ungerechtigkeiten abzufinden. Die kleinen Leuten ebenso wie die gewissenhaften unter den neuen Eigentümern werden sich ihrer Rechte mehr und mehr bewusst. Sie wollen für ihren Status als Eigentümer und den wirtschaftlichen Wert ihres Eigentums verteidigen und organisieren sich in Vereinen, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. Ihr Zusammengehörigkeitsgefühl wird nicht mehr durch „dieselbe Klasse, sondern durch denselben Ort“ bestimmt.9
Am 19. Dezember 2003 hob das Berufungsgericht das Urteil gegen Zheng Enchong überraschend auf. Möglicherweise steht dahinter der Einfluss Hu Jintaos, der die Macht seines einflussreichen Rivalen und gegenwärtigen Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission, Jiang Zemin, zu brechen versucht. Oder den obersten Instanzen beginnt allmählich an einer gewissen Rechtssicherheit im Geschäftsleben zu liegen, für das der Bausektor von wesentlicher Bedeutung ist, weil dies als Voraussetzung für soziale Stabilität und Wirtschaftswachstum betrachtet wird. Dazu passt der von der Parteileitung dem Kongress Ende 2003 vorgelegte Entwurf einer Verfassungsänderung, wonach, erstmals seit fünfzig Jahren, das Recht auf Eigentum in die chinesische Verfassung aufgenommen werden soll. Wie die staatliche Presseagentur Neues China meldet, enthält sie den Satz: „Legal erworbenes Eigentum darf nicht verletzt werden.“ Vielleicht bestätigt diese Entwicklung eine alte chinesische Weisheit, nach der das Gesetz zum Zuge kommt, wenn die Tugend der Regierenden endet. Vielleicht ist sie aber auch einfach ein Zeichen für die neue Legitimationsgrundlage der Regierenden – die im fortgesetzten Wirtschaftswachstum des Landes liegt.
Nach fünfundzwanzig Jahren „Politik der Öffnung und Wirtschaftsreform“ findet nun der Übergang zur Marktwirtschaft statt. Dabei kommt die chinesische Politik nicht umhin, deren Kernelement, die Achtung vor dem Privateigentum, wie auch die Menschen, die es zum Wohle der Partei einsetzen wollen, anzuerkennen: die vielen Millionen privaten Kleinunternehmer, einst „Konterrevolutionäre“, die der 16. Parteitag der KPCh im November 2002 unter der bombastischen Bezeichnung „fortschrittliche Produktivkräfte“ hoffähig gemacht hat.
Inzwischen hat „die Stadtplanung die soziale Spaltung durch den immer deutlicheren Gegensatz zwischen Stadtzentrum und Peripherie verschärft“, meint der Architekt und Stadtplaner Zhang Liang. „Durch die schematische Anwendung der immer gleichen Entwicklungspläne nimmt die soziale Mischung in unseren Städten stetig ab.“ Angesichts von Verstädterung, fortschreitender Zerstörung familiärer Strukturen und einer durch Familiensolidarität nicht mehr aufgefangenen Verarmung stellt sich die Frage, wie sich diese gigantischen Stadtgebilde in Zukunft verhalten werden.
deutsch von Michael Bischoff
* Journalist. Autor von „Xi, parce que ce n’en est que le commencement“; erscheint im Herbst 2004 bei Nil, Paris.