12.03.2004

Gegeneinander und auch gegen den Rest Amerikas

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Gegeneinander und auch gegen den Rest Amerikas

Junge Emigranten aus Lateinamerika gründeten einst in Los Angeles die beiden rivalisierenden Straßengangs „Eighteen“ und „Salvatrucha“. Sie finanzieren sich mit Drogenhandel, Erpressung, Prostitution – und liefern sich einen mörderischen Kampf untereinander. Er hat sich auf viele Großstädte der USA und auch nach El Salvador, dem Herkunftsland ihrer Gründer, ausgedehnt. Dort halten viele tausend Jugendliche, die jede Hoffnung auf reguläre Arbeit verloren haben, das Land in Atem und die Bürger in Schrecken. So ist die innere Sicherheit zum wichtigen Thema für die Präsidentschaftswahlen vom 21. März geworden. Hier stehen sich die Vertreter der rechten Arena-Partei und der linken ehemaligen Guerilla FMLN gegenüber. Die Arena setzt auf Repression, hat ein populäres Gesetzespaket zur Bekämpfung der Banden veranlasst und darf sich auch der Unterstützung durch Todesschwadronen sicher sein. Demgegenüber sieht die FMLN nur eine sozialpolitische Lösung des Problems: mit Arbeit gegen Waffen. Das ist allerdings weniger spektakulär.

Von PHILIPPE REVELLI *

SOYAPANGO, ein ärmlicher Vorort von San Salvador: Die einzige Straße der Siedlung La Campanera endet auf einem Brachgelände. Dort langweilen sich ein paar Jugendliche. Sie tragen Baseballkappen und viel zu weite Hosen, die um die Knöchel hängen, und sie gestikulieren wie die Rapper in den USA. Auf Armen, Oberkörper, Stirn und Wangen ist die Zahl 18 tätowiert. Die ist auch auf die Hauswände des Viertels gesprayt und markiert das Revier der Bande, der mara.

„Die Eighteen ist meine Familie“, verkündet Bad Boy1 . „Und diese drei Punkte im Dreieck hier, die stehen für la vida loca, das wilde Leben: für Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll.“ Bad Boy hat erst vor kurzem einen brutalen Initiationsritus überstanden: Die muskulösen Mitglieder seiner Gang haben ihn verprügelt, genau 18 Sekunden lang. Das reichte für Dutzende von Treffern in die Rippen, auf den Kopf, auf die Schultern, die ihn zu Boden schickten. Jetzt gehört er zur Bande und predigt mit der Begeisterung eines Bekehrten: „Wir beschützen das Viertel vor den mierdas secas!“

Eigentlich heißt das „getrocknete Scheiße“, aber es steht für die Mara Salvatrucha, Abkürzung MS, eine Mara, deren Kodex verlangt, niemals den Namen der eigenen Bande auszusprechen. Sie ist der bevorzugte Gegner der Mara 18. Zwischen beiden Gangs herrscht mörderischer Krieg. „Die Gewalt der Maras“, sagt die Soziologin Maria Santacruz Giralt2 , „zielt im Wesentlichen auf die Vernichtung der ausgewählten Feinde ab: Das sind ebenso junge Leute, in sehr ähnlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie unterscheiden sich nur durch die Zugehörigkeit zur gegnerischen Gruppe.“ Der Konflikt zwischen den Banden ist vollkommen irrational und bar jeder rassischen, religiösen oder ideologischen Argumentation. Aber er ist unverzichtbar, da er in den Augen der Bandenmitglieder die Mara als solche legitimiert.

In den ärmeren Vierteln und Vororten von San Salvador sind MS und M18 stark vertreten. Das lässt sich an den jeweiligen Graffiti deutlich ablesen. Beide Banden sind außerdem in allen größeren Städten das Landes und, wenngleich in geringerem Maß, auf dem Land aktiv. Haben sie 15 000 Mitglieder? Oder 20 000? Schätzungen über die Zahl der Mareros, die einer der 309 lokalen Cliquen angehören, variieren beträchtlich. Bekannt ist nur, das 170 dieser clicas zur Mara Salvatrucha gehören und 102 zur Eighteen3 . Die Clicas agieren in ihrem jeweiligen Revier fast völlig autonom. Sie haben zwischen 30 und 60 Mitglieder, davon, hat eine Untersuchung von Santacruz Giralt ergeben, sind zwei Drittel zwischen 16 und 21 Jahre alt und etwa ein Fünftel Mädchen.

Ihr Einkommen beziehen die Maras aus dem Straßenhandel mit Drogen. Außerdem erpressen sie Schutzgelder von Bus- oder Taxifahrern, von Ladenbesitzern oder auch gewöhnlichen Bewohnern ihres Viertels. Mehr als diese Delikte ist es jedoch der anhaltende Krieg zwischen MS und M18, der in der Bevölkerung ein Gefühl akuter Bedrohung auslöst. Von den 2 000 Morden, die jedes Jahr in El Salvador geschehen, gehen nach Auskunft der Polizeibehörden 40 Prozent auf das Konto der Maras. Zwar beschränken sich die Ziele der Gewaltakte im Wesentlichen auf Mitglieder der gegnerischen Bande. Das ändert aber nichts daran, dass die Maras inzwischen als eines der größten Übel der Region gelten – in El Salvador ebenso wie in Honduras oder Guatemala.4

An sich sind derartige Banden in Zentralamerika nichts Neues. Doch mit der hohen Anzahl jugendlicher Mitglieder, mit dem Ausmaß der Gewalt und der Machtstellung, die sie in weniger als zehn Jahren erlangt haben, sind MS und M18 symptomatisch für die Situation in Zentralamerika. Dabei sind keine der beiden großen Maras in der Region selbst entstanden. Man kann sie eher als Exportartikel der US-amerikanischen Gangkultur bezeichnen, die in Los Angeles eine besondere Blüte erreicht hat.

Los Angeles. Das Büro der Vereinigung Homies Unidos5 liegt in unmittelbarer Nähe der Calle Alvarado und der Rampart Street, mitten in Little San Salvador. Die Vereinsmitglieder engagieren sich für die Wiedereingliederung straffällig gewordener Mara-Mitglieder, hier treffen sich aber auch illegale Immigranten aus Mittelamerika. In dieser Gegend ist auch die Mara Salvatrucha entstanden, die ihren Namen vom umgangssprachlichen Ausdruck für Leute aus El Salvador hat.

„Ich bin 1979 nach Los Angeles gekommen“, erzählt Alex Sánchez, ein ehemaliges Mitglied der MS und heutiger Aktivist bei Homies Unidos. „Damals sind tausende vor dem Bürgerkrieg in El Salvador geflohen und in die Vereinigten Staaten gekommen.6 In der Schule und auf der Straße sind wir andauernd mit Jugendlichen von anderen Communities aneinander geraten – vor allem mit den Mexikanern und Chicanos. Wir Salvatruchas mussten zusammenhalten.“ Die elterliche Autorität reichte kaum bis auf die Straße, und dort gab es Alkohol und Drogen, eine unwiderstehliche Versuchung. Autodiebstähle, kleinere Einbrüche und Drive-bys7 wechselten sich ab mit Aufenthalten im Gefängnis. „Und aus dem Knast kamen wir tätowiert und mit der Aura großer Helden wieder raus.“

Damals war aber die Bande von der Eighteenth Street in diesem Viertel allmächtig. Ein paar junge mexikanische Einwanderer hatten sie Anfang der Sechzigerjahre gegründet – und zwar aus Wut darüber, dass sie nicht in eine der ältesten Banden von Los Angeles, die Clanton Street’s Gang, aufgenommen wurden. Anfangs war das Revier der neuen pandilla, auch ein Ausdruck für Bande, nur ein paar Häuserblöcke klein. Es beschränkte sich eigentlich auf die Kreuzung von Rampart Street und Eighteenth Street. Doch bald dehnte sich das Einflussgebiet der Gang rasant aus. Der Krieg mit der Mara Salvatrucha von der Thirteenth Street – darum manchmal MS-13 abgekürzt – brach aus, als diese in das Revier der Eighteenth einzudringen begann. Als der Drogenhandel in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre zunahm, wurden die Pandillas immer aktiver.8

Erkennungszeichen: Tattoos

AL VALDEZ, Untersuchungsrichter im Büro des Staatsanwalts für den Bezirk Orange, der im Großraum Los Angeles liegt: „Das härtere Vorgehen der Justiz gegen die Banden hatte aber ganz unerwartete Folgen. Die Anführer, die bisher für die Einhaltung des Verhaltenskodex innerhalb der Bande gesorgt hatten, wanderten ins Gefängnis. Sie verloren dort die Kontrolle über ihre jüngeren Mitglieder. Die blieben sich selbst überlassen, und als Folge entlud sich die Aggressivität der lateinamerikanischen Gangs in ihrem unmittelbaren Umfeld. Unbeteiligte wurden zu Zielscheiben ihrer Gewalt – und zwar in erster Linie illegale Einwanderer, die daraufhin eigene Banden gründeten, um sich vor den bereits bestehenden zu schützen.“9

MS und M18 brachen mit einer alten Tradition: Sie nahmen nicht nur andere Lateinamerikaner, sondern auch Schwarze und Asiaten auf. Sie warben immer jüngere Mitglieder an, nicht zuletzt an Schulen, was der M18 den Spitznamen „Kinderbande“ eintrug. Heute sollen beide Gangs allein in Los Angeles mehrere zehntausend Mitglieder haben. Ihre Aktivitäten reichen vom Drogenhandel über Autodiebstähle und Entführungen bis hin zu gewerbsmäßiger Erpressung, Zuhälterei und bewaffneten Raubüberfällen. Al Valdez behauptet sogar, dass die MS direkt mit mexikanischen und kolumbianischen Drogenhändlern Geschäfte macht. Weil beide Banden inzwischen in den meisten Großstädten der USA, Kanadas, Mexikos und ganz Mittelamerikas nachgewiesen werden können, schließt er, dass M18 und MS zum internationalen organisierten Verbrechen zu rechnen sind.

William Bratton, der neue Chef des Los Angeles Police Department (LAPD), hat die kriminellen Jugendbanden sogar mit mafiosen und terroristischen Strukturen in Verbindung gebracht. Obwohl er diese Behauptung später relativierte,10 dient sie weiterhin zur Rechtfertigung der ziemlich rabiaten Methoden des LAPD. Zudem sind die Grundrechte bereits durch ein ganzes Bündel von Vorschriften eingeschränkt. Bereits die Zugehörigkeit zu einer Bande gilt als belastender Umstand. Pandilleros wird auferlegt, nicht zu zweit in einem Auto oder Bus unterwegs zu sein, sich nicht an öffentlichen Orten zu versammeln oder einfach auf der Straße aufzuhalten – und auch kein Mobiltelefon zu benutzen. Derartige Maßnahmen machen Los Angeles zu einem Versuchslabor des Krieges gegen die Maras und empfehlen sich – zumindest nach Ansicht des Korrespondenten von Prensa Grafica, der größten Tageszeitung El Salvadors – zur Übernahme durch die Regierungen Mittelamerikas.11

Pater Greg Boyle spricht entgegen der These vom „organisierten Verbrechen“ im Zusammenhang mit den Maras lieber vom „unorganisierten Verbrechen“. Boyle ist Jesuit und seit Jahren täglich in Kontakt mit jungen Straftätern in Los Angeles12 , von denen er respektvoll Big G-Dog genannt wird. „Diese jungen Leute“, sagt er, „sind so wenig in der Lage, sich irgendeine Zukunft auch nur vorzustellen, dass sie ein derartiges Organisationsniveau gar nicht erreichen können. Das sind trostlose Jungs, die nichts als ihr Elend teilen. Die meisten würden ihre Waffen liebend gern gegen einen sicheren Job eintauschen.“

„In Kalifornien“, empört sich Alex Sanchez, „werden mehr Gefängnisse als Schulen gebaut. Wenn Homies Unidos die Repression verurteilt und versucht, den Pandilleros beim Ausstieg aus ihrem Verbrecherleben zu helfen, wird die Organisation von der Polizei verfolgt und schikaniert.“ Sanchez weiß, wovon er spricht: 1999 wurde er selbst aufgrund des reformierten Einwanderungsgesetzes13 abgeschoben und konnte erst nach Interventionen durch Menschenrechtsorganisationen wieder in die USA einreisen. Das Gesetz, das im Jahr 1996 zusammen mit anderen „Antiterrorgesetzen“ vom US-Kongress verabschiedet wurde, hatte zur Folge, dass mit tausenden illegal in den Vereinigten Staaten lebenden Salvadorianern auch einige hundert Pandilleros abgeschoben wurden. Das war der Anfang der raschen Ausbreitung von Mara Salvatrucha und Mara Eighteen in ganz Zentralamerika.

San Salvador, Flughafen. Jede Woche landet hier eine Maschine abwechselnd aus Houston und aus Los Angeles. Jede Woche enthält sie ein Kontingent an Salvadorianern, die aus den USA ausgewiesen wurden. Bei ihrer Ankunft werden diese „Deportierten“, wie man sie hier nennt, von der Polizei genau untersucht. Die Beamten achten vor allem auf Tätowierungen, die auf Zugehörigkeit zu einer Mara hinweisen. Nach Angaben der Nationalen Zivilpolizei El Salvadors wurden in den ersten acht Monaten des vergangenen Jahres 2 812 Personen abgeschoben. 1 061 von ihnen hatten ein Strafregister, und 175 waren Mitglieder einer Bande.

„Einige der deportierten Pandilleros haben El Salvador schon vor fünfzehn oder zwanzig Jahren verlassen“, berichtet Don Miguel, der Leiter des „Hauses der Emigranten“ in San Salvador, der dafür sorgt, dass die Ausgewiesenen am Flughafen empfangen werden. „Sie sprechen nicht gut Spanisch und kennen niemanden in einem Land, das seit langem nicht mehr ihre Heimat ist.“ Wegen ihrer Tätowierungen finden sie keine Arbeit und werden leicht zu Opfern einer feindlichen Mara oder einer Mörderbande wie der Todesschwadron Sombra Negra („Schwarzer Schatten“), die ganz offen die Verantwortung für das Töten einer Reihe von MS-Mitgliedern übernommen hat. Unter solchen Umständen bleibt die eigene Mara ihr einziger und letzter Zufluchtsort. Weil die Deportierten meist älter sind als der durchschnittliche Pandillero in San Salvador und weil sie aus den Vereinigten Staaten kommen, genießen sie bei den Jungen ziemlich hohes Ansehen.

Sicher tragen die Abschiebungen aus den USA erheblich zur Ausbreitung von MS und M18 in Zentralamerika bei, aber sie erklären nicht deren Ausmaß. „Es gibt nicht die eine, alles erklärende Ursache“, sagt die Soziologin Maria Santacruz Giralt. „Wir haben es mit einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren zu tun. Die Maras sind ein komplexes gesellschaftliches Problem.“

Die Gangkultur ist zwar ein Import aus den USA, aber sie fällt in Zentralamerika durchaus auf fruchtbaren Boden. In El Salvador hat der jahrelange Bürgerkrieg seine Spuren hinterlassen, Gewalt ist nach wie vor alltäglich. Tausende von Waffen sind im Umlauf und wechseln für lächerliche Summen den Besitzer. Der Drogenkonsum steigt. „Aber vor allem“, so Julio Buendía von der Caritas Salvador, „bringt die brachiale Liberalisierung der regionalen Wirtschaft das gesamte soziale Gefüge aus dem Gleichgewicht.“ Der Kaffeeanbau, die am Eigenbedarf orientierte Landwirtschaft und die gesamte Agrarproduktion werden vom Freihandel bedroht, El Salvador ist im Begriff, zu einem brachliegenden Land zu werden, auf dem nur noch ein paar Maquiladora-Fabriken für einfache Exportprodukte gedeihen.14 Der einzige Ausweg scheint in der Emigration zu liegen.

Auch wenn die Regierung El Salvadors es nicht zugibt, unterstützt sie die Emigration: Dadurch entweicht ein Teil des sozialen Drucks, und das Geld aus der Diaspora hat sich zum Devisenbringer Nummer eins entwickelt: 2003 machten die privaten Überweisungen aus dem Ausland schon 14 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes aus. „Aber die Auswanderung von 70 000 Salvadorianern pro Jahr – das sind 200 jeden Tag! – hat dramatische Folgen für die Familien“, sagt Buendia. „Viele Jugendliche ohne Zukunftschancen bleiben sich selbst überlassen.“

Der Nebeneffekt dieses Systems ist, dass der „Ausschuss“ der Gesellschaft die Maras immer größer werden lässt. Wenigstens bedrohen sie die Wohnviertel der Reichen nicht, denn diese werden von tausenden Wächtern privater Sicherheitsdienste beschützt.15 Da die vielen jungen Pandilleros keinerlei soziale oder politische Forderungen erheben und leicht erkennbare Tätowierungen tragen, sind sie für die Rolle des Sündenbocks geradezu prädestiniert. Einige Schulen verweigern Tattooträgern den Zutritt, und längst ist es üblich, dass von jungen Männern in Bewerbungsgesprächen verlangt wird, Hemd oder T-Shirt abzulegen, um den Oberkörper auf die einschlägigen Symbole überprüfen zu können.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Iudop halten 42,7 Prozent der Salvadorianer die Gewalt und die Delikte der Maras für das größte Problem ihres Landes.16 Da die meisten anderen Mittelamerikaner offenbar ebenfalls dieser Ansicht sind, haben Guatemala, Honduras und El Salvador im Juli und August 2003 fast gleichzeitig ein Bündel repressiver Maßnahmen beschlossen, die in den jeweiligen Ländern als Plan Escobar, Operación Libertad und Plan Mano Dura („Harte Hand“) ins Werk gesetzt werden sollen. Diese Pläne sehen nicht vor, das Übel an seinen sozialen Wurzeln zu packen.

Unorganisiertes Verbrechen

MAURICIO SANDOVAL war von 1999 bis 2003 Direktor der Nationalen Zivilpolizei in El Salvador und hat den Kampf der Regierung gegen die Maras in die Wege geleitet. Sandoval besitzt mehrere Medienunternehmen und ist ein führender Politiker der rechtsextremen Arena-Partei, die während des Bürgerkrieges mit den Todesschwadronen verbündet war. Heute gibt sich diese Partei das Image der „harten“ Rechten und stellt die Regierung. Sandoval war übrigens auch Pressesprecher des Präsidenten, als am 16. November 1989 sechs Jesuiten der Universidad Central Americana vom salvadorianischen Militär ermordet wurden; er hatte die Ausstrahlung einer Sendung auf Radio Cuscatlán genehmigt, in der anonym befragte Passanten zum Mord an religiösen Helfern der Guerillagruppe FMLN17 aufriefen.

Ebendieser Mauricio Sandoval behauptet, dass seit der Unterzeichnung der Friedensverträge im Jahr 1992 zwar die staatlichen Institutionen von rechtsextremen Elementen gesäubert worden seien, doch die zur politischen Partei gewandelte FMLN sich „nicht von ihren linksradikalen Terrormethoden losgesagt“ habe. Was die Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung betrifft, ist Sandoval erklärter Gegner der Konvention zum Schutz der Rechte von Kindern. „Sie ist in stabilen Demokratien sicher angebracht, nicht aber in El Salvador.“ Außerdem, so fügt er hinzu, „haben selbst Frankreich und die Vereinigten Staaten die Gesetze zum Umgang mit minderjährigen Straftätern verschärft.“

Im Juni gab Sandoval seinen Posten als Polizeichef auf, um sich ganz der Vorbereitung seiner Partei auf die Präsidentschaftswahlen am 21. März 2004 zu widmen. Seinem Nachfolger Ricardo Meneses obliegt nun die Umsetzung des Plan Mano Dura, den Präsident Francisco Flores höchstpersönlich am 23. Juli 2003 verkündete. Der „Krieg gegen die Maras“ ist zur enorm populären Wahlkampfparole der Arena-Partei geworden.

Sie wird weitgehend von der Presse unterstützt. Tag für Tag gelangen Gewaltverbrechen und andere Gesetzesübertretungen, die den Maras zur Last gelegt werden, in die Schlagzeilen. Im Oktober 2003 hat die Regierung nach viel Gezerre hinter den Kulissen ein Anti-Mara-Gesetz erlassen, das die Banden mit dem organisierten Verbrechen gleichstellt. Auch in El Salvador ist seither die bloße Mitgliedschaft in einer Bande ein Verbrechen. Zudem werden minderjährige Mörder vor Gericht ab sofort wie Erwachsene behandelt. Am 30. Oktober berichtete Prensa Grafica unter der ständigen Rubrik „Krieg gegen die Maras“, dass seit Umsetzung des Plan Mano Dura 320 Pandilleros verhaftet wurden – und dass 35 Prozent von ihnen auf Anordnung der Untersuchungsrichter sofort wieder freigelassen werden mussten. Tatsächlich lehnt ein großer Teil der Richterschaft das Gesetz gegen die Maras als verfassungswidrig ab, eine Unbotmäßigkeit, die Präsident Francisco Flores erzürnt: „Wir werden so lange kämpfen, bis wir den Widerstand der Politiker (womit die FMLN gemeint ist) und der Richter, die solche Verbrecher verteidigen, überwunden haben.“

„Das Gesetz gegen die Maras“, hält die Jugendrichterin Mirna Perla in Santa Tecla dagegen, „verletzt mehrere Artikel der Verfassung, ebenso wie internationale Verträge, die El Salvador unterzeichnet hat. Es handelt sich um ein Wahlmanöver. Die Polizei sammelt wahllos Jugendliche ein, die sie in die Finger bekommt. Die Anklagen beruhen auf schlampigen Untersuchungen oder vagen Anzeigen. Es geht ausschließlich darum, zu zeigen, dass die Polizei etwas tut.“ Im vergangenen Dezember empörte die Vergewaltigung und Enthauptung einer Jugendlichen die Öffentlichkeit. Sofort wurde mit dem Finger auf die Maras gezeigt, obwohl, wie Frau Perla sagt, „diese Anschuldigungen durch nichts erhärtet wurden“ – und obwohl einer der Hauptangeklagten zur Tatzeit im Gefängnis saß.

„Mit den Friedensverträgen“, so die Richterin weiter, „erlangte die Justiz eine gewisse Unabhängigkeit. Heute missbraucht die Regierung ein tatsächliches Problem, um diese Fortschritte wieder rückgängig zu machen. Sie bedient die Angstreflexe der Bevölkerung.“ Die Richter stehen übrigens nicht als Einzige in der Schusslinie. Unter dem Vorwand der Säuberung wurden bereits zahlreiche integre Polizeibeamte Opfer der erneuten Machtübernahme durch die reaktionärsten Gruppierungen innerhalb der Polizei.

Der Fall Hector B. ist in diesem Zusammenhang besonders aufschlussreich. Ernst und äußerst korrekt in ein beiges Hemd mit Krawatte gekleidet, entspricht dieser Hector B. so gar nicht dem Klischee eines Guerillakämpfers. Dennoch war er Mitglied einer studentischen Zelle der FMLN, als 1992 die Friedensverträge unterzeichnet wurden. Als disziplinierter Kämpfer erklärte er sich bereit, zur neuen Nationalen Zivilpolizei zu gehen, in die demobilisierte Guerilleros integriert werden sollten. „Ich hatte nie gedacht, dass ich eines Tages Polizist werden könnte“, gibt Hector zu. „Aber der soziale Aspekt dieser Arbeit hat mir gefallen.“ Der Polizeidienst, erläutert er, war für ihn wie ein Priesteramt.

„Doch die Ernennung von Mauricio Sandoval 1999 bedeutete eine Wende für die Polizei. Die Korruption breitete sich aus. Die Festnahmen und Misshandlungen von Jugendlichen aus den Armenvierteln wurden immer häufiger. Und gesetzestreue Polizisten wurden schikaniert.“ Hector ignorierte Warnungen, sich zurückzuhalten, und machte diese Zustände publik. Prompt wurde er diffamiert und im Zuge einer Säuberung im Jahr 2001 aus dem Dienst entlassen, ohne je eine Begründung dafür zu erhalten.

Auch Hugo Ramírez, ehemaliger Comandante der Guerilla und heutiger Leiter der Abteilung für Gewalt- und Verbrechensvorbeugung bei Jugendlichen, kam nach Unterzeichnung der Friedensverträge zur Polizei. Während er deren Abteilung in Soyapango leitete, hatte er genug Gelegenheit, sich mit den Maras herumzuärgern, und versuchte, einen Dialog in Gang zu bringen. „Meinen Kollegen hat das gar nicht gefallen. Sie fragten, warum ich mit diesen Gaunern meine Zeit verschwende.“ Auch Ramírez bestreitet nicht, dass einige der Mareros Drogen verkaufen, den Handel mit Verkaufsplätzen entlang der Straßen kontrollieren und manchmal sogar „Geschäfte mit Banden machen, die dem organisierten Verbrechen zuzurechnen sind“. Es kommt auch vor, dass einzelne Bandenchefs bis in die Reihen des organisierten Verbrechens vordringen. Ein Dutzend solcher Fälle ist bekannt, jedoch gibt es keine landesweite Koordination innerhalb der M18 oder der MS. Nach Ramírez’ Ansicht „geht es vor allem darum, nicht alle Jugendlichen, die sich im Dunstkreis der Maras bewegen, in einen Topf zu werfen. Eine Politik, die ausschließlich auf Repression setzt und die soziale Dimension des Problems nicht berücksichtigt, ist zum Scheitern verurteilt.“

Kein Wunder, dass diese Politik nicht einlösen kann, was die Regierung versprochen hat – Ruhe. Im Gegenteil: Die totale Repression zeitigt beängstigende Folgen. Erneut machen Mörderbanden von sich reden, die an die Todesschwadronen aus dem Bürgerkrieg erinnern – allen voran die Sombras Negras. Nach glaubwürdigen Aussagen sollen Valdemar Flores Murillo, Polizeichef im Osten des Landes, und Will Salgado, Bürgermeister von San Miguel, Mitglieder sein. Die Maras ihrerseits passen sich der Lage an: Sie operieren unauffälliger und rekrutieren immer jüngere Mitglieder, während sich die Anführer versteckt halten und – tatsächlich engere Bande mit dem organisierten Verbrechen knüpfen. „Die MS kontrolliert heute den Crackhandel in San Salvador“, bestätigt Pater Pepe Morataya, der seit Jahren für die Wiedereingliederung jugendlicher Straftäter tätig ist. „Und ihre bewaffneten Gruppen erhalten in den Bergen eine Art militärische Ausbildung.“

Doch nach Umfragen des Instituts Iudop würden 87 Prozent der Mareros lieber ein ruhiges Leben führen und sich von der Bande trennen – vor allem sobald sie verheiratet sind und Kinder haben. „Einige Clicas aus Soyapango“, versichert José Cornero, der im Auftrag der katholischen Kirche mit jugendlichen Mareros in der Ortschaft La Campanera arbeitet, „würden geschlossen ihre Waffen bei der Polizei abgeben, wenn sie dafür Kleidung und etwas zu essen bekämen.“ In Mejicanos, einem armen Vorort der Hauptstadt, sind mehr als tausend Pandilleros zum Ärztezentrum San Judas Tadeo gegangen, um sich ihre Tätowierungen entfernen zu lassen – trotz der Schmerzen und trotz des Risikos, als Verräter bestraft zu werden. Doch Pater Tonio, der Leiter des Programms „Adiós Tatuajes“ (Auf Wiedersehn, Tattoos) glaubt: „Mehr als alle Drohungen – die sicher ernst zu nehmen sind – ist das, was die Jugendlichen am meisten davon abhält, die Bande zu verlassen, die Unmöglichkeit, eine Arbeit zu finden.“

deutsch von Herwig Engelmann

* Journalist

Fußnoten: 1 Pseudonym. 2 Leiterin einer Untersuchung des Universitätsinstituts für Meinungsforschung (Iudop) über die Maras. Die Studie wurde unter dem Titel „Barrio Adentro“ 2001 in San Salvador veröffentlicht. 3 Hinzu kommen fünf Clicas der Mau Mau und 32 andere, weniger bedeutende Gruppen. Diese Daten wurden von der Nationalen Zivilpolizei am 27. August 2002 anlässlich eines Forums über „Vorschläge und mögliche Lösungen des Problems jugendlicher Straftäter“ vorgestellt. 4 Noch in den 1980er-Jahren waren M18 und MS in Guatemala unbekannt. Heute sind sie dort allgegenwärtig. 5 Der Verein Homies Unidos wurde von ehemaligen Bandenmitgliedern gegründet, um jugendliche Straftäter zu resozialisieren, ohne den Austritt aus der Bande zur Bedingung zu machen. Homies Unidos ist in Los Angeles und San Salvador aktiv: www.homiesunidos.org/about 6 El Salvador hat heute 6 Millionen Einwohner. Weitere 2,5 Millionen Salvadorianer leben in den Vereinigten Staaten, davon allein 800 000 in Los Angeles. Anfang der 1970er-Jahre waren es dort ein paar tausend. 7 Die Fahrt mit einem Auto in das Gebiet der gegnerischen Bande, bei der oft wahllos aus den Wagenfenstern geschossen wird. 8 Um die nicaraguanische Contra zu finanzieren, organisierte die CIA damals den Drogentransport durch Zentralamerika. 9 www.naqia.org/Hispanic_Gangs.htm 10 LA Weekly, Los Angeles, 5. Dezember 2003. 11 La Prensa Grafica, San Salvador, 28./29. Oktober 2003. 12 Pater Greg Boyle ist der Gründer von Homeboys Industries, einem Berufsbildungszentrum für junge Kriminelle, die ihr Leben ändern wollen. 13 Illegal Immigration Reform and Immigrant Responsibility Act (IIRIRA) von 1996. 14 Maquiladora-Industrie: Billiglohn-Fertigungshallen internationaler Konzerne, die im Rahmen des neoliberalen Puebla-Panama-Plans von 2002 zur Entwicklung des südlichen Mexiko und von Mittelamerika massenhaft entstanden. 15 Etwa 20 000 private Sicherheitskräfte, beschäftigt von 114 zugelassenen Wachdiensten. 16 „Barrio Adentro“, a. a. O. 17 Zu diesen gehört auch Pater Ignacio Ellacuria, ein angesehener Intellektueller, Rektor der UCA und leidenschaftlicher Befürworter des Dialogs zwischen der FMLN und der damaligen Regierung. Die Morde geschahen während einer blutigen Offensive der Guerilla auf San Salvador und die anderen wichtigen Städte des Landes.

Le Monde diplomatique vom 12.03.2004, von PHILIPPE REVELLI