08.04.2004

Wie Israel zur Bombe kam

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Wie Israel zur Bombe kam

Vor achtzehn Jahren wurde Mordechai Vanunu, ein israelischer Staatsbürger marokkanischer Herkunft, in Rom entführt und in Israel vor Gericht gestellt. Angeklagt wurde er damals des Verrats von Staatsgeheimnissen. Denn Vanunu, der im südisraelischen Dimona in der Negevwüste in einer Nuklearfabrik arbeitete, hatte in der Londoner „Sunday Times“ berichtet, Israel besitze 200 Atombomben. Darüber aber wollte Israel noch nie in der Öffentlichkeit reden. Schon Kennedy scheiterte an Ben Gurion, der keine Waffeninspekteure in Israels geheimster Anlage dulden wollte.

Von AMOS ELON *

IMMER wieder ist zu hören, die Allianz zwischen den USA und Israel habe erst nach dem Krieg von 1967 begonnen, also in der Amtszeit von US-Präsident Johnson. Tatsächlich kam Johnson der Sieg, den Israel in nur sechs Tagen über die beiden sowjetische Klientelstaaten Syrien und Ägypten errungen hatte, sehr zupass, weshalb er Israel in der Folgezeit eine beispiellose politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung gewährte. Ein positiver Nebeneffekt des Junikriegs war in Johnsons Augen die Schließung des Suezkanals. Denn damit war die Sowjetunion gezwungen, ihre Schiffe mit dem Nachschub für Nordvietnam um ganz Afrika herumfahren zu lassen.

Doch Johnson war keineswegs der erste US-Präsident, der das 1948 von Harry Truman verfügte Embargo für Waffenlieferungen an Israel durchbrach. Der erste war kein Geringerer als John F. Kennedy, obwohl auch er zu Beginn seiner Amtszeit den Israelis die Lieferung von Großwaffensystemen verweigert hatte. Und derselbe Kennedy – zu dessen außenpolitischen Hauptzielen es immerhin gehörte, die Weiterverbreitung von Atomwaffen einzudämmen – war außerstande oder im Grunde unwillig, das nukleare Projekt des israelischen Partners zu verhindern.

Kennedy war der erste US-Präsident, der verstand, dass das Palästinenserproblem ein wichtiger Faktor, wenn nicht die eigentliche Wurzel des arabisch-israelischen Konflikts darstellte. Und doch hat er, der die algerische Befreiungsbewegung FLN so genau und frühzeitig wahrgenommen hatte, in den Palästinensern nie ein Volk mit Unabhängigkeitsbestrebungen gesehen. Wie die damaligen israelischen Politiker sprach auch er vom „Flüchtlingsproblem“. Damit war er nicht der erste und auch nicht der letzte US-Präsident, der sowohl die tiefe Verbitterung der Palästinenser über ihre Vertreibung unterschätzte als auch die Entschlossenheit der israelischen Regierung, das eroberte Territorium zu behalten.

Im Hinblick auf das Palästinenserproblem war Kennedy also um keinen Deut realistischer als die Israelis selbst. Zwar ließ er den israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion wissen, dass die USA entschlossen waren, das „Flüchtlingsproblem“ anzugehen, aber die Debatten in Washington darüber, was dies genau bedeute, waren zumeist oberflächlich und beiläufig. Bei einer Besprechung im Weißen Haus etwa befragte der damalige Außenminister Dean Rusk den Kennedy-Berater Myer Feldman, der auch für die Kontakte mit jüdischen Organisationen zuständig war. Rusk wollte wissen, was es mit dem von Joseph Johnson vom Carnegie Institute entwickelten Plan zur Lösung des Flüchtlingsproblems auf sich habe. Könne man Johnson folgen, „ohne sich auf konkrete Zahlen einzulassen“, also ohne festzulegen, wie viele palästinensische Flüchtlinge nach Israel zurückkehren und wie viele in arabischen Ländern angesiedelt werden sollten? „Aber ja“, meinte Feldman, „nach unseren Schätzungen dürften sich höchstens ein Zehntel von ihnen für die Rückkehr entscheiden.“ Das waren damals ungefähr 80 000 Menschen. Eine solche Zahl sei für die Israelis akzeptabel, fügte Feldman hinzu. Daraufhin meinte Kennedy: „Das ist ja so, als wenn ein Neger nach Mississippi zurückwollte.“ Im Raum kam glucksendes Lachen auf. Der Vergleich sei nicht ganz richtig, antwortete Feldman, denn das würde voraussetzen, dass bei den Palästinensern „eine Art Black-Muslim-Doktrin“ vorherrsche.

In einer Ben-Gurion-Biografie wird beschrieben, dass bei dessen erstem Treffen mit John F. Kennedy ein ähnlich oberflächlicher Ton herrschte. So soll Kennedy zu Ben Gurion gesagt haben: „Ich bin von den New Yorker Juden gewählt worden. Nun muss ich etwas für sie tun. Also werde ich etwas für Sie tun.“ Ben Gurion fand es gar nicht lustig, als Lokalpolitiker von Brooklyn angesehen zu werden, und so antwortete er gereizt: „Sie müssen nur das tun, was für die Freie Welt gut ist.“

Zu Beginn seiner Amtszeit war Kennedy entschlossen, die Beziehungen der USA mit den neuen revolutionären Regimen im arabischen Raum und vor allem mit Nassers Ägypten zu verbessern. Seine Vorgänger hatten ihm im Nahen Osten viele Probleme hinterlassen. Der gegen die Sowjetunion gerichtete Bagdad-Pakt von 1955 hatte mehrere muslimische Staaten auf die Seite der USA gebracht, war aber nun in Auflösung begriffen. Ägypten, Syrien und der Irak wurden zusehends zu sowjetischen Satellitenstaaten, und die konservativen arabischen Monarchen fühlten sich durch Nassers sozialistischen Panarabismus akut bedroht.

Mit der gleichen Oberflächlichkeit, mit der sich Kennedy in das Abenteuer der Schweinebucht stürzte, kam er auch zu der Überzeugung, dass die schlechten Beziehungen Amerikas sowohl zu Israel als auch zu Ägypten unnötig seien. Durch eine kreativere Politik wollte er den USA neue Optionen im Nahen Osten eröffnen. Um Ägypten in die westliche Einflusssphäre zurückzubringen, warb Kennedy um Nassers Gunst, jedoch erfolglos. Der ägyptische Staatschef begann sogar einen katastrophalen Krieg im Jemen, den er selbst später als „mein Vietnam“ bezeichnete. Er bedrohte das benachbarte Saudi-Arabien; in einem Fall setzten ägyptische Soldaten auch Giftgas ein. Als Nasser erkannte, dass sein ehrgeiziger Plan zur Vereinigung von Ägypten und Syrien fehlschlug, wurde sein Kurs radikaler. Seine Agenten versuchten gar, König Hussein von Jordanien umzubringen.

Kennedys Bemühungen um eine Annäherung an Nasser wurden jedoch nicht nur von Nasser selbst durchkreuzt, sondern auch von der Öllobby in den USA und von konservativen arabischen Kräften unter Führung der Saudis. Genau in dieser Phase gaben die USA ihre eher frostige Haltung zu Israel auf und setzten auf ein engeres Bündnis, das bis heute fortdauert. In der Kubakrise von 1962, als Chruschtschow irrtümlicherweise meinte, er könne wie 1956 während des Suezkriegs mit seinen Atomraketen drohen, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Washington und Ägypten weiter, nicht zuletzt, weil die ägyptische Presse für Kuba Partei ergriff.

In diesem Klima stellte Kennedy seine Bemühungen ein, die Lage der palästinensischen Flüchtlinge zu verbessern. Heimlich ließ er die entscheidende Besprechung zu diesem Thema mitschneiden. Bis dahin hatte er den Verkauf von Hawk-Raketen an die Israelis davon abhängig gemacht, dass sich diese zu einem Kompromiss in der Frage der Rückführung oder Entschädigung palästinensischer Flüchtlinge bereit fanden. Am 27. Dezember 1962 nun teilte Kennedy bei einem Treffen in Palm Beach, Florida, der israelischen Außenministerin Golda Meir mit, dass Joseph Johnsons Plan gestorben sei. Die USA hätten, wie er sich ausdrückte, „im Nahen Osten mit Israel eine besondere Beziehung, die eigentlich nur mit der Beziehung vergleichbar ist, die wir in einem weiten Spektrum von Fragen mit Großbritannien“ haben. Und dann meinte der Präsident zu Golda Meirs Entzücken: „Ich denke, es ist ganz klar, dass die USA im Falle einer Invasion Israel zu Hilfe kommen würden.“

Kennedy hatte in diesem Moment die Grenzen dessen, was die Arabien-Experten des Außenministeriums gegenüber Israel für „denkbar“ gehalten hatten, überschritten und war auch in der Frage, was im Hinblick auf Ägypten „machbar“ war, bis an die äußerste Grenze gegangen. So legte er, wie Warren Bass in seiner jüngst erschienenen Analyse1 zeigt, „die Parameter der Nahostpolitik der USA für die kommenden Jahrzehnte“ fest. Kein US-Präsident zuvor hatte sich jemals so klar ausgedrückt.

Ein Jahr vor dem Treffen hatten die US-Geheimdienste in Dimona im Süden Israels einen geheimen, mit französischer Unterstützung gebauten Atomreaktor entdeckt. Washington hatte sich besorgt gefragt, ob die Israelis den Bau einer Atombombe anstrebten. Als Kennedy in dem besagten Gespräch mit Golda Meir2 deshalb die Opposition der USA gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen kurz ansprach, liest man in der stenografischen Mitschrift: „Mrs. Meir versicherte dem Präsidenten, hinsichtlich des israelischen Atomreaktors werde es zwischen ihnen keinerlei Schwierigkeiten geben.“

Doch kurz darauf führte dieses „delikate Thema“ – wie die israelischen Presse den Atomreaktor verklausuliert nannte – zu dem schärfsten Konflikt, den Israel und USA innerhalb der nächsten Jahre haben sollten. Kennedy befürchtete ernsthaft, dass der Reaktor für die Produktion von Atomwaffen gebaut worden war, doch schlussendlich ließ er die Israelis gewähren. Im Rückblick gesehen, so führt Warren Brass aus, hat es den Anschein, als hätten die jahrelangen Verhandlungen über das geheime israelische Reaktorprojekt die Allianz zwischen den USA und Israel nur noch gestärkt.

Um diese Entwicklung zu verstehen, sind die ersten Amtstage des neuen Präsidenten erhellend. Damals wurde Kennedy von Christian Herter, dem Außenminister seines Vorgängers Eisenhower, darüber aufgeklärt, dass Israel und Indien wohl die beiden Länder seien, von denen als nächste die Entwicklung von Atomwaffen zu erwarten war. Herter gab Kennedy den Rat, bezüglich der streng geheimen Nuklearanlage von Dimona, die von einem U-2-Spionageflugzeug entdeckt worden war, auf möglichst frühen Inspektionen zu bestehen. Der in Amerika lebende Israeli Avner Cohen hat 1998 in seinem Buch „Israel and the Bomb“ (das in der israelischen Zeitung Ha’aretz als „Buchbombe“ bezeichnet wurde) erstmals die Geschichte des israelischen Atomprojekts rekonstruiert, dessen Existenz die US-Regierung damals nur zögerlich bestätigte. Cohens hervorragende Darstellung basiert auf vormals unveröffentlichten Dokumenten. Detailliert schildert er die Motive der israelischen Politiker, die das Projekt unterstützten. So lautete etwa Ben Gurions Maxime kurz und bündig: „Um sicherzustellen, dass das jüdische Volk nie wieder einen Holocaust erleiden muss, muss Israel jedem potenziellen Täter mit der Vernichtung drohen können.“

Erst im Jahr 2000 erschien die hebräische Ausgabe von Cohens Buch. Hätte das Originalmanuskript einem israelischen Verleger vorgelegen, hätte es wohl niemals die Militärzensur passiert. Als Cohen kurze Zeit nach der Veröffentlichung der US-Ausgabe nach Israel reiste, wurde er fünfzig Stunden lang von israelischen Agenten verhört, nicht etwa, wie mir Cohen erzählte, weil sie etwas gegen ihn unternehmen wollten, sondern weil sie ihn von weiteren Atom-Recherchen abzuhalten gedachten. Das Manuskript seines jüngsten, auf Hebräisch verfassten Buches „Israels letztes Tabu“, in dem er kritisiert, dass Israel sich mit dem Thema nicht offen und direkt auseinander setzt, liegt inzwischen seit über einem halben Jahr bei der israelischen Militärzensur. Nach wie vor ist die Nuklearanlage in Dimona ein Tabu, das noch bis vor kurzem nur indirekt thematisiert wurde.

Der israelische Autor Tom Segev – vielleicht der brillanteste Analytiker der jüngeren israelischen Geschichte – meint zu Recht, Cohens Buch mache es „notwendig, die gesamte Geschichte Israels neu zu schreiben“. Cohens Arbeit hat inzwischen zahlreiche weitere Studien hervorgebracht, so etwa das vor kurzem erschienene Buch „Die Nation und der Tod“3 , in dem die Historikerin Idith Zertal überzeugend und innovativ den Gebrauch der Erinnerung an den Holocaust in Israel untersucht. Neben der Gleichsetzung von Palästinensern und Nazis wird mit der Erinnerung sowohl der Siedlungsbau als auch die Nuklearoption gerechtfertigt. Nach dem Sechstagekrieg, so Zertal, wurde in Israel die Sicherheitsfrage nicht auf der Basis der tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse im Nahen Osten debattiert, sondern „im Kontext des Holocaust“.

Dass die US-Amerikaner so lange brauchten, um zu erfassen, was da in Dimona vor sich ging, ist für sich schon eine erstaunliche Tatsache, die manches über die Effizienz der hoch gerühmten westlichen Geheimdienste aussagt. Denn es handelte sich keineswegs um ein streng gehütetes Geheimnis. Zahlreiche israelische Wissenschaftler wussten von dem Atomprojekt, seit es Ende der 1950er-Jahre angelaufen war. Außerdem waren, wie Cohen beschreibt, mehrere reiche israelische Geschäftsleute aufgefordert worden, etwas zu den Kosten beizusteuern. Und in den USA hatte Abe Feinberg, der in New York zur Führung der Demokratischen Partei gehörte und als Chef der American Bank and Trust Company zugleich ein Mitglied im Kuratorium des Weizmann Institute of Science war, einige prominente Spender angesprochen, die als Unterstützer jüdischer und israelischer Projekte bekannt waren.

Ein österreichischer Bekannter lernte Ende der Fünfzigerjahre auf einem Linienschiff von Haifa nach Marseille durch Zufall im Speisesaal einen französischen Ingenieur kennen, der ihm erzählte, dass er zwei Jahre an einem Großprojekt in Dimona gearbeitet hatte. Auf die Frage, was genau er gemacht habe, antwortete der Franzose: „Qu’est-ce qu’on fait à Dimona? On fait la bombe!“ – „Was wir in Dimona machen? Wir machen die Bombe!“ Bei seinem nächsten Besuch in Israel hatte mein Österreicher eine Unterredung mit dem damaligen Finanzminister und späteren Ministerpräsidenten Levi Eschkol, den er ganz direkt fragte: „Hat Israel eine Atombombe?“ Eschkol, der einen ziemlich derben Humor hatte, gab zur Antwort: „Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir eine Bombe haben“, aber dann wechselte er wie so häufig ins Jiddische und fuhr fort: „ober wir sanen stark schwanger“. Etwa um diese Zeit, im Dezember 1960, ließ Regierungschef Ben Gurion anlässlich der Eröffnung der Universität Beer Sheba durchblicken, dass im unweit gelegenen Dimona innerhalb von ein, zwei Jahren ein Atomreaktor in Betrieb gehen werde.

Die Anlage war erstmals bereits 1958 auf Luftbildern entdeckt worden, hatte aber bei der CIA kein größeres Interesse ausgelöst. Das gilt auch für die gar nicht zu übersehende Anwesenheit von französischen Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern und ihren Familien – durchweg Mitarbeiter eines französischen Ingenieur-Unternehmens, das auf den Bau von großen Atomreaktoren spezialisiert war. 1960 meinte ein in Israel weilender US-Atomwissenschaftler zu Ogden R. Reid, dem US-Botschafter in Tel Aviv, die Israelis hätten es geschafft, in Dimona einen Reaktor ungefähr desselben Typs zu bauen, dem die Franzosen die Atombomben de Gaulles verdankten. Jetzt richtete die US-Botschaft eine offizielle Anfrage an die israelische Regierung, fand sich aber offenbar mit der Antwort ab, dass es sich bei der Anlage in Dimona um eine Textilfabrik handle. Erst sieben Monate später wurde der CIA klar, dass Israel heimlich an einem riesigen Atomreaktor baute.

Gerade Israels „Tauben“ wollen Atomwaffen

BEN GURION wie die Franzosen versicherten den Amerikanern höchst offiziell, die Anlage in Dimona diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Reid empfahl Eisenhower, den Zusicherungen zu glauben. Dieselbe Position vertrat auch die CIA, nicht allerdings Außenminister Dean Rusk. Kennedy selbst neigte zur Einschätzung von Rusk. Vor seinen Beratern kritisierte er Israel in harschen Tönen. Die Größe des neuen Reaktors schien der israelischen Behauptung zu widersprechen, dass er nur für friedliche Zwecke gedacht sei.

Als CIA-Agenten im März 1961 die tatsächliche Kapazität des Reaktors auf 40 Megawatt schätzten, bezeichnete Kennedy gegenüber James Reston von der New York Times Ben Gurion als einen „wild man“, mit dem er in dieser Sache keinen Kompromiss schließen werde. Über einen Abgesandten Ben Gurions habe er den Israelis ausrichten lassen, sie müssten innerhalb von dreißig Tagen eine gründliche Inspektion der Anlage zulassen. Die dreißig Tage verstrichen, aber Ben Gurion hielt ihn weiter hin.

Reston erzählte mir damals die Geschichte, die er allerdings nicht publizierte. Ich telegrafierte die Geschichte meiner Zeitung Ha’aretz auch unter Verwendung der verschleiernden Bezeichnung „delikates Thema“, aber trotzdem wurde sie von den Militärzensoren nicht freigegeben. Daraufhin ließ mich mein Herausgeber wissen, ich solle mich auf andere Themen konzentrieren.

In der Folge nahmen die Spannungen zwischen Washington und Tel Aviv zu. Die Kennedy-Berater Abe Feinberg und Mike Feldman flogen nach Israel und teilten Ben Gurion mit, wenn er in Inspektionen einwillige, ließe sich ein Treffen mit Kennedy arrangieren, durch das man das Projekt retten könne. Sechs Wochen später hatte Ben Gurion einer „Inspektion“ noch immer nicht zugestimmt. Er wollte lediglich zwei US-Wissenschaftlern einen „Besuch“ des umstrittenen Reaktors gestatten, aber das nur an einem Sabbat, wenn die meisten Beschäftigten nicht vor Ort anzutreffen waren. Nach Darstellung Cohens sorgten die israelischen Stellen dann dafür, dass die „Besucher“, zwei US-Atomphysiker, nichts Verdächtiges finden konnten. Zudem durften sie keine eigenen Instrumente mitbringen oder Messungen vornehmen und auch keine Fotos machen. Die beiden Wissenschaftler bescheinigten, dass die Anlage sauber sei.

Kurze Zeit danach hatten Kennedy und Ben Gurion ein Gespräch in New York. Dabei sagte Kennedy den Israelis die Lieferung von Boden-Luft-Raketen vom Typ Hawk zu, während der Reaktor Dimona nur am Rande erwähnt wurde. Kennedy machte den Verkauf der Hawk-Raketen nicht von einer verbindlichen Zusage abhängig, dass die USA die Anlage in Dimona zweimal jährlich inspizieren könnten. Zumindest zwei Inspektionen pro Jahr wären nötig gewesen, um sicherzugehen, dass in Dimona kein waffenfähiges Plutonium hergestellt wurde. Ich beobachtete damals, wie Ben Gurion die Suite Kennedys im Waldorf Astoria Hotel verließ und dabei ersichtlich erleichtert dreinblickte. Aus heute zugänglichen Dokumenten wissen wir, dass Kennedy damals den israelischen Zusicherungen immer noch nicht traute. Aber da nun einmal die Berichte der beiden Dimona-„Besucher“ vorlagen, beschränkte er sich gegenüber Ben Gurion auf die Bemerkung, dass sich eine ehrbare Dame nicht damit begnügen könne, tugendhaft zu sein, sie müsse ihre Tugend auch glaubhaft zeigen. Deshalb bat Kennedy, bei künftigen Inspektionen auch Experten aus „neutralen“ Ländern zuzulassen. Und er regte an, deren Berichte auch an Nasser weiterzureichen.

Ben Gurion war im Prinzip einverstanden; weitere Details über künftige Besuche wurden nicht erörtert. Doch als die Israelis die ersten Hawk-Raketen erhielten, wurden diese rings um Dimona in Stellung gebracht. Die Streitigkeiten über die Atomanlagen gingen weiter. Insbesondere drängte Kennedy die israelische Regierung, halbjährliche Inspektionen zu gestatten, was jedoch nie geschah.

Ein Großteil des Aktenmaterials, das in den US-Archiven über diese Vorgänge lagert, ist bis heute gesperrt. Aber es gibt ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass Ben Gurion seine Hinhaltetaktik fortsetzte und dass Kennedys die israelischen Ausflüchte immer weniger hinnehmen wollte. Es scheint so, als sei Kennedy in den zwölf Monaten vor Beginn der Kampagne für seine anstehende Wiederwahl im November 1964 geneigt gewesen, seine innenpolitisch begründete Taktik im Umgang mit Israel zeitweise beiseite zu schieben. Jedenfalls schlug er in seinen Briefen an Gurion einen zunehmend drohenden Ton an.

Seit Eisenhower 1957 Ben Gurion gezwungen hatte, die besetzte Sinai-Halbinsel zu räumen, deren glatte Annexion Ben Gurion in einer emotionalen Rede in Scharm al-Scheich proklamiert hatte, war kein US-Präsident mit einem israelischen Regierungschef derart rüde umgesprungen. In seinem letzten Brief vom Mai 1963 warnte Kennedy, das Engagement seiner Regierung und die Unterstützung Israels seien ernsthaft gefährdet, wenn der Eindruck entstehe, „dass diese Regierung nicht in der Lage ist, verlässliche Informationen über ein Thema zu erhalten, das für den Frieden ein so entscheidendes ist wie die Bemühungen Israels auf dem atomaren Gebiet“.

Bis zu diesem Brief hatte Ben Gurion immer wieder neue Ausflüchte gesucht. Nach dieser Drohung Kennedys trat er zurück. Die Gründe für sein Handeln liegen bis heute im Dunkeln. Nach der einen Theorie war ihm ganz klar, dass Israel sich dem Druck Kennedys am Ende würde beugen müssen, er habe es aber vorgezogen, diesen Schritt seinem Nachfolger, dem eher nachgiebigen „Tauben“-Politiker Levi Eschkol zu überlassen, den er im Übrigen nicht leiden konnte. Die andere Theorie besagt, der wahre Grund für den Rücktritt Ben Gurions seien innerparteiliche Probleme gewesen, die von seiner langjährigen Fehde mit der alten Garde der Arbeitspartei herrührten.

Nach Kennedys Ermordung einigten sich die Kontrahenten auf einen Kompromiss. Innerhalb der israelischen Regierung argumentierte Außenministerin Golda Meir, man müsse dem neuen US-Präsidenten Johnson die volle Wahrheit über den Dimona-Reaktor sagen und die Gründe dafür darlegen. Der neue Ministerpräsident Eschkol zögerte. Offenbar fühlte er sich noch durch Ben Gurion eingeschüchtert, der seinen Nachfolger mehrmals der Gefährdung der nationalen Sicherheitsinteressen bezichtigt hatte. Eschkol zog es vor, sich weiter durchzumogeln. Er gestattete nie mehr als einen „Besuch“ pro Jahr, mit dem die Wahrheit über Dimona nicht herauszufinden war.

Für Lyndon B. Johnson war die Weiterverbreitung von Kernwaffen kein solches Problem wie für Kennedy. Es blieb bei einer Inspektion pro Jahr, bis schließlich die „Besuche“ ganz eingestellt wurden. Johnson und seine Nachfolger begnügten sich mit einer Erklärung Israels, dass es niemals „als Erster“ Atomwaffen im Nahen Osten einführen würde. Im Gegenzug bekam Israel von den USA laufend die neuesten konventionellen Waffensysteme geliefert, um sich auch ohne den Einsatz von Atomwaffen verteidigen zu können.

Die israelische Politik wiederum war als Strategie der „Vieldeutigkeit“ oder auch „Undurchsichtigkeit“ angelegt. Dabei bedeutete laut Cohen der Begriff „Undurchsichtigkeit“ bis heute, dass die israelische Regierung niemals offiziell kundtut, man verfüge tatsächlich über Atomwaffen, dass aber die Indizien für die Existenz solcher Waffen stark genug sind, um die Wahrnehmung und das Verhalten potenzieller Feinde zu beeinflussen.

Cohen zufolge war Israel etwa 1967 im Besitz erster, noch unvollkommener Atombomben. Vor kurzem meldete die BBC unter Verweis auf eine Analyse der Federation of Atomic Scientists, dass Israel heute wahrscheinlich an die 200 Atombomben besitzt. Ein Bericht, der auf der Website von MSNBC nachzulesen ist, geht davon aus, dass das von Israel produzierte Plutonium für 100 bis 200 Atombomben ausreicht. Das Land dürfte außerdem über etwa 35 taktische und strategische Wasserstoffbomben verfügen und auch über die entsprechenden Trägersysteme von Kurz- und Langstreckenraketen.4

Den Atomwaffensperrvertrag, der ursprünglich ein Projekt der USA gewesen war, hat Israel nie unterzeichnet. In Jerusalem lautet die Sprachregelung weiterhin, dass man nicht als erstes Land Atomwaffen in den Nahen Osten „einführen“ werde. Die jüngste Geschichte des Landes zeigt jedoch, dass auch ein solches Machtpotenzial an Grenzen stößt. Die „Undurchsichtigkeit“ hat weder den Krieg von 1967 noch den arabischen Überraschungsangriff von 1973 verhindert – und auch nicht die beiden Intifadas der Palästinenser oder die jüngste Welle von Selbstmordattentaten.

Das „Geheimnis“ von Dimona indes wird nach wie vor sehr streng gewahrt. Als Mordechai Vanunu, ein Techniker, der in den Achtzigerjahren in Dimona gearbeitet hatte, der Londoner Sunday Times erzählte, was er an seinem Arbeitsplatz angeblich gesehen hatte, wurde er aus Rom entführt, nach Israel verbracht und zu achtzehn Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Seine Haftzeit läuft im April dieses Jahres ab. Dabei hielt man ihn mehr als elf Jahre in einer Isolationszelle, was eine ungewöhnlich harte Bestrafung darstellt. Einige Berichte besagen, er habe in der Haft fast den Verstand verloren.

Am Vorabend des Sechstagekriegs von 1967 forderten einige liberale und internationalistisch gesonnene Knessetmitglieder eine allgemeine Abrüstungsvereinbarung über Nuklearwaffen für den gesamten Nahen Osten. Doch die Initiative lief sich tot; heute plädiert nur noch Ägypten für einen atomwaffenfreien Nahen Osten. In Israel, wo so vieles verkehrter läuft als anderswo, gehören heutzutage die Tauben, gerade weil sie einen Rückzug aus den besetzten Gebieten auf die weniger sicheren Grenzen von 1967 fordern, zu den glühendsten Verfechtern der so genannten nuklearen Option.

deutsch von Niels Kadritzke

* Israelischer Schriftsteller, zuletzt erschien auf Deutsch „Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743–1933)“, München (Hanser) 2003.

Fußnoten: 1 Warren Bass, „Support Any Friend: Kennedy’s Middle East and the Making of the U.S.-Israel Alliance“, Oxford University Press 2003. 2 Nach den Unterlagen des Stenografen, die Cohen eingesehen hat. Siehe Avner Cohen, „Israel and the Bomb“, New York (Columbia University Press) 1998. 3 Idith Zertal, „Hauma wehamarevetth“, Tel Aviv 2003, S. 163–165. Deutsch: „Nation und Tod. Der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit“, Göttingen (Wallstein Verlag) 2003. 4 Die BBC-Meldung findet sich im Internet unter news.bbc.co.uk/1/low/world/middle_east/892941.stm, der Bericht unter www.msnbc.com/news/wld/graphics/strategic_israel_dw.htm.

Le Monde diplomatique vom 08.04.2004, von AMOS ELON