Der Wunsch nach anderen Nachrichten
MIT ihren unkritischen Nachrichten, die nur im Regierungssinn patriotisch sind, haben die kommerziellen US-Medien im Irakkrieg ihre meinungsbildende Macht bewiesen. Aber vielen Konsumenten reicht es jetzt. Eine neue Bürgerrechtsbewegung kämpft gegen die Deregulierungspolitik der US-Behörde FCC und die wachsende Medienkonzentration – und zugleich gegen die Verdummung durch die großen Zeitungen, Fernseh- und Radioketten. Die Aktivisten finden viele Verbündete, sogar im konservativen Establishment, das freien Wettbewerb statt großer Medienkonzerne fordert.
Von ERIC KLINENBERG *
Sind manche US-amerikanische Medienunternehmen eine Gefährdung für die globale Sicherheit? Die falsche oder ungenaue Berichterstattung über internationale Themen in den US-Medien seit dem 11. September 2001 hat das Ihre dazu beigetragen, dass die Bevölkerung den Krieg unterstützt. Nach einer neueren Umfrage der Universität Maryland halten 60 Prozent aller US-Bürger und 80 Prozent der regelmäßigen Zuschauer von Fox News mindestens eine der drei folgenden Aussagen für richtig:
1. Im Irak wurden Massenvernichtungswaffen gefunden;
2. Es gibt nachweislich Verbindungen zwischen dem Irak und al-Qaida;
3. Die weltweite öffentliche Meinung befürwortet den Krieg der USA im Irak.1
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Je mehr Nachrichten von Fox TV die Leute sehen, umso eher sind sie bereit, einer dieser Behauptungen Glauben zu schenken. Nach Ansicht von Jeff Chen, dem Leiter der medienkritischen Organisation Fair (Fairness and Accuracy in Reporting) zeigt die Studie, dass „eine Lüge am Ende als Wahrheit durchgeht, wenn sie nur groß genug ist und oft genug wiederholt wird“. So legitimieren sie die Außenpolitik von Präsident Bush in den Augen der Menschen, die ihn bei den nächsten Wahlen aus dem Amt jagen könnten.
Der Journalist John Nichols behauptet: „Wenn wir ehrliche Medien hätten, wäre George Bush nicht Präsident und wir hätten im Irak keinen Krieg geführt.“ Noch vor kurzem wäre ein solcher Satz bloße Rhetorik gewesen. Aber 2003 erfolgte der Durchbruch einer kritischen, aktiven Medienpolitik. Und Nichols spricht – als Leiter der Bürgerrechtsorganisation Free Press – für eine wachsende Bewegung, die sowohl die Struktur als auch die Machtverteilung der journalistischen Landschaft in Frage stellt. Für Bernie Sanders, Abgeordneter des US-Repräsentantenhauses, ist heute „die Frage der Macht der Unternehmen über die Medien erstmals in der Geschichte der USA zu einem Politikum geworden“. Sein Kollege Maurice Hinchey ist der Meinung, eine Reform des Medienwesens sei „das wichtigste Thema, das sich derzeit für das amerikanische Volk stellt. Dabei geht es um die Kontrolle des öffentlichen Diskurses, also um die Grundlagen der Demokratie.“
Aber wo könnte angesichts der zehn gigantischen Unternehmen, die in den USA das Nachrichtengeschäft mit ihren Fernsehsendern, Radiostationen und Printprodukten dominieren, der Anstoß zu einer sinnvollen Reform des Medienwesens herkommen?2 Und was könnte eine Bewegung, die sich für eine kritische und vielfältige Medienlandschaft stark macht, erreichen?
Zwei Ereignisse des letzten Jahres haben viele aufmerksame US-Bürger zu Protesten herausgefordert: die unkritische Kriegsberichterstattung durch die kommerziellen Nachrichtenanbieter und die unpopuläre Entscheidung der Federal Communications Commission (FCC), den Mediensektor noch weiter zu deregulieren.3 Im November 2003 organisierte die Gruppe Free Press die größte Konferenz zur Medienreform, die je in den USA stattgefunden hat. Zu der dreitätigen Veranstaltung in Madison, Wisconsin, kamen 2 000 Teilnehmer, darunter progressive Politiker und Intellektuelle wie Jesse Jackson, Bernie Sanders, John Sweeny und Studs Terkel.4 Vergleichbar mit den ökologischen Vorkämpfern vor dreißig Jahren, die Umweltfragen als politisches Thema entdeckten, versuchen diese Aktivisten nun die Medienfragen zu politisieren.
Die FCC diktiert seit langem den Markt für Nachrichten, Unterhaltung und Werbung in den USA. Sie setzt über komplizierte technische Regelungen eine Politik durch, die so gut wie keiner kritischen öffentlichen Diskussion unterliegt, weil die kommerziellen Nachrichtenunternehmen die für sie geltenden Regeln wohlweislich aus den Nachrichten heraushalten. Doch dann ging die FCC unter Leitung des neoliberalen Fundamentalisten Michael Powell, dem Sohn von Außenminister Colin Powell, so weit, ein Gesetz zu befürworten, das es den Großkonzernen erlaubt, ihre Marktanteile deutlich auszubauen.
Verbraucherorganisationen hat die FCC fast nie in ihre Arbeit einbezogen. Und als die Mitarbeiter des Center for Public Integrity (CPI) die Protokolle und Unterlagen der Kommission studierten, fanden sie heraus, dass ein Großteil der Informationen für die FCC über neun Jahre alt und für die politische Entscheidungsfindung völlig unerheblich war. Dagegen hatten in den acht Jahren vor der wichtigen Entscheidung von 2003 die Telekommunikations- und TV-Unternehmen, denen die FCC ja eigentlich Regeln auferlegen soll, fast drei Millionen Dollar für mehr als 2 500 Reisen von Kommissionsmitgliedern und -mitarbeitern bezahlt, die dabei so relevante Orte wie Las Vegas, Hongkong und Rio de Janeiro besuchten. Und die Spitzenleute von TV-Unternehmen hatten sich über siebzigmal mit Vertretern der FCC getroffen.5 Für die CPI-Leute und Charles Lewis, den Leiter der Untersuchung, stand damit fest, dass die FCC die ganze Zeit „fest im Griff der Branche“ gewesen war.
Während die FCC sich 2003 anschickte, ihre neuen Deregulierungsregeln zur offiziellen Politik zu machen, bekam sie Briefe und E-Mails von sage und schreibe 2 Millionen US-Bürgern, die sich fast alle gegen die vorgesehene Deregulierungspolitik aussprachen. Zwei der fünf Kommissionsmitglieder, Michael Copps und Jonathan Adelstein, stimmten daraufhin dafür, die geltenden Obergrenzen für die Eigentümer von Kommunikationsunternehmen beizubehalten. Die anderen drei, nämlich Powell, Kevin Martin – der einmal eine hohe Position in Bushs Wahlkampfteam innehatte – und Kathleen Abernathy – vormals leitende Managerin eines Kommunikationstechnik-Unternehmens –, setzten sich über die Bedenken der Öffentlichkeit hinweg.
Am 2. Juni 2003 verkündete die FCC ihren Beschluss, wonach es Zeitungsbesitzern erlaubt ist, auch mehrere Fernsehsender in derselben Stadt zu besitzen, und TV-Unternehmen das Recht haben, noch mehr Fernsehsender als zuvor zu kaufen. Dies bedeutete in den Worten Adelsteins „die umfassendste und folgenreichste Abschaffung von Verbraucherschutzregeln in der Geschichte des Rundfunk- und Fernsehwesens der USA“.6 Widerspruch kam sogar von führenden Republikanern im Kongress, die Powell und seine Deregulierung stets unterstützt hatten. Sie zeigten sich vom Bürgerprotest beeindruckt und änderten ihre Meinung. Trent Lott zum Beispiel, der konservative Senator von Mississippi, hatte sich noch 1997 dafür eingesetzt, dass Powell einen Sitz in der FCC bekommt. Doch am 6. Juni 2003 erklärte er: „Bei zu hoher Marktkonzentration besteht zwischen den Unternehmen keine echte Konkurrenz mehr, weder hinsichtlich der Kosten, noch was ihre Produkte anbelangt. Es gäbe also weniger Anreize, etwas Neues, etwas anderes, vielleicht Preisgünstigeres zu produzieren, oder auch einfach etwas, das eine andere Sichtweise bietet. Auf manchen Märkten haben Inserenten und Kunden schon jetzt keine Alternative, sie müssen einfach ein bestimmtes Medienunternehmen in Anspruch nehmen. Von der bereits eingeschränkten Wahlmöglichkeit bleibt durch die neusten Regeln der FCC nicht mehr viel übrig. Vor allem große landesweite Druckkonzerne haben mancherorts schon ein regelrechtes Monopol. Die Konzentration von Medienbesitz noch weiterzutreiben mag im Interesse der Mediengiganten in New York oder Washington sein, im Interesse der Medienkonsumenten, wie Sie und ich es sind, wäre das nicht.“7
Bis September 2003 hatten sowohl das mehrheitlich republikanische Repräsentantenhaus als auch der Senat die Entscheidung der FCC gekippt. Doch dann drohte das Weiße Haus an, es werde gegen jede Änderung der Vorlage sein Veto einlegen. Damit zwang es dem Kongress einen Kompromiss auf, der den Besitzstand der News Corporation (Eigentümerin von Fox TV) und von Viacom (der die Fernsehnetze CBS und UPN gehören) legalisierte. Beide hatten die zulässige Obergrenze für die Medienkonzentration bereits überschritten. Das vom Kongress schließlich verabschiedete Gesetz enthält die allgemeine Erlaubnis zum gleichzeitigen Besitz von Presse- und TV-Unternehmen und erlaubt darüber hinaus, dass ein Unternehmen auf einem lokalen Markt die größten Fernsehstationen und die wichtigste Zeitung besitzen darf.8
Aber der Kampf innerhalb der FCC hat erst begonnen, und der Kongress wird die Frage der Mediengesetzgebung demnächst neu aufrollen. Nicht dass Michael Powell das beabsichtigt hätte, aber sein radikales Programm hat dazu geführt, dass die Medienpolitik heute ein wichtiges politisches Thema ist und dass die Bewerber bei den Wahlen zum Kongress wie für die Präsidentschaft im November 2004 Farbe bekennen müssen. Nach Meinung von Jeff Cohen, der sich seit 15 Jahren mit Medienfragen beschäftigt, hatte es die FCC „noch nie zuvor mit einer derart geschlossenen, überzeugenden und effektiven Kampagne zu tun“. Für die US-Bürger sind – Senator Lott hat das verstanden – Fernsehen, Radio und sogar die Printmedien ein wichtiges Thema, und viele sind wütend über die schlechte Qualität und die Monotonie der kommerziellen Programme. Der demokratische Abgeordnete Bernie Sanders berichtet, dass in seinem Wahlkreis Veranstaltungen über Medienfragen mehr Leute anziehen als jedes andere Thema.
Der Telecommunikations Act von 1996 hatte den Rundfunkmarkt so grundlegend dereguliert, dass sieben Jahre später von den ursprünglichen Eigentümern nur noch knapp zwei Drittel übrig waren und dass ein Unternehmen (Clear Channel) heute über 1 200 Radiostationen betreiben kann. In einigen Städten ist die Mehrzahl der Lokalsender in den Händen ein- und desselben Unternehmens. Und bei den lokalen TV-Sendern bestehen laut Adelstein rund 14 Prozent des Programms aus bezahlten Informercials9 .
Das Resultat solcher Medienpolitik ist eine schwache Demokratie. Das zeigte sich deutlich in der Berichterstattung über den Irakkrieg. Die in den Kommerzmedien vor Beginn des Krieges veröffentlichte Meinung war alles andere als repräsentativ für die US-Bevölkerung. Denn eine Mehrheit war gegen den Angriff auf den Irak vor Abschluss der Inspektionen und ohne breite Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen. Dass die US-Medien kaum Berichte über zivile Opfer im Irak oder in Afghanistan bringen, ist allgemein bekannt – „wir zählen die feindlichen Leichen nicht“, erklärte Colin Powell. Aber die großen Nachrichtenunternehmen „bereinigen“ den Krieg noch zusätzlich, indem sie kaum Bilder drucken oder senden, die tote US-Soldaten bzw. die Überführung der Leichen in Zinnsärgen zeigen. Außerdem berichten sie nur selten über die Zahl der schwer verwundeten Soldaten.
Deshalb argumentiert Amy Goodman, die beim unabhängigen Medienunternehmen Pacifica die beliebte Radioshow „Democracy Now“ moderiert: „Wenn wir in diesem Land eine Woche lang sehen würden, was der Rest der Welt sieht – und damit meine ich nicht nur al-Dschasira, sondern auch die Diskrepanz zwischen CNN und CNN International10 –, dann würden die Amerikaner diesen Krieg nicht unterstützen. Aber der Großteil unserer Berichte mutet wie eine Werbesendung für militärisches Gerät an. Die Medien trommeln für den Krieg. Und ihre Lügen kosten Menschenleben.“ Auch John Stauber, Koautor des Buches „Weapons of Mass Deception“ und Redakteur der Website PRwatch. com, ist der Meinung: „Das Kriegsunternehmen hätte ohne die Komplizenschaft der Medien nicht stattfinden können.“11
Deutliches Anzeichen für das wachsende Misstrauen gegenüber der einheimischen Berichterstattung ist die Tatsache, dass bei Kriegsbeginn die Sendungen von BBC International in den USA eine Rekordzahl von Zuschauern anzogen. Auf der Konferenz in Madison klagte Tami Baldwin, Abgeordnete des Repräsentantenhauses, dass sie „als Mitglied des US-Kongresses häufig die ausländische Presse heranziehen muss, um gründliche und verlässliche Nachrichten und Informationen zu bekommen – nicht nur über den Irak, sondern auch zu anderen Themen“.
Jesse Jackson führte die Unterschiede, die sich beim Thema Irak in der öffentlichen Meinung der einzelnen Länder zeigten, weitgehend auf die unterschiedliche Berichterstattung zurück. In der Schlussdiskussion von Madison meinte er: „Wir haben unterschätzt, was die Herrschaft über die Medien für unseren Kampf bedeutet. Warum gab es in Europa größere Demonstrationen gegen den Krieg? Weil die Europäer besser informiert sind. Fox und Clear Channel veranstalten im Grunde Kriegsdemonstrationen. Unsere Medien waren im selben Lager wie die Panzer.“
Zurzeit konzentriert sich die kritische Medienbewegung auf die vordringlichen Probleme Irak und FCC. Aber John Nichols betont: „Es reicht nicht, die Beschlüsse der FCC rückgängig zu machen. Das bringt uns nur zum 2. Juni 2003 zurück, als wir mit subversiven Mitteln gegen ungerechte Medien kämpften.“ Und Robert McChesney, Leiter von Free Press und Medienforscher, meint ebenfalls, angesichts der schon so lange bestehenden Medienmonopole müsse die kritische Bewegung darauf hinarbeiten, die ganze Branche zu transformieren und die öffentliche Sphäre zu demokratisieren. Ihr erstes Ziel ist es, die Kontrolle der Medien durch Großkonzerne zu zerschlagen. Aber es geht auch um konkrete Ziele: mehr und garantierte öffentliche Mittel für kommunale Rundfunk- und Fernsehsender sowie generell höhere Subventionen für nicht kommerzielle Medien.
Free Press und andere landesweite Organisationen wie Fair, Media Access und Media Channel, aber auch die vielen neuen medienkritischen Initiativen vor Ort wissen durchaus, wie viele Hindernisse vor ihnen liegen. Ihre Aktivisten haben durch die Ereignisse des vergangenen Jahres viel Auftrieb bekommen. Früher oder später werden sie bestimmt wieder in den Nachrichten sein.
deutsch von Niels Kadritzke
* Professor für Soziologie an der New York University, Autor des Sozialreports „Heat Wave: A Social Autopsy of Disaster in Chicago“, University of Chicago Press 2002.