14.05.2004

Daumen, Iris, Körperdaten

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Daumen, Iris, Körperdaten

DAS Kreditkartenunternehmen Visa schaltete in den Jahren 2000 und 2001 in deutschsprachigen Zeitungen großformatige Anzeigen, die dem Leser versicherten: „Sie werden eines Tages mit einem Augenaufschlag Ihr Hotelzimmer bezahlen.“ Sicher?

Aus der bunten Wunderwelt der Kreditkartenwerbung haben sich die biometrischen Identifikationssysteme auf den Weg in die amtlichen Personalausweise gemacht. Im Ausweis gespeicherte biometrische Daten – digitalisierte Gesichtsmerkmale, Fingerabdrücke oder das Muster der Iris – sollen in Zukunft sicherstellen, dass der Ausweis auch wirklich der Person entspricht, für die das Dokument ausgestellt wurde. Die jahrhundertelange Lücke zwischen Person und Papier soll damit endlich geschlossen werden.

Die US-Regierung verfügte 2002 im „Enhanced Border Security and Visa Entry Reform Act“, dass ab Oktober 2003 nur noch maschinenlesbare Pässe akzeptiert würden. Die wiederum müssen spätestens ab 26. Oktober 2004 biometrische Daten des Passbesitzers enthalten. In der Europäischen Union ist die Einführung für 2005 und 2006 beschlossen. Noch eiliger hat es die Regierung von Bosnien und Herzegowina: Sie plant bereits zum Jahresende 2004 die Einführung von 4 Millionen neuen Ausweispapieren mit digitalisiertem Fingerabdruck. Italien will bis 2010 mit einer elektronischen Identitätskarte nachziehen, Großbritannien (wo es bislang überhaupt keinen obligatorischen Personalausweis und keine Meldepflicht gab) bis 2012.

Fachleute zweifeln allerdings daran, ob dieser ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden kann. Von der „zweifelsfreien“ Identifikation durch vermessene und verglichene Körpermerkmale, von der auch das Ende 2001 in Kraft getretene deutsche Gesetz zu Pässen und Personalausweisen spricht, kann nämlich nach wie vor keine Rede sein. Biometrische Systeme weisen derzeit viel zu hohe Fehlerraten auf, um praxistauglich zu sein. Verlässlich sind sie auch nicht. Unabhängige Experten testeten im Frühjahr und Sommer 2002 in Deutschland, Japan und den USA biometrische Systeme und stellten ihnen ein vernichtendes Zeugnis aus. Gesichtserkennungssysteme und Iris-Scans ließen sich von Fotos täuschen, Fingerabdruck-Scanner akzeptierten Reproduktionen, die mit Hilfe von Klebestreifen und Gelatine hergestellt worden waren.1

Ähnliche Schwierigkeiten erwarteten die Techniker, die im Januar 2003 am Flughafen Zürich der Presse ein computergesteuertes Gesichtserkennungssystem vorstellten. In diesem Pilotversuch wurden biometrische Daten von Gesichtern abgeschobener illegaler Einwanderer automatisch mit denen ankommender Fluggäste verglichen, damit einmal Abgeschobene, die unter anderem Namen erneut versuchen, in die Schweiz einzureisen, erkannt werden können. In die Datenbank mit 40 000 Fotos Abgeschobener waren zu Demonstrationszwecken und aus Gründen des Datenschutzes auch die Gesichter mehrerer Mitarbeiter der Flughafenpolizei eingegeben worden.

Bei der Pressevorführung des Systems passierte einer von ihnen die Kamera am Gate. Das System sprang an und gab Signal: „Das ist er!“ Nur leider spuckte der Computer nicht Namen und Datensatz des Mannes aus, der an der Kamera vorbeigegangen war, sondern den eines seiner Kollegen, der zwar als gespeicherter Datensatz im Computer, aber nicht in Person anwesend war.2 „Eine Spur“, so Walter Benjamins schöne Definition, „ist die Erscheinung einer Nähe, so fern sie sein mag.“

Wird also in den nächsten Jahren mit Millionenaufwand eine Technologie eingeführt, die noch völlig unausgereift ist? Die „International Biometric Group“ stellte bei einem Test von Erfassungsgeräten, Produkten von elf großen Herstellern, im Herbst 2003 horrend hohe Fehlerraten fest. Das mache nichts, verkündete der Direktor hinterher. „Die bloße Existenz eines Geräts, das einen Einzelnen mit seinem Ausweispapier in Verbindung bringen kann, wird für viele Betrüger abschreckend sein.“3 Aber warum sollten sich Betrüger ausgerechnet von einer Technologie abschrecken lassen, die nicht präzise funktioniert?

Fußnoten: 1 John D. Woodward, Nicholas Orlans und Peter Higgins, „Biometrics. Identity Assurance in the Information Age“, Berkeley (McGraw-Hill) 2003; Johannes Zerbst, „Gesichtserkennung auf dem Prüfstand“, Telepolis, 27. März 2003 (www.telepolis.de/deutsch/inhalte/te/14463/1.html). 2 Neue Zürcher Zeitung, 10. Januar 2003. 3 Christiane Schulzki-Haddouti, „Elektronischer Pass: Biometrische Reisepässe mit RFID-Chips in der Einführungsphase“, c’t, Heft 9 (2004), S. 52–56.

Le Monde diplomatique vom 14.05.2004