Zweite Front im Kampf gegen den Terrorismus
DIE Gewerkschaften in den USA haben sich gewandelt. Sie sind nicht mehr eine antikommunistische ideologische Vorhut wie im Kalten Krieg, sondern sie opponieren gegen die konservative Regierung, manchmal richtig kraftvoll. Auch deshalb werden sie zur verborgenen Zielscheibe im „Krieg gegen den Terrorismus“, den die US-Regierung führt. Mit allen staatlichen Mitteln versuchen George Bush und seine Leute, die Gewerkschaften auszuhebeln: Privatisierungen, Streikverbote, restriktive Gesetze und bürokratische Auflagen, verstärkte Überwachung und Kontrollen.
Von RICK FANTASIA und KIM VOSS *
Ungewohnte Stille legte sich in den Wochen nach den Attentaten vom 11. September 2001 über die Vereinigten Staaten. Bei diesem Innehalten in einem von Lärm, Werbung und Geschäftigkeit bestimmten Leben konnte man der Hunderte Feuerwehrleuten, Polizisten, Ärzten und Helfern gedenken, die ihr Leben bei Rettungsaktionen aufs Spiel gesetzt und beim Einsturz der Twin Towers verloren hatten. Das ganze Land würdigte in melodramatischer, aber aufrichtiger Anteilnahme die Anstrengungen und den Mut derjenigen, die jeden Tag ganz gewöhnliche Arbeiten verrichten.
Nur selten entstammen die amerikanischen Helden einem Milieu, das nicht von Geld oder Macht geprägt wird. Eine alltägliche Tätigkeit anzuerkennen ist in dieser Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit, in der Medien und Politik über Jahrzehnte den einfachen Arbeiter aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein weitgehend verdrängt haben. Deshalb stellte der Überschwang an Sympathie und Dankbarkeit nach den Attentaten ein ungewöhnliches Zeugnis der Anerkennung für jene Menschen dar, die man ansonsten nicht zur Kenntnis nimmt.
Diese Reverenz für den amerikanischen Arbeiter wurde jedoch schnell von Säbelrasseln und Rachedurst verdrängt. Die Bush-Regierung, die sich bis dahin überhaupt nicht um das Schicksal der Lohnempfänger gekümmert und stets ihre Verachtung für die Gewerkschaften kundgetan hatte, entdeckte rasch, dass sie den „Krieg gegen den Terrorismus“ ausnutzen konnte, um im Hinterland ein paar Guerillaoperationen aufzuziehen – gegen die politisch aktiven Arbeiter und ihre Organisationen. In aller Eile wurden die nötigen Gesetze zur Schaffung eines Amtes für innere Sicherheit beschlossen. Durch eine weitgehende Umstrukturierung mehrerer Bundesbehörden entzog dieses Amt den 170 000 Lohnempfängern, die ihm nunmehr unterstanden, das Recht auf kollektive Verhandlung ihrer Arbeitsbedingungen und den Schutz für die Gewerkschaftsfunktionäre. Anders gesagt, der US-Präsident bewies, während die Nation die New Yorker Feuerwehrleute und Polizisten ehrte – zwei Berufsgruppen mit einem besonders hohen Organisationsgrad –, dass die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft ein inakzeptables Risiko für die innere Sicherheit darstellt.
Kurz nachdem er und seine Republikanische Partei im November 2002 die Zwischenwahlen gewonnen hatten, verschärfte der Präsident den Ton gegenüber den Gewerkschaften. Wo er das Recht auf kollektive Verhandlung für bestimmte Angestellte im öffentlichen Dienst nicht abschaffen konnte (beim Sicherheitspersonal der Flughäfen und bei den Angestellten der Außenstellen des Justizministeriums ist es ihm immerhin gelungen), griff er auf die Privatisierung zurück. So ordnete er zum Beispiel an, 850 000 öffentliche Stellen für private Unternehmen auszuschreiben, die nicht den von den Beamtengewerkschaften ausgehandelten Lohngarantien unterliegen.
Dies ist die Fortsetzung des bereits 25-jährigen Krieges, den die amerikanischen Unternehmen gegen die Beschäftigtenvertretungen im privaten Sektor führen. Er hatte zur Folge, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei nur 9 Prozent liegt. In den Vereinigten Staaten ist die bloße Existenz einer Gewerkschaft in einem Unternehmen eine große Leistung.1
Die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft gewährt einem Angestellten oft den Schutz einer Kranken- und Rentenversicherung, einen bezahlten Urlaub und das Recht auf Anrufung eines Schiedsgerichtes bei Arbeitskonflikten, während der juristische Rahmen insgesamt die Unternehmen begünstigt.
Mit Hilfe der Waffen, die der Kongress der Bush-Regierung für den „Kampf gegen den Terrorismus“ in die Hand gegeben hat, wendet sich die Regierung auch gegen die Arbeiter im Privatsektor. Als sie nach dem 11. September 2001 der vom Rückgang des Flugaufkommen betroffenen Luftfahrtindustrie 15 Milliarden Dollar gewährte, wurden nicht nur den 100 000 entlassenen Mitarbeitern keinerlei Angebote gemacht, sondern überdies auf ein altes Antigewerkschaftsgesetz, das Taft-Hartley-Gesetz von 1947, zurückgegriffen, um die Streiks zu beenden, die in zwei großen Luftfahrtgesellschaften ausgebrochen waren. Die Regierung stellte sogleich einen Zusammenhang zwischen einer Arbeitsunterbrechung und einer Gefährdung der nationalen Sicherheit her.
Hafenarbeiter als nationales Sicherheitsrisiko
NOCH eindringlicher berief man sich im Herbst 2002 auf diesen Zusammenhang, als Präsident George Bush zugunsten der Schifffahrtsunternehmen eingriff, die in 29 Häfen an der Westküste 10 000 Hafenarbeiter ausgesperrt hatten.Vorher hatten die Unternehmen eine Übereinkunft mit einigen ihrer größten Kunden, darunter die Handelsketten WalMart und Gap, erzielt und ihre Strategie mit einer Task Force der Bush-Regierung abgestimmt. Dieser Einsatz der Regierung war auch eine Warnung an die gesamte Arbeiterbewegung. Mitten in den Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Transportunternehmen rief Tom Ridge, der neue Leiter des Amtes für innere Sicherheit, die Funktionäre der Hafenarbeitergewerkschaft an, um sie davon abzubringen, einen Streik zu organisieren. Er warnte sie, dass er eine Arbeitsunterbrechung als Angriff auf die nationale Sicherheit behandeln werde und dass der Staat bereit sei, die Armee beizuziehen, um die Streikenden zu ersetzen. Nach einem von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld während des „Krieges gegen den Terrorismus“ erdachten Prinzip wird jede Fracht – also nicht nur Lieferungen für die Armee – als militärisch wichtig eingestuft.
Die Bush-Regierung hat alle denkbaren Instrumente der Staatsmacht eingesetzt, um die Gewerkschaften zu bekämpfen. Während das Weiße Haus seine Abneigung gegen Bürokratie und Papierkrieg kundgetan hat, verabschiedete das Arbeitsministerium im Dezember 2002 mehrere Verordnungen, welche die Gewerkschaften verpflichten, jede Ausgabe über zweitausend Dollar zu belegen, die für eine Mitgliederkampagne, einen Streik oder eine parlamentarische oder politische Aktion verwendet wird. Diese Bestimmung ist ein Albtraum für die hauptamtlichen Gewerkschafter, die ohnehin schon von Verwaltungsaufgaben weit mehr belastet sind als ihre Kollegen in Europa. Mehr noch: In dem Etatentwurf, den das Weiße Haus dem Kongress vorgelegt hat, plant es eine beträchtliche Erhöhung der Ausgaben für Kontrolle und Überprüfung der Gewerkschaften, während die Mittel für Hygiene und Gesundheit in den Unternehmen und für die Überwachung der Gesetze über die Arbeit von Minderjährigen ebenso gekürzt wurden wie die Mindestlöhne.
Die Arbeiterbewegung hat versucht, das im Namen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ auf sie eröffnete Feuer zu erwidern. Ende Februar haben die Leiter der großen Gewerkschaftszentrale AFL-CIO ihren Widerstand gegen die Militäroperationen gegen den Irak erklärt. Diese Entscheidung war nicht selbstverständlich. Ein halbes Jahrhundert lang hat die Gewerkschaftsbewegung die meisten US-Interventionen im Ausland unterstützt und eine bedeutende ideologische Rolle im Kalten Krieg gespielt. Für jeden, der in der Gewerkschaft oder woanders eine verantwortliche Stellung erreichen wollte, war Antikommunismus ein Muss. Bis in die Siebzigerjahre zählten die am besten organisierten Zweige der amerikanischen Arbeitswelt (Automobil-, Stahl- Waffenindustrie) überdies zu den größten Nutznießern des „Kriegskeynesianismus“. Das Bild der Bauarbeiter, die 1970 Demonstranten gegen den Vietnamkrieg ausbuhten, hat sich im Bewusstsein von Millionen Amerikanern festgesetzt.
Seit 1995 hat eine jüngere, kämpferischere Gewerkschaftsleitung den Dachverband übernommen, die sich nicht mehr der Logik des Kalten Krieges unterwirft.2 Diese Personalerneuerung erklärt zum Teil die neue, kritischere Haltung in der Frage des Krieges. Der Vorwurf, eine Kritik der amerikanischen Nahostpolitik schwäche das Land im Kampf gegen den Terrorismus, hatte weniger Auswirkung als einst, da man die Gegner des Vietnamkrieges zu Kryptokommunisten erklären konnte. Fast vierhundert örtliche Organisationen, die fünf Millionen Gewerkschafter vertraten, unterzeichneten einen kritischen Text gegen den Krieg als „Vorwand für Angriffe gegen Arbeiter und Bürgerrechte.“ Sie wiesen darauf hin, dass die Opfer der Militäroperationen amerikanische Soldaten, „Söhne und Töchter von Arbeiterfamilien“, und „unschuldige irakische Zivilisten“ sein würden. Sobald jedoch der Krieg begonnen hatte, wurde diese Opposition still, und Konformismus legte sich über die öffentliche Debatte. Als die amerikanische Armee in Bagdad einzog, mobilisierte eine von der (konservativen) Gewerkschaft der Bauarbeiter von New York organisierte Demonstration der Kriegsbefürworter sogar 10 000 Teilnehmer. Jeder erinnerte sich dabei an die Demonstration von 1970.
Aber auch die US-Armee ist nicht mehr dieselbe. Das Ende der Wehrpflicht hat zu einer Reduzierung der Truppe geführt, die aus „Freiwilligen“ besteht. Der Begriff „Freiwillige“ verhüllt jedoch die enge Verbindung zwischen Arbeitsmarkt und dem Eintritt in die Armee. Besonders für die Afroamerikaner ist die Armee zu einer zentralen sozialen Institution geworden. Sie bietet ihnen leistungsfähigere Ausbildungsmöglichkeiten als das öffentliche System im Schwarzenghetto und eine weniger durch rassistische Vorurteile belastete berufliche Karriere. 1988 waren 10,6 Prozent des Offizierskorps, darunter 7,4 Prozent der Generäle, afroamerikanischen Ursprungs, dreimal mehr als während des Vietnamkrieges.
Die amerikanische Armee ist in rassischer und ethnischer Hinsicht recht repräsentativ für die Bevölkerung, allerdings kommen ihre Angehörige vor allem aus unteren sozialen Schichten. Fast 90 Prozent der Freiwilligen haben nur einen Highschool-Abschluss, sie kommen aus Familien, deren mittleres Einkommen um ein Drittel unter dem Landesdurchschnitt liegt. Diese Soldaten proletarischen Ursprungs müssen bei ihrer Rückkehr nach Hause erkennen, was die Kriegspolitik die ganze Gesellschaft wie auch ihre eigenen Familien gekostet hat. Die Vereinigten Staaten haben keine allgemeine Krankenversicherung, und das Bildungssystem vermehrt und verstärkt die Ungleichheit. Aber die Armee kostet jährlich 400 Milliarden Dollar.
Während die Bush-Regierung die Abschaffung der Steuer auf Kursgewinne verlangt, möchte sie die für die „innere Sicherheit“ aufgewendeten Kosten auf die Bundesstaaten abwälzen. Die Staaten, die den Hauptteil der öffentlichen Dienste des Landes bezahlen, befinden sich in der schlechtesten finanziellen Situation seit dem Zweiten Weltkrieg. In Missouri hat der Gouverneur die Abschaltung jeder dritten Straßenlaterne angeordnet, in Oklahoma müssen Lehrer, um die Personalkosten zu reduzieren, selbst die Schulbusse fahren und die Schulreinigung übernehmen.
deutsch von Claudia Steinitz
* Professoren für Soziologie und Autoren von „Des syndicats domestiqués: Répression patronale et résistance syndicale aux Etats-Unis“, Paris (Raisons d’agir) 2003.