Wer terrorisiert wen in Bilbao?
ES war wohl der Lohn für die spanische Unterstützung für den Irakkrieg: die baskische Separatistenorganisation ETA steht nun offiziell auf der internationalen Terroristenliste der USA. Im Baskenland geht der Kampf weiter wie gehabt: Die ETA hält Hinrichtungen von missliebigen Journalisten, Politikern und sogar von Vermittlern bei Friedensgesprächen für ein legitimes Mittel im Kampf der „europäischen Ureinwohner“ gegen die „Kolonialmacht Spanien“, während die Zentralregierung in Madrid auf alles einprügeln lässt, was baskisch-national denkt. Die Partei Herri Batasuna, politischer Arm der ETA, wurde verboten; auch deren Nachfolgepartei AuB darf keine Kandidaten in die Wahlen schicken.
Von CÉDRIC GOUVERNEUR *
„In einer Demokratie hat der Schutz menschlichen Lebens oberste Priorität“, sagt Ramon Mugica, Rechtsanwalt aus Bilbao. Er war die Nummer 2 auf der Liste der rechtsgerichteten PP (Volkspartei) für die Wahlen zum Stadtrat 1995. Das brachte ihn auf eine andere Liste, die Todesliste der ETA.1 „In einer Demokratie“, setzt Hector Portero nach, ein junger, ebenfalls mit dem Tod bedrohter PP-Stadtrat in Bilbao, „müssen die politischen Parteien die demokratischen Regeln achten. Davon ist Herri Batasuna weit entfernt.“
Am 17. März 2003 erklärte der Oberste Gerichtshof Spaniens die separatistische Vereinigung für illegal und stützte sich dabei auf ein im Juni 2002 verabschiedetes Gesetz, das Parteien verbietet, die sich weigern, „den Terrorismus zu verurteilen“. Eine außergewöhnliche Maßnahme: Sinn Féin, der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), ist niemals verboten worden, und das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat erst kürzlich, wegen der unklaren Rechtslage im Zusammenhang mit den Informanten des Verfassungsschutzes, das Verbotsverfahren gegen die neonazistische NPD eingestellt. Nur in der Türkei sind zwei Parteien verboten: die (islamistische) Refah und die (kurdische) Hadep.
Der 1978 gegründete politische Arm der ETA hat in zwanzig Jahren dreimal den Namen gewechselt. Diesmal, versichert Madrid, werde die Partei nicht an den Stadtratswahlen am 25. Mai teilnehmen dürfen, auch wenn sie inzwischen eine Ersatzorganisation namens AuB („Plattform für die Unabhängigkeit“) gegründet habe. Mit sieben Abgeordneten im Parlament der Autonomen Region Baskenland (CAPV, wörtlich: Autonome Gemeinschaft des Baskenlandes) vertritt Herri Batasuna (HB) 10 Prozent der Wähler und kontrolliert 62 Stadträte in Euskadi und Navarra. Ergänzt wird das gesetzliche Verbot noch durch juristische Maßnahmen des Richters Baltasar Garzón, die dem „Fisch“ ETA das Wasser abgraben sollen, in dem er sich bislang bewegt (wie Mao Zedong gesagt hätte): Versiegelung der Batasuna-Büros, Beschlagnahme der Konten, Sperrung ihrer Internetseiten, Verbot der Jugendorganisation Segi und der Vereine zur Unterstützung inhaftierter ETA-Mitglieder und Verbot aller Demonstrationen im Zusammenhang mit der Partei. Außerdem verlangt der Richter 24 Millionen Euro zum Ausgleich für Schäden, die junge Segi-Mitglieder bei Ausschreitungen angerichtet haben.
Begünstigt wurde diese Offensive durch die Folgen des 11. September 2001. In allen westlichen Demokratien dient die simplifizierende Parole vom „Krieg gegen den Terrorismus“ als Vorwand für die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten. Man denke etwa an das Gefangenenlager in Guantánamo oder an die Auslieferung in Frankreich inhaftierter ehemaliger Mitglieder der Roten Brigaden an Italien.2 Premierminister José María Aznar (PP) unterstützte in der Irakfrage das Pentagon – unter völliger Missachtung der öffentlichen Meinung – und zieht immer wieder fruchtlose Vergleiche zwischen ETA und al-Qaida.
Das Verbot von Herri Batasuna erklärt sich auch aus dem autoritären Charakter der PP, deren Haltung in manchen Fragen oft noch der üble Geruch des Franquismus anhaftet. Innenminister Acebes, verschreckt durch den Erfolg der Antikriegsdemonstrationen vom 15. Februar, „verbot“ Ende März schlichtweg jegliche Kundgebung gegen den Krieg. Vergebens. Die folgenden Demonstrationen waren die größten seit der Wiederherstellung der Demokratie.
Amnesty international beklagt im Hinblick auf ETA-Mitglieder und Immigranten die „völlige Straflosigkeit für Vertreter der öffentlichen Gewalt, die sich der Folter schuldig gemacht haben“3. Verurteilte Polizisten wurden von der Exekutive begnadigt oder sogar befördert. Bezeichnend für das ambivalente Verhältnis der PP zur Vergangenheit der spanischen Rechten ist die 2001 posthum erfolgte Ehrung von Meliton Manzanas im Namen der „Opfer politischer Gewalt“. Er war 1968 das erste Mordopfer der ETA überhaupt. Unter Franco war der ehemalige Gestapo-Kollaborateur Polizeichef von Irún gewesen und hatte hunderte Basken gefoltert oder foltern lassen.
In einem mehr pragmatischen Sinn zielt dieses Parteiverbot auf die Wahlen: Während es von drei Vierteln der Basken abgelehnt wird, wird es von der Gesellschaft, den Medien und den politischen Parteien Spaniens, die sich von den Anschlägen zutiefst abgestoßen fühlen, rückhaltlos gebilligt. So stimmten 2002 90 Prozent der Abgeordneten für den Verbotsantrag gegen Herri Batasuna. „Hier leben mehr als 2 000 Menschen unter Polizeischutz“, erinnert Gorka Espiau von der baskischen Vereinigung für den Dialog, Elkarri, die von dem irischen Nobelpreisträger John Hume und der guatemaltekischen Nobelpreisträgerin Rigoberta Manchu unterstützt wird. „Die Situation in der spanischen Gesellschaft verlangt eine Reaktion.“
Mit gutem Gespür für die öffentliche Meinung hat Aznar durch das Verbot von Herri Batasuna eine innenpolitisch passende Ersatzhandlung gefunden. Die Folgen, die diese Entscheidung für die langfristige Lösung des Problems haben wird, zählen da wenig. „Niemand kann den Anspruch erheben, dem Terrorismus ein Ende zu setzen“, räumt der Bilbaoer Anwalt Mugica ein. „Aber die Stimmen für Batasuna werden nun der PNV zugute kommen“, der (christdemokratischen) Baskisch-Nationalistischen Partei, die seit 25 Jahren die Autonome Region Baskenland regiert. „Das ist für uns das kleinere Übel“, hofft er. Eine riskante politische Wette, denn die revolutionäre und separatistische soziale Basis der Batasuna sieht in der PNV einen „Kollaborateur“ mit dem eigentlichen Feind.
Als Werkzeuge der ETA verfolgt
DER „Krieg gegen den Terrorismus“ zielt nicht allein auf Herri Batasuna. Am 20. Februar 2003 verfügte Juan Del Olmo, Richter an der Audiencia nacional, die Schließung der Tageszeitung Egunkaria. Die einzige vollständig in baskischer Sprache erscheinende Tageszeitung, die in einer Auflage von 15 000 Exemplaren gedruckt wurde und 150 Beschäftigte zählte, stand bei der Justiz im Verdacht, ein „Werkzeug der ETA“ zu sein und deren „terroristische Ideologie“ zu verbreiten. Zwar hatte Egunkaria auch Interviews mit ETA-Mitgliedern veröffentlicht, doch in ihren Kolumnen gab es ein breites Meinungsspektrum. Wegen angeblicher Verbindungen zur ETA wurden zehn ehemalige und gegenwärtige Mitglieder der Geschäftsleitung in Untersuchungshaft genommen. Sieben davon wurden gegen Kaution freigelassen; sie berichten von schlechter Behandlung durch die Guardia Civíl.
Der Jesuit Txema Auzmendi, stellvertretender Direktor von Radio popular und Mitglied der Elkarri – der die Aktionen der ETA öffentlich verurteilt hat –, behauptet, die Polizisten hätten ihm weisgemacht, zwei seiner Freunde seien tot. Peio Zubiria, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung, wurde in der Haft krank. Als man ihn ins Krankenhaus brachte, unternahm er einen Selbstmordversuch. Der Chefredakteur Martxelo Otamendi berichtet: „Sie haben mich beschimpft und bedroht; sie haben mir die Augen verbunden, mir zweimal einen Plastiksack über den Kopf gezogen, bis ich keine Luft mehr bekam; sie haben mich am Schlafen gehindert und mich gezwungen, Liegestütze zu machen.“ Der Innenminister lässt Ermittlungen wegen Verleumdung einleiten und weist darauf hin, dass die ETA ihren Aktivisten rate, „systematisch falsche Foltervorwürfe zu erheben“5 . Reporter ohne Grenzen und amnesty international hingegen verlangen eine Untersuchung der Vorwürfe.
Die von der Unesco, der katalanischen Bürgerrechtsvereinigung und einigen spanischen Zeitungen (darunter El País und El Mundo) kritisierte Schließung der Tageszeitung Egunkaria hat im Baskenland zu heftigen Reaktionen geführt und bei den Linksnationalisten der Izquierda Unida (IU), bei Intellektuellen, Hochschullehrern, Gewerkschaftern, kulturellen Vereinigungen, Journalisten und Sportlern lauten Protest ausgelöst. Sie wird nicht nur als Anschlag auf die Pressefreiheit empfunden, sondern auch als Angriff auf den baskischen Nationalismus, die baskische Sprache und die baskische Identität. „Die Schließung schadet nicht nur den Lesern und den Beschäftigten, sondern auch allen baskisch-kulturellen Aktivitäten, über die Egunkaria berichtet hat“, klagt Chefredakteur Otamendi.
Die Beschäftigten haben unverzüglich eine neue Zeitung namens Egunero gegründet, die nur 16 Seiten stark ist, aber bereits eine Auflage von 75.000 Exemplaren hat – das Fünffache ihrer Vorgängerin. Verschlimmert hat sich die Lage durch die kürzlich erfolgten Beschlagnahmungen in den Verlagsräumen einer Wochenzeitschrift und einer wissenschaftlichen Zeitschrift, Argia und Jakin, die auf Baskisch erscheinen, sowie in den ikostolas, den baskischen Schulen. Terrorismusbekämpfung, die einseitig auf Polizeiaktionen setzt und das Feld der Repression ständig erweitert, wird trotz zahlreicher Verhaftungen den Anschlägen kein Ende setzen können. Letztlich bringt sie Nationalismus und Terrorismus einander nur näher.
Die Angriffe auf die Pressefreiheit im Baskenland haben nicht erst mit der Schließung der Egunkaria begonnen. Im Mai 2000 wurde der Journalist José Luis Lopez de la Calle von zwei Mitgliedern der ETA „exekutiert“. „Franco hatte José Luis einst ins Gefängnis geworfen. Dreißig Jahre später hat die ETA ihn ermordet“, schrieb Gorka Landaburu daraufhin in der Wochenzeitung Cambio 16. Er selbst wurde einige Tage später verletzt, als er eine Paketbombe öffnete. Kurz darauf wurde Santiago Oleaga, Finanzchef der Tageszeitung El Diario vasco, in San Sebastián ermordet. Seither stehen gut fünfzig Journalisten unter ständigem Polizeischutz.6 Hinzu kommen noch die Anschläge, die bis nach Andalusien hinein gegen gewählte Vertreter der PP und der PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei) ausgeführt wurden. In ganz Spanien fehlen der PP inzwischen 1.500 Kandidaten für die vollständige Besetzung der Wahllisten bei den Kommunalwahlen im Mai. Es ist zu gefährlich geworden.
„Wer sind die Unterdrückten und wer die Unterdrücker?“, fragt Mora Gotzone, umgeben von ihren beiden Leibwächtern. Die Baskin und Professorin für Soziologie an der Universität von Leioa bei Bilbao, die unter Franco im Gefängnis saß, ist in den Augen der ETA gleich doppelt schuldig, weil sie Mitglied der PSOE ist und sich in der Bürgerbewegung Basta Ya! (deutsch etwa: Jetzt reicht‘s!) engagiert, die sich gegen Terrorismus und für Autonomie einsetzt. Auf die Beschimpfungen ihrer separatistischen Studenten folgte das Todesurteil der ETA. „Mein Leben ist zur Hölle geworden. Was habe ich diesen Leuten getan? Ist es ein Verbrechen, den Pluralismus der baskischen Gesellschaft zu verteidigen?“
Martxelo Otamendi protestiert zwar gegen die Schließung seiner Zeitung, doch er weigert sich, Angriffe auf die Pressefreiheit von der anderen Seite ausdrücklich zu verurteilen. „Unsere redaktionelle Linie ist es, dass alle Akteure des Konflikts auf Gewalt verzichten und den Dialog aufnehmen müssen.“ Vorsichtig räumt er ein, dass „auch“ die ETA die Pressefreiheit bedroht, relativiert seine Aussage dann aber wieder: „Der letzte Anschlag auf das Baskenland war meine Folter.“
Nennen wir sie Inaki und Miren. Das gebildete, beruflich bestens etablierte Paar gehört zum harten Kern der bedingungslosen Anhänger der ETA, die auf einige tausend geschätzt werden. Miren hält die „Exekution“ von Journalisten für „gerechtfertigt“, weil diese „Partisanen“ seien. Auch die „Exekution“ von Stadträten sei „gerechtfertigt“, weil diese „die Folterung der Kämpfer und die Unterdrückung des Baskenlandes unterstützen“. „Hier ist Chiapas, hier ist Palästina“, sagt Inaki. Für die beiden zählt es wenig, dass die prosperierende7 Autonome Region Baskenland mit ihrer Regierung, ihrem Parlament, ihren Steuergesetzen und ihrer Polizei mehr Autonomie besitzt als ein deutsches Bundesland, dass das Baskische hier sehr geschätzt und Spanien eine Demokratie ist. „Die Autonomie ist eine Freiheit, die vom guten Willen der Unterdrücker abhängt. Der bewaffnete Kampf ist die einzige Lösung“, meint Inaki. Das Verbot der Herri Batasuna erschreckt sie nicht. „Wenn sie uns daran hindern, zu wählen, werden auch wir sie hindern, zu wählen“, sagen sie drohend.
Die Radikalen leben in einer sozialen Blase – mit eigener Partei, eigenen Dörfern und eigener Geschichte. Das erklärt ihre Haltung. In dieser Welt gelten die politischen Gegner als Feinde, weil sie den ideologischen Zusammenhalt bedrohen. Darum ist deren Eliminierung durch die ETA „gerechtfertigt“.
Seit die ETA 1959 als Reaktion auf die Unterdrückung durch das Franco-Regime entstand, vergleicht sie die Lage des immerhin doch industrialisierten Euskadi mit der eines kolonialisierten Landes in der Dritten Welt. Als theoretisches Modell für diese unsinnige Annahme dient das Algerien der Kolonialzeit. Im Widerspruch zur sozialen und politischen Realität glaubt die ETA auch heute allein an die gewaltsame Vertreibung der „Kolonialherren“.8
Der Wahn vom europäischen Ureinwohner
IM Januar 2003 schrieb die ETA einen offenen Brief an Subcomandante Marcos in Mexiko, in dem sie dessen Vermittlungsangebot ablehnte.9 Darin spricht die bewaffnete baskische Gruppe vom „Widerstand“ der europäischen „Ureinwohner“ und vergleicht sich mit der zapatistischen Armee.
Wenn man das liest, mag man kaum glauben, dass Franco seit über einem Vierteljahrhundert tot ist. Diese verschobene Wahrnehmung erklärt, warum Herri Batasuna mit nur 10 bis 18 Prozent der Wählerstimmen für sich beansprucht, im Namen des baskischen Volkes zu sprechen10 , und warum sie an der Option des bewaffneten Kampfes festhält, obwohl diese durch das Volk nicht legitimiert ist: 90 Prozent der Basken lehnen sie ab, darunter auch die Hälfte der 130 000 Batasuna-Wähler.11
Nennen wir sie Rakel. In den 1990er-Jahren hat diese Arbeiterin vier Jahre im Gefängnis gesessen, weil Sie ETA-Mitgliedern Unterschlupf gewährt hatte. „Ich liebe die ETA und werde es niemals bereuen“, erklärt sie. Ihr Dorf ist eine Hochburg der Herri Batasuna. „Heute wähle ich nicht einmal mehr sie. Ich enthalte mich. Wegen des Bruchs des Waffenstillstands haben wir die Hälfte unserer Abgeordneten verloren.12 Ich verurteile den bewaffneten Kampf nicht, aber die heutige Strategie führt nirgendwohin. Wir müssen sie ändern, wenn wir nicht alles verlieren wollen. Ich werde nie die PNV wählen, aber wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, um Fortschritte in Richtung Unabhängigkeit zu machen. Aber öffentlich würde ich das hier nicht sagen.“
Sabino Ayestaran ist Professor für Psychologie an der Universität von San Sebastián, Separatist und Spezialist für die Welt der Radikalen; er erklärt uns, dass die Zielpersonen der ETA nicht zufällig ausgewählt sind. „Ein Beispiel: Fernando Buesa, der im Jahr 2000 ermordete Chef der baskischen Sozialisten (PSE), strebte nach einer Annäherung zwischen Sozialisten und PNV. Sie hätten auf Kosten der ETA zu einer politischen Übereinkunft kommen können. Die Anschläge haben das Ziel, Zwietracht zwischen den Parteien zu säen.“ Betrachtet man die politische Klasse, muss man zugeben, dass ihr dies gelungen ist.
Eine Blütenlese aus der Presse weniger Tage: Ein führender Kopf der PP droht der PNV mit „rechtlichen Konsequenzen“ wegen deren Opposition gegen das Verbot von Herri Batasuna; der spanische Justizminister wirft der baskischen Regierung vor, „als Anwalt der ETA aufzutreten“; die PSE nennt das Wahlbündnis zwischen PNV und EA (Euska Alkartasuna) einen „Aufruf zur Diktatur“; Basta Ya! definiert den baskischen Nationalismus als „ethnisch und tribalistisch“13 , die PNV wirft Basta Ya! vor, ein „Klima des schmutzigen Kriegs zu schaffen“. Beleidigungen und Drohungen treten an die Stelle von Argumenten und Vorschlägen. Es ist, als vergifte die Gewalt der ETA die ganze baskische Gesellschaft, um sie zu polarisieren.
„Jeder betrachtet den anderen mit seinen eigenen Vorurteilen“, klagt Gorka Espiau von Elkarri. Aber auch in Zeiten der Unnachgiebigkeit halten die Anhänger des Dialogs an ihren Bemühungen fest. Zwischen Oktober 2001 und 2002 diente Elkarri auf einer Friedenskonferenz als Vermittler zwischen den Vertretern sämtlicher Parteien mit Ausnahme der PP, die eine Teilnahme abgelehnt hatte.
Gemma Zabaleta, sozialistische Abgeordnete aus Vitoria, gehört zu den wenigen Stimmen innerhalb der PSE, die das Verbot der Herri Batasuna ablehnen: „Der Rechtsstaat darf nicht angetastet werden.“ Sie setzt sich für Verhandlungen nach dem Vorbild Nordirlands ein. Gemma Zabaleta ist sich des Risikos bewusst, das sie dadurch eingeht: Als Warnung an alle ungebetenen Vermittler ermordete die ETA im Jahr 2000 Ernest Lluch, den Führer der Katalanischen Sozialistischen Partei PSC, der sich für einen Dialog eingesetzt hatte.
Der linke baskische Sozialminister Javier Madrazo (Izquierda Unida) meint, man müsse „die soziale Basis der ETA schwächen, um sie in eine Art Grapo14 zu verwandeln, also ein Grüppchen ohne Rückhalt in der Bevölkerung, das man leicht zerschlagen kann“. Für diese Strategie müssten die ETA-Gefangenen allesamt im Baskenland einsitzen, denn bisher sind diese Gefangenen über Gefängnisse in ganz Spanien (insgesamt 508 Gefangene) und in Frankreich (115 Gefangene) verstreut. Ihre Angehörigen müssen hunderte von Kilometern fahren, um sie im Gefängnis zu besuchen. Nach Angaben von Herri Batasuna sind dabei bereits dreizehn von ihnen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen. „Die Aufteilung ist nach dem spanischen Strafgesetzbuch illegal“, erklärt der Minister. Ermutigt durch die Ankündigung einer Zusammenlegung der korsischen Nationalisten, machen die Angehörigen von ETA-Gefangenen nördlich der Pyrenäen inzwischen Druck auf Paris.
Das setzt allerdings auch eine Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts voraus, das im Autonomiestatut von 1979 verwehrt wird, obwohl sich damals 60 Prozent der baskischen Wähler in einem Volksentscheid für das Selbstbestimmungsrecht ausgesprochen hatten. Die große (aus den Nationalisten der PNV und der EA sowie aus der IU bestehende) Mehrheit, die die Regierung der Autonomen Region Baskenland stellt, arbeitet in diesem Sinne an einem „Vorschlag zur Herstellung einer Koexistenz“, wobei dieser neue, die Souveränität regelnde Vertrag auf einer freien Assoziation zwischen Euskadi und Madrid basieren soll. Eine Beziehung unter Gleichen, in der Madrid akzeptieren soll, dass Euskadi nur deshalb zur spanischen „Nation der Nationen“ gehört, weil die Mehrheit der Basken dem zustimmt. „Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann nur Madrid eine Volksabstimmung herbeiführen“, erklärt uns Joseba Egibar von der PNV. „Aber nichts hindert uns, eine Volksbefragung abzuhalten. Und wenn Spanien eine Demokratie ist, wird man das Ergebnis akzeptieren.“ Dies wäre eine Lösung nach dem Vorbild Kanada/Quebec.
Die radikalsten Separatisten sind gegen diesen Plan. Das Verbot von Herri Batasuna und Egunkaria – so liest man in einem Leitartikel der separatistischen Zeitschrift Gara – „zeigt uns die Zukunft, die uns erwartet, wenn wir uns auf eine Koexistenz mit der von Franco eingesetzten Monarchie einlassen“. Und Otamendi setzt noch eins drauf: „Die gegen den Willen des baskischen Volkes und ohne Einspruchsmöglichkeit der autonomen Regierung von Madrid erlassenen Verbote von Batasuna und Egunkaria bestätigen, was wir längst wussten: Die Autonomie ist eine Illusion, und Demokratie gibt es nicht.“ Angesichts der Repression fragt Gara etwas scheinheilig: „Was bleibt uns anderes übrig?“15
Wie jede bewaffnete Gruppe funktioniert auch die ETA nach dem Muster Aktion–Repression–Aktion. Jeder Anschlag soll eine außergewöhnliche Reaktion des Staates auslösen. In den Augen der ETA soll diese Repression den Herrschenden die „demokratische Maske“ herunterreißen und eine wachsende Zahl von Menschen für den „bewaffneten Kampf“ mobilisieren. Trotz der Schwächung durch den polizeilichen Druck hat die baskische bewaffnete Gruppe Vorteile aus der Unnachgiebigkeit Madrids gezogen. Alle Beobachter sind sich darin einig, dass die Aushöhlung des Rechtsstaats und die Kriminalisierung der sozialen Basis der ETA die Organisation in ihrem „Krieg gegen den spanischen Faschismus“ nur bestärken. Durch die Kriminalisierung erhalten die bedingungslosen Unterstützer des Terrors innerhalb der Bevölkerung immer mehr Zulauf, sie werden der ETA in die Arme getrieben und stärken deren logistische Basis. Kurz gesagt, wer die „soziale Blase“ der ETA außerhalb des Gesetzes stellt, verhindert den Dialog und treibt Bürger in den Untergrund, die man eigentlich für die Demokratie gewinnen sollte.
deutsch von Michael Bischoff
* Journalist